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Der Große Zapfenstreich der NVA zum 40. DDR‑Jubiläum

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Am 7. Mai 1989 versammelten sich Hunderte Berliner und Gäste der Hauptstadt auf der Prachtallee Unter den Linden, um dem Großen Zapfenstreich der Nationalen Volksarmee (NVA) 1989 zum 40. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik beizuwohnen. Der Schauplatz, die Neue Wache von Karl Friedrich Schinkel, diente seit Jahrzehnten als Mahnmal für die Opfer von Faschismus und Militarismus und bildete den würdigen Rahmen für eine Zeremonie, die in ihrer pathetischen Strenge und ritualisierten Ästhetik die Geschichte und Selbstinszenierung der DDR widerspiegelt.

Pünktlich um 20:00 Uhr ertönte der erste Hornstoß, als das Ehrenbataillon des Wachregiments „Friedrich Engels“ in makelloser Formation auf den Vorplatz trat. Gewehrschulter, Marsch! Die Schritte klangen präzise auf dem Kopfsteinpflaster, während das zentrale Orchester der NVA gemeinsam mit dem Stabsmusikkorps und dem Spielmannszug der Stadtkommandantur den Abend eröffnete. Im Scheinwerferlicht traten Armeegeneral Heinz Kessler und weitere hochrangige Repräsentanten der SED sowie Vertreter der Sowjetarmee hervor, um die Soldaten zu begrüßen.

In einer knappen Ansprache würdigte Kessler die Verdienste der Truppe: „Genossen Soldaten und Matrosen, Unteroffiziere und Fähnriche, ich beglückwünsche Sie zum 40. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik.“ Die Worte hallten in der stillen Fassade der Neuen Wache wider, bevor das Gewehr abgelegt und die Musik erneut ansetzte. Mit einem feierlichen Fanfarenstoß begann der traditionelle Teil der Gedenkzeremonie: Präsentiert das Gewehr! Augen rechts! Fahnenkommando, im Exerzierschritt Marsch!

Die akustische Dramaturgie wogte zwischen Militärmarsch und sinfonischer Elegie. Mal steigerte sich das Tempo zu aufrüttelnden Rhythmen, mal senkten sich die Töne zu getragenen Trauermusiken, die den Opfern des Faschismus und Militarismus gedenken sollten. Ein Glockenschlag markierte den Übergang zum stillen Teil, in dem die Flaggen gesenkt und die Gewehre zum Salut emporgehoben wurden.

Den Höhepunkt bildete der Vorbeimarsch des Ehrenbataillons: In strengem Takt rückten die Uniformierten an den Ehrengästen vorbei, deren Blicke von Würde und Staatsraison zeugten. Unter ihnen sah man Günter Schabowski, Inge Lange und Berlins Oberbürgermeister Erhard Krack. Die sowjetischen Militärdelegierten, angeführt von Generaloberst Meussier, erinnerten an die enge Bündnistreue zur UdSSR.

Gegen 20:45 Uhr endete das Zeremoniell mit dem letzten klangvollen Takt des Musikkorps. Applaus erfüllte den Platz, ehe sich die Reihen lösten und die Besucher in die Abendluft strömten. Der Große Zapfenstreich der NVA 1989 zum 40. Jahrestag der DDR wurde so zum historischen Schauspiel: Ein Ritual aus Disziplin und Symbolik, das an die Glanzzeiten der DDR erinnerte und zugleich die Widersprüche eines Systems vor Augen führte, das nur wenige Monate später politisch ins Wanken geriet.

Bau und Fall der Berliner Mauer (1961-1989)

Die Berliner Mauer, ein Symbol der Teilung Deutschlands und des Kalten Krieges, wurde am 13. August 1961 errichtet und fiel am 9. November 1989. Ihre Geschichte markiert eine Ära der politischen Spannungen und letztlich den Triumph des Freiheitsstrebens der Menschen.

Der Bau der Mauer (1961)
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Deutschland in vier Besatzungszonen aufgeteilt, verwaltet von den USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion. Berlin, inmitten der sowjetischen Zone gelegen, wurde ebenfalls in vier Sektoren geteilt. Die Spannungen zwischen den westlichen Alliierten und der Sowjetunion führten 1949 zur Gründung zweier deutscher Staaten: der Bundesrepublik Deutschland (BRD) im Westen und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) im Osten.

Die DDR litt unter massiven Abwanderungen. Zwischen 1949 und 1961 flohen etwa 2,7 Millionen Menschen aus der DDR, viele davon über Berlin. Diese Fluchtwelle schwächte die DDR wirtschaftlich und politisch erheblich.

Um diesen Exodus zu stoppen, beschloss die DDR-Führung unter Walter Ulbricht, unterstützt von der Sowjetunion, eine drastische Maßnahme. In der Nacht zum 13. August 1961 begann der Bau der Berliner Mauer. Soldaten und Arbeiter riegelten die Grenze ab, errichteten Stacheldrahtzäune und später eine Betonmauer. West-Berlin war nun vollständig vom Osten abgeschnitten.

Das Leben mit der Mauer
Die Berliner Mauer war mehr als eine physische Barriere. Sie war ein tödliches Hindernis für diejenigen, die versuchten, aus der DDR zu fliehen. Die Mauer umfasste Betonwände, Wachtürme, Panzersperren und einen Todesstreifen, der von bewaffneten Grenzsoldaten patrouilliert wurde. Schätzungen zufolge kamen zwischen 1961 und 1989 etwa 140 bis 245 Menschen bei Fluchtversuchen ums Leben.

Für die Menschen in Berlin bedeutete die Mauer eine brutale Trennung von Familien, Freunden und Arbeitsplätzen. Während der Westen relativ frei blieb, herrschte im Osten ein repressives Regime, das Dissens mit harten Mitteln unterdrückte.

