Vera Lengsfeld über Cancel Culture und die schleichende Einschränkung der Meinungsfreiheit

KElNE FRElHElT OHNE MElNUNGSFRElHElT - VERA LENGSFELD

Vera Lengsfeld hielt am 6. Oktober 2024 im Rahmen von „DAS FESTIVAL“ in Weimar einen vielbeachteten Vortrag über die zunehmende Bedrohung der Meinungsfreiheit in Deutschland. Als ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin und spätere Bundestagsabgeordnete ist sie in den Themen rund um Freiheitsrechte und politische Repression tief verwurzelt. In ihrem Vortrag zieht sie einen beunruhigenden Vergleich zwischen der heutigen Situation in der Bundesrepublik und den Einschränkungen der Meinungsfreiheit in der DDR. Sie warnt davor, dass die Meinungsfreiheit schleichend und zunehmend eingeschränkt wird – ein Prozess, der ihrer Ansicht nach schon weit vor der gegenwärtigen Regierung begonnen hat.

Vergleich der Verfassungen von BRD und DDR
Zu Beginn ihres Vortrags erläutert Lengsfeld die juristischen Grundlagen der Meinungsfreiheit in Deutschland und vergleicht dabei die Verfassungen der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Beide Verfassungen garantierten das Recht auf freie Meinungsäußerung, doch die Rahmenbedingungen unterschieden sich fundamental. Während die BRD ein funktionierender Rechtsstaat war und weitgehend die freie Rede garantierte, war die DDR ein autoritäres Regime, in dem Meinungsfreiheit nur auf dem Papier existierte. Lengsfeld hebt hervor, dass in beiden Verfassungen der Passus „Eine Pressezensur findet nicht statt“ enthalten war – ein bemerkenswerter Punkt, wenn man die unterschiedliche Realität beider Systeme bedenkt.

In der DDR war die Meinungsfreiheit stark eingeschränkt, und wer sich kritisch gegenüber dem Staat äußerte, riskierte Überwachung, Verfolgung oder gar Inhaftierung. In der BRD sei die Meinungsfreiheit zwar in der Vergangenheit stark ausgeprägt gewesen, doch auch hier sieht Lengsfeld in den letzten Jahren eine zunehmende Erosion dieses Grundrechts.

Meinungsfreiheit und Cancel Culture
Ein zentrales Thema ihres Vortrags ist die zunehmende Praxis der sogenannten „Cancel Culture“. Sie kritisiert, dass Meinungsfreiheit heutzutage oft nur theoretisch gewährleistet sei, aber in der Praxis immer mehr unter Druck gerate. Sie weist darauf hin, dass es zwar immer noch erlaubt sei, seine Meinung zu äußern, doch viele Menschen würden dabei gezwungen, schwerwiegende Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Wenn die eigene Meinung, die vielleicht nicht dem aktuellen Zeitgeist entspreche oder von der Mehrheit abgelehnt werde, mit Berufsverboten, Kontokündigungen oder dem Ausschluss aus dem öffentlichen Leben beantwortet werde, dann sei es um die tatsächliche Freiheit nicht mehr gut bestellt.

Lengsfeld führt Beispiele aus jüngster Zeit an, die belegen sollen, dass zunehmend kritische Stimmen aus der öffentlichen Debatte ausgeschlossen werden. Sie kritisiert dabei, dass insbesondere konservative oder unpopuläre Meinungen immer stärker unterdrückt würden. Ein Beispiel, das sie anführt, ist der Fall eines Karnevalswagens, der die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel als „Volksverräterin“ darstellte. Diese Karikatur wurde strafrechtlich verfolgt, was Lengsfeld als bedenklich betrachtet. Im selben Atemzug weist sie auf die milde Bestrafung eines irakischen Asylbewerbers hin, der sich mit abgetrennten Köpfen fotografieren ließ – für sie ein Ausdruck der selektiven Rechtsanwendung.

Die Rolle der Medien und der Regierung
Ein weiterer zentraler Punkt ihrer Kritik ist die Rolle der Medien. Lengsfeld sieht in den Medien eine wachsende Nähe zur Regierung und beklagt, dass sie ihrer Aufgabe, die Regierung kritisch zu hinterfragen, nicht mehr nachkämen. Stattdessen seien viele Medien dazu übergegangen, Regierungsentscheidungen und -meinungen unkritisch zu verbreiten. Besonders kritisiert sie die einseitige Berichterstattung während der Flüchtlingskrise 2015 und den Umgang mit der rechtspopulistischen Partei AfD. Ihrer Meinung nach würden unliebsame Meinungen systematisch unterdrückt, während Medien immer häufiger als „Verkündungsorgane“ der Regierung agierten.

