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DDR-Offiziere in Moskau: Zwischen politischer Schulung und Gefechtsausbildung

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Wenn DDR-Offiziere in Moskau eintreffen, ist es kein gewöhnlicher Besuch – es ist ein Auftrag im Sinne des Bündnisses zweier Staaten, das sich nicht nur als militärische Kooperation, sondern als weltanschauliche Schicksalsgemeinschaft versteht. In den 1980er-Jahren war es fast alltäglich, dass Angehörige der Nationalen Volksarmee (NVA) über den Flughafen Sheremetyevo in die sowjetische Hauptstadt reisten – und doch war jeder Aufenthalt ein Baustein in der Festigung eines Systems, das militärisches Denken, ideologische Schulung und politische Loyalität eng miteinander verzahnte.

Rund 3.000 DDR-Offiziere haben bis zum Ende der DDR an sowjetischen Militärakademien studiert – ein Studium, das mehr bedeutete als den Erwerb strategischer Fähigkeiten. „Wir sind hier, um das Bündnis unserer Völker zu stärken und uns zu erarbeiten, was friedliche Arbeit heute mehr denn je braucht: den sicheren Weltschutz“, hieß es in einem zeitgenössischen Beitrag über das Leben an der Moskauer Militärakademie Frunze.

Vom Fallschirmjäger zum Diplomierten Kommandeur
Einer von ihnen war Klaus-Dieter Krug. Als junger Hauptmann kam er an die Akademie Frunze, wo vor allem zukünftige Truppenkommandeure ausgebildet wurden. Heute erinnert er sich als Major an die besondere Atmosphäre der Lehranstalt: „Das riesengroße Glück war, an der ältesten Militärakademie der Sowjetunion zu studieren – und direkt an der Praxis zu lernen.“ Gemeint war die Praxis des Gefechts, der Führung unter realitätsnahen Bedingungen, stets unter dem Primat der sowjetischen Militärdoktrin.

Für Krug bedeutete das Studium nicht nur Taktik und Technik, sondern auch den ideologischen Schulterschluss: „Ich kann einschätzen, dass das, was wir an Theorie dort gelehrt bekommen haben, ausreichend war, um die Aufgaben zu erfüllen.“ Doch auch er räumt ein: Die eigentliche Herausforderung wartete in der Heimat, „insbesondere in der Menschenführung im Truppenteil“.

Militär, Politik und persönliche Netzwerke
Ein zentraler Aspekt der Ausbildung in Moskau war die politische Erziehung. Ziel war es, nicht nur Fachleute heranzubilden, sondern „charakterlich und politisch gefestigte Persönlichkeiten“. In einer Welt, in der das Militär stets auch Träger der sozialistischen Idee war, musste jeder Kommandeur auch ideologischer Vorbild sein.

Diese Schulung hinterließ Spuren – auch im persönlichen Verhältnis zu sowjetischen Offizieren. Krug beschreibt die Freude, nach seiner Rückkehr in DDR-Kasernen auf Kameraden aus der Studienzeit zu treffen: „Das Verständnis bei der Ausbildung im Leben und – wenn es sein muss – auch im Gefechtsfeld ist dadurch gegeben.“

Rituale der Zugehörigkeit
Den Abschluss dieser engen Verbindung zwischen Militär und Staat bildeten symbolische Akte wie die alljährliche Parade am 7. Oktober, dem Tag der Republik. „Diese 24 Sekunden der Vorbeifahrt entschädigen für die viele Arbeit“, so Krug, der mehrfach an der Parade teilnahm – als Offizierschüler, als Leutnant, als Oberleutnant. „Es ist ein Gefühl der Freude, aber auch des Stolzes, dort mit den anderen Truppenteilen die Geschlossenheit unserer Armee zu demonstrieren.“

Rückblick auf eine vergangene Welt
Heute, im Rückblick, erscheint diese Welt fern – nicht nur räumlich, sondern auch geistig. Die Sprache, die Bilder und das Pathos solcher Berichte wirken wie aus einer anderen Zeit. Und doch erlauben sie einen tiefen Einblick in das Selbstverständnis einer Armee, die sich als Teil eines größeren Ganzen verstand – des Weltsozialismus unter sowjetischer Führung.

Das Beispiel von Major Krug steht stellvertretend für ein Kapitel deutsch-sowjetischer Militärgeschichte, das – fernab von Manövern und Marschmusik – auch eine Erzählung von Loyalität, Ausbildung und gegenseitigem Vertrauen war. Und von einem Anspruch, der weit über das Gefechtsfeld hinausging.

Karl May in der DDR: Zwischen Verbannung und heimlicher Verehrung

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In einer Gesellschaft, in der Literatur nicht selten als ideologisches Instrument galt, spielte der Schriftsteller Karl May – trotz oder gerade wegen der Zensur – eine überraschend ambivalente Rolle. Trotz der ablehnenden Haltungsgrundsätze der DDR gegenüber scheinbar „trivialer“ Unterhaltung blieb der Mythos um Winnetou und Old Shatterhand lebendig, wenn auch im Verborgenen.

Ein ambivalentes Kulturerbe
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann in der sowjetischen Besatzungszone eine Phase, in der Karl May als „Unperson“ galt. Zwar wurden seine Werke nicht explizit verboten, doch passten sie nicht in das streng reglementierte Kulturprogramm einer sozialistischen Gesellschaft. Während sich offizielle Institutionen und Kulturpolitiker vehement gegen die westliche Abenteuerliteratur stellten, fand der Autor auf inoffiziellen Pfaden und im privaten Kreis seinen heimlichen Kreis von Bewunderern.