Der Fall der Mauer (1989)
In den 1980er Jahren begann die Sowjetunion unter der Führung von Michail Gorbatschow, politische und wirtschaftliche Reformen einzuführen. Diese „Perestroika“ und „Glasnost“ genannten Reformen beeinflussten auch die osteuropäischen Staaten, einschließlich der DDR.

In der DDR führte ein wachsender Unmut über das Regime zu Massendemonstrationen, insbesondere in Leipzig und Berlin. Diese „Montagsdemonstrationen“ forderten Freiheit und Reformen. Am 9. November 1989, nach wochenlangen Protesten und zunehmendem Druck auf die DDR-Führung, verkündete der SED-Funktionär Günter Schabowski in einer Pressekonferenz überraschend, dass die Grenzen geöffnet würden. Noch am selben Abend strömten Tausende von Ost- und West-Berlinern zu den Grenzübergängen, und die Mauer fiel.

Nachwirkungen
Der Fall der Berliner Mauer leitete das Ende der DDR und die Wiedervereinigung Deutschlands ein, die am 3. Oktober 1990 offiziell vollzogen wurde. Die Mauer bleibt ein starkes Symbol für die Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands sowie für den Triumph des Freiheitswillens über autoritäre Regime. Heute erinnern zahlreiche Denkmäler und Gedenkstätten in Berlin an die Mauer und ihre Opfer, während Teile der Mauer als Mahnmale und touristische Attraktionen erhalten geblieben sind.

„Friedensstüchtig statt kriegstüchtig“ – Kundgebung zum 80. Jahrestag der Befreiung

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Berlin. Mehrere hunderte Menschen versammelten sich am frühen Abend im Berliner Tiergarten nahe dem Ehrenmal der Sowjetarmee, um gemeinsam den 80. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus zu begehen. Die Organisatoren der Kundgebung setzten dabei auf einen klaren Appell für Frieden, Diplomatie und deutsch-russische Verständigung – und positionierten sich deutlich gegen eine als „Kriegshysterie“ kritisierte Politik.

Bereits in seiner Eröffnungsrede zeichnete ein Sprecher in roten, weißen und blauen Farbtönen das Bild einer solidarischen Haltung. Mit einem Zitat Otto von Bismarcks – „Ewigen Frieden erreiche man nur, wenn man die Interessen aller berücksichtigt“ – prangerte er die Ausgrenzung russischer Diplomaten bei offiziellen Gedenkveranstaltungen an und lobte das besonnene Auftreten des russischen Botschafters. „Es ist unerträglich, russische Stimmen vom Mahnmal fernzuhalten“, so der Redner, der sich stattdessen für einen „Bismarckdialog“ einsetzte, der Deutsche und Russen im Gespräch zusammenbringt.

Im weiteren Verlauf kritisierten Redebeiträge eine zunehmende „geistige Aufrüstung“ in Europa: Das „Säbelrasseln“ westlicher Politiker und das Fehlen diplomatischer Initiative wurden als Symptome einer gefährlichen Politik bezeichnet. „Europa hat sich von einem Friedensprojekt zu einem Kriegsprojekt gewandelt“, warnte eine Rednerin und rief die Anwesenden auf, in ihren Wahlkreisen Druck auf Abgeordnete auszuüben: „Wir wollen nicht diese Kriegshysterie, wir wollen Frieden. Die Russen sind nicht unsere Feinde, sie sind unsere Freunde.“

Zeitzeugen als Mahnung
Ein zentraler Moment der Kundgebung war die Videobotschaft der 95‑jährigen Ludmilla Sirotta, einer Überlebenden der Leningrader Blockade. Sirotta schilderte eindringlich die Qualen des Winters 1941/42, die Hungersnot und den ungebrochenen Überlebenswillen der Bevölkerung. „Wir träumten täglich von der Öffnung einer zweiten Front“, berichtete sie. Ihr bewegter Appell endete mit einem Dank an die sowjetischen Soldaten und dem Wunsch nach andauernder Freundschaft zwischen den Völkern.

Musikalisch untermalte ein Ensemble aus vier Sängerinnen und Sängern den Abend mit dem Klassiker „Sag mir, wo die Blumen sind“, bevor der Berliner Sänger Vlad Meer russische Kriegsballaden von Wladimir Wyssozki interpretierte.

Brückenbauer zwischen den Nationen
Historikerin und Autorin Dr. Inge Pardon gab im Gespräch mit Alisa Tulpanova, Urenkelin des sowjetischen Militärwissenschaftlers Sergei Tulpanov, Einblicke in Leben und Werk des Familienpatriarchen. Tulpanov, der bereits als Jugendlicher an den Schlachten von Leningrad und Stalingrad teilgenommen hatte, zeichnete sich später in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands als Leiter für Presse, Rundfunk und politische Bildung aus. „Er war Brückenbauer im wahrsten Sinne des Wortes – halb Deutsch, halb Russe, zutiefst Humanist und Kommunist“, beschrieb Tulpanova.

Abschließend sendete Yuri Starovaczik, ehemaliger Bürgermeister von Wolgograd und Ehrenbürger von Hiroshima, eine Videobotschaft aus Russland. Er erinnerte an die historische Wende in der Schlacht um Stalingrad 1943 und zitierte Willy Brandt: „Versöhnung ist der Grundstein für dauerhaften Frieden.“ Auch er warb dafür, den Blick weg von Konfrontation und hin zu Verständigung zu richten.

Ausblick und Spendenaufruf
Die Organisatoren betonten, die Kundgebung sei unabhängig von staatlicher oder finanzieller Förderung aus Moskau organisiert worden. Mit Blick auf künftige Veranstaltungen riefen sie zu Spenden auf, um den Dialog zwischen Deutschen und Russen weiterzuführen. Unter dem Motto „Mehr Dialog als jede Waffe“ soll der „Bismarckdialog“ in den kommenden Monaten fortgesetzt werden.

