Kurz nach den Bundestagswahlen schwelgt die politische Diskussion in Spekulationen: Könnte eine instabile Regierungsbildung den Weg zu vorgezogenen Neuwahlen ebnen? Im jüngsten Interview mit Jesmin Kosubek hat der Politikwissenschaftler und Forschungsdirektor Prof. Dr. Werner Patzelt aus Brüssel eindrücklich erläutert, unter welchen Bedingungen ein Neuwahl-Szenario denkbar wäre.
Instabile Koalitionsverhandlungen als Auslöser
Laut Patzelt entstehen Neuwahlen primär dann, „wenn es nicht gelingt, eine stabile Regierung zu bilden.“ Er erläuterte: Sollte der Bundestag letztlich nur in der Lage sein, einen Minderheitskanzler zu wählen, könnte es zur Situation kommen, dass der Bundespräsident – statt einen funktionsfähigen Regierungschef zu ernennen – den Bundestag auflöst. Diese Möglichkeit sieht er als äußerstes Mittel, das jedoch nur dann in Betracht gezogen wird, wenn alternative Lösungswege wie Vertrauensabstimmungen oder Umbildungen der Koalitionsstrukturen nicht greifen.
Die prekäre Lage der CDU
Ein weiterer zentraler Aspekt im Gespräch war die schwierige Koalitionssituation der CDU. Patzelt kritisierte, dass die CDU – insbesondere unter der Führung von Friedrich Merz – in eine „unmögliche Verhandlungsposition“ geraten sei. „Die CDU ist auf absehbare Zeit dazu verurteilt, nach der Melodie zu tanzen, welche die SPD oder SPD und Grüne vorgeben“, so Patzelt. Diese eingeschränkte Handlungsfähigkeit könnte das Vertrauen in die Regierungsbildung unterminieren und so den Ruf nach Neuwahlen verstärken.
Rechtliche Rahmenbedingungen als Stabilitätsanker
Obwohl einzelne Wahlstreitigkeiten, wie die umstrittenen 13.500 Stimmen im Fall der BSW, für Aufsehen sorgen, betont Patzelt, dass solche Differenzen im Verhältnis zur Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen meist nicht als ausreichender Grund für eine Wiederholung der Wahl gelten. Das Bundesverfassungsgericht müsse hier das Verhältnismäßigkeitsprinzip anwenden, um die Stabilität der demokratischen Prozesse zu sichern.
Auch wenn die politischen Rahmenbedingungen derzeit von Unsicherheiten und teils instabilen Koalitionsverhandlungen geprägt sind, sieht Patzelt die Aussicht auf vorgezogene Neuwahlen als eher unwahrscheinlich an. Solange alternative Lösungswege zur Regierungsbildung ausgeschöpft werden können, dürfe man nicht vorschnell von einem politischen Ausnahmezustand ausgehen. Mit seinem fundierten Blick in die institutionellen Mechanismen der deutschen Demokratie liefert Prof. Dr. Werner Patzelt einen wertvollen Beitrag zur aktuellen Debatte um die Stabilität des politischen Systems – ein Appell, der zeigt, wie eng Macht, Verantwortung und das Vertrauen der Bürger miteinander verknüpft sind.