Walter Ulbricht, ein Name, der in der Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) eine herausragende Rolle spielt, wird oft mit seinem berüchtigten Satz zitiert: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Ironischerweise war es genau er, der die Mauer baute, um seinen Staat zu retten, und letztendlich wurde er von seinen eigenen Genossen gestürzt. Doch wie wird aus einem Tischlerjungen aus Leipzig der Gründervater der DDR?
Der Aufstieg eines Revolutionärs
Walter Ulbricht wurde 1893 in Leipzig geboren, in einer Zeit, in der die Arbeiterbewegung in Deutschland an Bedeutung gewann. Als Sohn eines Schneiders erlernte er das Tischlerhandwerk, entwickelte jedoch früh ein starkes Interesse an sozialistischen Ideen. Der Erste Weltkrieg brach 1914 aus, und Ulbricht, der den Krieg ablehnte, wurde dennoch zum Militärdienst eingezogen. Nach dem Krieg desertierte er und schloss sich dem ultralinken Flügel der Sozialdemokraten an, der zur Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) führte.
In den Wirren der Revolution von 1918/19 wurde Ulbricht Mitglied der Arbeiter- und Soldatenräte in Leipzig, wo er sich für eine sozialistische Revolution einsetzte. Die Mehrheit der Bevölkerung jedoch strebte eine parlamentarische Demokratie an. Als die Reichswehr die Räteherrschaft in Leipzig im Mai 1919 beendete, wurde gegen Ulbricht Haftbefehl wegen der Verbreitung kommunistischer Flugblätter erlassen. Dies führte zu seiner ersten Flucht ins Untergrundleben, wo er sich als Berufsrevolutionär etablierte.
Ulbricht verfolgte unermüdlich seine kommunistischen Ideale. Sein Ziel war es, eine neue Gesellschaftsform aufzubauen, die sich an den Prinzipien Moskaus und dem leninistischen Modell orientierte. Diese Überzeugungen waren in der deutschen Arbeiterklasse weit verbreitet und gaben Ulbricht eine starke Basis für seinen politischen Aufstieg.
Im Jahr 1924 wurde Ulbricht nach Moskau berufen, wo er für die Kommunistische Internationale arbeitete. Hier erlangte er durch seine Loyalität gegenüber Stalin und seine Fähigkeit, sich in der komplexen politischen Landschaft der KPD zu behaupten, großen Einfluss. Seine Beziehung zu Rosa Michel, einer französischen Kommunistin, spiegelte die in der kommunistischen Bewegung vorherrschenden Ansichten über Ehen und Partnerschaften wider, die weniger konventionell waren als in anderen Gesellschaften.
Der Exilant und der Diktator
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde die KPD verfolgt. Ulbricht flüchtete ins Exil und lebte in Paris, Prag und Moskau, wo er Zeuge von Stalins Terror gegen angebliche Feinde wurde. Diese Erlebnisse prägten ihn und schärften sein Verständnis für die brutalen Realitäten des politischen Lebens. Trotz der Bedrohungen, die er und andere Kommunisten in Moskau erlebten, hielt Ulbricht an seiner Loyalität zu Stalin fest.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Fall des nationalsozialistischen Regimes wurde Ulbricht von Stalin beauftragt, in der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland eine kommunistische Herrschaft aufzubauen. Obwohl er zu Beginn seiner Rückkehr nach Deutschland skeptisch gegenüber den verbliebenen Kommunisten war, übernahm er bald die Kontrolle über die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED). Offiziell schien er anderen den Vortritt zu lassen, doch die wahre Macht lag in seinen Händen. 1949 wurde die DDR gegründet, und Ulbricht übernahm die Rolle des Generalsekretärs.
Die Mauer und ihre Folgen
Trotz anfänglicher Schwierigkeiten gelang es Ulbricht, die DDR aufzubauen und eine sozialistische Planwirtschaft nach sowjetischem Vorbild zu etablieren. Doch die wirtschaftlichen Probleme und der Mangel führten zu einer massiven Fluchtwelle in den Westen. Ulbricht sah sich zunehmend mit der Abwanderung von Fachkräften konfrontiert, die die DDR für ihre wirtschaftliche Entwicklung benötigte. Daher bat er den sowjetischen Führer Chruschtschow um Erlaubnis, die Grenze nach West-Berlin zu schließen.
Am 15. Juni 1961 verkündete Ulbricht bei einer Pressekonferenz, dass „niemand die Absicht hat, eine Mauer zu errichten“, während er bereits Pläne für den Bau der Berliner Mauer schmiedete. In der Nacht zum 13. August 1961 wurde die Grenze geschlossen, und der Bau der Mauer begann. Diese Entscheidung stabilisierte kurzfristig die DDR, da viele Bürger sich mit dem System arrangierten. Der menschliche Preis jedoch war enorm, und die Mauer wurde zum Symbol für die Teilung Deutschlands.
Der Sturz des Diktators
In den Jahren nach dem Mauerbau durchlief Ulbricht eine bemerkenswerte Wandlung. Von einem strengen Stalinisten entwickelte er sich zu einem selbständig denkenden deutschen Revolutionär. Er öffnete sich für Reformen und suchte den Rat junger Wirtschaftsexperten, was ihm half, seine Macht zu stabilisieren. Doch sein Verhältnis zu Moskau verschlechterte sich mit dem Aufstieg Leonid Breschnews, der eine neue Generation von Führungspersönlichkeiten vertrat.
Honecker, Ulbrichts Ziehsohn, nutzte die Unzufriedenheit innerhalb des Politbüros, um Ulbricht zu untergraben. 1971 wurde Ulbricht auf Druck Moskaus aus dem Amt gedrängt, offiziell aus Altersgründen. Diese Absetzung war ein klarer Hinweis auf die Machtverhältnisse innerhalb der SED und das Versagen Ulbrichts, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen.
Walter Ulbricht starb 1973, nie ganz über seinen Sturz hinweg. Seine Errungenschaften und das von ihm gegründete System waren nur ein Teil seiner komplexen Geschichte. Der Fall der Berliner Mauer 1989 und der darauf folgende Zerfall der DDR waren das Ende seines Lebenswerks und zeigten, wie fragile die von ihm errichteten Strukturen tatsächlich waren. Die Geschichte von Walter Ulbricht ist ein faszinierendes Beispiel für die dynamischen und oft widersprüchlichen Strömungen der politischen Landschaft im 20. Jahrhundert.