Mit ihrem pazifistischen Programm und der Einbettung in persönliche Zeitzeugenerfahrungen hat die Berliner Kundgebung am russischen Denkmal den 80. Jahrestag der Befreiung zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für Verständigung und Versöhnung gemacht – gerade in einer Zeit, in der internationale Spannungen erneut zunehmen.

Soziologe Steffen Mau über die (gefühlte) Spaltung der Gesellschaft

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Zu Gast im Studio: Steffen Mau, Soziologe und Professor für Makrosoziologie am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Mau gehört seit 2021 zum Sachverständigenrat für Integration und Migration.

Steffen Mau ist ein renommierter deutscher Soziologe und Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin. Geboren 1968, hat Mau eine beeindruckende akademische Karriere hinter sich, die ihn zu einem der führenden Köpfe in der deutschen Soziologie gemacht hat. Seine Forschung konzentriert sich auf soziale Ungleichheit, Wohlfahrtsstaaten, Sozialstruktur und soziale Wandlungsprozesse, insbesondere im Kontext der Globalisierung und Digitalisierung.

Mau studierte zunächst Soziologie an der Universität Bremen und promovierte dort 2000 mit einer Arbeit über die Transformation des Wohlfahrtsstaates. Nach seiner Promotion setzte er seine akademische Laufbahn in Bremen fort und erhielt 2004 eine Professur für Politische Soziologie an der Universität Bremen. Im Jahr 2010 wechselte er an die Universität Flensburg, bevor er 2015 den Ruf an die Humboldt-Universität zu Berlin annahm.

In seinen zahlreichen Publikationen setzt sich Mau mit den Auswirkungen globaler und europäischer Integrationsprozesse auf nationale Gesellschaften auseinander. Er untersucht, wie soziale Ungleichheiten und soziale Mobilität durch wirtschaftliche, politische und technologische Veränderungen beeinflusst werden. Ein zentrales Thema seiner Arbeit ist die Erosion sozialer Kohäsion und die Zunahme von Ungleichheiten in der modernen Gesellschaft.

Mau ist bekannt für seine kritische Analyse der neoliberalen Politik und ihrer Auswirkungen auf den Sozialstaat. In seinem Buch „Das metrische Wir: Über die Quantifizierung des Sozialen“ (2017) diskutiert er, wie die zunehmende Erfassung und Quantifizierung sozialer Phänomene durch Big Data und digitale Technologien unsere Gesellschaft verändern. Dieses Werk hat breite Beachtung gefunden und gilt als bedeutender Beitrag zur Soziologie der Digitalisierung.

Neben seiner akademischen Tätigkeit ist Steffen Mau auch in der Politikberatung aktiv und beteiligt sich an öffentlichen Debatten über soziale Gerechtigkeit und die Zukunft des Wohlfahrtsstaates. Er ist ein gefragter Redner und Kommentator in den Medien und trägt mit seinen Analysen und Vorschlägen zur Gestaltung einer sozial gerechteren Gesellschaft bei.

Mau hat für seine Arbeit mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter den renommierten Leibniz-Preis 2021, der ihm für seine herausragenden wissenschaftlichen Leistungen verliehen wurde. Dieser Preis unterstreicht seine Bedeutung und den Einfluss seiner Forschung auf die zeitgenössische Soziologie und die öffentliche Diskussion in Deutschland und darüber hinaus.

Sein Engagement und seine Forschung haben Steffen Mau zu einer einflussreichen Stimme in der deutschen Soziologie gemacht. Er wird weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Analyse und Lösung sozialer Probleme in einer sich rasch verändernden Welt leisten.

BSG Aktivist Schwarze „Pumpe“ – Ein Denkmal der DDR-Fußballkultur

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In der facettenreichen Geschichte des DDR-Sports gibt es Namen, die über die reine Bezeichnung eines Vereins hinausgehen – Namen, die Geschichten von Identität, Leidenschaft und Wandel erzählen. Die BSG Aktivist Schwarze Pumpe gehört zu diesen Ausnahmen. Schon allein der klangvolle, fast mystische Name „Pumpe“ weckt Erinnerungen an glorreiche Tage, an emotionale Erlebnisse im Jahnstadion und an eine ganz besondere Ära des regionalen Fußballs.

Zwischen Industrie und Leidenschaft
Die Geschichte der „Pumpe“ ist untrennbar mit der wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung der Region Hoyerswerda verbunden. Im DDR-System stand der Betriebssport oft in enger Verknüpfung mit den heimischen Industriekonzernen. Beim Gaskombinat Schwarze Pumpe, dessen wirtschaftlicher Erfolg auf der Veredelung von Braunkohle beruhte, floss nicht nur Geld in die Produktionshallen, sondern auch in die Sportanlagen und in den Fußballverein. So wurde der Verein zu einem Symbol: Er war mehr als nur ein Team – er war Ausdruck des industriellen Fortschritts und zugleich ein Hort der regionalen Identität.

Glanzmomente und dramatische Wendepunkte
Erinnerungen an legendäre Trainer wie Peter Prell und Helden des Spiels wie Hartmut Jank prägen das kollektive Gedächtnis. Unter Prells zwölfjähriger Amtszeit erlebte die Mannschaft nicht nur sportliche Höhenflüge, sondern auch nervenaufreibende Momente, die in den Annalen des DDR-Fußballs unvergessen bleiben. Ein Highlight war der dramatische Pokalkrimi von 1984: Ein Treffer von Jank zwang den favorisierten Gegner in die Verlängerung – ein Moment, der für die Fans und den Verein gleichermaßen zum Symbol des unerschütterlichen Kampfgeistes wurde.

