Einblicke in die Arbeit des Geheimdienstchefs der DDR Markus Wolf

Günter Gaus im Gespräch mit Markus Wolf (1990)

Im Gespräch mit Christian Gauss gibt Markus Wolf, der ehemalige Geheimdienstchef der DDR, umfassende Einblicke in seine Tätigkeit, seine Sicht auf das untergegangene Regime und die moralischen Dilemmata, die mit seiner Arbeit verbunden waren. In einem offenen und ehrlichen Gespräch erläutert Wolf, wie er die DDR und ihre Sicherheitsdoktrin wahrnahm und welche Motivationen hinter seiner Arbeit standen. Er räumt Fehler ein, stellt jedoch klar, dass er aus Überzeugung gehandelt hat und viele seiner Entscheidungen in einem anderen Licht betrachtet werden sollten.

Misstrauen gegenüber ehemaligen Funktionären der DDR: Ein berechtigtes Anliegen?
Zu Beginn des Interviews geht Wolf auf das weit verbreitete Misstrauen gegenüber ehemaligen DDR-Funktionären ein. Er gibt zu, dass dieses Misstrauen in vielen Fällen gerechtfertigt ist, insbesondere gegenüber jenen, die in den Bereichen der Repression und Überwachung tätig waren. Dennoch betont Wolf, dass viele von ihnen, vor allem im Bereich der Auslandsspionage, nicht aus ideologischen Gründen, sondern in dem festen Glauben handelten, dem Frieden und dem Sozialismus zu dienen. Diese Erklärung versucht, die Komplexität der damaligen Situation zu verdeutlichen, in der viele Menschen in einem strengen ideologischen System gefangen waren und ihre Entscheidungen im Rahmen dieses Glaubens trafen.

Die Rolle des Nachrichtendienstes im Staatsapparat der DDR
Wolf beschreibt den Nachrichtendienst als eine eigenständige Institution, die sich von den Repressionsapparaten der Staatssicherheit distanzierte. Zwar räumt er ein, dass im Laufe der Zeit eine zunehmende Verflechtung zwischen den verschiedenen Institutionen des DDR-Staatsapparats stattfand, doch sieht er die Aufgabe des Nachrichtendienstes primär in der Sammlung von Informationen und der Wahrung der Sicherheit, nicht in der Verfolgung von Andersdenkenden. Es wird klar, dass Wolf in seiner Funktion als Geheimdienstchef versuchte, eine gewisse Distanz zu den repressiven Elementen des Staates zu wahren, was jedoch im komplexen politischen Gefüge der DDR nicht immer möglich war.

Die Sicherheitsdoktrin der DDR und ihre fatalen Folgen
Die Sicherheitsdoktrin der DDR, die darauf abzielte, jegliche Form von Opposition zu kriminalisieren, bezeichnet Wolf als das „größte Übel“ des Systems. Diese Doktrin führte zu schweren Repressionen gegen politisch Andersdenkende und trug maßgeblich zur Entstehung eines Klima des Misstrauens und der Angst bei. Wolf erklärt, dass auch der Nachrichtendienst von dieser Doktrin betroffen war, obwohl seine eigentliche Aufgabe nicht in der Überwachung der Bevölkerung lag. Dennoch sieht er sich in der Verantwortung, dass auch sein Bereich zur Durchführung der repressiven Politik beigetragen hat.

Das schwierige Verhältnis zu Erich Mielke
Ein weiteres zentrales Thema des Interviews ist das schwierige Verhältnis zu Erich Mielke, dem langjährigen Chef der Staatssicherheit. Wolf schildert Mielke als eine Person, die von Misstrauen und Opportunismus geprägt war und die seiner Meinung nach einen großen Anteil an der verhängnisvollen Sicherheitsdoktrin der DDR hatte. Er beschreibt Mielke als starr in seinen Ansichten und ablehnend gegenüber jeder Art von Reform. Diese Einschätzung zeigt, wie tief die Gräben innerhalb des DDR-Regimes verliefen und wie wenig Raum für Veränderung oder kritische Auseinandersetzung mit der bestehenden Ordnung bestand.

Reformversuche und das Gespräch mit Erich Honecker 1989
Wolf berichtet von einem Gespräch mit Erich Honecker Anfang 1989, in dem er den damaligen Staatsratsvorsitzenden auf die Notwendigkeit von Reformen hinwies. Insbesondere Gorbatschows Perestroika und Glasnost seien seiner Ansicht nach wegweisend und hätten auch der DDR eine Chance zur Veränderung gegeben. Doch Honecker zeigte sich uneinsichtig und lehnte jede Form von Reformen ab. Diese Weigerung, sich den Entwicklungen in der Sowjetunion und Osteuropa anzupassen, führte Wolf zufolge zu einem der größten Fehler des DDR-Regimes.

Die Fehler des untergegangenen Regimes und die Erneuerung der SED
Wolf benennt die Hauptfehler des DDR-Regimes: die mangelnde Bindung zum Volk, die Verabsolutierung des Machtbegriffs und die unflexible Sicherheitsdoktrin, die zu Repressionen und Verbrechen führte. Rückblickend sieht er, dass die Erneuerung der SED, an die er bis zum Herbst 1989 geglaubt hatte, aufgrund der tief verwurzelten stalinistischen Strukturen innerhalb der Partei unmöglich war. Diese Strukturen verhinderten jede Art von echter Veränderung und waren ein weiterer Grund für das Scheitern des Systems.

