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Martin Brambach und seine Sicht auf die DDR und Wiedervereinigung

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Martin Brambach, geboren 1967 in Dresden, schildert seine Ansichten zum Osten, Ostdeutschland und der DDR in einer Weise, die stark von seinen persönlichen Erfahrungen geprägt ist. Er wuchs in Alt-Koschitz auf, einem dorfähnlichen Ort, der später eingemeindet wurde. Brambach beschreibt seine Kindheit dort als „sehr, sehr glücklich“ und erinnert sich an ein Fachwerkhaus sowie ein nahegelegenes Waldgebiet. Diese unbeschwerte Kindheit empfand er als „herrlich“. 1973 zog die Familie nach Berlin-Prenzlauer Berg, der bereits zu DDR-Zeiten einen leicht alternativen Charakter hatte. Als Kind hegte Brambach den Wunsch, Sowjetsoldat zu werden, beeinflusst von der polnischen Fernsehserie „Vier Panzersoldaten und ein Hund“. In der Schule wurde dieser Berufswunsch jedoch belächelt. Seine Mutter, Kostümbildnerin an der Volksbühne, und sein Stiefvater, Schauspieler und Regisseur, brachten ihn früh mit bildender Kunst und Sprache in Berührung. Besonders das Theaterleben in der DDR empfand Brambach als frei und kreativ. Kinder konnten an der Volksbühne spielen, sich verkleiden und austoben.

Dresden und Leipzig, zwei bedeutende Städte in Brambachs Leben, beschreibt er als grundverschieden. Dresden sei konservativer, geprägt von einem großen Bildungsbürgertum, das Wert auf klassische Kultur legt. Leipzig hingegen erscheine weltoffener und von jungen Leuten geprägt. Brambach fasst dies mit dem Satz zusammen: „In Leipzig wird Geld verdient, in Dresden ausgegeben.“ Er hebt hervor, dass Mentalität und Bevölkerungsstruktur beider Städte unterschiedlich seien, auch wenn dies einem Berliner nicht immer auffalle.

Der sächsische Dialekt war für Brambach eine Herausforderung. In seiner Kindheit wurde er dafür gehänseln, weshalb er bemühte, Berlinisch zu lernen. Er lernte dies so gut, dass er später Schwierigkeiten hatte, den Dialekt für die Schauspielschule wieder abzulegen. Dennoch betont er die Bedeutung des Sächsischen, insbesondere für seine Rolle in dem Film „Die Fälscher“. Er beschreibt Sächsisch als einen „herrlichen Dialekt“, der zu Unrecht an den Rand gedrängt werde. Im Gespräch mit Gregor Gysi demonstrierte er seine Fähigkeit, Sächsisch, Berlinerisch und Wienerisch zu sprechen. Das Wienerische empfindet er als eine „spielerische Sprache“, in der man Dinge im „Schmäh“ sagen könne, die im Deutschen ernst wirken.

Ein einschneidendes Erlebnis war die Ausreise seiner Mutter in den Westen. Sie diskutierte zuvor über eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten in der DDR und entschied sich schließlich, bei einem Kostümbildnerkongress in Westberlin zu bleiben. Brambach empfand die Vorstellung einer Mutter im Westen als „super“, da dies mit „hohen Adidas-Turnschuhen“ und „Bravo“ verbunden war. Seine eigene Ausreise wurde durch Kontakte von befreundeten Schriftstellern zu Egon Bahr und Franz Josef Strauß ermöglicht. In der DDR hatte er, nachdem seine Mutter gegangen war, das Gefühl, sich „alles erlauben“ zu können. Bei einer Befragung an der Schauspielschule erzählte er eine Geschichte von Heiner Müller, was den Parteisekretär nicht verstand. Noch am selben Tag stellte er einen Ausreiseantrag, nachdem er an der Schauspielschule angenommen worden war. Die Ausreise verlief für ihn verhältnismäßig schnell, was er als „wahnsinniges Glück“ bezeichnete. Die Wohnung seiner Mutter wurde nach ihrer illegalen Ausreise nicht enteignet, aber von einem Stasi-Mitarbeiter überwacht, der sich für ihre Rückkehr interessierte. Trotz seiner Ausreise durfte er seine Freundin in Ost-Berlin nicht besuchen. Nach seiner Ankunft im Westen besuchte er zunächst eine Schule in Finnland und später in Hamburg. Dort trug er einen DDR-Aufkleber auf seiner Schultasche und empfand das Gymnasialniveau als niedriger als in der DDR. Schließlich brach er die Schule ab und begann seine Schauspielkarriere in Bochum.

Brambachs Kritik an der deutschen Einheit ist differenziert. Er bemängelt die Reduzierung der DDR auf Mauertote und die Vernachlässigung des Lebens in der DDR durch die Bundesregierung. Besonders hebt er hervor, dass Schulen, Kindereinrichtungen und die Gleichstellung der Geschlechter in der DDR weiter fortgeschritten waren als im Westen. Er ist der Meinung, dass die Übernahme positiver Aspekte der DDR die Lebensqualität der Westdeutschen hätte erhöhen können. Brambach kritisiert die einseitige Darstellung der DDR und die daraus resultierenden Folgen bis heute. Er betont, dass in der DDR die Fächer Biologie, Chemie und Physik besser vernetzt waren, was dem Bildungsniveau zugutekam.

Seine Theatererfahrungen schildert er ebenfalls eindrücklich. Er beschreibt die Mischung des Publikums bei Aufführungen in Anklam als „fantastisch“ für DDR-Verhältnisse, da Menschen aus Prenzlauer Berg und Anklam aufeinandertrafen. Brambach merkt an, dass es in der DDR zwar Rolltreppen gab, diese jedoch nicht immer funktionierten. Er hebt hervor, dass in den 50er Jahren in Westdeutschland das Thema Auschwitz verdrängt wurde.