Doch nicht alles war Sonnenschein. Die Vereinsgeschichte kennt auch dunklere Kapitel, wie die Zwangsrückstufung in die Bezirksliga, die den Spielern als Mahnmal der damaligen politischen und wirtschaftlichen Zwänge diente. Solche Tiefpunkte waren Teil des Systems, in dem Leistung und Loyalität manchmal durch bürokratische Eingriffe und wirtschaftliche Kalküle überschattet wurden.

Der Wandel nach der Wende
Mit dem Wendeherbst 1989 begann für den Verein – wie für so viele andere auch – eine bewegte Übergangsphase. Die Zeiten, in denen Braunkohle und staatliche Unterstützung den Sport beflügelten, waren vorbei. Der Verein musste sich neu definieren, kämpfte um seine Existenz und wandelte sich von der Betriebssportgemeinschaft Aktivist zu einem modernen Fußballklub. Heute, unter dem Namen Hoyerswerda FC, findet man die einstigen Giganten des Spielfelds in den bescheidenen Gefilden der Kreis-Oberliga wieder – ein Spiegelbild des tiefgreifenden Wandels, den die Gesellschaft und der Sport in den vergangenen Jahrzehnten durchlebt haben.

Erinnerung und Identität – Das Erbe der Pumpe
Trotz der Veränderungen bleibt das Erbe der „Pumpe“ lebendig. In den Erinnerungen der Fans, in den Geschichten der ehemaligen Spieler und in den Chroniken der Region schwingt der Geist jener glorreichen Zeiten mit. Der Verein mag sich in den unteren Ligen behaupten müssen, aber sein Name – ebenso markant wie symbolträchtig – ruft Erinnerungen wach. Er steht für eine Ära, in der Fußball mehr war als nur ein Spiel: Er war ein Ausdruck des Zusammenhalts, ein Spiegelbild der sozialen und wirtschaftlichen Strukturen einer ganzen Generation.

Heute bleibt nur der Wunsch, dass auch in den neuen Zeiten wieder ein wenig der Glanz vergangener Tage auflebt – vielleicht nicht in Form von großen Siegen und Jubelmeilen, sondern als stille Hommage an eine Ära, in der der Verein und seine Anhänger im Gleichklang mit der Geschichte einer Region schlugen. Denn am Ende ist es dieser unvergessliche Mix aus industrieller Kraft, sportlichem Ehrgeiz und gelebter Gemeinschaft, der die BSG Aktivist Schwarze Pumpe zu einem wahren Denkmal der DDR-Fußballkultur macht.

Musikalische Lesung mit City-Legende Toni Krahl in Wurzen

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Wurzen. Am Abend des 12. April öffnete das Kulturhaus Schweizer Garten in Wurzen seine Pforten für einen besonderen Gast: Toni Krahl. Der Musiker, der fast fünf Jahrzehnte lang als Frontmann der legendären Band City bekannt war, lud vor rund 100 Gästen zu einer „musikalischen Lesung“ ein. Bewaffnet mit seiner Gitarre und seinem Buch, bot Krahl gemeinsam mit seinem Gesprächspartner Kai Suttner, dem ehemaligen Tourmanager der Pudies, einen Abend voller persönlicher Einblicke, Geschichten und natürlich Musik. Suttner führte mit dem „roten Faden“ durch das Programm, um Krahl, der sich manchmal „ein bisschen verwurstelt“, zu leiten und allerhand Persönliches und Hintergründiges zu entlocken.

Der Abend in Wurzen war eine Mischung aus Gesprächen, Lesungen aus Krahls Buch und immer wieder eingestreuten Liedern. Ein zentrales Thema war das Ende von City. Die Band hatte 2022 mit ihrer Abschiedstournee „quasi die letzte Runde“ gedreht. Krahl sprach vom „kollektiven Suizid“ der Band nach dem viel zu frühen Tod ihres Kollegen Klaus. Sie hätten beschlossen, das gemeinsame Vermächtnis – 50 Jahre zu erreichen, was auch Teil von Klaus‘ Therapie während seiner Krankheit gewesen sei – noch zu erfüllen. Dies sei ihnen auch in seinem Namen auf „sehr ehrenvolle und erfolgreiche“ Weise gelungen. City war und ist Krahls Leben, und er würde es im Grunde „noch mal genauso“ machen, auch wenn er ein paar Fehler vermeiden würde, die man aber vorher nicht wissen könne.

Auch das 1987 erschienene City-Album „Casablanca“ wurde thematisiert. Dieses Album markierte laut Krahl einen wichtigen Schritt: „city war nicht mehr nur am Fenster city lehnte sich weit hinaus mit klarem Blick auf die Realitäten draußen“. Die Platte mit Texten aus der Feder von Alfred Rösler-Kleint galt zu DDR-Zeiten als mutig und fand große Beachtung. Textzeilen wie „wollen wir uns kennenlernen müssen wir das Haus verlassen“ oder „wenn du Lastiges er wie aus einem Wel wandern wann wandern wann“ zeugen von dieser Haltung.

Toni Krahl spielte die Lieder an diesem Abend so, wie sie entstanden sind: mit Gitarre und Gesang. Er erklärte, dass die Band die Songs erst später im Studio einspielte, am Sound feilte und abmischte. Den wohl bekanntesten City-Hit, „Am Fenster“, spielte er jedoch nicht, da dieser Song laut ihm nur mit Geige wirke. Ohnehin habe er keinen einen Lieblingstitel, das sei wie einen Lieblingskind aus fünf Kindern auszuwählen. Auch wenn „Am Fenster“ durch seinen Erfolg und das „über Nacht in die Herzen der Leute gespielt“ eine Sonderstellung habe, seien ihm die anderen Lieder genauso viel wert.

