Es ist ein Bild der Ruhe, das Tino Chrupalla vermitteln will. Während draußen die politische Debatte um ein mögliches Parteiverbot der AfD tobt, sitzt der Parteichef im Studio des österreichischen Senders exxpressTV und lächelt die Vorwürfe weg. Ein Verbot? Für ihn kein Damoklesschwert, sondern ein „Signal der Schwäche“ der politischen Konkurrenz. Im Dezember 2025, drei Monate nach einer Bundestagswahl, die die politische Landschaft fragmentiert zurückgelassen hat, gibt sich der AfD-Frontmann nicht mehr als Rebell, sondern als wartender Machtpolitiker.
Das Gespräch, das der österreichische Privatsender mit Chrupalla führt, gleicht über weite Strecken einem Heimspiel. Kritische Nachfragen bleiben aus, stattdessen darf der Sachse seine Erzählung vom Niedergang Deutschlands unwidersprochen ausbreiten. Doch wer genau zuhört, erkennt hinter den routinierten Parolen zur Migration und Energiepolitik die strategische Neuausrichtung der Partei in dieser Legislaturperiode.
Die Wirtschaft als Hebel
Chrupalla weiß, wo der Schuh drückt. „Wir werden ausgenommen wie eine Weihnachtsgans“, formuliert er mit der ihm eigenen Volkstümlichkeit. Es ist dieser Sound, der in den wirtschaftlich gebeutelten Regionen verfängt. Er spricht von 1.000 Industriearbeitsplätzen, die jeden Tag verloren gingen – eine Zahl, die statistisch wackelig, aber in der gefühlten Realität vieler Bürger resonant ist. Seine Analyse ist simpel, aber effektiv: Schuld sind die „grüne Ideologie“ und die Sanktionen gegen Russland.
Die Komplexität globaler Märkte, der technologische Wandel, der Fachkräftemangel – all das wischt er beiseite zugunsten einer einfachen Formel: Kernkraft an, Russen-Gas auf, Grenzen zu. Es ist die Sehnsucht nach einer Rückkehr in die alte Bundesrepublik, nur diesmal mit guten Beziehungen nach Moskau. Dass Ökonomen vor den langfristigen Folgen eines solchen Protektionismus warnen, ficht ihn nicht an. Sein Ziel ist nicht der ökonomische Diskurs, sondern die emotionale Mobilisierung.
Der Angriff auf Merz
Der spannendste Teil des 15-minütigen Gesprächs ist jedoch nicht die Wirtschaftspolitik, sondern Chrupallas Verhältnis zur Union. Sein eigentlicher Gegner sitzt nicht im Kanzleramt oder bei den Grünen, sondern im Konrad-Adenauer-Haus. Friedrich Merz, der angetreten war, die AfD zu halbieren, ist für Chrupalla die ideale Zielscheibe. „Er macht linke Politik“, behauptet der AfD-Chef trocken. Merz sei „erpressbar“ durch die Brandmauer, die ihn zu Koalitionen mit SPD oder Grünen zwinge.
Hier zeigt sich das strategische Dilemma der Union, das die AfD genüsslich auskostet: Solange die CDU nach links koalieren muss, um zu regieren, öffnet sie rechts die Flanke für die AfD, die sich als das „wahre konservative Original“ inszeniert. Chrupalla reklamiert für sich, dass die Union längst AfD-Forderungen kopiere – etwa beim Bürgergeld für ukrainische Flüchtlinge. „Das Original wählen“, so die Botschaft, „ist ehrlicher.“
Die Ost-West-Strategie
Selbstbewusst verweist Chrupalla auf die Umfragewerte: 27 Prozent im Bund, bis zu 40 Prozent im Osten. Er macht keinen Hehl daraus, dass er den Osten nicht mehr als Sorgenkind, sondern als Machtbasis sieht. Dort, so seine Kalkulation, werde die Brandmauer zuerst fallen – schlicht aufgrund der Mathematik. Wenn ohne die AfD keine Mehrheiten mehr möglich sind, werde die CDU einknicken. Das österreichische Modell, wo die FPÖ von einer Paria-Partei zum Regierungspartner wurde, ist für ihn die Blaupause.
Rhetorik der Opferrolle
Dass parallel dazu der Verfassungsschutz die Partei als rechtsextremistischen Verdachtsfall oder gar als gesichert extremistisch führt, deutet Chrupalla in einen Adelsschlag um. Er zieht Parallelen zur DDR, spricht von Andersdenkenden, die ausgegrenzt würden. Es ist eine gefährliche, aber wirkmächtige Täter-Opfer-Umkehr, die bei seiner Wählerklientel, die sich oft kulturell bevormundet fühlt, auf fruchtbaren Boden fällt.
Das Interview zeigt einen Tino Chrupalla, der nicht mehr um Akzeptanz bittet, sondern sie als unvermeidlich einfordert. Er setzt darauf, dass die wirtschaftliche Not die moralischen Bedenken der bürgerlichen Mitte irgendwann überschreiben wird. Wenn der Wohlstand schwindet, so sein Kalkül, bröckelt die Brandmauer schneller als jeder Mörtel. Journalistisch betrachtet war dieses Gespräch keine Herausforderung für ihn – politisch aber ist es eine Warnung: Die AfD wartet nicht mehr am Rand, sie sieht sich bereits im Vorraum der Macht.