Zusammenfassend vermittelt Martin Brambach ein differenziertes Bild der DDR und Ostdeutschlands. Er erinnert sich an eine glückliche Kindheit und hebt positive Aspekte wie das Bildungssystem und die Gleichstellung hervor. Gleichzeitig kritisiert er die einseitige Darstellung der DDR in der gesamtdeutschen Geschichte und die Art, wie die Wiedervereinigung ablief, die er als feindliche Übernahme empfindet. Seine persönlichen Erfahrungen prägen seine Sichtweise auf die Unterschiede zwischen Ost und West, sowohl in Bezug auf Mentalität als auch auf politische und kulturelle Aspekte.

Vom Fliegerhorst zum Hochschulcampus – Bernburg-Strenzfeld im Wandel

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Der weitläufige Campus in Bernburg-Strenzfeld, heute geprägt von grünen Wiesen und modernen Hochschulgebäuden, war einst Zentrum eines bedeutenden Flugzeugbau- und Militärstandorts: des Fliegerhorsts Bernburg und des Junkers-Zweigwerks Bernburg (JFM-FZB).

Bereits im Frühjahr 1935 begannen die Bauarbeiten, und am 18. April 1936 wurde der Fliegerhorst offiziell eröffnet. Die Jagdgruppe I./232 rückte ein und verlieh dem Standort schnell seinen militärischen Charakter. Doch schon bald folgte die industrielle Erweiterung: Im Februar 1937 legte man den Grundstein für das Junkers-Zweigwerk, das in kurzer Zeit drei gewaltige Hangars errichtete. Bereits im Oktober desselben Jahres lief dort die erste Ju 52 „Tante Ju“ vom Band.

1938 begann in Bernburg die Serienproduktion moderner Flugzeugmuster: Sturzkampfbomber Ju 87 („Stuka“), Schnellbomber Ju 88 und Bomber He 111 wurden hier gefertigt. Unter der Leitung von Direktor August Kürner koordinierte die eingerichtete „Flugzeugbau-Großreihe“ die Serienfertigung aller Junkers-Werke. Zwischen 1939 und 1945 wurden im Werk rund 350 Metallflugzeugbauer, Industriekaufleute und Flugzeug-Elektromechaniker ausgebildet; zudem fanden Umschulungslehrgänge für Luftwaffenpersonal statt.

Am 1. März 1941 nahmen die neu errichteten Bahnstationen „Fliegerhorst“ und „Junkerswerk“ den Personenverkehr auf, was den täglichen Arbeitsweg vieler Beschäftigter erleichterte. Im gleichen Jahr übertraf die Produktion erstmals 1.000 Flugzeuge (Ju 52 und Ju 88) innerhalb eines Geschäftsjahres.

Der Kriegsverlauf hinterließ seine Spuren: Im Dezember 1938 wurde die Stationierung der Jagdgruppe beendet, und zum 1. Januar 1940 pachtete das JFM-FZB den Fliegerhorst samt Rollbahnen vom Reichsluftfahrtministerium. Die Ju-87-Produktion endete nach 257 gebauten Maschinen.

Im April 1945 erreichten amerikanische Truppen das Gelände, die Fertigung kam abrupt zum Erliegen. Am 21. Juli 1945 übernahm die sowjetische Besatzungsmacht das Areal und leitete die planmäßige Demontage ein. Maschinen und Anlagen wurden in die Sowjetunion verschifft; bis 1950 war das Werk vollständig zurückgebaut, kaum ein Relikt blieb erhalten.

Aus den Fundamenten des einstigen Rüstungsstandorts erwuchs schließlich eine neue Nutzung: 1957 wurde auf dem Gelände die Hochschule Bernburg gegründet, heute Standort der Hochschule Anhalt. Wo zuvor Flugzeuge montiert wurden, lernen Studierende heute Maschinenbau, Landwirtschaft und Wirtschaft. Der Wandel dokumentiert, wie ehemalige Industrieflächen in Zeiten des Friedens neu interpretiert und für Bildung und Forschung gewidmet werden können.

Entdeckung der Toskana des Ostens: Bad Kösen und seine Schätze

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Sanfte Hügel, strahlender Sonnenschein, ertragreiche Weinberge und eine Fülle an Geschichte – Bad Kösen, die „Toskana des Ostens“, ist ein Juwel in der Region zwischen Bad Sulza, Naumburg, Jena und Weimar. In diesem Bericht wird die Schönheit und die bedeutenden historischen Stätten dieses charmanten Ortes erkundet, der nur 70 Kilometer südwestlich von Leipzig liegt und zur Stadt Naumburg gehört.

Das Video zeigt eindrucksvoll, wie sich Bad Kösen um das historische Gradierwerk und weitere kulturelle Sehenswürdigkeiten gruppiert. Dieses Gradierwerk, erbaut im Jahr 1770, erstreckt sich über 320 Meter und erreicht eine Höhe von fast 20 Metern. Es wurde aus Baumstämmen und Schwarzdornreisig errichtet, um eine fünfprozentige Sole über die Reisigstränge rieseln zu lassen. Doch um die Funktionsweise des Gradierwerks zu verstehen, muss man zum Ufer der Saale gehen, wo ein bemerkenswertes Radhaus mit Wasserrad steht. Dieses, im 18. Jahrhundert errichtete Bauwerk, nutzt die Kraft des Wassers, um ein Doppelfeldgestänge in Bewegung zu setzen, das die Sole 180 Meter hoch pumpt.

