Defensive Architektur, auch bekannt als feindliches Design, ist ein Konzept, das zunehmend in Städten weltweit zu beobachten ist. Es beschreibt die gezielte Gestaltung des öffentlichen Raums, um bestimmte Nutzungen zu verhindern, unerwünschtes Verhalten zu unterbinden und spezifische Personengruppen auszuschließen. Die Maßnahmen reichen von Sitzgelegenheiten, die unbequem gestaltet sind, über Stacheln unter Brücken bis hin zu Metallgittern, die die Kälte von unten durchlassen. Diese Architektur ist darauf ausgelegt, Aufenthaltszeiten zu minimieren und langfristige Nutzungen, wie beispielsweise das Schlafen von obdachlosen Menschen, zu unterbinden. Während ihre Befürworter auf die Verbesserung von Sicherheit und Sauberkeit verweisen, werfen Kritiker der defensiven Architektur vor, dass sie soziale Ungleichheit verstärkt und marginalisierte Gruppen verdrängt, ohne die eigentlichen Probleme zu lösen.
Ein typisches Beispiel für defensive Architektur sind Sitzbänke, die durch Unterbrechungen oder Armlehnen das Liegen unmöglich machen. Besonders in der kalten Jahreszeit zeigt sich, wie problematisch diese Maßnahmen für obdachlose Menschen sein können. Die metallischen Sitzflächen, die oft mit Gittern versehen sind, leiten die Kälte direkt an den Körper weiter und machen es fast unmöglich, länger an einem Ort zu verweilen. Doch auch andere Gruppen sind betroffen: Ältere Menschen oder Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen finden solche Bänke oft unbequem und können diese kaum nutzen. So wird nicht nur Obdachlosen, sondern auch anderen Teilen der Bevölkerung der Zugang zu öffentlichen Sitzmöglichkeiten erschwert. Das hat zur Folge, dass viele Menschen in einer Stadt, die eigentlich ein Ort des Zusammenkommens sein sollte, keinen Raum mehr für Erholung oder Verweilen finden.
In Städten wie Stuttgart wird das Ausmaß dieser Entwicklungen besonders deutlich. Hier gibt es ganze Straßenabschnitte, in denen defensive Architektur allgegenwärtig ist. Von Sitzplätzen, die so gestaltet sind, dass sie nur kurzzeitig genutzt werden können, bis hin zu Haltestellen ohne Bänke – die Maßnahmen sind vielfältig. Ein häufiges Argument für solche Gestaltungen ist die Angst vor Müllhinterlassungen, Vandalismus oder unangenehmen Situationen, die von bestimmten Personengruppen ausgehen könnten. Beispielsweise wurden auf der Stuttgarter Königstraße Sitzgelegenheiten abgebaut, nachdem sich Passanten über pöbelnde Obdachlose beschwert hatten. Doch diese Maßnahmen führen nicht zur Lösung der Ursachen, sondern lediglich zur Verdrängung der Betroffenen an andere Orte. Kritiker sprechen daher von institutionalisierter Verdrängung – einer Art systematischer Ausgrenzung, die Menschen aus dem öffentlichen Raum entfernt und sie damit noch weiter ins soziale Abseits drängt.
Der Hintergrund, warum viele obdachlose Menschen sich in Innenstädten aufhalten, ist leicht nachvollziehbar: Diese Orte bieten die besten Möglichkeiten, um durch Betteln Geld für die grundlegenden Bedürfnisse zu sammeln. In vielen Städten fehlen zudem ausreichend kostenlose Toiletten oder andere Infrastruktur, die es obdachlosen Menschen ermöglichen würde, sich außerhalb der zentralen Ballungsräume aufzuhalten. Doch diese Realität steht oft im Widerspruch zu den Interessen von Gewerbetreibenden und Passanten, die sich von der Präsenz obdachloser Menschen gestört fühlen. Defensive Architektur wird somit häufig eingesetzt, um die Innenstadt attraktiver für Kundschaft zu machen, selbst wenn dies auf Kosten der Schwächsten in der Gesellschaft geschieht.