Seit dem Ende von City befindet sich Toni Krahl im „Unruhezustand“. Er freute sich unglaublich, dass ihm die Band Silly zutraute und ihm „ihre Lieder anvertraut“. Er musste sich mit deren ganz anderen Themenvielfalt und Musik „schwer auseinandersetzen“ und die Songs für die Bühne „zu meinen machen“, da er nicht „die Telefonmo singen“ könne. Er teilte sich das Mikrofon mit Julia Neigel, einer „wunderbaren Sängerin“ und „radikal netten“ Kollegin. Nach zwei tollen Jahren sei nun aber Zeit für neue Pläne, denn Krahl kann nach eigener Aussage „die Füße nicht stillhalten“.

Die neuen Pläne münden in seinem ersten Soloalbum, das im September erscheinen soll. Es ist aber nicht gänzlich solo, da er eine Band gegründet hat: Tony Ko die Kings vom Prinzlauerberg (Kings mit X geschrieben). Das Album enthält ausschließlich neue Songs, die auch auf die Bühne gebracht werden sollen. Bei Live-Auftritten will die Band aber auch „kräftig mit der City Fahne wedeln“, da Krahl große Sehnsucht nach den alten Songs hat. In Wurzen gab er bereits eine Kostprobe des neuen Materials.

Die Besetzung von Tony Ko verspricht musikalische Qualität: Neben Krahl gehören dazu Reinhard Peter Reit (Gitarrist von Rockhaus), Tobias Unterberg (Cello, früher bei der Folk-Punk-Band zu Insta Buckets), André Kunze (Keyboards, Produzent der letzten sechs City-Alben und laut Krahl ein toller Künstler) sowie Carsten Klick am Schlagzeug (Projektmusiker, der u.a. mit Joachim Witt und Silly gespielt hat).

Toni Krahl sieht sein neues Album als „logische Fortsetzung“ von City, auch wenn die Musik durch die Zusammenarbeit mit anderen Individuen vielleicht etwas anders klingen wird. Seine musikalischen Wurzeln in den 70ern und 80ern seien aber unverkennbar. Mit einem Augenzwinkern merkte er an, dass er zur Verfügung stehe, wenn gesagt werde, „der Ostrck muss hier gerettet werden“.

Das Publikum in Wurzen zeigte sich begeistert. Krahl hatte sichtlich Spaß an der Musik. Die Gäste genossen die Anekdoten und die Geschichten aus Krahls langem Schaffen. Es sei faszinierend gewesen, die Geschichte von damals zu hören, und die Musik habe emotional berührt – „gab ein Sachen da waren wir schon in Tränen da ne“. Nach dem Konzert nahm sich Toni Krahl noch Zeit, signierte geduldig Alben, Bücher und CDs und stellte sich für Fotos zur Verfügung. Der Abend zeigte: Auch nach dem Ende von City ist Toni Krahl künstlerisch noch lange nicht am Ziel, sondern voller Energie und neuer Pläne.

Ganztagserziehung in der DDR – Alltag zwischen Bildung und Gemeinschaft

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In der DDR war die Ganztagserziehung für Schulkinder mehr als nur ein Betreuungskonzept – sie war fester Bestandteil des täglichen Lebens und prägte ganze Generationen. Nach dem regulären Unterricht und einem gemeinsamen Mittagessen folgte im Schulhort ein strukturiertes Programm, das Raum für Lernen, Kreativität und soziale Interaktion bot. Die Kinder lösten unter Anleitung ihre Hausaufgaben, entwickelten dabei Selbstständigkeit und lernten, Verantwortung zu übernehmen.

Die Aufnahmen aus dem Jahr 1988 in einer Schule an der Wilhelm-Firl-Straße im Wohngebiet „Fritz Heckert“ dokumentieren diesen besonderen Alltag eindrucksvoll. Auf den Bildern erscheinen junge Schülerinnen und Schüler, die in kleinen Gruppen an Aufgaben arbeiteten, spielerisch ihre Talente entdeckten und in Arbeitsgemeinschaften ihr Wissen erweiterten. Hier verschmolzen Lernen und Freizeit in einem harmonischen Zusammenspiel – ein Ansatz, der sowohl die Entwicklung sozialer Kompetenzen als auch die Vermittlung schulischer Inhalte förderte.

Lehrerinnen und Lehrer waren in diesem System nicht nur reine Wissensvermittler, sondern auch Betreuer und Mentoren. Sie sorgten dafür, dass jedes Kind individuell unterstützt wurde und zugleich die Werte der Gemeinschaft erlebte. Das strukturierte Betreuungsprogramm ermöglichte es, den Tag nicht nur nach schulischen Gesichtspunkten zu gliedern, sondern auch kreative und freizeitgestaltende Elemente gezielt einzubinden. Solidarität, Disziplin und Zusammenhalt standen dabei stets im Mittelpunkt.

Ein weiteres Kennzeichen der Ganztagserziehung war die enge Kooperation zwischen Schule und Elternhaus. Schon in jungen Jahren erlebten die Kinder, dass Bildung und gemeinschaftliches Miteinander untrennbar miteinander verbunden sind. Die täglichen Angebote boten die Gelegenheit, schulische Inhalte zu vertiefen und gleichzeitig praktische Fähigkeiten zu erlernen – ob beim Basteln, Musizieren, Sporttreiben oder handwerklichen Arbeiten. Diese integrative Herangehensweise bereitete sie auf das spätere Leben in einer sozial organisierten Gesellschaft vor.

Zudem spiegelte der Schulalltag das politische Selbstverständnis der DDR wider, in der Bildung als Schlüssel zur Gestaltung einer sozialistischen Gesellschaft galt. Der enge Kontakt zwischen Lehrkräften und Schülern, die Förderung der Gemeinschaft sowie das Erlernen von Selbstdisziplin waren wesentliche Bausteine eines kollektiven Fortschritts. Trotz ideologischer Prägungen bot dieser Ansatz für viele Beteiligte einen Ort des Lernens und des gegenseitigen Vertrauens.