Das beeindruckende technische Erbe des 18. Jahrhunderts wird durch die Erzählungen des Geologen Johann Borlach lebendig, der zwischen 1731 und 1735 den Borlachschacht anlegte. In diesem Schacht wurde die Sole gefördert, die dann durch Kolbenpumpen in das Gradierwerk geleitet wurde. Hier, in Bad Kösen, wird die Sole weiter angereichert, während sie über das Reisig rieselt. Durch die Einwirkung von Wind und Sonne verdunstet ein Teil des Wassers, und die Salzkonzentration steigt auf bis zu acht Prozent.

Bad Kösen, einst ein beschauliches Vorwerk des Zisterzienserklosters Pforta, entwickelte sich ab 1730 zur Salzgewinnung und wurde ab 1850 zu einem beliebten Kurort. Historische Persönlichkeiten wie Franz Liszt und Theodor Fontane waren hier Kurgäste. In der Zeit der DDR war Bad Kösen als „Volkssolbad“ bekannt und vor allem für Kinderkuren beliebt.

Ein weiteres Highlight des Videos ist die Kösener Spielzeugmanufaktur, die seit der Enteignung der Puppenmacherin Käthe Kruse im Jahr 1952 hier Plüschtiere herstellt. Käthe Kruse lebte von 1912 bis 1952 in Bad Kösen und schuf hier ihre berühmten Puppen, die aufgrund ihrer beweglichen Gliedmaßen und lebensechten Gesichter geschätzt wurden. Die Manufaktur zeugt von der Tradition und dem Erbe der Puppenkunst in dieser Region.

Besucher der Kösener Spielzeugmanufaktur haben die Gelegenheit, Käthe Kruses Puppen und die dazugehörigen Geschichten zu bewundern. Ihre Werkstatt befand sich in einem Haus in der Straße „Am Rechenberg“, und viele ihrer Puppen wurden nach den Vorbildern ihrer eigenen Kinder gefertigt. Diese Verbindung zur Kindheit und die liebevolle Handarbeit machen die Puppen zu etwas ganz Besonderem.

Die Geschichte von Bad Kösen ist jedoch nicht nur mit dem Gradierwerk und der Puppenmacherei verbunden. Die Ruine der Rudelsburg, gegenüber dem Ufer der Saale, ist ein weiteres bedeutendes Wahrzeichen der Region. Diese Höhenburg, die im 30-jährigen Krieg zerstört wurde, diente früher der Sicherung der Handelswege und zieht heute Besucher mit ihrer beeindruckenden Gastronomie und dem kleinen Burghof an. Die Rudelsburg war ein beliebter Treffpunkt von Romantikern und Studenten, und das berühmte Volkslied „An der Saale hellem Strande“ wurde hier von dem Studenten Franz Kugler verfasst.

Darüber hinaus ist das ehemalige Zisterzienserkloster Pforta von historischer Bedeutung. Gegründet im Jahr 1137, wurde es im 16. Jahrhundert zur Schule umfunktioniert und gilt als eine der ersten staatlichen Schulen Deutschlands. Hier wurden bedeutende Persönlichkeiten wie Friedrich Gottlieb Klopstock und Johann Gottlieb Fichte ausgebildet. Das Kloster und seine historischen Gebäude, wie das Gotische Haus und die Abtskapelle, zeugen von einer reichen akademischen Tradition.

Die Kombination aus Naturschönheit, faszinierender Geschichte und kulturellem Erbe macht Bad Kösen zu einem lohnenden Ziel für Reisende und Geschichtsinteressierte. Der Ort zeigt eindrucksvoll, wie Natur und Geschichte miteinander verwoben sind und bietet ein Erlebnis, das in die Vergangenheit eintaucht. In diesem Video werden die verschiedenen Facetten von Bad Kösen lebendig und laden dazu ein, diese „Toskana des Ostens“ selbst zu entdecken. Die sanften Hügel, die Sonne und der Wein umrahmen die ergreifende Geschichte, die in jedem Stein und in jeder Geschichte des Ortes weiterlebt.

Hinter den Kulissen der SED-Herrschaft: So lenkte die Partei die DDR

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Leipzig/Berlin. Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) existierte von 1949 bis 1990 und verstand sich selbst als „sozialistischer Staat“ – in Wahrheit war sie eine Einparteien-Diktatur, in der alle staatlichen Organe der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) untergeordnet waren. Ein journalistischer Überblick:

Demokratischer Zentralismus statt Gewaltenteilung
In der DDR wurde das Prinzip des demokratischen Zentralismus angewandt: Entscheidungen wurden in der Parteiführung getroffen und dann starr von oben nach unten durchgesetzt. Legislative (Volkskammer), Exekutive (Regierung mit Ministerien und Plankommission) und Judikative (Gerichte) waren formal getrennt, praktisch aber Teil eines einheitlichen Machtapparats unter Kontrolle der SED.

  • Fünfjahrespläne legten zentrale Wirtschaftsziele fest: Produktionsmengen, Preise, Verteilung.
  • Verwaltungsgliederung: 14 Bezirke plus Ost-Berlin, darunter Landkreise und Gemeinden – alle Hierarchieebenen folgten Weisungen von oben.

Die SED: Herzstück der Macht
An der Spitze stand das Politbüro des Zentralkomitees (ZK) der SED, geleitet vom Generalsekretär (z. B. Walter Ulbricht, Erich Honecker). Das Politbüro bestimmte Richtlinien, die sämtliche staatlichen Organe und Massenorganisationen umzusetzen hatten. Zwischen den alle fünf Jahre tagenden Parteitagen leitete das ZK die Politik der SED.