Das Ringen um Anerkennung
Ein erster Versuch, Karl Mays Erzählungen einem neuen Publikum zugänglich zu machen, gelang 1958. Der Verlag der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft veröffentlichte eine May-Erzählung in der Jugendreihe, die allerdings bald zum isolierten Einzelfall wurde. Die Reaktionen – von scharfem Tadel in Fachkreisen bis zu hitzigen Debatten in der Literaturszene – zeigten, wie gespalten die Meinung über den „Lügenbold aus Erzgebirge“ war.

Obwohl offizielle Zensur und ideologische Bedenken Karl Mays Ruf beeinträchtigten, konnte sich sein Kult fortsetzen. Altbestände, oft aus Radebeul, wurden zu begehrten Sammlerobjekten. Familien hüteten ihre Exemplare in staubigen Regalen, um bei Gelegenheit ein Stück „freiheitlicher“ Literaturgeschichte zu bewahren.

Unerwartete Renaissance: Von Comics bis Rennpferde
Trotz – oder gerade wegen – der offiziellen Skepsis fanden sich immer wieder kreative Umwege, um den Namen Karl May lebendig zu halten. Die Erfolgsgeschichte der DDR-Comicreihe „Mosaik“ beweist, dass sich das Interesse an der Abenteuerwelt von Winnetou und seinen Gefährten nicht unterdrücken ließ. So dienten gezeichnete Adaptionen der May-Welt als ein lockeres Ventil in einer Zeit strenger ideologischer Vorgaben.

Auch in anderen Bereichen kam es zu amüsanten Begebenheiten: So trug ein Rennpferd in den 1970er Jahren den Namen Winnetou, und selbst Hobbygärtner ließen sich vom Kulturphänomen inspirieren und kreierten essbare Varianten unter diesem Namen. Diese Beispiele zeigen eindrücklich, wie tief Karl Mays Faszination in das Alltagsleben der DDR-Einwohner eingedrungen war.

Wissenschaftliche Neubewertung und offizielle Öffnung
Erst in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre setzte eine schrittweise Wende ein: Offizielle wissenschaftliche Auseinandersetzungen und die erste positive literaturkritische Bewertung durch Experten – exemplarisch zu nennen ist Heiner Plauls Beitrag im Jahre 1979 – legten den Grundstein für eine allmähliche Rehabilitierung des Autors.

Der eigentliche Wendepunkt kam in den frühen 1980er Jahren: Mit verstärkten medientechnischen Aktivitäten im Fernsehen und Hörfunk kam es zu einer heimlichen, aber spürbaren Wiederbelebung der Karl-May-Kultur. Die Öffnung und damit die Liberalisierung der Kulturpolitik gipfelte letztlich in der Wiedererrichtung des Geburtshauses Karl Mays in Hohenstein-Ernstthal, das 1985 als Museum seine Tore öffnete und somit ein dauerhaftes Zeugnis des ambivalenten Erbes des Autors darstellt.

Schatten der Staatssicherheit
Selbst in dieser Phase der Öffnung ließ sich Karl May nicht gänzlich der ideologischen Bevormundung entziehen. Die Stasi, das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit, nahm die Faszination um den Autor zum Anlass, auch die literarische Szene zu überwachen. Spitzel mit Decknamen wie „Karl“, „Harald“ oder „Landgraf“ infiltrierten die Szene, um jeden Hinweis auf unerwünschte Einflüsse im Keim zu ersticken. Diese Überwachung unterstreicht den Grad, in dem selbst die scheinbar unpolitische Literatur der DDR zu einem Spiegelbild der gesellschaftlichen Kontrolle wurde.

Der Weg Karl Mays in der DDR war von Widersprüchen geprägt: Offizieller Verdrängung und ideologischer Ablehnung standen eine tiefe, beinahe subversive Begeisterung und heimliche Verehrung gegenüber. Während die Kulturpolitik der DDR versuchte, den Einfluss westlicher Literatur auf die sozialistische Gesellschaft zu minimieren, bewahrten sich die Bürger – ob durch das Sammeln alter Ausgaben, in Comics oder humorvollen Vergleichen – ein Stück Freiheit und Identität. Heute steht die Geschichte Karl Mays in der DDR als eindrückliches Beispiel für den oft schmalen Grat zwischen staatlicher Ideologie und der unbezähmbaren Kraft der Literatur.

Geheime Elite: Ein Blick hinter die Kulissen der DDR-Kampfschwimmer

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Rostock/Kühlungsborn. In einem fast vergessenen, windgepeitschten Militärobjekt an der Ostseeküste, das einst als Ausbildungsstätte der Kampfschwimmer der Volksmarine diente, öffnen ehemalige Soldaten ihre Erinnerungen an eine Zeit, in der Geheimhaltung und militärische Innovation Hand in Hand gingen. Heute erzählt Karl Heinz Müller, einst Offizier der Volksmarine, von den hochspezialisierten Einsätzen der 100 Mann starken Kampfschwimmereinheit – Elite-Soldaten, die unter strengster Auswahl und mit außergewöhnlichen körperlichen und geistigen Voraussetzungen operierten.

