Halle (Saale). Sechs Jahrzehnte liegen inzwischen zurück, seit im kargen Gelände östlich der Saale die ersten Betonfertigteile für Halle-Neustadt gefertigt wurden. Zum 60. Geburtstag dieser sozialistischen Modellstadt lädt das Stadtarchiv Halle nun zu einer besonderen Zeitreise ein: In einer digitalen Ausstellung sind 60 ausgewählte Schwarz-Weiß-Fotografien des Halleschen Bildchronisten Heinrich Renner zu sehen, die den rasanten Baufortschritt zwischen 1964 und 1978 eindrucksvoll dokumentieren.
Von den allerersten Plattenwerken, in denen ab Februar 1964 die Betonfertigteile produziert wurden, bis zur Eröffnung der Umgehungsstraße im Januar 1978 führen Renners Bilder durch die wichtigsten Bauabschnitte. Sie beginnen im provisorischen Zentrum mit kargen Steinhaufen, zeigen das Entstehen teils monumentaler Wohnkomplexe und enden zwischen frisch bepflanzten Grünanlagen und den breiten Straßenbahnschienen, die bald das neue Stadtbild prägten.
Renner hielt nicht nur große Perspektiven fest: Detailaufnahmen von Fassadenelementen, Fensterreihen und charakteristischen Erkern lassen die Ästhetik des Plattenbaus lebendig werden. Immer wieder sticht sein Blick für architektonische Strukturen ins Auge – zugleich legen spontane Schnappschüsse von Arbeitern, Bauleitern und ersten Anwohnern den Mensch hinter dem Projekt frei.
Die digitale Präsentation ist nach Wohnblock-Nummern geordnet: Beginnend mit den Blöcken 000–099, in denen bereits 1968 die Sporthalle des neuen Bildungszentrums entstand, führt sie über die riesigen Baustellenpanoramen in den Bereichen 100–199 und 200–299 bis zum letzten Bild, das Renner im Winter 1978 an der fertiggestellten Umgehungsstraße (heutige B 80) aufnahm. Jeder Klick öffnet die originalen Beschriftungen des Fotografen, die minutiös Datum, Ort und beteiligte Personen verzeichnen – ein Detailreichtum, das diese Ausstellung zu einem unverzichtbaren Dokument nicht nur für Architektur- und Stadthistoriker macht.
Ergänzt wird die Bilderschau durch einen rund 20-minütigen Film der Dokumentarfilmerin Kristin Fehse, der zwischen technischem Hintergrundwissen und persönlichen Anekdoten der ersten Bewohner pendelt. Beide Formate stehen kostenfrei auf der Website des Stadtarchivs zur Verfügung und laden dazu ein, die utopischen Ambitionen wie auch die logistischen Herausforderungen des DDR-Grossprojekts erneut zu entdecken.
Mit dieser digitalen Hommage an Halle-Neustadt kehrt ein Stück DDR-Architekturgeschichte zurück ins öffentliche Bewusstsein – roh, stillstehend und doch ungebrochen lebendig.