Die fotografische Dokumentation jener Zeit ermöglicht uns heute einen lebendigen Einblick in den Schulalltag der DDR. Sie erzählt von einer Ära, in der pädagogische Konzepte weit über reine Wissensvermittlung hinausgingen und die soziale Entwicklung der Kinder in den Vordergrund rückten. Die Erinnerungen an diese Zeit sind vielfach nostalgisch, mahnen aber zugleich, die Vielschichtigkeit von Erziehungssystemen und den Stellenwert von Gemeinschaft in der Bildung nicht zu unterschätzen.

Abschließend lässt sich feststellen, dass die Ganztagserziehung in der DDR ein umfassendes Bildungserlebnis bot – ein Erbe, das den Grundstein für ein solidarisches Zusammenleben legte und noch heute nachwirkt. Die nachhaltige Wirkung dieser Erziehungsform zeigt sich in den Erinnerungen ehemaliger Schülerinnen und Schüler, deren persönliche Geschichten belegen, wie eng schulische Förderung und gemeinschaftliches Miteinander miteinander verwoben waren. Dieses einzigartige Konzept, das weit über den reinen Unterricht hinausging, bleibt als prägendes Kapitel einer besonderen Bildungszeit unvergessen.

Ein Blick auf Andreas Thom: Jung, erfolgreich und voller Potential

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Im März des Jahres 1985 richtet sich der Blick auf einen jungen Mann, der bereits mit 19 Jahren die Fußballbühne der DDR maßgeblich mitgestaltet: Andreas Thom. Mit einer Größe von 1,78 Metern und 68 Kilogramm Gewicht hat der Oberschüler bereits sechs Einsätze in der A-Nationalmannschaft vorzuweisen. Sein Debüt gab er dabei gegen Algerien in Aue.

Ein entscheidender Faktor in seiner bisherigen Entwicklung ist das Elternhaus in Herzfelde bei Berlin. Wie zu vernehmen ist, hat es einen großen Einfluss auf seine positive Entwicklung. Sein Vater, Richard Thom, war selbst Fußballspieler und langjähriger Übungsleiter bei der TSG Herzfelde. Für ihn stand außer Frage, dass sein Sohn Fußballspieler werden sollte, und er verfolgte Andreas‘ Weg mit besonderer Freude. Auch die Mutter unterstützte ihn stets, gerade in schwierigen Phasen. Eine solche frühe Schwierigkeit war Andreas‘ geringe Körpergröße von nur 1,28 Metern, als er mit sechs Jahren bei der TSG Herzfelde seine Leidenschaft für den Fußball entdeckte. Doch er ließ sich nicht aufhalten: Als Neunjähriger fiel er den Talentfindern des BFC Dynamo auf.

Es folgte ein kontinuierlicher Aufstieg durch die Schüler-, Jugend-, Junioren- und Männermannschaften. Gerade 18-jährig gab er 1983 seinen Einstand in der höchsten Spielklasse gegen Jena. Wenig später gelang ihm im Spiel gegen den 1. FC Lok Leipzig sein erstes Oberligator, nach Vorlage von Ernst. Er hat sich sehr schnell in die Mannschaft integriert und ist schnell in sie hineingewachsen.

Neben seinem Talent auf dem Platz zeichnet Andreas Thom eine offene und ehrliche Persönlichkeit aus. Er besitzt gute Charaktereigenschaften, ist sehr trainingsfleißig und immer zu einem Späßchen bereit. Aufgrund seines Alters lacht er noch viel. Auf dem Spielfeld liegen seine Vorzüge in der ausgeprägten Technik, der Antrittsschnelligkeit und auch im Kopfballspiel. Zudem verfügt er über Durchsetzungsvermögen, auch wenn hier noch Fortschritte möglich sind. Eine wichtige Entwicklung, die er machen muss, ist die vom Vorbereiter zum Vollstrecker. Dennoch hat er seine Qualitäten bereits unter Beweis gestellt: Nach seinem ersten Europapokaltor gegen die AS Rom folgte ein zweites gegen den FC Aberlin, und schließlich traf er effektvoll zweimal gegen Austria Wien. Mit ähnlichen Schussqualitäten wird am kommenden Sonnabend in Sofia gerechnet.

Ein persönliches Detail am Rande: Andreas hat einen Wellensittich namens Hansi. Hansi ist ein lieber Freund von Andreas und kann beeindruckende 142 Wörter sprechen. Die meisten davon hat ihm Andreas‘ Mutter beigebracht; die Worte „Tor“ oder „Fußball“ gehören bisher noch nicht zu Hansis Repertoire.

Andreas Thom verkörpert die Hoffnung auf eine erfolgreiche Fußballzukunft. Sein Talent, sein Fleiß und die Unterstützung seines Umfelds bilden das Fundament für seinen bisherigen Erfolg und das Potential, das noch in ihm steckt.

Mit Volldampf durch die Rapsblüte – Eine Frühlingsexpedition mit dem „Rasenden Roland“

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Im April 2025 machte sich eine bunt gemischte Reisegruppe in Putbus auf die rund 24 Kilometer lange Fahrt mit der historischen Dampfeisenbahn „Rasender Roland“ von der Rügenischen Bäderbahn. Bei strahlendem Sonnenschein und milden Temperaturen erlebten die Fahrgäste ein intensives Zusammenspiel aus Technik, Landschaft und Nostalgie.

Dampf, Rhythmus und Rapsgelb
Pünktlich um kurz nach 10 Uhr dampfte die 99 4801 – eine 1938 bei Henschel in Kassel gebaute Lokomotive – aus dem Bahnhof Putbus aus. Im offenen Wagen genossen alle den Wind im Gesicht und den gleichmäßigen Rhythmus der Kolben. Zwischen Putbus und Binz reihten sich bereits blühende Rapsfelder aneinander, die in hellem Gelb leuchteten und perfekten Kontrast zum Frühlingsgrün boten.