Training und Taktik im Schatten der Geheimhaltung
„Sie waren nachts aktiv, fast unsichtbar und agierten an allen Fronten“, erinnert sich Müller. Der ehemalige Offizier berichtet von aufwendigen Ausbildungsprogrammen, die nicht nur intensives Tauchen, sondern auch Fallschirmsprünge und Nahkampftraining umfassten. Die Soldaten lernten, an feindliche Küsten anzulanden, Radar- und Funkleitstationen zu sabotieren und sogar Raketenstellungen zu zerstören – Fähigkeiten, die bis heute in geheimen militärischen Trainings nicht vernachlässigt werden.

Die Trainingsstätten selbst, einst durch Sperrzonen und unübersehbare Schießplätze gesichert, waren wahre Labore der militärischen Kreativität. Unter der Anleitung erfahrener Offiziere und mit modernsten Tauchgeräten – teils Kreislaufsysteme, die heute kaum mehr im zivilen Bereich zu finden sind – wurden die Kampfschwimmer auf Einsätze vorbereitet, bei denen jede Sekunde und jede Bewegung über Erfolg oder Scheitern entscheiden konnte.

Ein Leben zwischen Geheimnissen und Härtetests
Die Ex-Kämpfer, darunter auch Wolfram Wecke und Horst Kerzig, blicken mit einer Mischung aus Stolz und Wehmut auf ihre aktive Zeit zurück. Während der reguläre Dienst heute von touristischen Wiederbelebungen und gelegentlichen Sommer-Tauchgängen geprägt ist, zeugt das gelegentliche Wiederauftauchen der alten Geräte von einer Ära, in der militärischer Nervenkitzel und der Nervenkitzel des Unbekannten den Alltag bestimmten. Bei Temperaturen von nur vier Grad im Wasser mussten sie ihre körperlichen Grenzen austesten – und das oft unter Bedingungen, die selbst heute noch als Härtetest gelten würden.

Die Schattenseiten einer glorreichen Vergangenheit
Doch der militärische Ruhm hatte auch seinen Preis. Politische Zuverlässigkeit und die vermeintliche Abgrenzung von westlichen Einflüssen waren unerlässliche Voraussetzungen, die oft auch persönliche Schicksale bestimmten. Die Geschichten der Kampfschwimmer zeigen, wie stark der Druck auf die Männer war, in einem System zu funktionieren, das sich durch Geheimniskrämerei und militärische Überlegenheit definierte. Die Erinnerung an jene Tage bleibt zugleich faszinierend und beängstigend – ein Kapitel, in dem Abenteuerlust und die eiserne Disziplin einer Staatsdoktrin miteinander verschmolzen.

Ein Vermächtnis im Wandel der Zeit
Heute, mehr als drei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer, werden die Spuren jener Zeit immer unschärfer. Die ehemaligen Trainingslager sind längst von der Natur zurückerobert worden – und doch zeugen Relikte, wie die speziellen Kreislauftauchgeräte, von einer Ära, in der außergewöhnliche militärische Konzepte ausprobiert wurden. Die Erinnerungen der ehemaligen Kampfschwimmer lassen uns in eine Welt eintauchen, die von Geheimnissen, Härte und dem stetigen Streben nach Perfektion geprägt war.

Die Dokumentation dieser Geschichten ist mehr als eine nostalgische Rückschau. Sie liefert Einblicke in eine Zeit, in der militärische Taktiken und die Bereitschaft zum Extrem-Einsatz als Staatsgeheimnisse galten – und stellt zugleich die Frage, wie eng das Spannungsfeld zwischen Pflicht, Ehre und persönlicher Freiheit in einem totalitären System wirklich war.

Wie Erich Honecker den alten Meister Walter Ulbricht ablöste

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Ein Wechsel an der Spitze der DDR, der den Lauf der Geschichte veränderte. Über Jahrzehnte hatte Walter Ulbricht die Geschicke des sozialistischen Staates gelenkt, doch im Verborgenen formte sich der Aufstieg seines einstigen Schülers Erich Honecker, der schließlich den Taktstock übernahm.

Im Herzen der DDR war Walter Ulbricht über Jahrzehnte der unangefochtene Herrscher. Sein Bild – der „starke Mann“, der mit eiserner Hand und unermüdlichem Arbeitseifer den Staat formte – prägte eine ganze Generation. Dabei galt Ulbricht nicht nur als Verwaltungsgenie, sondern vor allem als loyaler Diener der sowjetischen Führung. In einer Zeit, in der der Marxismus-Leninismus vor allem als Instrument zur Machterhaltung diente, war er der verlängerte Arm Moskaus in Deutschland.

Doch hinter der Fassade eines unerschütterlichen Parteiveteranen brodelte bereits leise der Wandel. Im Schatten der Machtformeln und Parteisitzungen regte sich der Wille eines Mannes, der aus dem Lehrjahren des alten Meisters lernte und bald selbst die Zügel in die Hand nahm. Erich Honecker, dessen politische Karriere schon früh von antifaschistischen Kämpfen und einem bedingungslosen Eifer für die SED geprägt war, entwickelte sich unmerklich vom loyalen Gefolgsmann zum ambitionierten Gestalter des Staates.

Vom Schüler zum Machtspieler
In den frühen Jahren der DDR stand Honecker an Ulbrichts Seite – als „bester Schüler“ und verlässlicher Mitstreiter. Sein antifaschistischer Lebenslauf sowie die unerschütterliche Treue zur Partei verschafften ihm das Vertrauen des langjährigen Staatslenkers. In einer Zeit, in der die Gründung und der Aufbau eines neuen Staates mit enormen Herausforderungen verbunden waren, galt es, loyale Weggefährten zu haben. Honecker erfüllte diese Rolle in vollem Umfang und profitierte von Ulbrichts Nähe zur sowjetischen Führung, die das Rückgrat der DDR-Macht darstellte.