„Der Generalsekretär ist der mächtigste Mann, und das Politbüro setzt die Richtung für Regierung, Parlament, Gerichte und Staatssicherheit.“ (Parteiinterna DDR, 1985)

Die Volkskammer, offiziell das höchste Staatsorgan, diente lediglich der Legitimation. Alle Abgeordneten kandidierten auf einer einzigen Einheitsliste der Nationalen Front, in der SED, Blockparteien und Massenorganisationen (FDJ, Gewerkschaften, Frauenbund) zusammengeschlossen waren. Eine echte Wahl fand nicht statt.

Staatsrat und Volkskammer: Kollektives Staatsoberhaupt
Ab 1960 ersetzte der Staatsrat den Präsidenten. Formal hatte dieses Gremium weitreichende Befugnisse (Erlass von Verordnungen, Ratifizierung von Verträgen, Einberufung der Volkskammer), entwickelte sich jedoch spätestens ab 1974 zu einem rein repräsentativen Organ. Die wirkliche Macht lag weiterhin beim SED-Politbüro.

Repression und Kontrolle
Ohne unabhängige Justiz war in der DDR der Rechtsstaat aufgehoben. Die Richterzertifikate wurden von der Partei vergeben, die Gerichte dienten der „Erziehung im Sinne des Sozialismus“. Wer sich öffentlich oder parteiintern abweichend äußerte, riskiert(e):

  • Verfolgung durch die Staatssicherheit (Stasi): flächendeckende Überwachung, Informantennetz, willkürliche Haft.
  • Berufs- und Bildungsausschlüsse: nur Parteimitglieder hatten Zugang zu höheren Positionen.

Die massenhafte Repression sicherte das Fortbestehen des Regimes – bis im Herbst 1989 Hunderttausende auf die Straße gingen und mit friedlichen Protesten das SED-System zu Fall brachten.

Die DDR präsentierte sich als demokratischer sozialistischer Staat, doch hinter den hohlen Begriffen von „Volkskammer“ und „Nationaler Front“ verbargen sich straffe Parteikontrolle, fehlende Rechtsstaatlichkeit und umfassende Repressionsmechanismen. Erst 1989 zeigte sich das Ausmaß der Unzufriedenheit, als die Bevölkerung die zentrale Macht des SED-Apparats durch friedlichen Protest beendete.

Mit der Dessau-Wörlitzer Eisenbahn ins Gartenreich Dessau-Wörlitz

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Die Dessau-Wörlitzer Eisenbahn ist eine historische Eisenbahnstrecke in Sachsen-Anhalt, Deutschland. Sie verbindet die Städte Dessau-Roßlau und Wörlitz und wurde 1864 eröffnet. Diese Eisenbahnlinie war eine der ersten, die hauptsächlich touristischen Zwecken diente, indem sie Besuchern den Zugang zum Dessau-Wörlitzer Gartenreich ermöglichte, einem bedeutenden Landschaftspark und UNESCO-Welterbe. Der Park wurde im 18. Jahrhundert angelegt und ist ein herausragendes Beispiel für die Gartenkunst dieser Zeit.

Die Strecke ist 19,6 Kilometer lang und führt durch eine malerische Landschaft, die sowohl natürliche als auch kulturelle Sehenswürdigkeiten bietet. Während des 19. Jahrhunderts erlebte die Eisenbahn eine Blütezeit, da sie eine bequeme und effiziente Reisemöglichkeit für Touristen bot, die das Gartenreich besuchen wollten. Der Einsatz von Dampfzügen trug zur Popularität der Strecke bei und machte sie zu einem wichtigen Teil der regionalen Infrastruktur.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts nahm die Bedeutung der Dessau-Wörlitzer Eisenbahn ab, da der Autoverkehr und andere Transportmittel zunehmend bevorzugt wurden. Dennoch blieb die Strecke in Betrieb und wurde schließlich in den 1990er Jahren zu einer Museumsbahn umgewandelt. Heute wird die Strecke vor allem für touristische Zwecke genutzt, wobei historische Züge nostalgische Fahrten anbieten. Diese Züge bestehen oft aus restaurierten Dampflokomotiven und Waggons aus der Blütezeit der Eisenbahn, was den Fahrten einen besonderen Charme verleiht.

Die Museumsbahnfahrten sind besonders während der Sommersaison und zu besonderen Anlässen beliebt. Sie bieten nicht nur ein Transportmittel, sondern auch ein Erlebnis, das die Geschichte und Kultur der Region lebendig hält. Die Fahrgäste können während der Fahrt die schöne Landschaft genießen, die von Feldern, Wäldern und historischen Gebäuden geprägt ist. Die Strecke bietet auch zahlreiche Fotomöglichkeiten, insbesondere bei der Durchfahrt durch den Wörlitzer Park und die Überquerung der Mulde.

Neben den touristischen Fahrten spielt die Dessau-Wörlitzer Eisenbahn auch eine Rolle im kulturellen Leben der Region. Regelmäßig finden Sonderfahrten und Veranstaltungen statt, die verschiedene Themen aufgreifen, von historischen Nachstellungen bis hin zu kulinarischen Erlebnissen an Bord der Züge. Diese Veranstaltungen tragen zur Attraktivität der Eisenbahn bei und ziehen Besucher aus nah und fern an.

Die Erhaltung und der Betrieb der Dessau-Wörlitzer Eisenbahn erfordern erhebliche Anstrengungen. Freiwillige und Eisenbahnliebhaber engagieren sich in der Wartung der Strecke und der historischen Züge. Ihre Arbeit stellt sicher, dass diese wertvolle kulturelle Einrichtung auch für zukünftige Generationen erhalten bleibt. Unterstützt wird dies durch verschiedene Vereine und Organisationen, die sich für den Erhalt der Eisenbahngeschichte in der Region einsetzen.

