Gera 1990: Ein einzigartiges Zeitzeugnis in der ersten Phase der Währungsumstellung

Gera - eine Stadt in der DDR

Gera, die Metropole Ostthüringens mit ihren etwa 140.000 Einwohnern, erstreckt sich malerisch in einem Talkessel entlang der Weißen Elster, umgeben von einer bergigen Landschaft. Diese geographische Lage prägte die Stadt ebenso wie ihre wechselvolle Geschichte, die von wirtschaftlichem Aufschwung, Krieg, sozialistischem Wandel und postsozialistischer Transformation gezeichnet ist.

Ursprünge und industrielle Blütezeit
Bereits im Mittelalter entwickelte sich Gera zu einem bedeutenden Zentrum des Handwerks und Handels. Tuchmacher und Bierbrauer bildeten einflussreiche Zünfte, die über Jahrhunderte das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben der Stadt bestimmten. Mit der Industrialisierung erlebte Gera im 19. Jahrhundert einen erneuten Aufschwung. Die Textilindustrie, später ergänzt durch Werkzeugmaschinenbau und optische Technologien, machte die Stadt zu einem der wirtschaftlichen Motoren der Region.

Die Zeit der DDR: Wirtschaft und Stadtbild im Sozialismus
Während der DDR-Zeit wandelte sich Gera zu einer typischen Arbeiterstadt. Betriebe wie der VEB Modedruck, Unternehmen der optischen Industrie und der Werkzeugmaschinenbau prägten die Wirtschaft. Zudem spielte der Uranbergbau, betrieben von der Wismut, eine entscheidende Rolle. Der Uranabbau diente hauptsächlich den sowjetischen Atomprogrammen und hinterließ sowohl wirtschaftliche als auch ökologische Spuren.

Die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und die sozialistische Baupolitik formten das Stadtbild nachhaltig. Ganze Straßenzüge wurden abgerissen, um Platz für Neubauten in Plattenbauweise zu schaffen. Besonders die Neubausiedlung Lausanne galt als Vorzeigeprojekt des sozialistischen Wohnungsbaus. Hier lebte ein Drittel der Einwohner Geras, doch die technokratische Gestaltung der Plattenbauten ließ wenig Raum für soziales und kulturelles Zusammenleben. Erst in den 1970er Jahren begann man, historische Bauten wiederzuentdecken und zu rekonstruieren.

Die Wende: Wirtschaftlicher und sozialer Umbruch
Mit der politischen Wende 1989/90 stand Gera wie die gesamte DDR vor einer radikalen Transformation. Die Einführung der D-Mark am 1. Juli 1990 markierte den Beginn der wirtschaftlichen Neuordnung. Betriebe, die jahrzehntelang in einem planwirtschaftlichen System operiert hatten, mussten sich nun auf die Marktwirtschaft umstellen. Viele von ihnen, darunter die Wismut und das Zeisswerk, sahen sich mit drastischen Einschnitten konfrontiert. Die Schließung von Unternehmen und der damit verbundene Verlust von Arbeitsplätzen führten zu einer hohen Arbeitslosigkeit, insbesondere unter Frauen und älteren Arbeitnehmern.

Der Wandel brachte auch tiefgreifende soziale Veränderungen mit sich. Die Preise für Grundnahrungsmittel stiegen rapide, während die Einkommen vieler Bürger hinter den Lebenshaltungskosten zurückblieben. Die Menschen mussten sich an eine neue Realität anpassen, in der sie nun eigenverantwortlich für Versicherungen und die Zukunft ihrer Kinder sorgen mussten.

Gesellschaftliche Spannungen und politische Neuordnung
Die politischen Veränderungen spiegelten sich in den Wahlergebnissen der Kommunalwahl wider: CDU, SPD und PDS etablierten sich als dominierende Parteien. Doch die neue Parteienlandschaft brachte nicht nur Hoffnungen, sondern auch Unzufriedenheit. Finanzielle Probleme zwangen die Stadtverwaltung, Kredite aufzunehmen, während soziale Sicherungsmaßnahmen wie die Kinderbetreuung in Gefahr gerieten.

Die gesellschaftliche Unsicherheit führte zu Spannungen. Hausbesetzungen durch alternative Gruppen und die Zunahme rechter Gewalt verdeutlichten die Polarisierung. Rechtsradikale Skinheads nutzten die Instabilität, um ihre nationalistischen und ausländerfeindlichen Einstellungen zu propagieren. Die Polizei, die sich im Umbruch befand, hatte Schwierigkeiten, der wachsenden Gewaltbereitschaft Herr zu werden.

Ein Blick auf die Zukunft
Die Jahre nach der Wiedervereinigung waren für Gera von Herausforderungen und Hoffnungen geprägt. Während viele Menschen von der neuen Reisefreiheit und den Möglichkeiten der Marktwirtschaft begeistert waren, blieb die Unsicherheit über die Zukunft ein ständiger Begleiter. Dennoch zeigten der ungebrochene Wille zur Anpassung und die Suche nach neuen Perspektiven, dass Gera auch in schwierigen Zeiten resilient bleibt.

Geras Geschichte ist ein Spiegelbild der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert: Von der Blütezeit der Industrialisierung über die Zäsur des Zweiten Weltkriegs und die sozialistische Transformation bis hin zum Umbruch der Wiedervereinigung. Die Stadt hat stets gezeigt, dass sie in der Lage ist, sich neu zu erfinden. Heute steht Gera vor der Herausforderung, die Vergangenheit mit der Zukunft zu verbinden und sich als lebenswerte Stadt in Ostthüringen neu zu positionieren.

Redakteur/Blogger/Journalist/Chronist: Arne Petrich

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