Hinter den Parolen der offiziellen Waffenbrüderschaft verbarg sich ein komplexer Alltag zwischen Isolation, wirtschaftlicher Abhängigkeit und pragmatischen Begegnungen.
Wer sich an die Straßenbilder der DDR erinnert, hat oft noch die roten Parolen vor Augen, die an Hauswänden und Fabriktoren prangten. Der Satz „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“ war mehr als ein Motto, er war Staatsdoktrin. Doch zwischen diesem staatlich verordneten Anspruch und der Lebenswirklichkeit der Menschen klaffte oft eine Lücke, die kaum zu überbrücken war. Die deutsch-sowjetische Freundschaft, institutionalisiert in der gleichnamigen Massenorganisation, war für viele Bürger eher eine bürokratische Notwendigkeit als eine Herzensangelegenheit. Man zahlte seinen Beitrag, um im Beruf oder Studium keine Nachteile zu haben, während die offiziellen Rituale der Völkerverständigung oft in steifen Festakten erstarrten.
Dabei war die physische Präsenz der Sowjetunion in Ostdeutschland überwältigend und zugleich seltsam unsichtbar. Zeitweise lebten bis zu einer halben Million sowjetische Staatsbürger auf dem Gebiet der DDR. Es war die größte Truppenkonzentration außerhalb der eigenen Landesgrenzen, eine Armee, die im Ernstfall bis zum Atlantik hätte vorstoßen sollen. Doch diese Menschen, Soldaten wie Zivilisten, lebten in einer Parallelwelt. Orte wie Wünsdorf südlich von Berlin glichen einer verbotenen Stadt, einem „Klein-Moskau“ mit eigener Infrastruktur, täglichen Zugverbindungen in die Heimat und hermetisch abgeriegelten Mauern. Für die Bevölkerung blieben die Bewohner dieser Areale oft schemenhaft, wahrnehmbar vor allem durch die Begleiterscheinungen militärischer Macht: das Grollen der Panzerketten auf dem Kopfsteinpflaster, der Lärm der Tiefflieger über den Dörfern oder die Vorfahrt der Militärkolonnen auf den Landstraßen.
Jenseits der Abschottung, die von der sowjetischen Führung streng überwacht wurde, um eine „ideologische Kontamination“ der eigenen Soldaten durch den relativen Wohlstand der DDR zu verhindern, entwickelten sich dennoch pragmatische Schnittstellen. Es entstand eine Schattenwirtschaft, die aus dem Mangel geboren war. Sowjetische Soldaten, oft junge Wehrpflichtige unter kargen Bedingungen, tauschten Treibstoff oder Uniformteile gegen Dinge, die für sie Luxus bedeuteten, etwa Jeans oder Uhren. Für viele DDR-Bürger war der „Russen-Sprit“ eine willkommene Ressource, und der heimliche Handel am Kasernenzaun wurde zu einem offenen Geheimnis, das die offiziellen ideologischen Gräben im Kleinen unterlief.
Die wirtschaftliche Dimension dieser Zwangsgemeinschaft reichte jedoch weit über den Tauschhandel hinaus. In den frühen Jahren zahlte die DDR durch Demontagen und die Arbeit der Wismut AG, die unter enormen gesundheitlichen und ökologischen Opfern Uran für das sowjetische Atomprogramm förderte, einen hohen Preis. Später wandelte sich das Verhältnis. Die DDR wurde technologisch wichtiger für den großen Bruder, während sie zugleich am Tropf der sowjetischen Rohstofflieferungen hing. Das Erdöl, das durch die Pipeline „Freundschaft“ floss, war der Lebenssaft der ostdeutschen Chemieindustrie. Als Moskau in den achtziger Jahren begann, die Preise an den Weltmarkt anzupassen und die Liefermengen zu drosseln, geriet das ökonomische Fundament der SED-Herrschaft ins Wanken.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der politische Bruch ausgerechnet durch die Reformpolitik Michail Gorbatschows ausgelöst wurde. Die DDR-Führung, die stets die unverbrüchliche Treue zu Moskau beschworen hatte, reagierte auf Glasnost und Perestroika mit Ablehnung und Zensur. Das Verbot der sowjetischen Zeitschrift „Sputnik“ im Jahr 1988 markierte einen Wendepunkt, an dem sich die ideologische Basis der Freundschaft selbst ad absurdum führte. Im Herbst 1989 richteten sich die Hoffnungen der Demonstranten paradoxerweise auf die Besatzungsmacht. Die Entscheidung Gorbatschows, die Panzer in den Kasernen zu lassen und nicht wie 1953 einzugreifen, entzog der SED ihre letzte Existenzgarantie.
Der Abzug der Truppen, der bis 1994 vollzogen wurde, war eine logistische Operation historischen Ausmaßes. Er hinterließ in Ostdeutschland nicht nur riesige, oft ökologisch schwer belastete Areale, deren Sanierung bis heute andauert, sondern auch eine Leerstelle. Die Soldaten kehrten in ein Reich zurück, das gerade zerfiel, oft ohne klare Perspektive und unter prekären Bedingungen. Zurück blieben verlassene Garnisonsstädte und eine Erinnerung, die bis heute ambivalent ist. Sie schwankt zwischen der Dankbarkeit für das Nichteingreifen 1989, der Erinnerung an die latente Bedrohung durch das militärische Potenzial und den kleinen, menschlichen Begegnungen, die trotz aller Barrieren stattfanden. Was von der großen Staatsfreundschaft blieb, ist die Erkenntnis, dass Nähe nicht automatisch Verständnis schafft, aber gemeinsame Geschichte prägt.