Insgesamt ist die Dessau-Wörlitzer Eisenbahn ein faszinierendes Beispiel für die Verbindung von Geschichte, Kultur und Tourismus. Sie bietet nicht nur eine Reise in die Vergangenheit, sondern auch eine einzigartige Möglichkeit, die Schönheit und das kulturelle Erbe von Sachsen-Anhalt zu erleben. Die Strecke bleibt ein bedeutendes Symbol für die Entwicklung des Tourismus und die Bedeutung der Eisenbahn in der regionalen Geschichte.

Ein Zeppelin über Erfurt – Der verlorene Stummfilm aus dem kleinsten Kino der DDR

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Über den Dächern der Landeshauptstadt schwebt ein Luftschiff, sein mächtiger Schatten zeichnet sich auf Pflastersteinen und Fachwerkhäusern ab. Szenen wie diese hält ein bis heute nahezu unbekannter Stummfilm fest: „Zeppelin über Erfurt und vieles mehr“. Jahrzehntelang schlummerte das wertvolle Zeitdokument im beschaulichen Filmarchiv des Erfurter Familienbetriebs Lustermann, wo es nur einem erlesenen Kreis im sogenannten „Kleinsten Kino der DDR“ gezeigt wurde.

Zuhause im Filmstudio LustermannMitten in der Gartenstraße (später: Grafengasse) betrieben die Brüder Erich und Walter Lustermann ihr Privattheater: Ein schmaler Raum ohne Fenster, ausgestattet mit rotem Samtvorhang, goldverzierten Wandleuchten und einigen handverlesenen Sesseln. Zum Signalton des antiken Kino-Gongs erloschen die Lichter, und der Eimer Wasser neben dem Projektor garantierte, dass im Notfall die brisante Filmrolle schnell gelöscht werden konnte.

Erich Lustermann stand als Kommentator am Podium und ergänzte die stummen Aufnahmen mit heiteren, zugleich informativen Erläuterungen. Sein Bruder Walter, der die Szenen mit der Handkamera eingefangen hatte, hütete das Gerät wie einen Schatz – jede Vorführung war für ihn eine Zerreißprobe zwischen Stolz und Angst.

Ein verborgenes ZeitzeugnisDer Film zeigt nicht nur den über Erfurt kreisenden Zeppelin, sondern auch Straßenszenen, Menschen bei der Arbeit und festliche Anlässe. Wer seine Urheber waren, bleibt bis heute im Dunkeln. Auch Auftraggeber oder Produktionsfirma sind nicht verzeichnet. Dennoch erzählt das Werk von einer Epoche des Aufbruchs und der Technikbegeisterung in Mitteldeutschland.

Vom Familienarchiv ins StadtarchivIm Jahr 2015 übergaben die letzten Angehörigen der Lustermänner das Filmmaterial ans Stadtarchiv Erfurt. Dort lagert es seither in sicherer Obhut – digitalisiert und konservatorisch betreut. Eine erste Projektion ist für dieses Jahr im Rahmen einer historischen Filmreihe geplant.

Wissenschaftliche und kulturelle BedeutungHistoriker und Filmenthusiasten sehen in dem Alt-Erfurt-Film einen Schatz für die Lokalgeschichte. Er liefert einmalige Einblicke in das Alltagsleben der Stadt und verdeutlicht die Technikfaszination jener Zeit. Zugleich erinnert die handgeführte Kamera daran, wie aufwendig und riskant Filmvorführungen vor dem Zeitalter digitaler Medien waren.

AusblickWer das Stummfilmkino neu entdecken möchte, kann sich auf eine kuratierte Präsentation im Stadtarchiv freuen. Experten erhoffen sich, durch Bildanalyse und stilistische Vergleiche Anhaltspunkte für die genaue Datierung und Herkunft des Films zu gewinnen. Bis dahin bleibt „Zeppelin über Erfurt und vieles mehr“ ein faszinierendes Fragment aus der frühen Filmgeschichte Erfurts.

Magdeburg in den 70ern und heute in Bildern illustriert

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Magdeburg in den 1970ern
In den 1970er Jahren war Magdeburg eine bedeutende Industriestadt in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Geprägt von Schwerindustrie und Maschinenbau, war die Stadt ein zentrales Produktionszentrum der DDR. Der größte Arbeitgeber war das Schwermaschinenkombinat „Ernst Thälmann“ (SKET), das weltweit für seine Maschinen bekannt war. Die industrielle Dominanz prägte nicht nur die Wirtschaft, sondern auch das Stadtbild und das soziale Leben der Stadtbewohner.

Das Leben in Magdeburg während der 70er Jahre war stark von der sozialistischen Ideologie der DDR geprägt. Die Stadtentwicklung konzentrierte sich auf den Wiederaufbau nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs sowie auf den Ausbau von Wohnkomplexen und Infrastrukturprojekten. Plattenbauten, die typisch für den sozialistischen Wohnungsbau waren, prägten das Stadtbild. Kultur und Freizeit waren ebenfalls stark staatlich gelenkt, mit Betonung auf sozialistische Bildung und Erziehung. Der Alltag der Bürger war geprägt von kollektiven Aktivitäten und einer zentral gesteuerten Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik.

Während dieser Zeit gab es jedoch auch bedeutende Herausforderungen. Die Umweltverschmutzung durch die industrielle Produktion war ein großes Problem, und die Lebensqualität litt unter den Auswirkungen der Luft- und Wasserverschmutzung. Trotz dieser Probleme bot die Stadt eine Vielzahl von Arbeitsplätzen und hatte eine stabile wirtschaftliche Basis.

