Stralsund, die einstige Hansestadt am Strelasund, hat in den letzten Jahrzehnten eine bemerkenswerte Wandlung vollzogen. Einst gezeichnet von Verfall und Vernachlässigung, präsentiert sie sich heute als stolzes UNESCO-Weltkulturerbe, das mit historischen Baudenkmalen, dem Meeresmuseum und dem Ozeaneum zahlreiche Besucher anzieht. Doch der Weg zur „Perle am Strelasund“ war steinig und forderte immense Anstrengungen und Geduld.
Die Nachwendezeit: Euphorie und Ernüchterung
Nach dem 9. November 1989 herrschte in Stralsund eine anfängliche Euphorie. Viele glaubten an eine neue DDR und die Möglichkeit, Veränderungen herbeizuführen. Die Stimmung war geprägt von Aufbruch und dem Gefühl, dass nun „blühende Landschaften“ entstehen würden, wie es versprochen wurde. Doch diese optimistische Sicht wich schnell der Realität: Es wurde klar, dass die Transformation nicht so schnell und ohne äußere Einflüsse möglich sein würde.
Die Altstadt, die bereits in den 1980er Jahren unter Leerstand und mangelnder Sanierung litt, geriet nach der Wende noch schneller in einen Abwärtssog. Häuser wurden freigezogen, da Menschen Wohnungen in Neubauten fanden, kleine Läden und Kneipen schlossen, und die Lichter gingen aus – die Altstadt starb regelrecht. Besonders die Langenstraße und Frankenstraße boten ein Bild, als wären sie frisch aus dem Krieg gekommen, mit teils nur noch stehenden Fassaden oder wie ausgebombten Häusern. Eine Bewohnerin beschreibt die Frankenstraße damals sogar umgangssprachlich als „Frankensteinstraße“, die wie eine Theaterkulisse wirkte und ihrem kleinen Sohn Angst machte.
Der schlechte Zustand der Altstadt wurde von vielen als Normalität wahrgenommen, da der Fokus auf anderen Dingen lag, wie der Verschönerung des eigenen Wohnraums mit einfachen Mitteln. Das Konzept des Immobilienbesitzes spielte in der DDR nicht die gleiche Rolle wie heute, und mit gesetzlich festgeschriebenen, nicht erhöhbaren Mieten war die Erhaltung von Häusern für Eigentümer uninteressant. Es war kaum vorstellbar, ein Haus in der Stadt aufzubauen oder zu erwerben, es sei denn, man war Handwerker, hatte die nötigen Beziehungen für Material und einen enormen Optimismus. Pläne, große Teile der Altstadt abzureißen und durch Plattenbauten zu ersetzen, ähnlich wie in Greifswald, zeugen von der damaligen Perspektivlosigkeit.
Der mühsame Weg der Sanierung und der Durchbruch
Die ersten Jahre nach der Wende waren von einem gefühlten Stillstand geprägt. Obwohl viel Tiefbau stattfand – Leitungen wurden erneuert, Straßen aufgerissen und Kanalisation sowie Kabel verlegt – waren im Hochbau nur Sicherungsmaßnahmen sichtbar, um Häuser vor dem Einsturz zu bewahren. Die ungeklärten Eigentumsverhältnisse waren ein großes Hindernis. Es dauerte fast ein Jahrzehnt, bis sich eine Aufbau-Stimmung durchsetzte.
Dennoch wurden erste Maßnahmen ergriffen: Etwa 300 bis 400 einzelne Sicherungsmaßnahmen an Häusern kosteten rund 16 Millionen Euro und zogen sich über lange Zeit hin. Stralsund entwickelte in dieser Phase ein beachtliches „Know-how“ im Umgang mit Hausschwamm und einstürzenden Häusern. Die Priorität lag auf dem Erhalt der vorhandenen Substanz, da sie als Zeugnisse der Geschichte und der stolzen Hansestadt galten.
Ein entscheidender Wendepunkt war die massive Unterstützung durch Städtebaufördermittel, die als „Rettung“ für Städte wie Stralsund beschrieben werden. Diese nutzten die Chance, die Altstadt zu entwickeln und ihr eine Zukunft zu geben. Das Verständnis in der Stadtgesellschaft, Dinge anzupacken, führte zu einer beeindruckenden Geschwindigkeit bei der Umsetzung von Projekten.
Ein sichtbares Zeichen des Wandels ist das Quartier 17, ein großer Neubaublock, der eine kriegsbedingte Baulücke schloss, die durch einen Bombenangriff im Oktober 1944 entstanden war. Obwohl der Bau kontrovers diskutiert wurde, wird er heute als positiver Gewinn für die Stadt wahrgenommen. Stralsund bewahrte die historische Struktur der Stadt, wie Straßenverläufe und Plätze, während neue, moderne Gebäude hinzugefügt wurden, anstatt historische Bauten zu kopieren. Die Vision ist es, eine gute Einheit zwischen historischen und neuen Gebäuden zu finden, wobei jede Zeit ihren Beitrag zur Gestaltung der Stadt leisten soll.
Die Rückeroberung des Hafens und neuer Bürgerstolz
Ein weiteres prägendes Element für Stralsunds Wiedergeburt ist die Wiederbelebung der Hafenbeziehung. Der Hafen, einst Sperrgebiet und nicht zugänglich, ist heute ein kulturelles Zentrum und eine Flaniermeile, besonders die Hafeninsel. Alle Straßen der Altstadt führen zum Hafen, der mit dem Ozeaneum und dem Meeresmuseum ein enormer Anziehungspunkt für Touristen geworden ist. Das Krähen der Möwen und die Atmosphäre am Wasser gehören einfach zu einer Hafenstadt dazu. Es ist beeindruckend, dass diese wunderbaren Flächen nicht privatisiert, sondern für die Allgemeinheit und Besucher zugänglich gemacht wurden. Der Blick von der Hafeninsel hinauf zum Alten Markt und den Kirchen, mit alter und neuer Architektur, Natur und Brücken, ist einzigartig und erzeugt „Gänsehaut“.
Stralsunds Verwandlung ist so tiefgreifend, dass Touristen, die die Stadt in den 1990er Jahren besuchten, heute von einem „Traum“ sprechen. Dieser Wandel hat zu einem wiedererwachenden Bürgerstolz geführt. Man ist stolz auf das Erreichte und dankbar für all jene, die in die Stadt investiert und etwas geschaffen haben.
Die Stadt hat sich von einem melancholisch schlafenden Ort mit mangelnder Sorgfalt und leisem Verfall, wie Franziska Tiburtius Stralsund 1852 beschrieb, zu einer dynamischen und lebenswerten Stadt entwickelt. Stralsunds Geschichte wiederholt sich zwar in Zyklen, aber diesmal ist es eine Geschichte des Wiederaufstiegs.
Stralsunds Reise von einer fast verlorenen Altstadt zu einem blühenden Weltkulturerbe gleicht einem verborgenen Schatz, der unter Schichten von Staub und Verfall begraben lag. Mit behutsamer Hand und großem Einsatz wurde dieser Schatz nicht nur freigelegt, sondern auch restauriert und neu ins Licht gerückt. Heute strahlt er in neuem Glanz und zieht Menschen aus aller Welt an, die seine Schönheit und die Geschichte seiner Wiederentdeckung bewundern möchten.