Die Behandlung von Geschlechtskrankheiten in der DDR, insbesondere die Praxis der Zwangseinweisungen von Mädchen und Frauen auf sogenannte venereologische Stationen, beleuchtet nicht nur die medizinischen Zustände in einem totalitären System, sondern auch die gravierenden Menschenrechtsverletzungen, die damit einhergingen. Eine verschlossene Eingangstür, karge Zimmer, tägliche gynäkologische Untersuchungen – für viele Frauen in der DDR war dies Realität, wenn sie unter den Verdacht gerieten, an einer Geschlechtskrankheit zu leiden. Doch oft hatten diese Frauen nicht einmal eine solche Erkrankung. Das System der venereologischen Stationen war stark geprägt von der Ideologie der sozialistischen Persönlichkeitsbildung und weniger von medizinischen Notwendigkeiten.
Die venereologischen Stationen der DDR
Nach dem Zweiten Weltkrieg stiegen sowohl in West- als auch in Ostdeutschland die Fälle von Geschlechtskrankheiten stark an. Dies wurde unter anderem auf die Lebensbedingungen nach dem Krieg und die sozialen Verwerfungen zurückgeführt. In beiden deutschen Staaten entstanden spezialisierte Abteilungen zur Behandlung solcher Krankheiten. In der DDR regelte jedoch ab 1961 eine spezifische Verordnung den Umgang mit Menschen, die unter dem Verdacht standen, eine Geschlechtskrankheit zu haben. Wer sich nicht freiwillig in ärztliche Behandlung begab, konnte zwangsweise in eine geschlossene Station eingewiesen und behandelt werden. Diese Praxis unterschied die DDR maßgeblich von der Bundesrepublik, wo solche Zwangsmaßnahmen in dieser Form nicht existierten.
Die Stationen in Städten wie Halle, Leipzig, Dresden oder Berlin dienten jedoch nicht nur der Behandlung. Ihre Ausgestaltung und die Regeln, die dort herrschten, machten sie zu Orten der Repression. Frauen, die dorthin gebracht wurden, mussten oft vier bis sechs Wochen unter schwerwiegenden Bedingungen ausharren. Tägliche gynäkologische Untersuchungen, mangelnde therapeutische Maßnahmen und eine Atmosphäre der Isolation prägten den Aufenthalt. Besonders erschreckend: Zwei Drittel der eingewiesenen Frauen waren nach Angaben von Zeitzeugen und Forschern gesund. Die Maßnahmen dienten nicht der Heilung, sondern der Kontrolle und Disziplinierung.
Die Rolle der Medizin als Erziehungsmittel
In der DDR war die Medizin nicht nur eine Wissenschaft im Dienste der Gesundheit, sondern wurde zunehmend auch zu einem Instrument der Politik. Ärzte und Pflegepersonal trugen durch die Einhaltung und Fortführung von Normen und Hausordnungen dazu bei, dass die Medizin als Werkzeug zur Erziehung sozialistischer Persönlichkeiten genutzt wurde. Professor Dr. Florian Steger, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Uniklinik Halle, betont, dass diese Art von Medizin eher einer Pädagogik ähnelte. Es ging darum, Frauen in ein ideologisch passendes Verhalten zu zwingen, nicht darum, sie zu heilen.
In vielen Fällen war die Behandlung medizinisch nicht notwendig. Die Zwangsuntersuchungen und die Isolation dienten eher dazu, die Frauen zu bestrafen und zu stigmatisieren. Die Leitung solcher Stationen hatte dabei einen erheblichen Einfluss auf die Bedingungen. In Halle war Gerd Münx als Direktor bekannt, der durch autoritäres Verhalten und die strikte Umsetzung der politischen Vorgaben Angst und Schrecken verbreitete.
Traumatisierung und späte Aufarbeitung
Die Erlebnisse auf den venereologischen Stationen hinterließen bei vielen Frauen tiefe seelische und körperliche Narben. Florian Steger führte zahlreiche Interviews mit Betroffenen, die von ihren Traumata berichteten. Viele Frauen litten noch Jahre später unter psychischen Störungen, entwickelten Ängste vor Ärzten oder hatten Schwierigkeiten, Partnerschaften einzugehen. Einige wurden durch die täglichen gynäkologischen Untersuchungen körperlich geschädigt, erlebten unfreiwillige Entjungferung oder entwickelten Folgeerkrankungen wie Inkontinenz.
Besonders auffällig ist, dass es lange dauerte, bis diese Thematik öffentlich aufgegriffen wurde. Erst mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall begann eine breitere wissenschaftliche und gesellschaftliche Aufarbeitung. Frauen, die schon früh versuchten, auf ihre Erlebnisse aufmerksam zu machen, stießen oft auf Unglauben oder Desinteresse. Erst durch die Zusammenarbeit der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Sachsen-Anhalt, Birgit Neumann-Becker, mit Wissenschaftlern wie Florian Steger gelang es, die Geschichten der Betroffenen ernsthaft zu dokumentieren und in den öffentlichen Diskurs zu bringen.
Das Schweigen brechen
Ein wesentliches Hindernis für die Aufarbeitung war das Schweigegebot, dem sowohl die Betroffenen als auch das Personal unterlagen. Frauen, die ihre Erlebnisse teilen wollten, sahen sich oft mit Scham, Unglauben und fehlender Unterstützung konfrontiert. Ärzte, die in den Einrichtungen arbeiteten, berichteten ebenfalls von schwierigen Bedingungen und einem Gefühl der Machtlosigkeit. Einige waren froh, das System verlassen zu können, andere passten sich den Normen an und trugen aktiv zur Aufrechterhaltung der Repression bei.
Die Arbeit von Steger und anderen Forschern hat dazu beigetragen, eine Sprache für das zu finden, was die Frauen erlebten. Dieses „Sprechen lernen“ ist ein wichtiger Schritt im Umgang mit den traumatischen Erlebnissen. Die Betroffenen beginnen langsam, ihre Geschichten zu erzählen, und finden Gehör in einer Gesellschaft, die lange weggeschaut hat.
Blick in die Zukunft
Die Untersuchung der venereologischen Stationen und ihrer Praxis beschränkt sich nicht nur auf die DDR. Florian Steger plant, den Fokus auf Zentraleuropa auszuweiten, um ähnliche Mechanismen und Strukturen in anderen Ländern zu untersuchen. Die Erfahrungen aus der DDR zeigen, wie ideologisierte Medizin zur systematischen Unterdrückung eingesetzt werden kann.
Die Geschichte der venereologischen Stationen ist ein Beispiel dafür, wie staatliche Kontrolle und medizinische Praktiken miteinander verknüpft werden können, um Menschenrechte zu verletzen. Gleichzeitig verdeutlicht sie, wie wichtig eine fundierte wissenschaftliche Aufarbeitung und das Zuhören gegenüber den Betroffenen sind, um solche Praktiken für die Zukunft zu verhindern. Der Prozess der Aufklärung ist noch lange nicht abgeschlossen, doch jeder Schritt bringt neue Erkenntnisse und ermöglicht es den Betroffenen, ihre Erfahrungen zu verarbeiten und in die Öffentlichkeit zu tragen.