Magdeburg heute
Heute hat sich Magdeburg erheblich verändert. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 durchlief die Stadt eine tiefgreifende Transformation. Die Schwerindustrie verlor an Bedeutung, und viele Fabriken und Betriebe wurden geschlossen oder privatisiert. Der Übergang zur Marktwirtschaft brachte zunächst wirtschaftliche Schwierigkeiten, aber auch neue Chancen.

Die Stadt hat sich von einem industriellen Zentrum zu einem vielfältigen Wirtschafts- und Dienstleistungsstandort entwickelt. Wichtige Branchen heute sind Maschinenbau, Logistik, Gesundheitswesen und Forschung. Die Otto-von-Guericke-Universität, die 1993 gegründet wurde, ist ein bedeutender Motor für Forschung und Innovation in der Stadt.

Die Stadtentwicklung hat sich seit den 1990er Jahren stark auf die Revitalisierung und Modernisierung der urbanen Infrastruktur konzentriert. Zahlreiche alte Industrieanlagen wurden abgerissen oder umgenutzt, und moderne Wohn- und Geschäftsviertel sind entstanden. Magdeburg hat auch große Anstrengungen unternommen, um die Umweltschäden der Vergangenheit zu beheben und nachhaltige Stadtentwicklung zu fördern.

Die kulturelle Landschaft Magdeburgs ist heute vielfältig und lebendig. Theater, Museen, Musikfestivals und andere kulturelle Veranstaltungen ziehen sowohl Einheimische als auch Touristen an. Sehenswürdigkeiten wie der Magdeburger Dom, das Hundertwasserhaus (Grüne Zitadelle) und der Elbauenpark sind bedeutende Attraktionen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Magdeburg sich von einer industriellen sozialistischen Stadt zu einer modernen, vielfältigen und lebendigen Stadt entwickelt hat. Die Herausforderungen der Vergangenheit wurden angegangen, und die Stadt blickt optimistisch in die Zukunft, geprägt von Innovation, Kultur und einem verbesserten Lebensumfeld für ihre Bürger.

Im Schatten des Überwachungsstaates: Die Methoden der Stasi in der DDR

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Als „Schild und Schwert der Partei“ war das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) das zentrale Instrument der SED-Diktatur, um Macht zu sichern und politische Kontrolle auszuüben. Mit einem dichten Netz aus hauptamtlichen Mitarbeitern und Hunderttausenden Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) durchzog die Stasi alle Bereiche des Lebens in der Deutschen Demokratischen Republik. Dieser Beitrag beleuchtet, wie der Geheimdienst arbeitete, welche psychologischen und technischen Mittel er einsetzte – und wie sein Erbe noch heute spürbar ist.

Entstehung und politischer Auftrag
Unmittelbar nach Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 formierte die SED einen eigenen Geheimdienst, um innere und äußere Feinde zu bekämpfen. Unter Verweis auf die „naturgesetzliche Entwicklung zum Sozialismus“ rechtfertigte die Partei jede Maßnahme als notwendig für das „größere Ganze“. Ab 1950 traten die ersten Organisationseinheiten zusammen, ehe sich 1955 offiziell das „Ministerium für Staatssicherheit“ formierte. Die Stasi verstand sich als verlängerter Arm der SED: Ihre Befehle kamen direkt aus dem Zentralkomitee, die Verantwortung blieb stets politisch.

Ausmaß der Überwachung und Repression
In den 1980er-Jahren umfasste die Stasi schätzungsweise 90.000 hauptamtliche Mitarbeiter und knapp 190.000 IMs. Fast jede größere Stadt, jede Institution und selbst manche Familie war in das Überwachungssystem einbezogen. Wer studieren, ins Ausland reisen oder beruflich aufsteigen wollte, musste sich jährlichen Sicherheitsüberprüfungen unterziehen.

  • Abhörtechniken und Postkontrolle: Mit ausgeklügelten Horchposten in Telefonleitungen sowie verdeckten Kameras in Privatwohnungen und öffentlichen Ämtern fingen Techniker Gespräche und Dokumente ab. Die Post wurde systematisch geöffnet und ausgewertet.
  • Psychologische Kriegführung („Zersetzung“): Keine offene Gewalt, sondern heimliches Einwirken auf Psyche und soziale Beziehungen. Verbreitung von Gerüchten, gezielte Falschinformationen, manipulative Briefe oder nächtliche Hausbesuche sollten Betroffene verunsichern, isolieren oder in den sozialen Ruin treiben.
  • Rechtliche Spielräume: Die Stasi operierte jenseits rechtsstaatlicher Kontrollmechanismen. Verhaftungen, Hausdurchsuchungen oder Gefängnisstrafen erfolgten ohne ordentlichen Gerichtsprozess, oft allein auf Basis von Verdachtsmomenten.

Die größte Stärke der Stasi war ihr doppeltes Personalmodell:

  • Hauptamtliche Mitarbeiter: Professionelle Offiziere, Techniker, Juristen und Verwaltungskräfte.
  • Inoffizielle Mitarbeiter (IM): Spitzel aus allen Gesellschaftsschichten – Nachbarn, Lehrer, Arbeitskollegen, sogar Familienmitglieder.
    Die IM lebten vor allem vom Identitätsverlust ihrer Opfer: Misstrauen und Angst wurden zur Waffe, Freundschaften und familiäre Bindungen zerbrachen. Vergünstigungen wie ein schnelleres Auto oder ein eigenes Telefon lockten zum Verrat. Kaum jemand war davor gefeit, ins Visier der Stasi zu geraten: Politisch Andersdenkende, aber ebenso Westkontakte, Kirchgänger oder Konsumenten westlicher Kultur.