Waldromantik in der Granitz
Nach der Kreuzung mit dem Gegenzug in Binz – ein klassisches Detail, das bei Eisenbahnliebhabern für besondere Freude sorgt – führte die Strecke bergauf ins dichte Grün der Granitz. Hier, auf knapp 1 000 Hektar Waldfläche, wartet ein Netz aus Wander- und Radwegen, das sich hervorragend mit einer Dampfzugfahrt kombinieren lässt. Auf der Anhöhe entfaltete der Rhyth­mus des Dampfens seinen ganzen Charme: Das Zischen und Stampfen der Maschine verschmolz mit Vogelgezwitscher und dem Rascheln junger Blätter.

Auszeit in Göhren
Eine Stunde und 15 Minuten später erreichte der „Rasende Roland“ den Ort Göhren. Die 30‑minütige Pause nutzten viele für einen Spaziergang entlang der Seebrücke – der Blick auf die Ostsee und der Klang der Wellen bildeten ein idyllisches Zwischenspiel. Die Sonne stand hoch, und selbst die angekündigten Regenschauer blieben zunächst aus, was der entspannten Stimmung keinen Abbruch tat.

Ungeplante Verzögerung & goldene Nachmittagssonne
Auf der Rückfahrt sorgte ein Gleishindernis für eine ungeplante Verzögerung von etwa 25 Minuten. Während das Lokpersonal die Maschine säuberte, ergaben sich authentische Einblicke in die Wartungsroutine einer Dampflok. Schließlich setzte der Zug seine Fahrt fort – nun herrschte Gegenlichtstimmung, die Fotografen entlang der Strecke magisch anzog. Ob Haltepunkt Selin-Ost oder Selin-West: Überall packten Passagiere ihre Kameras und Smartphones aus, um die Dampfschwaden in der tiefstehenden Sonne einzufangen.

Faszination Dampfzug heute
In einer Zeit, in der Highspeed-Züge und moderne E‑Bikes Alltag sind, übt der „Rasende Roland“ eine unvergleichliche Anziehungskraft aus. Er erlaubt Augenblicke des Innehaltens und bewahrt zugleich ein Stück technisches Kulturerbe. Die mächtige Geräuschkulisse, der Duft von Kohle und heißem Wasser und der Wechsel von bunten Rapsfeldern und tiefgrünem Wald machen die Fahrt zu einem multisensorischen Erlebnis.

Fazit und Tipp
Wer Rügen im Frühling besucht, sollte sich diese Zeitreise nicht entgehen lassen. Der „Rasende Roland“ bietet nicht nur eine bequeme Fortbewegung, sondern auch ein kulturhistorisches Abenteuer. Tipp: Früh buchen – besonders während der Osterferien und an Wochenenden sind die offenen Wagen schnell ausgebucht. Und wer den Zuckerschock eines rasanten Reisealltags sucht, findet ihn hier im Takt einer Dampflokomotive.

Genießen Sie den Frühling auf Rügen – am besten mit Volldampf!

Leben in der DDR: Konsum, Subventionen und der Alltag einer Wurstverkäuferin

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Das vorliegende Archivmaterial präsentiert einen faszinierenden Einblick in das Alltagsleben der DDR in den 1980er Jahren. In einem Zusammenschnitt zweier Dokumentarbeiträge werden zwei zentrale Perspektiven vereint: Zum einen der Alltag einer durchschnittlichen Familie, exemplarisch dargestellt durch die Familie Fechner, und zum anderen die Arbeitswelt einer Fachverkäuferin in einer großen Kaufhalle, Sieglinde Henkel, die als Wurstverkäuferin tätig ist. Beide Beiträge liefern nicht nur chronologische Momentaufnahmen, sondern zeichnen auch ein detailliertes Bild der wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, die das Leben in der DDR prägten.

Einblick in den Familienalltag – Die Familie Fechner
Der erste Ausschnitt des Videos zeigt einen Dokumentarbericht des DDR-Fernsehens, der den Einkauf und den Lebensalltag der Familie Fechner in einer Kaufhalle dokumentiert. Hier werden nicht nur die Produkte präsentiert, sondern auch die Mechanismen staatlicher Eingriffe in den Konsum der Bevölkerung. So kostet beispielsweise ein Kilo Mischbrot konstant 70 Pfennige – ein Preis, der seit 1958 Gültigkeit hatte. Auch das Brötchen blieb mit fünf Pfennigen über Jahrzehnte hinweg unverändert. Diese scheinbare Preisstabilität ist jedoch kein Zufall, sondern das Ergebnis gezielter staatlicher Subventionen, die darauf abzielten, das Verbraucherpreisniveau niedrig und stabil zu halten.

Im Fall der Familie Fechner wird verdeutlicht, wie der Staat in den Alltag eingreift: Bei einem Einkauf von 100 Mark für Nahrungsmittel legt der Staat zusätzlich 30 Mark aus seinem Staatssäckel obendrauf, um die niedrigen Preise zu garantieren. Dieser Mechanismus ist nur ein Beispiel für die systematischen Eingriffe in den wirtschaftlichen Alltag. Neben den subventionierten Lebensmittelpreisen wurden auch Transportkosten und Mietpreise derart unterstützt, dass der finanzielle Druck auf den Durchschnittshaushalt erheblich reduziert wurde. So zahlt Frau Fechner beispielsweise täglich 40 Pfennige für die Hin- und Rückfahrten mit der S-Bahn, wobei der Staat hier 55 Pfennige dazulegt. Auch beim Mittagessen für das Schulkind wird ein Aufschlag des Staates geleistet.

