Eine Spurensuche in den Industriebrachen der DDR 1990/91

Der Putz blättert von den Mauern, rostige Zahnräder stehen still, Hallenfenster sind geborsten. Auf den ersten Blick wirken die Aufnahmen wie Szenen aus einer längst vergangenen Epoche – doch sie stammen aus den Jahren 1990 und 1991. Aufgenommen in Sachsen und Thüringen, dokumentieren sie einen Moment des Umbruchs: das stille Ende der volkseigenen Betriebe (VEBs) der DDR.

35 Jahre sind seitdem vergangen. Die Orte auf den Bildern sind heute oft verschwunden, umgebaut oder längst dem Verfall preisgegeben. Und doch erzählen diese Fotos mehr als bloß von Industrie – sie erzählen vom Aufbruch und vom Verlust, von Arbeitswelten und Identität, von einer Ära, die mit der Wende ein abruptes Ende fand.

Ein fotografisches Zeitdokument
Die Dias, auf denen diese Momentaufnahmen festgehalten sind, lagen jahrzehntelang in einer Kiste – unbezeichnet, unkommentiert, aber voller Geschichte. Ohne GPS, ohne Social Media, nur mit Kamera und Blick für das Wesentliche unterwegs, entstand eine eindrucksvolle Bildserie über die Industriearchitektur der Gründerzeit – zu einem Zeitpunkt, als die DDR bereits Geschichte war, aber ihre materielle Substanz noch stand.

Die Aufnahmen zeigen Werkstore mit verblassten Losungen, stillgelegte Förderanlagen, endlose Backsteinfassaden und verlassene Kantinen. Manche Fabriken wirken wie aus der Zeit gefallen, als sei die Industrialisierung gerade erst abgeschlossen. Andere lassen noch erkennen, dass hier bis vor Kurzem Menschen arbeiteten – im Schichtbetrieb, im sozialistischen Wettbewerb, für die „Planerfüllung“.

Von der Wiege des Sozialismus zum Abstellgleis der Marktwirtschaft
Die volkseigenen Betriebe waren das Rückgrat der DDR-Wirtschaft. Sie entstanden häufig aus enteigneten Privatfirmen nach dem Zweiten Weltkrieg und wurden in der zentralen Planwirtschaft zu Großbetrieben ausgebaut. Ob Maschinenbau in Zwickau, Textilindustrie in Plauen oder Chemie in Leuna – VEBs waren mehr als nur Produktionsstätten. Sie waren soziale Räume, boten Betriebskindergärten, Kulturhäuser, Ferienplätze. Sie waren Teil des Alltags.

Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik kam die Treuhandanstalt – und mit ihr das wirtschaftliche Aus für viele VEBs. Zwischen 1990 und 1994 wurden Tausende Betriebe abgewickelt oder verkauft. Die Folgen: Massenarbeitslosigkeit, Entwurzelung, Strukturbrüche – gerade in den Regionen, aus denen diese Fotos stammen.

Was blieb, ist der Blick zurück
Heute sind es nur noch wenige Relikte, die an diese Welt erinnern. Manche Hallen wurden umgenutzt, andere abgerissen. Die Spuren verlieren sich, die Namen der Betriebe verblassen. Umso wertvoller sind diese Bilder – nicht als bloße Nostalgie, sondern als visuelles Gedächtnis eines verschwundenen Landes und seiner Industrie.

Die Orte, die auf diesen Dias zu sehen sind, lassen sich nicht alle auf Anhieb identifizieren. Doch vielleicht kennt jemand aus der Region den einen Schornstein, die typische Fensterreihe, die Form des Portals. Vielleicht erkennt jemand seine ehemalige Arbeitsstätte, seinen VEB, sein Stück Geschichte.

Denn die Geschichte der VEBs ist auch die Geschichte von Millionen Menschen. Und vielleicht liegt der Wert dieser Bilder genau darin: Dass sie uns erinnern, bevor alles vergessen ist.

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