Außenaufklärung und Spionage im Westen
Auch in der Bundesrepublik unterhielt die Stasi ein weit verzweigtes Spionagenetz. Schätzungen gehen von rund 12.000 Westagenten aus – vornehmlich männliche Fach- und Führungskräfte, deren Geheimnistransfer als besonders lohnendes Ziel galt. Kristallisationspunkte der Aufklärung waren mehrfach enttarnte „Spionagesekretärinnen“ in Ministerien. Doch weitaus wirkungsvoller waren Hochschuldozenten, Journalisten oder Bundestagsabgeordnete, die Papiere kopierten, Vertrauliches weiterreichten und so Einblicke in militärische wie wirtschaftliche Planungen lieferten.

Der Niedergang und die Aktenzersplitterung
Mit den Montagsdemonstrationen ab Herbst 1989 verlor die Stasi ihre Rückendeckung. Die Bilder vom Sturm auf die Zentrale in der Berliner Normannenstraße am 15. Januar 1990 symbolisieren das Ende: Bürgerrechtler drangen in den Komplex ein, Aktenlabore wurden gestürmt, Stasi-Offiziere flohen. In den folgenden Wochen vernichteten Mitarbeiter Millionen Akten, zerschnitten Dokumente und schmolzen Datenträger ein. Dennoch blieben genug Schnipsel erhalten, um die spätere Aufarbeitung zu ermöglichen.

Nachwirkung und Aufarbeitung
Bereits 1990 gründete der damalige Bundestagspräsident Joachim Gauck die Behörde „Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes“ (BStU). Mit Marianne Birthler und Roland Jahn an der Spitze wurden Millionen Akten für Opfer zugänglich gemacht. Bis heute wird an der Rekonstruktion der zerrissenen Blätter gearbeitet, während zeitgleich ehemalige IM enttarnt und in Einzelfällen strafrechtlich belangt werden. In der öffentlichen Debatte mahnen Betroffene: „Vergessen ist Verrat an der Wahrheit“, und fordern, die Mechanismen von Überwachung nie wieder zuzulassen.

Der Geheimdienst der DDR war mehr als eine Behörde – er war das Rückgrat einer Diktatur, die Leben zerstörte und Gesellschaft misstrauisch machte. Seine Methoden reichen von technologischer Spionage bis zur psychologischen Zersetzung, von brutaler Repression bis zu subtiler Einflussnahme. Auch 35 Jahre nach seinem Ende ist die Auseinandersetzung mit den Stasi-Akten ein fortwährender Prozess, der nicht nur Opfer rehabilitiert, sondern auch die Grundpfeiler demokratischer Freiheitsrechte mahnt. Die Lehre bleibt: Wer die Angst vor Überwachung nicht vergisst, schützt seine Freiheit.

Die Kanonenbahn: Vom Militärprojekt zum Radfahrerparadies

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Unweit von Trubel und Alltag schlängelte sich im Kaiserreich eine phänomenale Eisenbahnstrecke von Berlin nach Metz – die „Kanonenbahn“. Ursprünglich aus rein militärischen Erwägungen gebaut, ist sie heute fast in Vergessenheit geraten und doch in stillgelegten Abschnitten für Radfahrer und Wanderer wiederentdeckt worden.

Strategischer Eisenbahnbau im Kaiserreich
Nach dem Sieg über Frankreich 1871 strebte das Deutsche Kaiserreich an, Truppen und Kriegsmaterial möglichst ungesehen an die Westgrenze zu bringen. Die Lösung war eine Fernbahn, die bewusst weite Umwege nahm: durch dichte Wälder, über unwegsame Höhenzüge und vorbei an verschlafenen Dörfern. Auf mehr als 800 Kilometern Bandlänge entstanden zahllose Tunnel und Viadukte – eine technische Meisterleistung für die 1880er Jahre.

Betrieb und Bedeutung
Ab 1882 verband die eingleisige Trasse Berlin mit dem Reichsland Elsaß-Lothringen. Zwar wurde später zweigleisig ausgebaut, doch das zweite Gleis verschwand nach dem Ersten Weltkrieg als Reparationsleistung wieder. Im Großen Krieg diente die Strecke mehrfach für Truppentransporte, erreichte aber nie das Volumen, für das sie geplant war. Der Personen- und Güterverkehr blieb mangels Haltepunkten und der abgelegenen Trassenführung gering.

Niedergang und Stilllegung
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs endete die Kontinuität abrupt: Die innerdeutsche Grenze zerriss die Strecke in Hessen und Thüringen. In den 1960er und 1970er Jahren folgten sukzessive Ausdünnungen: Einstige Betriebsbahnhöfe wurden geschlossen, Bahnsteige verfallen und Gleise abgebaut. Bis 1990 war der Großteil der Kanonenbahn stillgelegt.

Nachnutzung und Erbe
Doch die Schienen verschwanden nicht spurlos. In Thüringen und Hessen haben Vereine und Kommunen alte Trassen in Rad- und Draisinenwege verwandelt. Auf rund 30 Kilometern führt der Kanonenbahn-Radweg Radfahrer durch sechs Tunnel und über beeindruckende Viadukte. Besonders beliebt ist der 1,5 Kilometer lange Kühlstädter Tunnel, heute der längste Radwegetunnel Deutschlands. Ehemalige Bahnhofsgebäude dienen als Infopavillons, Künstler nutzen Brückenpfeiler als Leinwände, und in stillgelegten Stellwerken finden kulturelle Veranstaltungen statt.