Die wirtschaftliche Realität der DDR zeigt sich besonders eindrucksvoll am Beispiel des monatlichen Haushaltsbudgets der Familie Fechner: Mit einem Gesamteinkommen von 1.800 Mark – entsprechend dem statistischen Durchschnitt einer Familie mit zwei Kindern – werden etwa 37 Prozent für Lebensmittel und 38 Prozent für Industriewaren ausgegeben. Lediglich 3 Prozent des Einkommens fließen in die Miete, da der Staat hier erhebliche Zuschüsse leistet. Weitere Ausgaben wie Strom-, Gas- und Wasserkosten sowie individuelle Posten wie Mitgliedsbeiträge oder Hundesteuern runden das Bild eines Haushalts ab, der trotz staatlicher Eingriffe in vielen Bereichen relativ ausgeglichen und planbar bleibt.

Die Arbeitswelt im Fokus – Sieglinde Henkel als Wurstverkäuferin
Im zweiten Teil des Zusammenschnitts rückt die Arbeitswelt in den Vordergrund. Hier wird Sieglinde Henkel vorgestellt, die seit vielen Jahren als Fachverkäuferin in einer großen Kaufhalle arbeitet. Ihr Beruf als Wurstverkäuferin ist mehr als nur eine Tätigkeit, die den Verkauf von Fleischprodukten umfasst. Er steht symbolisch für die tägliche Routine und die enge Verbindung zwischen Verbraucher und Verkäufer in der DDR. Die Kunden – oftmals Stammgäste, die fast täglich die Kaufhalle aufsuchen – werden nicht nur mit dem Produkt, sondern auch mit einem Stück DDR-Alltagskultur bedient.

Henkel ist es gewohnt, den ganzen Tag auf den Beinen zu sein. Vom präzisen Scheibenschneiden bis zur individuellen Beratung der Kundschaft wird der Alltag zu einer Mischung aus körperlicher Anstrengung und sozialer Interaktion. Die verschiedenen Wurstsorten, die angeboten werden – von Teewurst über Leberwurst bis hin zu den nach Städten benannten Spezialitäten – zeugen von der Vielfalt im Sortiment und der großen Bedeutung, die dem Nahrungsmittelverkauf beigemessen wird. Dabei wird nicht nur der reine Verkaufsvorgang dokumentiert, sondern auch der persönliche Umgang, der sich in kleinen humorvollen Bemerkungen und Anekdoten manifestiert. So wird beispielsweise die Frage nach der Herkunft einer „Bockwurst“ humorvoll diskutiert, was verdeutlicht, wie eng der Verkauf von Lebensmitteln mit der Identität und dem Gemeinschaftsgefühl der Menschen verknüpft war.

Analyse der staatlichen Steuerungsmechanismen und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen
Die beiden Dokumentarbeiträge liefern zusammen ein vielschichtiges Bild der DDR-Wirtschaft und Gesellschaft. Auf der einen Seite steht die systematische Steuerung des Konsums durch den Staat. Preisstabilität und niedrige Lebenshaltungskosten wurden hier nicht durch Marktmechanismen erreicht, sondern durch kontinuierliche staatliche Subventionen und Zuschüsse. Dieses Modell sollte das „Wohl des Volkes“ sichern und den Bürgern ein Gefühl von sozialer Sicherheit vermitteln. Allerdings brachte dieses System auch gravierende strukturelle Probleme mit sich. Die fehlende Anpassungsfähigkeit der Preise an Marktveränderungen führte langfristig zu Verzerrungen, während gleichzeitig der Staatshaushalt enorm belastet wurde, um dieses System zu stützen.

Auf der anderen Seite zeigt der Beitrag über Sieglinde Henkel, wie sich der Arbeitsalltag in den staatlich gelenkten Kaufhallen gestaltete. Der Beruf der Wurstverkäuferin, der oftmals als unspektakulär abgetan wird, offenbart bei näherer Betrachtung, wie zentral die Rolle der Verkäuferinnen im System der DDR war. Diese Berufe trugen maßgeblich dazu bei, das Funktionieren des konsumbasierten Systems zu gewährleisten. Der direkte Kontakt mit den Kunden, das tägliche Jonglieren mit Angeboten und die präzise Arbeit am Verkaufstresen machten aus einem simplen Beruf eine Schlüsselposition im wirtschaftlichen Alltag. Der Erfolg dieses Systems beruhte nicht nur auf den staatlichen Eingriffen in den Markt, sondern auch auf der Hingabe und dem Engagement der Menschen, die tagtäglich für einen reibungslosen Ablauf sorgten.

Die Kombination aus staatlich garantierten Niedrigpreisen, kontinuierlichen Subventionen und einer starken Ausprägung des Gemeinschaftsgefühls prägte das Leben in der DDR. Die Familie Fechner steht exemplarisch für den durchschnittlichen Haushalt, der von staatlichen Eingriffen profitierte, während der Beruf der Wurstverkäuferin – verkörpert durch Sieglinde Henkel – den unverzichtbaren menschlichen Faktor in einem zentral gesteuerten Wirtschaftssystem hervorhebt. Beide Perspektiven, vereint in diesem Archivvideo, bieten nicht nur eine Momentaufnahme vergangener Zeiten, sondern laden auch zur kritischen Reflexion über die Auswirkungen staatlicher Wirtschaftssteuerung und die Bedeutung individueller Arbeitsleistung in einem sozialistischen System ein.

Die DDR verstand es, durch eine Mischung aus staatlicher Kontrolle und dem Einsatz engagierter Bürger ein System zu schaffen, das einerseits den Alltag stabilisierte und andererseits gleichzeitig die kreative und persönliche Entfaltung in bestimmten Lebensbereichen einschränkte. Die dargestellten Szenen aus dem Einkaufsalltag und dem Verkaufsbetrieb in den Kaufhallen sind Zeugnisse eines Systems, das – trotz aller Mängel – seinen Bürgern ein Gefühl der Sicherheit und Gemeinschaft vermittelte. Diese doppelte Perspektive ist es, die den historischen und gesellschaftlichen Wert des Archivmaterials unterstreicht und auch heute noch zum Nachdenken über den Preis von Stabilität und sozialer Gerechtigkeit anregt.