Mit dem wachsenden Druck von innen und außen, insbesondere nach den Erschütterungen des Volksaufstands vom 17. Juni 1953, zeigte sich jedoch, dass hinter der glatten Fassade der Parteiführung weitere Machtspiele stattfanden. Während Ulbricht sich bemüht hatte, den „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“ zu forcieren – eine Politik, die mit Versorgungsengpässen und wachsendem Unmut in der Bevölkerung einherging – nutzte Honecker geschickt die Gelegenheit, sich innerhalb der Partei eine eigene Machtbasis aufzubauen.

Die stille Vorbereitung des Umsturzes
Die Wende sollte sich erst im Sommer 1970 zuspitzen. Ulbrichts Versuch, Honecker abzusetzen, offenbarte nicht nur die innerparteilichen Risse, sondern auch die schwindende Autorität des einstigen Staatslenkers. Anstatt den Schritt als Rückschlag zu werten, diente dieses Ereignis als Katalysator für Honeckers Aufstieg. In einem politischen Schachspiel, das sowohl auf dem Parkett der innerparteilichen Macht als auch im diplomatischen Gefüge zwischen Ost und West ausgetragen wurde, wandte sich Honecker an den sowjetischen Botschafter. Mit der Unterstützung Moskaus gelang es ihm, Ulbrichts Vorstoß rückgängig zu machen – ein klares Signal dafür, dass die Unterstützung der UdSSR für den Alten längst nicht mehr selbstverständlich war.

Der endgültige Bruch erfolgte im Frühjahr 1971, als Honecker sich direkt an den sowjetischen Machthaber Leonid Breschnew wandte. In einem von seinen Getreuen verfassten Schreiben kritisierte er öffentlich die Schwächen und negativen Charakterzüge Ulbrichts. Das Schreiben, das in den politischen Kreisen der DDR und Moskaus für Aufsehen sorgte, trug maßgeblich dazu bei, dass Ulbrichts Macht schlagartig ins Wanken geriet. Bei einem abschließenden, anderthalbstündigen Gespräch in Ulbrichts Sommerresidenz zeigte sich der einst so mächtige Staatslenker sichtlich erschöpft und resigniert – und willigte ein, seinen Rücktritt einzureichen.

Ein neuer Kurs in der DDR
Der VIII. Parteitag der SED im Mai 1971 markierte den Wendepunkt: Walter Ulbricht wurde seines Amtes als Erster Sekretär enthoben und somit aus der eigentlichen Machthierarchie verbannt. Sein Abgang war nicht nur ein Symbol für das Ende einer Ära, sondern auch für den Beginn einer neuen, in der Erich Honecker als unangefochtener Führer der DDR hervorging. Unter Honeckers Führung sollte die DDR – trotz einiger Versuche, sich von Ulbrichts autoritärem Stil zu distanzieren – weiterhin auf bewährten Strukturen der Parteidisziplin und Kontrolle beharren.

Die Machtübernahme hatte auch tiefgreifende Auswirkungen auf die Beziehung zwischen der SED und der sowjetischen Führung. Während Ulbricht als der „Vertrauensmann“ Moskaus galt, musste nun ein Mann an die Spitze, der gleichermaßen pragmatisch und opportunistisch agierte. Honeckers Politik, die nach anfänglichen sozialen Wohltaten und einer gewissen Popularitätssteigerung strebte, geriet in den folgenden Jahren unter den wachsenden Druck der gesellschaftlichen Umbrüche, die schließlich im Herbst 1989 ihren Höhepunkt fanden und den Untergang der DDR einläuteten.

Ein Vermächtnis im Schatten der Macht
Die Geschichte der DDR ist untrennbar mit den Figuren Ulbricht und Honecker verknüpft – zwei Männer, die unterschiedlicher nicht sein konnten und dennoch untrennbar miteinander verbunden waren. Während Ulbricht als der Architekt des Staates und Verfechter eines starren Machtapparats in Erinnerung bleibt, gilt Honecker als der Taktgeber, der den alten Kurs beendete und den Weg in eine neue, wenn auch ebenso autoritäre Ära ebnete.

Der Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker ist mehr als nur ein Wechsel in der Parteiführung. Es ist ein Spiegelbild der politischen Dynamiken der DDR, in denen Loyalität, persönliche Ambitionen und der Einfluss externer Mächte – insbesondere der Sowjetunion – miteinander verflochten waren. Ulbrichts schleichender Fall und Honeckers strategischer Aufstieg zeigen, wie sich selbst in den scheinbar unerschütterlichsten Systemen Risse und Veränderungen abzeichnen können.

Während die Geschichte die Namen beider Staatslenker weiterleben lässt, bleibt die Frage, inwieweit der Machtwandel von Honecker den Weg für den späteren Untergang der DDR ebnete. Der Umbruch im Herbst 1989 sollte schließlich zeigen, dass kein System, egal wie fest verankert, vor den Kräften des Wandels sicher ist.

In einer Ära, in der Macht und Politik oft hinter verschlossenen Türen entschieden wurden, bleibt die Ablösung des alten Meisters durch seinen einstigen Schüler ein eindrucksvolles Beispiel für den schleichenden Wandel in einem System, das sich als unverrückbar erwies – bis es eines Tages zerbrach.

