Gewalt an Verschickungskindern – Die verborgene Realität der DDR-Erholungsheime

Bereits seit den 1950er Jahren wurden in der DDR Millionen Kinder – unter dem Deckmantel von „Kur“ und Erholung – in staatlich organisierte Einrichtungen verschickt. Was als Maßnahme zur Förderung der Gesundheit und Gewichtszunahme gedacht war, entpuppte sich in den Erholungsheimen häufig als Schauplatz von Gewalt, Demütigung und systematischer Unterdrückung.

Erzählt aus erster Hand
Ehemalige Betroffene schildern erschütternde Erlebnisse, die bis in die Gegenwart nachwirken. So erinnert sich Monika Fischer, die als Kind zur Kur ins Erholungsheim Harzland in Trautenstein geschickt wurde, an schmerzliche Rituale und willkürliche Zwangsmaßnahmen. „Ich kann mich an diese lange Busfahrt und den ersten Tag erinnern – es war bitterkalt und das Essen war kaum genießbar“, berichtet sie. Noch prägnanter wurde die Erinnerung an eine Nacht, in der ein Mädchen dazu gezwungen wurde, sich mit den Händen an die Wand zu stellen. Der körperliche Zwang und die Demütigung setzten sich auch in den Duschräumen fort, wo unbehagliche und teilweise schmerzhafte Maßnahmen wie das rabiat erfolgte Nägelschneiden zur Tagesordnung gehörten.

Ein System der Kontrolle und Unterdrückung
Die staatlich organisierte Maßnahme war weit mehr als nur eine Kur. Viele Kinder erlebten, dass ihre individuellen Bedürfnisse ignoriert und ihre Stimmen unterdrückt wurden. Neben körperlichen Misshandlungen, wie dem gewaltsamen Zwangsernähren – ein Vorfall berichtet von einem Jungen, der trotz offensichtlicher Notlage von Betreuerinnen gewaltsam zum Essen gezwungen wurde –, wurde auch jede Form der freien Kommunikation eingeschränkt. Briefe, die von den Kindern verfasst wurden, unterlagen einer strengen Kontrolle. So wurden persönliche Schicksale und belastende Erlebnisse systematisch zum Schweigen gebracht, während die Betroffenen – oft auch aus Angst vor Konsequenzen für die Eltern – ihre Geschichte verdrängten.

Lang anhaltende Folgen und das Schweigen der Gesellschaft
Die Erlebnisse in den Erholungsheimen wirken bis heute nach. Viele ehemalige Verschickungskinder berichten, dass sie bis in ihr Erwachsenenleben unter den seelischen und körperlichen Folgen leiden. Der Schmerz und die Scham, die mit diesen Erfahrungen verbunden sind, erschweren es den Betroffenen, offen darüber zu sprechen. Erst durch das Engagement von Initiativen wie der „Verschickungsheime“ beginnt eine Auseinandersetzung mit dieser dunklen Vergangenheit. Auch Peter Krause, selbst ein ehemaliges Verschickungskind, betont, wie stark das Erlebte das Selbstbild und den schulischen Werdegang beeinträchtigte.

Forderungen nach Aufarbeitung und Erinnerungskultur
Die Initiative Verschickungsheime geht von schätzungsweise 100 ehemaligen Kinderheimen in der DDR aus, in denen systematische Gewalt an Kindern stattfand. Die Betroffenen fordern heute eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschehnisse sowie die Errichtung von Denktafeln an den Standorten der ehemaligen Einrichtungen. Nur so könne gewährleistet werden, dass die Schreie und Leiden der Opfer nicht in Vergessenheit geraten und zukünftige Generationen aus der Geschichte lernen.

Ein Kapitel, das gewürdigt werden muss
Die Berichte aus den Erholungsheimen der DDR zeichnen ein Bild von systematischer Gewalt und Unterdrückung, das tief in das Leben zahlreicher Menschen eingeprägt ist. Die Anerkennung dieses Schmerzes und die Aufarbeitung der Vergangenheit sind zentrale Schritte, um den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und die Erinnerung an diese dunkle Zeit wachzuhalten. Nur durch ein offenes Gespräch über die erlittenen Grausamkeiten kann sichergestellt werden, dass sich derartige Missstände niemals wiederholen.

In einer Gesellschaft, die sich ihrer Vergangenheit stellen muss, sind diese Stimmen von unschätzbarem Wert – sie mahnen, erinnern und fordern zugleich dazu auf, die Wahrheit nicht länger zu verdrängen.

Autor/Redakteur: Arne Petrich
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