Eine weitere Form defensiver Architektur ist das gezielte Design von Fassaden oder anderen baulichen Elementen. Ein Beispiel hierfür sind Betonvorsprünge, die potenziell als Sitzgelegenheit dienen könnten, aber durch zusätzliche Stahlwinkel oder scharfe Kanten unbenutzbar gemacht werden. Solche Maßnahmen werden oft von Privatakteuren wie Hausverwaltungen initiiert, die damit ihre Gebäude vor unerwünschter Nutzung schützen wollen. Dabei verschwimmt die Grenze zwischen öffentlichem und privatem Raum immer mehr, was dazu führt, dass der öffentliche Raum zunehmend isolierend wirkt, statt ein Ort des Miteinanders zu sein.
Maximilian Sinn, Architekturstudent und Betreiber der Instagram-Seite „Hostile Germany“, dokumentiert zahlreiche solcher Beispiele defensiver Architektur in Deutschland. Er weist darauf hin, dass diese Gestaltungen nicht nur das Verhalten im öffentlichen Raum beeinflussen, sondern auch die Wahrnehmung der Betroffenen. Besonders obdachlose Menschen nehmen die Maßnahmen oft als persönliche Ausgrenzung wahr. Sie sehen in diesen Designs eine bewusste Botschaft: „Du bist hier nicht willkommen.“ Diese Ausgrenzung verstärkt das Gefühl, von der Gesellschaft vergessen zu sein. Für viele Obdachlose sind öffentliche Plätze die einzigen Orte, an denen sie sich aufhalten können. Werden diese durch feindliche Architektur unzugänglich gemacht, bleibt ihnen oft nur, sich in weniger sichtbare und häufig gefährlichere Bereiche zurückzuziehen. Das hat nicht nur psychologische Auswirkungen, sondern kann in extremen Fällen auch lebensgefährlich sein.
Die Argumente, die für defensive Architektur angeführt werden, klingen auf den ersten Blick plausibel: Sie soll die Sicherheit erhöhen, Vandalismus vorbeugen und den öffentlichen Raum sauber halten. Doch bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass diese Maßnahmen in erster Linie Symptome anstatt Ursachen adressieren. Statt Probleme wie Obdachlosigkeit, Armut oder fehlende Sozialarbeit anzugehen, werden die Betroffenen lediglich aus dem Blickfeld der Gesellschaft verdrängt. Dabei gibt es zahlreiche Alternativen, wie beispielsweise verstärkte Sozialarbeit, die nicht nur günstiger, sondern auch nachhaltiger sein könnte. Experten betonen, dass eine stärkere Kommunikation und ein respektvoller Umgang mit marginalisierten Gruppen oft mehr bewirken können als jede architektonische Maßnahme.
Städte wie Stuttgart haben zumindest erkannt, dass defensive Architektur nicht die Lösung für alle Probleme sein kann. In einer Stellungnahme erklärte die Stadt, dass sie derzeit an einem Leitfaden für einladende Stadtmöblierung arbeite, der den öffentlichen Raum für alle zugänglich machen soll. Ziel sei es, eine Balance zwischen Aufenthaltsqualität und Sicherheitsbedürfnissen zu schaffen, ohne bestimmte Gruppen auszuschließen. Doch die Umsetzung solcher Konzepte steht vor zahlreichen Herausforderungen, nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen Interessen von Stadtverwaltung, Gewerbetreibenden und der allgemeinen Bevölkerung.
Defensive Architektur ist ein Thema, das weit über die Gestaltung von Bänken oder Fassaden hinausgeht. Sie zeigt, wie Designentscheidungen den Alltag von Menschen beeinflussen und welche sozialen und moralischen Fragen damit verbunden sind. Während einige Maßnahmen sicherlich sinnvoll sein können, um Sicherheit und Sauberkeit zu gewährleisten, sollten sie niemals auf Kosten der Schwächsten in der Gesellschaft umgesetzt werden. Städte sollten Orte des Zusammenkommens und der Begegnung sein, nicht der Ausgrenzung. Letztlich bleibt die Frage, ob wir als Gesellschaft wirklich menschenfreundlicher werden können, wenn unsere Städte immer feindlicher gestaltet werden. Die Lösung liegt nicht in der Architektur allein, sondern in einem gemeinsamen Verständnis für die Bedürfnisse aller Stadtbewohner. Nur so können wir sicherstellen, dass öffentliche Räume tatsächlich für alle zugänglich und lebenswert bleiben.