Die kuriose und innovative Welt der Konsumgüterproduktion in der DDR

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In der Deutschen Demokratischen Republik war chronische Mangelwirtschaft Alltag – ein Umstand, der zu ungewöhnlichen Produktionsstrategien führte. Um das knappe Warenangebot zu erweitern, ordnete die Staatsführung an, dass große Industriekombinate fünf Prozent ihrer Kapazitäten für Konsumgüter einsetzen sollten. Diese Maßnahme sollte zwar primär die Bedürfnisse der Bevölkerung decken, entwickelte sich aber bald zu einem Balanceakt zwischen wirtschaftlicher Logik und pragmatischer Improvisation.

Plüschtiere statt Kohle
Ein besonders verblüffendes Beispiel liefert das Braunkohlenwerk Weltsow. Zwischen 1984 und 1989 nähten ehemalige Bergleute im Tagebau Plüschtiere – Hasen, Katzen, Elefanten und mehr. Für den anfangs skeptischen Produktionsdirektor, dessen Expertise in der Kohleförderung lag, war dies ein radikaler Kurswechsel. Doch was als Notlösung begann, erwies sich als willkommene Alternative zur anstrengenden Schichtarbeit im Bergbau und trug zudem zur Exportbilanz der DDR bei. Täglich entstanden rund 6.000 Plüschtiere, von denen ein Drittel in den Westen und ein weiteres Drittel in sozialistische Partnerstaaten wie die Sowjetunion exportiert wurde.

Kreativität in der Schwerindustrie
Auch in anderen Industriezweigen blühte eine unerwartete Kreativität auf. So wurden im Eisenhüttenkombinat Ost Metallregale, Kerzenhalter, Kannenwärmer und sogar Ersatzteile für den ostdeutschen Wartburg 353 gefertigt. Die 5-Prozent-Bestimmung führte in vielen Betrieben zu einer kuriosen Vermischung von traditioneller Schwerindustrie und Konsumgüterproduktion. Im Schiffbau etwa, wo trotz wirtschaftlicher Unvernunft Hollywoodschaukeln und Heimwerkerwerkbänke hergestellt wurden, wurde klar: Es ging nicht immer um Effizienz, sondern um das Überleben der Volkswirtschaft.

Technik und Taktik – Der Kühlautomat 320
Ein weiteres Highlight war der Dreitemperaturzonen-Kühlschrank „Kühlautomat 320“ des VEB Kühlautomat in Berlin. Ursprünglich spezialisiert auf industrielle Kälteanlagen für Hochseeschiffe, setzte man hier auf westliche Konkurrenzanalysen, um ein technologisch fortschrittlicheres Gerät zu entwickeln. Auch wenn das Projekt letztlich kostenintensiv blieb, zeigt es den Innovationsgeist in einem System, das ständig an den Grenzen seiner Möglichkeiten operierte.

Zwischen Erfolg und Scheitern
Die Konsumgüterproduktion in der DDR war ein Spiegelbild der Widersprüche der Planwirtschaft. Auf der einen Seite zeigten zahlreiche Projekte, wie die Produktion von Stahlrohrmöbeln, dass Improvisation und Engagement zu nachhaltigen Erfolgen führen konnten. Auf der anderen Seite offenbarten Produkte wie der „Biogrill“ oder überzählige Handbohrmaschinen, dass Fehlplanungen und Missverständnisse in der Bedarfseinschätzung nicht die Ausnahme waren.

Das Erbe einer vergangenen Ära
Mit der Wende endete auch das kuriose Experiment der Konsumgüterproduktion in den DDR-Kombinaten abrupt. Viele der eigens mit großem Aufwand hergestellten Artikel verloren ihren Marktwert. Heute erleben jedoch manche dieser Produkte – von Hähnchenbechern bis zu Designmöbeln – eine Renaissance. Sie sind nicht nur Erinnerungsstücke an eine vergangene Zeit, sondern auch Symbole für die Kreativität und den Überlebenswillen der DDR-Wirtschaft inmitten der Unzulänglichkeiten der sozialistischen Planwirtschaft.

Die Geschichte der Konsumgüterproduktion in der DDR bleibt ein faszinierendes Kapitel deutscher Wirtschaftsgeschichte – ein Zeugnis davon, wie Notwendigkeit oft zu ungewöhnlichen, aber auch innovativen Lösungen führte.

Metallgießerei in der DDR: Ein Blick in die Vergangenheit der Stahlproduktion

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In den 1970er Jahren erlebte die Stahlindustrie der DDR einen bedeutenden technologischen Wandel. Die Metallgießerei, eine der ältesten Fertigungstechniken der Menschheit, war auch damals ein zentraler Bestandteil der industriellen Produktion. Der Prozess, flüssiges Metall in eine vorbereitete Gießform zu gießen, hat sich über Jahrtausende kaum verändert. Doch in der DDR wurde dieser uralte Vorgang durch Mechanisierung und technische Innovationen revolutioniert.

Bereits im antiken Ägypten wurde Metall gegossen, und auch im Feudalismus blieb das Verfahren ein wesentlicher Bestandteil der Produktion. Über Jahrhunderte hinweg wurden Waffen, Schmuck und alltägliche Gebrauchsgegenstände aus Gussstücken hergestellt. Auch im Frühkapitalismus entwickelten sich die Techniken weiter, wie die kunstvoll gestaltete gusseiserne Treppe aus jener Zeit zeigt. Diese Entwicklung setzte sich bis in die industrielle Revolution fort.

