Ehemaliger Grenzoffizier und DDR-Kritiker treffen erstmals aufeinander

Ehemaliger Grenzoffizier und DDR-Kritiker treffen erstmals aufeinander

Im Jahr 1989 fand in der DDR ein Wandel statt, der das Leben von Millionen Ostdeutschen für immer verändern sollte. Für viele Menschen bedeutete der Fall der Berliner Mauer nicht nur das Ende einer politischen Ordnung, sondern den Beginn eines völlig neuen Lebensabschnitts. Die Wiedervereinigung, die Deutschland nach fast vier Jahrzehnten Teilung erlebte, wurde zu einem prägendem Ereignis. Doch die Wendezeit brachte auch Widersprüche, innere Konflikte und Neudefinitionen mit sich, wie das Beispiel von Peter Valdueza und Marc-Dietrich Ohse zeigt. Beide lebten in der DDR und hatten gegensätzliche Haltungen zum Staat und seinem System. Während Valdueza als Grenzoffizier an der Berliner Mauer im Dienst des Staates stand, kämpfte Ohse aktiv gegen das Regime – er war ein Teilnehmer der Montagsdemonstrationen in Leipzig. Mehr als 30 Jahre später trafen die beiden in der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn aufeinander, dem größten ehemaligen Grenzübergang zwischen Ost und West. Ihre Begegnung zeigt, wie tief die Erlebnisse der DDR-Zeit noch immer in ihnen verankert sind und wie unterschiedlich Menschen mit der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit umgehen.

Peter Valdueza wuchs in einem Arbeiterhaushalt auf und entwickelte schon früh eine positive Haltung zum sozialistischen Staat. Für ihn schien der Weg in den Staatsdienst als Grenzoffizier eine logische Entscheidung zu sein. Er erinnert sich, dass er stolz war, in die FDJ aufgenommen worden zu sein. Die FDJ, die Freie Deutsche Jugend, war die Jugendorganisation der DDR und ein wichtiges Instrument, um die sozialistische Ideologie zu verbreiten. Valdueza genoss die Vorteile, die ihm die Zugehörigkeit zur FDJ bot, und empfand es als Bestätigung und Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, die sich für den Aufbau des Sozialismus engagierte. Für ihn waren die Werte des Staates und die Loyalität gegenüber dem System selbstverständlich. Er nahm die ideologische Schulung in der FDJ als Teil seines Lebens an und fühlte sich gut darin aufgehoben. Mit der Zeit wurde Valdueza Grenzoffizier am Grenzübergang in Treptow und damit zu einem Teil der Institution, die das SED-Regime in der DDR stützte und die Grenze zu West-Berlin kontrollierte. Dies war für ihn keine leichte Aufgabe, sondern eine Tätigkeit, die die volle Überzeugung und das Bewusstsein erforderte, den Staat gegen seine Feinde zu verteidigen – auch wenn es bedeutete, Gewalt anzuwenden.

Marc-Dietrich Ohse hingegen hatte eine völlig andere Lebenswelt. Als Sohn eines Pastors stand er in einer kritischen Distanz zum sozialistischen Staat. Die Familie Ohse wuchs in einem Milieu auf, das von christlichen Werten und einer gewissen Skepsis gegenüber dem DDR-Regime geprägt war. Für ihn war die Loyalität gegenüber dem System weniger selbstverständlich. Ohse sah, wie Menschen in seinem Umfeld von der Staatssicherheit überwacht wurden, und er erlebte die Einschränkungen der Meinungsfreiheit und der Reisefreiheit hautnah. Er wurde Teil der Montagsdemonstrationen in Leipzig, die zu einer zentralen Bewegung im Widerstand gegen das SED-Regime wurden. Die Demonstrationen gaben Menschen wie ihm die Möglichkeit, ihren Unmut über das System auszudrücken und ein Zeichen gegen die Repressionen der DDR zu setzen. Ohse erinnert sich daran, wie es für ihn war, auf die Straße zu gehen, sich gegen das Regime aufzulehnen und zu wissen, dass dies mit erheblichen Risiken verbunden war. Doch für ihn und viele andere war die Zeit gekommen, in der ein Aufbegehren unausweichlich schien. Die Montagsdemonstrationen symbolisierten für ihn und andere die Hoffnung auf Veränderung und die Möglichkeit, das SED-Regime zu Fall zu bringen.

