Norbert Nachtweih: „Die Stasi war schlimm, aber die DDR habe ich geliebt“

Norbert Nachtweih vom DDR-Flüchtling zum Fußball-Star

Der ehemalige Fußball-Profi Norbert Nachtweih, der 1976 in den Westen floh, sorgt mit seinen Aussagen über die DDR bis heute für Diskussionen. Sein oft zitierter Satz: „Die Stasi war schlimm, aber die DDR habe ich geliebt“, steht sinnbildlich für eine differenzierte Sicht auf die ehemalige Deutsche Demokratische Republik, die in der aktuellen Ost-West-Debatte polarisiert. Nachtweihs Geschichte ist nicht nur die eines talentierten Fußballers, sondern auch eines Menschen, der zwischen zwei Welten lebt – und sich dennoch treu geblieben ist.

Ein außergewöhnlicher Spieler mit Wurzeln im Osten
Norbert Nachtweih schrieb als Fußballer Bundesliga-Geschichte: 322 Spiele für Bayern München und Eintracht Frankfurt, vier Meistertitel, drei Pokalsiege und ein UEFA-Cup-Gewinn zieren seine Karriere. Doch im Sommer 1990, als Franz Beckenbauer ihn in den Weltmeisterkader für die WM in Italien berufen wollte, lehnte Nachtweih ab. Obwohl er mit den anderen Spielern des Kaders, wie Klaus Augenthaler oder Lothar Matthäus, befreundet war und Beckenbauer ihn unbedingt dabeihaben wollte, fühlte es sich für ihn schlichtweg nicht richtig an.

Warum ließ er diese einmalige Chance verstreichen? In seiner Autobiografie Zwischen zwei Welten, die er mit einem Co-Autor verfasste, wird deutlich: Nachtweih war 14 Jahre nach seiner Flucht noch immer nicht im Westen angekommen. Emotional blieb er DDR-Bürger, geprägt von seiner Kindheit und Jugend in Polleben im Harz, einer Zeit, die für ihn bis heute als Synonym für Geborgenheit und Unbeschwertheit steht.

Eine Flucht mit Konsequenzen
Norbert Nachtweihs Flucht aus der DDR war spektakulär. Als U21-Nationalspieler nutzte er 1976 während eines Aufenthalts in der Türkei die Gelegenheit, in die Bundesrepublik zu entkommen. Diese Entscheidung bedeutete einen Bruch: Er durfte die DDR bis zum Mauerfall 1989 nicht mehr betreten. Dennoch blieb er Ostdeutscher – in seiner Identität, in seinen Erinnerungen und in seinem Herzen.

Seine Kindheit beschreibt Nachtweih als glückliche Zeit. Er wuchs in einfachen Verhältnissen auf, geprägt von familiärem Zusammenhalt und einer tiefen Leidenschaft für den Fußball. Politik spielte in seinem Leben keine Rolle. Für ihn zählte, was auf dem Platz geschah – nicht, was in den Staatsorganen oder hinter den Kulissen der Berliner Mauer passierte. Dieses unpolitische Leben, das viele Ostdeutsche führten, sieht Nachtweih auch heute als zentralen Bestandteil seiner Identität. Seine Erinnerungen an die DDR seien geprägt von persönlichen Momenten und familiärer Wärme, nicht von Ideologie oder Staatsdoktrin.

Zwischen Anerkennung und Kritik
Die Aussage „Die Stasi war schlimm, aber die DDR habe ich geliebt“ ruft unterschiedliche Reaktionen hervor. Während sie bei einigen Ostdeutschen Zustimmung findet, empfinden andere sie als provokant. Besonders Menschen, die unter der Stasi litten, reagieren oft mit Ablehnung. Nachtweih selbst zeigt Verständnis für diese Kritik. Er empfindet tiefes Mitgefühl für die Opfer der politischen Verfolgung und ist sich bewusst, dass seine Sichtweise nicht für alle repräsentativ ist. Dennoch betont er, dass die DDR für ihn mehr war als die Staatssicherheit.

Seine Familie sei von seiner Flucht nicht „brutal“ betroffen gewesen, sagt er. Zwar wurden Wanzen in der Wohnung seiner Schwester entdeckt, doch größere Konsequenzen blieben aus. Nachtweih sieht in der DDR nicht nur das Regime, sondern auch die Menschen, die trotz der Einschränkungen ein erfülltes Leben führten. Seine eigene sportliche Karriere verdankt er maßgeblich der Förderung des DDR-Systems – ohne diese wäre er vermutlich nicht zu einem der erfolgreichsten Spieler der Bundesliga geworden.

Ostdeutsche Identität in der Westdeutschen Debatte
Nachtweihs Haltung ist heute relevanter denn je. Sie zeigt, dass es möglich ist, die DDR differenziert zu betrachten: als einen Staat mit vielen Schattenseiten, der jedoch auch von den Menschen und ihrem Alltag geprägt war. Seine Geschichte fordert dazu auf, die Identität von Ostdeutschen nicht allein durch das Prisma von Diktatur und Unterdrückung zu sehen. Vielmehr geht es darum, persönliche Erinnerungen und individuelle Lebenswege zu würdigen.

Diese Perspektive steht exemplarisch für eine neue Ost-West-Debatte, die differenzierter ist als frühere Diskurse. Nicht alle DDR-Bürger waren Opfer oder Täter – viele lebten ein unpolitisches Leben, fernab von Staatspropaganda oder Dissidenz. Nachtweih repräsentiert diese Gruppe. Sein Umgang mit seiner Herkunft zeigt, wie komplex die Identität von Ostdeutschen in der Bundesrepublik ist.

Eine Geschichte, die bewegt
Für Nachtweih war es Zufall, dass er im Westen zum Fußballstar wurde. Doch seine Flucht ermöglichte ihm ein Leben in Freiheit – ein Traum, den viele in der DDR hegten. Seine Geschichte ist ein Beispiel dafür, wie es gelingen kann, in einer neuen Umgebung Wurzeln zu schlagen, ohne die alten zu vergessen. Heute lebt er glücklich in Hessen, fühlt sich dort zuhause, bleibt aber seinem ostdeutschen Erbe treu.

Die Diskussionen, die Nachtweihs Äußerungen auslösen, verdeutlichen, wie emotional und vielschichtig das Thema DDR bis heute ist. Seine Biografie zeigt, dass es kein Schwarz-Weiß gibt – nur die vielen Grautöne eines Lebens zwischen zwei Welten.

Autor/Redakteur: Arne Petrich

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Weitere aktuelle Beiträge