In den 1970er Jahren, in einer Stahlgießerei der DDR, lief der Prozess jedoch nicht mehr ausschließlich von Hand. Der Arbeitsalltag der Gießereiarbeiter war von traditioneller Handarbeit geprägt, doch die mechanisierte Produktion hielt Einzug. Maschinen, die das Füllen der Formkästen und das Verdichten des Formsandes übernahmen, erleichterten die körperlich schwere Arbeit. Die Gießereifacharbeiter mussten nicht nur mit den traditionellen Methoden vertraut sein, sondern auch zunehmend die neuen Maschinen bedienen und steuern.

Der Arbeitsablauf in der Stahlgießerei war präzise und methodisch. Zunächst wurde ein Modell des Gussstücks erstellt, das dann in Formsand eingebettet und verdichtet wurde. Nachdem das Modell entfernt wurde, wurde die flüssige Metallmasse in die vorbereitete Form gegossen. Die Schmelze füllte die Gießform, während die Gase durch die Steigeröffnung entweichen konnten. Nach dem Erkalten des Metalls wurde das fertige Gussstück entnommen und bearbeitet.

Ein weiterer technischer Schritt war die Einführung von mechanisierten Fertigungsstrecken. Maschinen übernahmen das Wenden und Zulegen der Formkästen, wodurch die Fertigung effizienter und weniger arbeitsintensiv wurde. Trotz dieser Mechanisierung blieb das Wissen des Gießereifacharbeiters entscheidend. In der Zukunft, so hieß es in der Dokumentation von 1972, sollten Gießereispezialisten vollautomatisierte Fertigungsstraßen überwachen und steuern können.

Die Entwicklungen in der DDR-Metallgießerei waren nicht nur ein Spiegelbild der industriellen Fortschritte der damaligen Zeit, sondern auch ein Indiz für den gesellschaftlichen Wandel. Die Arbeit der Gießereifacharbeiter wurde zunehmend durch Technik unterstützt, doch der Mensch blieb ein zentraler Faktor. Die Verbindung von Tradition und Moderne, Handwerk und Technologie, prägte die metallurgische Landschaft der DDR und zeigte auf, wie sehr die industrielle Fertigung von einem ständigen Wechsel zwischen althergebrachten Methoden und innovativen Ansätzen lebte.

Dieser Blick auf die Stahlgießerei in der DDR verdeutlicht nicht nur die Technologiefortschritte, sondern auch die bedeutende Rolle der Arbeiter in der Umsetzung und Weiterentwicklung dieser Prozesse – eine Rolle, die oft im Schatten der Maschinen steht, aber ohne die Expertise und das Wissen der Fachkräfte nicht denkbar wäre.

Privatfilm aus DDR Zeiten zeigt seltene Aufnahmen aus Karlshorst und Potsdam

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Ein historischer Super-8-Film gewährt intime Einblicke in das Leben der DDR – fernab von Staatsakten und Paraden. Der Streifen, vermutlich Ende der 1970er oder Anfang der 1980er Jahre entstanden, dokumentiert in ruhigen, beinahe poetischen Bildern den Alltag einer Berliner Familie. Zwischen Bahnhofsszenen, Frühstückstisch und Schlosspark entsteht ein lebendiges Porträt jener Zeit – ohne Kommentarton, dafür mit umso mehr Atmosphäre.

Der Film beginnt auf dem Bahnhof Berlin-Karlshorst, wo ein seltener Eilzug der Baureihe 118 – unter Eisenbahnfreunden liebevoll „Dicke Berta“ genannt – einfährt. Der bullige Dieselriese, einst Stolz der DDR-Schieneninfrastruktur, ist in ruhigen Farben gefilmt, eingerahmt von wartenden Fahrgästen. Es folgen kurze Einstellungen aus dem Innenraum des Zuges: ein Zugfenster, ein Blick hinaus – dann eine ältere Dame. Vielleicht ist sie die Großmutter der Familie, die diesen Film aufgenommen hat.

In der nächsten Szene sitzt dieselbe Frau mit ihren Angehörigen am Frühstückstisch. Marmelade, gekochte Eier und ein Hund – ein Dackel – geben der Situation eine fast mediterrane Leichtigkeit, ungewöhnlich für DDR-Klischees. Auch ein Verwandter auf dem Fahrrad wird eingefangen: mit Einkaufstaschen kehrt er heim und reiht sich in die Frühstücksrunde ein.

Dann wechselt der Schauplatz: Potsdam. Vor dem Nauener Tor stauen sich Trabanten. Die Kamera verweilt auf Details – Menschen, die sich unterhalten, ein Kind, das mit einem Luftballon spielt. Im Hintergrund schiebt sich ein Bus der Reichsbahn ins Bild. Die Aufnahmen zeigen eine belebte Straße, aber auch die Ruhe der Stadt, wie sie heute kaum noch zu erleben ist.

Ein Höhepunkt des Films ist der Besuch des Schlosses Sanssouci. Die Kamera tastet sich ehrfürchtig durch die Innenräume, schwenkt über Parkwege, Terrassen und Statuen. Touristen mit Ostkamera, Kinder auf Parkbänken – es sind Momentaufnahmen eines Kulturerbes, das auch in der DDR von Bedeutung war.

