Ein Treffen zweier Berliner Urgesteine: Gregor Gysi interviewt Christian „Flake“ Lorenz. Was als Gespräch über Musik beginnt, entpuppt sich als tiefgründiger Blick in die Seele eines Mannes, der eigentlich nie Rockstar werden wollte – und gerade deshalb einer der authentischsten wurde.
Berlin. Es ist eine Szenerie, die auf den ersten Blick wie ein Kuriosum wirkt. Auf der einen Seite Gregor Gysi, der wortgewandte Advokat der Linken, Meister der Rhetorik. Auf der anderen Seite Christian Lorenz, besser bekannt als „Flake“, der Keyboarder von Rammstein, jener Band, die weltweit für Feuer, Provokation und teutonische Härte steht. Doch wer martialisches Gehabe erwartet, wird enttäuscht. Auf dem Stuhl sitzt ein feingliedriger, fast schüchterner Mann mit Brille, der eher wie ein Archivar wirkt als wie ein Mitglied der international erfolgreichsten deutschen Band.
Das Gespräch beginnt in der grauen Tristesse des Prenzlauer Bergs der 70er Jahre. Flake erzählt von einer Kindheit, die von Stille und Leere geprägt war, aber auch von einem frühen Kampf mit sich selbst. Dass er heute unter dem Namen „Flake“ bekannt ist, verdankt er nicht etwa einer coolen Rocker-Attitüde, sondern einem Sprachfehler. Das Stottern machte das Aussprechen seines Taufnamens Christian zur Qual. „Flake“, entlehnt aus der Zeichentrickserie Wickie und die starken Männer, ging leichter über die Lippen. Es war der erste Schritt einer lebenslangen Strategie: Anpassung durch Vermeidung.
Auf Wunsch des Vaters lernte er Werkzeugmacher – für den handwerklich unbegabten Lorenz eine Tortur. Seine wahre Berufung fand er auf einem aufgemalten Pappstreifen auf dem Fensterbrett, auf dem er Klavier übte, bis die Eltern 100 Mark für ein echtes Instrument aufbrachten.
Gysi, sichtlich amüsiert, gräbt tiefer in Flakes Vergangenheit in der DDR-Subkultur. Mit der Band Feeling B avancierte Lorenz zur Kultfigur der „anderen Bands“, jener Nische zwischen Duldung und Rebellion. Es war eine Zeit, in der Musik und Alkohol untrennbar schienen, und in der die größte Kunst darin bestand, sich dem Zugriff des Staates zu entziehen.
Flakes Anekdoten über seine Wehrdienstverweigerung haben fast schelmenhafte Züge. Von ständigem Wohnungswechsel bis hin zur Selbsteinweisung in die Psychiatrie nutzte er jede Lücke im System, um nicht zur NVA zu müssen. Der Preis dafür war hoch: Das Abitur und der Traum vom Medizinstudium blieben ihm verwehrt. Der Spitzname „Dr. Lorenz“, den er heute manchmal trägt, ist somit das bittersüße Relikt eines geplatzten Traums, Chirurg zu werden.
Der vielleicht überraschendste Moment des Gesprächs ist Flakes Eingeständnis über die Anfänge von Rammstein. Es war keine Liebe auf den ersten Ton. Als er, der damals noch mit Paul Landers in einer WG wohnte, die ersten Riffs der neuen Band hörte, fand er sie stumpf. „Eine Stunde lang ein Riff“, so beschreibt er seinen ersten Eindruck. Dass er dennoch einstieg, war eher der Faszination für den Sampler und der Gruppendynamik geschuldet als musikalischer Überzeugung.
Heute ist er das theatralische Gegenstück zur brachialen Männlichkeit von Frontmann Till Lindemann. Er ist das Opfer der Show, derjenige, der im Kochtopf „gekocht“ wird oder sich bei waghalsigen Schlauchbootfahrten über das Publikum Knochenbrüche zuzieht. Er erzählt von verbrannten Fingerkuppen und einer Nacht im US-Gefängnis wegen angeblicher Obszönität – und das alles mit einer Trockenheit, als berichte er von einem Tag im Büro.
Was bleibt, ist das Bild eines Mannes voller Widersprüche. Da ist der weltweite Erfolg, der ihn in die größten Stadien führt, und da ist der Privatmann, der von Flugangst und Hypochondrie geplagt wird. Flake Lorenz ist kein Rockstar aus dem Bilderbuch. Er ist ein Anti-Held, der in seine Rolle hineingestolpert ist und sie nun mit einer Mischung aus Professionalität und staunender Distanz ausfüllt.
In seinen Büchern Der Tastenficker und Heute hat die Welt Geburtstag hat er diese Ambivalenz festgehalten. Im Gespräch mit Gysi wird klar: Dieser Mann muss nicht laut sein, um gehört zu werden. Seine leisen Töne, sein Witz und seine fast naive Ehrlichkeit sind es, die ihn in der lauten Welt von Rammstein unverzichtbar machen.





Ein Rückblick auf den 8. August 2020: Wie ein skurriler Aufmarsch der FDJ die Stadt Jena provozierte und eine seltene politische Einigkeit erzeugte.
Wenn man heute, mit dem Abstand von Jahrzehnten, auf die Weihnachten in der DDR zurückblickt, verblassen die grauen Fassaden und die Mangelwirtschaft oft hinter einem Gefühl, das bis heute wärmt: eine tiefe, fast trotzige Geborgenheit. Es ist ein Rückblick auf eine Zeit, in der das Fest weniger von dem bestimmt war, was man kaufen konnte, sondern von dem, was man daraus machte.
Jeder kennt ihn, den Berliner Fernsehturm. Er steht da, stolz, glänzend, unerschütterlich – Symbol des Ostens, Wahrzeichen der Hauptstadt. Und doch erzählt er eine Geschichte, die so widersprüchlich ist wie die Stadt selbst.
Wenn heute über die DDR gesprochen wird, dann meist in den klaren Rollenverteilungen von Tätern und Opfern. Auf der einen Seite die Überwacher, die Spitzel, die Apparate der Macht. Auf der anderen Seite die Verfolgten, die Dissidenten, die Mutigen, die sich dem System entgegenstellten. Doch dazwischen – da war das Leben. Und dieses Leben wird heute kaum noch erzählt.
Ein 
Eigentlich ist jetzt die Zeit der Ruhe. Viele nehmen sich vor, abzuschalten. Ich sehe das anders. Ich werde den Laptop nicht zuklappen. Gerade weil der Lärm im Netz so laut ist, ist Schweigen die falsche Antwort. Ich lese eure Kommentare und teile meine Sicht – nicht um recht zu haben, sondern weil Austausch das Einzige ist, was uns bleibt.
Wer dieser Tage die Kommentarspalten auf Facebook öffnet, hat oft das Gefühl, nicht in einer Diskussion, sondern in einem Schützengraben gelandet zu sein. Die politische Mitte – jener Ort, an dem Argumente ausgetauscht und Kompromisse geschmiedet werden – scheint wie leergefegt. Stattdessen dominieren zwei Lager das Feld, die sich mit Begriffen beschießen, die wie Handgranaten wirken sollen: Hier der Vorwurf „Nazi“, dort das Etikett „links-grün versifft“. Viele Beobachter wenden sich mit Grausen ab und diagnostizieren unserer Gesellschaft ein „primitives“ oder „verrohtes“ Niveau. Doch wer genau hinsieht, erkennt: Dieses Chaos folgt einer präzisen Logik. Es ist das Ergebnis messbarer psychologischer Mechanismen und einer Technologie, die Wut als Währung akzeptiert.