Die persönliche Verantwortung von Markus Wolf
Wolf räumt ein, dass er im Rückblick zu wenig Widerstand gegen die Missstände innerhalb des Regimes geleistet hat, auch wenn er sich über die genauen Formen dieses Widerstands nicht konkret äußern kann. Diese Selbstkritik steht im Gegensatz zu seiner ansonsten eher defensiven Haltung in Bezug auf die moralische Verantwortung seiner Arbeit. Wolf sieht seine Tätigkeit als Geheimdienstchef als eine Aufgabe, die er aus voller Überzeugung ausgeführt hat, und betont, dass er weiterhin der Meinung ist, dass seine Arbeit notwendig war, um den Frieden zu wahren.

Die Arbeit des Nachrichtendienstes und die moralische Verantwortung
In Bezug auf die Arbeit des Nachrichtendienstes verteidigt Wolf seine Tätigkeit als „harte Kleinarbeit“, die oft wenig spektakuläre, aber wichtige Informationen lieferte. Er verweigert jedoch eine konkrete Zahl zu den Agenten, die in der Bundesrepublik tätig waren, und betont, dass viele der eingesetzten Menschen in guter Absicht und im Glauben, einer höheren Sache zu dienen, gearbeitet hätten. Aus dieser Perspektive erklärt er seine moralische Verantwortung gegenüber seinen ehemaligen Agenten, sich für deren Straffreiheit und Integration in das vereinigte Deutschland einzusetzen.

Sorgen über die Entwicklung in der Sowjetunion und Osteuropa
Wolf äußert Besorgnis über die Entwicklungen in der Sowjetunion und Osteuropa, die seiner Meinung nach zu einer Destabilisierung Europas führen könnten. Besonders die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Sowjetunion sieht er als ernsthafte Bedrohung für den Frieden. Diese Einschätzung spiegelt seine tiefe Sorge wider, dass die geopolitischen Veränderungen der 1990er Jahre weitreichende Konsequenzen haben könnten, die über den Zusammenbruch des Ostblocks hinausgehen.

Bilanz seines Lebens: Erfolge und Misserfolge
Abschließend zieht Wolf eine Bilanz seines Lebens und räumt ein, dass viele seiner politischen Ziele gescheitert sind. Er glaubt jedoch nicht, dass sein Leben völlig vergeblich war, und verweist auf die positiven Erfahrungen im persönlichen Bereich sowie die Hoffnung, dass die Lehren aus der Vergangenheit in der Zukunft genutzt werden können.

„Zur Person“: Ein Meilenstein des politischen Journalismus
Markus Wolfs Interview fand in einer Zeit statt, in der politische Interviews eine neue Bedeutung erlangten. Ein prägendes Beispiel für diesen Wandel ist die Fernsehsendereihe „Zur Person“, in der Günter Gaus, einer der bedeutendsten Journalisten der deutschen Nachkriegsgeschichte, führende Politiker und Prominente zu Gesprächen einlud. Die erste Sendung wurde 1963 ausgestrahlt, und ab 1965 wurde die Reihe unter dem Titel „Zu Protokoll“ fortgeführt, zunächst im SWR und später im WDR. 1990 erhielt die Sendung beim DFF erneut den Titel „Zur Person“, der bis 2003 beibehalten wurde, als die Reihe in den ORB und anschließend in den RBB integriert wurde. In über 40 Jahren wurden mehr als 200 Interviews geführt, die nicht nur für die politische Berichterstattung wichtig waren, sondern auch als Zeugnisse eines wichtigen Teils der deutschen Geschichte gelten. Viele dieser Folgen sind mittlerweile auf Plattformen wie Amazon erhältlich und bieten einen einzigartigen Einblick in die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Nachkriegszeit.

Günter Gaus, geboren 1929 in Braunschweig, war als Journalist und Moderator eine prägende Figur der deutschen Medienlandschaft. Vor seiner Arbeit bei „Zur Person“ war er als Redakteur bei renommierten Zeitungen wie dem Spiegel und der Süddeutschen Zeitung tätig. Von 1974 bis 1981 war er Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR, eine Position, die ihn mit den politischen Realitäten des geteilten Deutschlands konfrontierte. Gaus war bekannt für seine Ablehnung jeglicher Ideologien, geprägt von den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs. Besonders in den Jahren nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zeigte er Zivilcourage, indem er sich gegen die politische Haltung der US-Regierung stellte und aus der SPD austrat, nachdem Gerhard Schröder Deutschlands „uneingeschränkte Solidarität“ mit den USA erklärt hatte. Gaus starb 2004 in Hamburg.

Wolfs und Gauss’ Vermächtnis
Das Interview mit Markus Wolf, geführt von einem der großen Journalisten wie Günter Gaus, ist nicht nur ein tiefgehender Blick auf die DDR und ihre Geheimdienste, sondern auch ein Spiegelbild der Herausforderungen und Fehler, die im Zusammenhang mit dem politischen Erbe der Nachkriegszeit standen. Wolfs Reflexionen, gepaart mit der präzisen Interviewführung von Gaus, bieten wertvolle Einblicke in die Komplexität der deutschen Geschichte und in die moralischen Fragen, die die Zeit nach dem Fall der Mauer prägten.

Autor/Redakteur: Arne Petrich

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