Am Ende kehrt der Film in den Alltag zurück: Ein Mann, wohl der Vater, kniet neben seinem Trabant, Motorhaube geöffnet, Werkzeuge auf dem Boden. Es ist eine stille Hommage an das Improvisationstalent und die Selbsthilfementalität der DDR-Bürger – und ein würdiger Schlusspunkt dieser privaten Zeitreise.

Was diesen Film besonders macht, ist seine Unaufgeregtheit. Er zeigt keine dramatischen Wendepunkte, keine politischen Parolen. Stattdessen: das Leben, wie es war – mit Zügen, Zäunen, Zigaretten, Frühstück und Familienliebe. Und vielleicht ist gerade das die größte historische Leistung dieses kleinen Films.

Alexanderplatz 1989 – Der letzte Ruf zur Freiheit

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Am 4. November 1989 versammelten sich in der Mitte von Ost-Berlin ca. 500.000 Menschen zum bislang größten, nicht staatlich gelenkten Demonstrationszug in der Geschichte der DDR. Unter dem Titel „Demonstration gegen Gewalt und für verfassungsmäßige Rechte“ forderte das Volk – initiiert vom Neuen Forum und verschiedenen Künstlerverbänden – Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie die Achtung verfassungsmäßiger Rechte.

Ein Meilenstein der friedlichen Revolution
Die Alexanderplatz-Demonstration war ein entscheidender Moment in der Geschichte der DDR. Als erste offiziell genehmigte, aber vom Volk ausgerichtete Demonstration, setzte sie ein kraftvolles Zeichen gegen die jahrzehntelange staatliche Repression. Unter dem wachsamen Auge eines live im DDR-Fernsehen übertragenen Ereignisses zeigte sich, dass der Ruf nach Freiheit und Demokratie nicht länger ignoriert werden konnte.

Der Ablauf und die Route der Demonstration
Der Demonstrationszug startete um 10 Uhr vor dem ADN-Gebäude an der Mollstraße Ecke Prenzlauer Allee. Von dort zog die Menschenmenge über die Karl-Liebknecht-Straße bis zum Palast der Republik, umrundete diesen über den Marx-Engels-Platz und führte schließlich über die Rathausstraße zum Alexanderplatz – dem Ort der dreistündigen Abschlusskundgebung. Die beeindruckende Route spiegelte den entschlossenen Marsch der Bevölkerung wider, die sich von den Fesseln der alten Ordnung befreien wollte.

Stimmen des Aufbruchs
Über 20 Rednerinnen und Redner – darunter namhafte Politiker, Intellektuelle, Künstler und Aktivisten – ergriff das Wort. Unter ihnen waren:

  • Manfred Gerlach und Günter Schabowski als Vertreter der etablierten Ordnung, deren Beiträge immer wieder von Sprechchören und Pfeifkonzerten unterbrochen wurden.
  • Friedrich Schorlemmer, Theologe und Pfarrer, der mit eindringlichen Appellen zu Solidarität und Toleranz aufrief.
  • Gregor Gysi, Rechtsanwalt, Lothar Bisky, Hochschulrektor, Christoph Hein und Stefan Heym als Vertreter des intellektuellen Widerstands.
  • Christa Wolf, Heiner Müller und Jens Reich vom Neuen Forum, die den kulturellen und politischen Wandel mitgestalteten.
  • Vertreter der Initiative Frieden und Menschenrechte wie Marianne Birthler sowie Schauspieler wie Steffie Spira, Ulrich Mühe und Jan Josef Liefers.
  • Auch Liedermacher wie Kurt Demmler und Gerhard Schöne sorgten für musikalische Untermalung.

Besonders bemerkenswert war, dass Angehörige der Volkspolizei kaum sichtbar blieben. Freiwillige Ordner, gekennzeichnet durch farbige Schärpen mit der Aufschrift „Keine Gewalt“, übernahmen diese Rolle, während die Ost-Berliner Grenztruppen in erhöhter Alarmbereitschaft waren – ein Spiegelbild der Furcht der DDR-Führung vor einem möglichen Durchbruch der Demonstranten zur Berliner Mauer.

Ein bleibendes Erbe
Die Alexanderplatz-Demonstration markierte einen Wendepunkt in der DDR. Sie bewies, dass echte politische Veränderung von unten kommen kann – durch den gemeinsamen, friedlichen Widerstand einer Bevölkerung, die genug von staatlicher Unterdrückung und Repression hatte. Der unerschütterliche Ruf nach Freiheit, wie er an diesem Tag laut wurde, trug maßgeblich dazu bei, den Weg für den Mauerfall und den Beginn eines neuen Kapitels in der deutschen Geschichte zu ebnen.

Heute, mehr als drei Jahrzehnte später, erinnert uns der Geist dieses Tages daran, wie wichtig es ist, für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte einzustehen. Die Ereignisse am Alexanderplatz sind ein Mahnmal für die Kraft des friedlichen Protests und für die unerschütterliche Überzeugung, dass der Wille des Volkes letztlich jede autoritäre Macht überwinden kann.

Feuer, Form und Fortschritt – Alltag in der DDR-Gießerei 1972

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In den Stahlgießereien der DDR formten Arbeiter nicht nur Metall – sie prägten auch das Selbstverständnis des sozialistischen Produktionsalltags. Ein Rückblick auf eine vergangene Arbeitswelt, die auf Wissen, Disziplin und Gemeinschaft setzte.

