Das Deutsche Kinderwagenmuseum im Museum Schloss Moritzburg in Zeitz ist ein Ort, an dem über 600 Exponate die faszinierende Geschichte des Kinderwagenbaus in Deutschland erzählen. Von den Anfängen in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart bietet die Sammlung eine beeindruckende Übersicht über die Entwicklung von Kinder-, Sport- und Puppenwagen. Im Fokus steht die Geschichte der Zeitzer Kinderwagenindustrie, die untrennbar mit dem Namen Ernst Albert Naether und später mit dem VEB Zekiwa verbunden ist.
Die Anfänge: Ernst Albert Naether und die Kinderwagenrevolution
Die Erfolgsgeschichte begann 1846, als der Stellmacher Ernst Albert Naether in Zeitz eine Werkstatt gründete. Ursprünglich auf Wagenbau spezialisiert, erkannte Naether früh die Marktlücke für Kinderwagen. Er entwickelte robuste und funktionale Modelle, die sich bald großer Beliebtheit erfreuten. Naether trug maßgeblich dazu bei, dass Kinderwagen vom Luxusartikel zum alltagstauglichen Gebrauchsgegenstand wurden. Seine Innovationen legten den Grundstein für die industrielle Kinderwagenfertigung in Deutschland.
Die Entwicklung zum größten Kinderwagenhersteller Europas
Nach Naethers Tod führte seine Familie das Unternehmen erfolgreich weiter. Die Marke Naether wurde zum Synonym für Qualität und technische Innovation im Kinderwagenbau. 1946, nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde das Unternehmen enteignet und in den Volkseigenen Betrieb (VEB) Zekiwa (Zeitzer Kinderwagenindustrie) umgewandelt. Unter dem neuen Namen setzte die Fabrik ihre Erfolgsgeschichte fort.
In der DDR war Zekiwa der größte Hersteller von Kinder- und Puppenwagen und lieferte seine Produkte in die gesamte sozialistische Welt des RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe). Gleichzeitig wurden auch westdeutsche Unternehmen wie Neckermann beliefert, was dem Betrieb zusätzliche Deviseneinnahmen sicherte. In den 1970er Jahren beschäftigte der VEB Zekiwa rund 2200 Mitarbeiter und produzierte jährlich etwa 450.000 Kinderwagen und 160.000 Puppenwagen. Damit war Zekiwa nicht nur ein zentraler Wirtschaftsfaktor für die Region, sondern auch der größte Kinderwagenhersteller Europas.
Wandel nach der Wiedervereinigung
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 erlebte Zekiwa, wie viele Betriebe in den neuen Bundesländern, schwierige Zeiten. Die Umstellung auf marktwirtschaftliche Strukturen führte zunächst zu einem drastischen Einbruch der Produktion und Entlassungen. Doch die Traditionsmarke überlebte. Heute ist die Zekiwa GmbH mit Sitz in Döschwitz im Burgenlandkreis ein moderner Hersteller, der weiterhin Kinder- und Puppenwagen produziert. Die Produkte verbinden traditionelle Handwerkskunst mit modernen Designs und funktionalen Innovationen.
Das Deutsche Kinderwagenmuseum: Ein Blick zurück und nach vorn
Das Deutsche Kinderwagenmuseum bietet Besuchern die Möglichkeit, diese wechselvolle Geschichte hautnah zu erleben. Zu den Highlights der Ausstellung zählen prachtvolle Kinderwagen aus der Gründerzeit, funktionale Modelle der 1950er Jahre sowie die legendären Zekiwa-Wagen aus der DDR-Zeit. Auch seltene Puppenwagen und historische Werbematerialien sind zu sehen. Interaktive Stationen und begleitende Medien vermitteln die sozialen und kulturellen Hintergründe der Kinderwagenproduktion.
Mit seinen umfangreichen Exponaten und der Einbettung in die beeindruckende Architektur von Schloss Moritzburg ist das Museum nicht nur ein Ort der Nostalgie, sondern auch ein Zeugnis der industriellen und sozialen Geschichte Mitteldeutschlands. Es erinnert daran, wie eng Handwerkskunst, Innovation und gesellschaftlicher Wandel miteinander verknüpft sind. Für Zeitz und die Region bleibt die Kinderwagenproduktion ein stolzer Teil ihrer Identität.