Engagierte Bürgerinitiativen planen, weitere Abschnitte für den sanften Tourismus aufzubereiten. Altmetall wird sortiert, Bahndämme gesichert und in einzelnen Kommunen werden historische Relikte zu Denkmälern erklärt. So bleibt die Kanonenbahn nicht nur ein stummer Zeuge vergangener Militärstrategien, sondern ein lebendiges Bindeglied zwischen Geschichte und Gegenwart – für alle, die neugierig genug sind, abseits ausgetretener Pfade zu reisen.

Erfurt-Süd zwischen Toren, Flutgraben und Plattenbau

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Ein Viertel mit Geschichte: Die Löberstraße in Erfurt-Süd erzählt auf kaum einem anderen Areal so eindrücklich vom stetigen Wandel der Stadt. Im Rahmen des Projekts „Erfurt Süd – heute und damals“ luden das Stadtarchiv Erfurt und der Historiker Lothar Semlin jüngst zu einem virtuellen Spaziergang ein. Anlass war die Vorstellung zahlreicher Amateurdias und historischer Karten, die weit mehr verraten als nur verblasste Ansichten: Sie offenbaren über 950 Jahre Kulturgeschichte, Wirtschaftskraft und Infrastrukturentwicklung in einem einzigen Straßenzug.

Vom inneren zum äußeren Tor
Bereits 1066 markierte hier die erste Stadtbefestigung Erfurts die Grenze zwischen städtischem Leben und freiem Land. Das sogenannte innere Löbertor, über Jahrhunderte das Tor zur Wildengäre, lag an der Stelle des heutigen Juri-Gagarin-Rings: eine Funktion, die es erst um 1373 durch das äußere Löbertor ergänzte, um den zunehmenden Verkehr nach Arnstadt und Nürnberg zu kontrollieren. Noch bis 1480 blieben die beiden Tore durch keine äußere Mauer verbunden – die eigentliche Stadtbefestigung wanderte somit von der ersten zur zweiten Ringlinie.

Häuser der „Löber“ und die Thomaskirche
Zurückzuführen ist der Straßenname auf die Lohgerber, die sogenannten „Löber“, die sich schon im Spätmittelalter südlich des inneren Tores niederließen. Ihre kleinen Fachwerkhäuser zeigten sich auf Aquarellen aus dem Jahr 1804 – Zeitzeugen eines Handwerks, das heute längst verschwunden ist. Die Thomaskirche, erstmals 1291 urkundlich genannt, stand ursprünglich außerhalb der Mauer, wurde im 14. Jahrhundert im gotischen Stil neu errichtet und prägte die Löbervorstadt über Jahrhunderte hinweg als religiöses und soziales Zentrum.

Wasser in der Stadt: Wilde Gera und Flutgraben
Bis in die 1890er-Jahre war die „wilde Gera“ ein offenes Gewässer, das sich in mäandrierenden Armen durch das Viertel schlängelte. Mit Eröffnung des Flutgrabens 1898 wurde ihr Bett zugeschüttet, die frühere Löberbrücke über die Gera ist seither verschwunden. Eine neue Löbertorbrücke, fertiggestellt 1892, spannt sich noch heute über den künstlich angelegten Graben. Eine spektakuläre Szenerie bot sich am Morgen des 18. Juli 1897, als eine Lokomotive mit voller Wucht einen Prellbock rammte und in die Tiefe stürzte – ein Unglück, das bis heute Stoff für lokale Legenden liefert.

Vom Schützenhaus zur Plattenbausiedlung
An derselben Stelle versammelten sich einst Schützenvereine: Bereits im frühen 16. Jahrhundert erzielten sie erste Treffer, bis 1813 feierten sie hier ihren Abschied vom historischen Schießsport. Der heutige Bürgerschützenchor Erfurt 1463–1990 e. V. führt die Tradition fort, nur wenige Schritte westlich am Steiger. Doch das 20. Jahrhundert brachte weit gravierendere Umbrüche: Im Dezember 1944 wurde das Eckhaus Löberstraße – Gerdösering durch Bomben beschädigt, in den 1970er-Jahren schließlich weichen die letzten Altbauten der ambitionierten Plattenbauplanungen der DDR. Nur ein einziges Eckhaus an der Kreuzung Juri-Gagarin-Ring/Ostseite blieb erhalten – ein stummer Zeuge vergangener Bebauungslinien.

Quellen und Ausblick
Was als virtuelle Dia-Reihe begann, wird begleitet von einer Fülle historischer Karten: Tetekinds Plan aus dem Jahr 1620 zeigt noch die ursprüngliche Trasse der Löberstraße bis zum Bahndamm, Samuel Fritz’ Karte von 1678 dokumentiert Schützenhaus und Schießplatz, Friedrich Bernhard Werners Zeichnung von 1730 das Siechenhaus („Leprosorium“) vor den Toren der Stadt. Dr. Ange Bauer, Direktorin des Stadtarchivs, und ihre Kollegin Anne Palmowski ergänzen die Fotos mit fundierten Erläuterungen im Buch Erfurt in historischen Gärten 1493 bis 1993.

Wer die Geschichten von Mauern und Toren, von Handwerk und Infrastruktur, von Naturgewalten und Neubauvorhaben noch vertiefen möchte, ist eingeladen, auf Facebook oder per E-Mail über neue Beiträge der Reihe informiert zu werden. Denn Erfurt-Süd bleibt ein lebendiges Archiv – und jeder Stein, jedes Fachwerk und jede Brücke erzählen weiter von Menschen, die hier gelebt, gearbeitet und gebaut haben.