Der Geruch von heißem Metall, das rhythmische Stampfen der Verdichtungsmaschinen und die konzentrierten Bewegungen der Former – in einer DDR-Gießerei im Jahr 1972 herrschte ein Takt aus Präzision, Kraft und kollektivem Bewusstsein. Metallgießen, eines der ältesten Urformverfahren der Menschheit, war in der Deutschen Demokratischen Republik nicht nur ein technischer Prozess, sondern ein Symbol für die Verbindung von Tradition und sozialistischer Industriepolitik.

In einem Filmbeitrag aus jenem Jahr wird der gesamte Ablauf der Herstellung eines Gussteils – konkret einer Flanschbuchse – dokumentiert. Vom hölzernen Modellbau über das Einformen in Sandkästen bis zum Gussvorgang selbst entfaltet sich ein minutiös geplanter Arbeitsprozess, bei dem menschliches Geschick und maschinelle Unterstützung Hand in Hand gehen. Dabei wird deutlich: Auch wenn sich das Grundprinzip des Gießens seit Tausenden von Jahren nicht verändert hat, so strebte die DDR-Wirtschaft nach stetiger Verbesserung – und nach der umfassenden Mechanisierung der Produktion.

Die Stahlgießerei war ein Ort, an dem der „Gießereifacharbeiter“ nicht nur seine körperliche Belastbarkeit unter Beweis stellen musste, sondern auch technisches Verständnis und Präzision. Schon in den 1970er-Jahren zeichnete sich der Übergang zur automatisierten Fertigung ab: Maschinen übernahmen immer mehr Schritte – von der Sandverdichtung bis zum Wenden der Formkästen. Dennoch blieb das Know-how der Facharbeiter unverzichtbar. Der Film betont: „An das Wissen des Gießereifacharbeiters müssen jedoch immer höhere Anforderungen gestellt werden.“

Im Einklang mit der sozialistischen Ideologie der Zeit wird nicht nur die Technik, sondern auch der Mensch in den Mittelpunkt gestellt – als Träger des Fortschritts. Der Arbeitsplatz in der Gießerei war hart, aber er bedeutete auch Stolz, Verantwortung und Teilhabe am Aufbau des Sozialismus. Die Dokumentation schließt mit einem optimistischen Blick in die Zukunft: Gießereispezialisten sollen bald saubere, vollautomatisierte Fertigungsstraßen „mit wenigen Handgriffen vom Schaltpult aus steuern und überwachen“.

Heute wirkt diese Vision wie ein Echo aus einer untergegangenen Welt. Doch der Blick zurück zeigt nicht nur die Entwicklung der Technik – er erinnert auch an eine Zeit, in der Arbeit und Ideologie eng verwoben waren. In den glühenden Formen der Gießerei spiegelte sich mehr als nur geschmolzenes Metall: Sie standen für einen gesellschaftlichen Entwurf, der Arbeit als Motor der Geschichte verstand.

Tarifabschluss im öffentlichen Dienst: Kommunen schlagen Alarm

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Berlin. Der Tarifkompromiss für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen sorgt für scharfe Kritik aus den Reihen der kommunalen Spitzenverbände. Besonders die Landkreise sehen sich durch die finanziellen Folgen des Abschlusses erheblich belastet. Der Präsident des Deutschen Landkreistages (DLT), Landrat Dr. Achim Brötel, spricht von einem „schmerzhaften Kompromiss“, der die Kommunalhaushalte an den Rand der Belastbarkeit bringe.

„Die Kommunen, die wesentlich mehr Beschäftigte als der Bund haben, müssen den Löwenanteil dieses Abschlusses schultern“, so Brötel. Allein für die Tarifbeschäftigten entstünden dauerhaft jährliche Mehrkosten von bis zu 10,6 Milliarden Euro. Sollte der Abschluss auf die Beamtinnen und Beamten übertragen werden, könnten die Kosten noch deutlich steigen.

Brötel zeichnet ein dramatisches Bild der finanziellen Lage vieler Kommunen. „Man kann ohne Übertreibung sagen: Die Hütte brennt, und zwar lichterloh. Überall sind momentan die Haushalte im freien Fall.“ Vor diesem Hintergrund hält er den Tarifabschluss für nicht tragbar. „So etwas überschreitet die kommunale Schmerzgrenze.“

Obwohl die ursprünglichen Forderungen der Gewerkschaften ver.di und dbb beamtenbund und tarifunion nach Ansicht Brötels noch deutlich höher ausgefallen seien, ändere das nichts an der grundsätzlichen Problematik: „Wir können uns diesen Abschluss im Grunde nicht leisten. Er vertieft unsere bestehenden Probleme nur weiter.“

Besonders kritisch sieht der DLT-Präsident auch den vereinbarten zusätzlichen Urlaubstag. Angesichts des bestehenden Fachkräftemangels im öffentlichen Dienst sei dieser kaum zu kompensieren.

Die Gewerkschaften hingegen begrüßen den Abschluss als notwendigen Ausgleich für die Belastungen durch Inflation und gestiegene Lebenshaltungskosten. Für die Beschäftigten bedeutet die Einigung unter anderem eine spürbare Einkommenserhöhung sowie soziale Komponenten wie Einmalzahlungen und Sonderurlaub.

Die Debatte um die Finanzierung bleibt jedoch offen. Viele Kommunen stehen bereits vor der Aufgabe, Pflichtaufgaben zu sichern und gleichzeitig Investitionen in Schulen, Infrastruktur und soziale Leistungen nicht gänzlich zurückzufahren. Brötel mahnt: „Wieder einmal interessiert es niemand, wie das alles noch bezahlt werden soll.“