Die MDR-Dokumentation „Der kalte Patriarch“ wirft einen detaillierten Blick auf das Leben und Wirken von Walter Ulbricht, einem der prägendsten Politiker der DDR-Geschichte. Als Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und späterer Staatsratsvorsitzender regierte er fast zwei Jahrzehnte lang die DDR mit harter Hand. Der Film zeichnet seinen Aufstieg vom wandernden Tischlergesellen bis zum Staatschef nach und beleuchtet die politischen Entscheidungen, die ihn sowohl gefürchtet als auch verhasst machten.
Vom Arbeiterkind zum SED-Machtpolitiker
Ulbrichts Kindheit war geprägt von einfachen Verhältnissen, sein Vater galt als Trinker, dennoch erwarb er früh ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein. Seine handwerklichen Wanderjahre führten ihn durch Europa, bevor ihn der Erste Weltkrieg in die Grausamkeiten des Kriegsdienstes zwang. Ulbricht, der sich gegen die „Todesmühle“ des Krieges auflehnte, desertierte zweimal und engagierte sich aktiv in den Soldatenräten. In dieser Zeit entwickelte er seine kommunistische Überzeugung und trat 1919 der KPD bei.
Der Dokumentarfilm zeigt eindrucksvoll, wie sich Ulbricht durch Fleiß und taktisches Geschick in der Partei nach oben arbeitete. Früh erkannte er die Macht des Parteiapparates und stieg zielstrebig bis in die KPD-Führung auf. Nach der Machtergreifung Hitlers entkam er der Verfolgung durch die Gestapo und lebte im Exil, zunächst in Paris, dann in Moskau. Dort überstand er die stalinistischen Säuberungen, während viele seiner Genossen der Geheimpolizei zum Opfer fielen.
Die DDR als sozialistisches Experiment
Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Ulbricht mit dem Auftrag zurück, die sowjetische Besatzungszone nach Moskauer Vorstellungen umzugestalten. Unter seinem Einfluss wurde die KPD mit der SPD zwangsvereinigt – ein Schritt, der den Grundstein für die spätere SED-Herrschaft legte. Der Film zeigt, wie Ulbricht gezielt oppositionelle Stimmen unterdrückte und linientreue Gefährten um sich scharte. Die Einführung der Planwirtschaft und die ideologische Formung der Partei markierten den Weg zur Gründung der DDR im Jahr 1949.
Die Dokumentation beschreibt eindrucksvoll, wie Ulbricht mit eiserner Disziplin die Bolschewisierung der DDR vorantrieb und dabei weder Kritik noch Widerstand duldete. Doch sein radikaler Kurs führte zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Spannungen, die im Volksaufstand vom 17. Juni 1953 eskalierten. Ulbricht, der die Streikenden als Konterrevolutionäre bezeichnete, ließ den Aufstand mit sowjetischen Panzern niederschlagen.
Die Berliner Mauer und der wirtschaftliche Stillstand
Die zunehmende Abwanderung von DDR-Bürgern in den Westen stellte Ulbricht vor eine seiner größten Herausforderungen. Seine Lösung war die Errichtung der Berliner Mauer im August 1961 – eine Entscheidung, die ihn international isolierte, aber seine Macht im Inneren festigte. Die Dokumentation schildert, wie Ulbricht selbstbewusst den wirtschaftlichen Fortschritt der DDR propagierte, während die Realität eine andere Sprache sprach. Trotz technologischer Fortschritte blieb die DDR wirtschaftlich weit hinter der Bundesrepublik zurück.
Der Machtverlust und das Erbe Ulbrichts
In den späten 1960er Jahren begann sich Ulbrichts autoritärer Führungsstil gegen ihn selbst zu wenden. Die SED-Führung, allen voran Erich Honecker, kritisierte seine Selbstherrlichkeit und sein zunehmend eigenmächtiges Agieren gegenüber Moskau. Schließlich wurde er 1971 durch einen innerparteilichen Putsch entmachtet. Die Dokumentation zeigt, wie Ulbricht bis zuletzt versuchte, politischen Einfluss zu behalten, jedoch zunehmend isoliert wurde.
Walter Ulbricht starb 1973 – sein politisches Erbe überlebte ihn jedoch nicht lange. Sein Nachfolger Honecker setzte die DDR-Politik fort, doch der Staat, den Ulbricht mit harter Hand geformt hatte, zerbrach schließlich 1989 an seinen inneren Widersprüchen. Die MDR-Dokumentation zeichnet das Bild eines kalten, berechnenden Politikers, der die DDR maßgeblich prägte, aber auch für ihr Scheitern mitverantwortlich war.
„Der kalte Patriarch“ ist eine vielschichtige Dokumentation, die Ulbrichts Werdegang kritisch hinterfragt und sowohl Zeitzeugen als auch Historiker zu Wort kommen lässt. Sie zeigt nicht nur das Bild eines Machthabers, sondern auch die Mechanismen, die eine sozialistische Diktatur am Leben hielten – und letztlich zu ihrem Untergang führten. Ein aufschlussreicher Film für alle, die sich mit der Geschichte der DDR und ihrer führenden Köpfe auseinandersetzen wollen.