Ein besonderes Problem sieht Lengsfeld in der Zensur von Kommentaren in Online-Medien und sozialen Netzwerken. Die zunehmende Praxis, Kommentarspalten zu schließen oder unliebsame Kommentare zu löschen, sieht sie als direkten Angriff auf die Meinungsfreiheit. Diese Praxis sei besonders problematisch, da viele Menschen auf digitale Plattformen angewiesen seien, um ihre Meinungen öffentlich zu äußern.

Der Digital Service Act und „Trusted Flaggers“
Ein großes Thema ihres Vortrags ist auch der „Digital Service Act“ der Europäischen Union, der Plattformen wie Facebook und Twitter dazu verpflichtet, bestimmte Inhalte zu löschen. Während dies vordergründig dazu diene, strafrechtlich relevante Inhalte wie Hassrede und Gewaltaufrufe zu entfernen, sieht Lengsfeld hier die Gefahr einer Zensur. Besonders problematisch sei die Einführung von sogenannten „Trusted Flaggers“ – Organisationen, die Inhalte melden könnten, die sie für unangemessen halten, auch wenn diese nicht strafrechtlich relevant seien. Dies öffne der politischen Einflussnahme Tür und Tor, da in vielen Fällen nicht mehr objektiv entschieden werde, welche Inhalte zulässig seien und welche nicht.

Meinungsfreiheit in Gefahr – ein schleichender Prozess
Lengsfeld betont in ihrem Vortrag immer wieder, dass die Einschränkung der Meinungsfreiheit kein abrupter, sondern ein schleichender Prozess sei. Sie sieht Parallelen zur DDR, wo die Repression ebenfalls schrittweise eingeführt wurde, bis schließlich kaum noch Raum für abweichende Meinungen blieb. Auch in der heutigen Bundesrepublik werde zunehmend der Raum für freie Meinungsäußerung eingeschränkt. Dabei geht es ihr nicht um die absolute Gleichsetzung der beiden Systeme, sondern um die Warnung vor ähnlichen Entwicklungen. Ein funktionierender Rechtsstaat müsse stets wachsam sein und dürfe nie zulassen, dass Meinungsvielfalt eingeschränkt werde.

Appell an die Bürger: Widerspruch leisten
Zum Ende ihres Vortrags richtet Lengsfeld einen eindringlichen Appell an die Bürgerinnen und Bürger. Sie ruft dazu auf, sich nicht einschüchtern zu lassen und weiterhin ihre Meinung offen zu äußern, auch wenn diese unbequem oder unpopulär sei. Sie erinnert daran, dass in einer Demokratie die Bürger die eigentlichen Souveräne seien und nicht Bittsteller der politischen Eliten. Es sei wichtig, weiterhin für die eigene Meinung einzustehen und dem Druck von außen nicht nachzugeben.

Die Meinungsfreiheit sei ein kostbares Gut, das verteidigt werden müsse. Lengsfeld fordert dazu auf, den Mut zu haben, auch gegen den Mainstream zu argumentieren und nicht aufzugeben, selbst wenn man auf Widerstand stoße. Für sie sei dies der einzige Weg, die Demokratie zu bewahren und die Freiheit des Einzelnen zu schützen. Der Widerspruch, so betont sie, sei das Herzstück einer funktionierenden Demokratie.

Die Verteidigung der Meinungsfreiheit
Zusammenfassend sieht Lengsfeld die Meinungsfreiheit in Deutschland zwar noch nicht vollkommen verloren, jedoch deutlich bedroht. Sie sieht die heutigen Entwicklungen als Teil eines schleichenden Prozesses, der ähnliche Züge wie in autoritären Systemen aufweise. Ihr Vortrag ist ein Weckruf an die Bürger, für ihre Freiheitsrechte einzustehen und die Meinungsfreiheit aktiv zu verteidigen. Denn nur durch stetigen Widerspruch und kritisches Hinterfragen könne verhindert werden, dass sich die Geschichte wiederhole und die Freiheit der Rede endgültig verloren gehe.

Autor/Redakteur: Arne Petrich

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