Der entscheidende Moment kam am 9. November 1989, als die Berliner Mauer fiel und die Menschen in Ost und West endlich wieder vereint wurden. Doch mit der Freude über die Wiedervereinigung kamen auch Fragen und Konflikte auf. Für Valdueza, der lange Zeit die Grenze verteidigt hatte, bedeutete der Fall der Mauer nicht nur die Aufgabe seines bisherigen Berufs, sondern auch die Aufgabe einer Lebensweise, die ihn geprägt hatte. Er begann zu hinterfragen, was er geglaubt und wofür er gekämpft hatte. Es war ein schwieriger Prozess der Selbstreflexion, in dem er erkannte, dass vieles von dem, woran er geglaubt hatte, auf einer Illusion basierte. Die Ideologie, die ihm als wahr und gerecht vermittelt worden war, hatte ihn getäuscht, und er fühlte sich verraten von einem System, das ihm jahrelang die Werte des Sozialismus als das einzig Richtige verkauft hatte. Er stellt sich die Frage, ob er bereit gewesen wäre, die Waffe zu benutzen, um die Grenze zu verteidigen. Diese Frage bleibt für ihn bis heute schwer zu beantworten, doch er gesteht ein, dass er damals eine völlig andere Denkweise hatte und vielleicht anders gehandelt hätte, als er es heute tun würde.

Für Ohse hingegen war der Fall der Mauer und die folgende Wiedervereinigung ein Triumph. Er war stolz darauf, Teil der Bewegung gewesen zu sein, die das Regime zu Fall brachte. Die Montagsdemonstrationen und die friedliche Revolution wurden für ihn zum Höhepunkt seines Lebens, ein Moment, der ihm das Gefühl gab, etwas Bedeutendes erreicht zu haben. Ohse erinnert sich, wie aufgeregt und lebendig die Zeit war, wie sie von Hoffnung und Veränderungswillen geprägt war und wie er das Gefühl hatte, endlich für Freiheit und Demokratie kämpfen zu können. Die Demonstrationen von 1989 brachten eine Euphorie und eine Kraft des Wandels mit sich, die für ihn unvergesslich blieben. Ohse sieht in dieser Zeit die wichtigste und prägendste Erfahrung seines Lebens und erinnert sich voller Stolz an das, was er und seine Mitstreiter erreicht haben.

Die Begegnung von Valdueza und Ohse in der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn zeigt, wie unterschiedlich Menschen die DDR-Zeit erlebt haben und wie vielfältig die Erfahrungen der Menschen in der ehemaligen DDR sind. Während Valdueza sich inzwischen von seinem früheren Weg distanziert und die friedliche Wende als einen positiven Ausgang anerkennt, bleibt Ohse bei seiner Überzeugung, dass der Widerstand gegen das Regime notwendig war. Beide erkennen jedoch an, dass die friedliche Revolution nur möglich war, weil sowohl die Demonstranten als auch Teile des Staates auf Gewalt verzichteten und auf Dialog setzten. So unterschiedlich ihre Lebenswege auch waren, in der Erinnerung an die friedliche Revolution finden sie eine gemeinsame Basis.

Die Geschichte von Valdueza und Ohse ist ein Beispiel dafür, wie tief die Vergangenheit noch immer in den Menschen der ehemaligen DDR verankert ist und wie wichtig es ist, diese Erfahrungen zu teilen, um die Geschichte der Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands zu verstehen. Sie zeigt, dass die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit ein vielschichtiger Prozess ist, in dem es nicht nur um Schuld und Unschuld geht, sondern auch um persönliche Erlebnisse, Prägungen und die Suche nach einem neuen Selbstverständnis. Valdueza und Ohse erinnern daran, dass die Geschichte der DDR eine Geschichte von Widersprüchen, Zwängen und Hoffnungen ist – und dass jeder Mensch seine eigenen Wege fand, um mit dieser Realität umzugehen. Ihre Begegnung in Marienborn ist ein Zeichen der Versöhnung und ein Aufruf, die Vergangenheit differenziert zu betrachten, um die Lehren für die Zukunft zu ziehen.

Redakteur/Blogger/Journalist: Arne Petrich

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