Drei Autorinnen und ein Soziologe haben die Stimmung zwischen Erzgebirge und Uckermark erkundet und zeichnen das Bild einer Gesellschaft im klimatischen Wandel.
Es ist der Versuch einer Bestandsaufnahme, unternommen in einer Zeit, in der die gesellschaftlichen Gewissheiten brüchig geworden sind. Im Vorfeld der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Jahr 2024 machten sich drei Schriftstellerinnen und ein Soziologe auf den Weg, um die Stimmung in Ostdeutschland nicht aus der Distanz der Großstadt, sondern aus der unmittelbaren Nähe zu protokollieren. Das Ergebnis ist der Band „Extremwetterlagen“, der weniger eine politische Analyse als vielmehr eine meteorologische Untersuchung des sozialen Klimas darstellt.
Die Ausgangslage ist so simpel wie effektiv: Manja Präkels, Tina Pruschmann und Barbara Thériault fungierten als sogenannte „Überlandschreiberinnen“. Ihr Auftrag war es, jenseits der üblichen Schlagzeilen in die Tiefe der ostdeutschen Provinz einzutauchen. Dabei wählten sie unterschiedliche Zugänge. Tina Pruschmann durchquerte das sächsische Erzgebirge mit dem Fahrrad, eine Methode der Entschleunigung, die den Blick für Details am Wegesrand schärft. Barbara Thériault heuerte als Lokaljournalistin in Südthüringen an, um als teilnehmende Beobachterin den Alltag einer Redaktion und ihrer Leserschaft zu teilen. Manja Präkels wiederum suchte in Brandenburg gezielt zivilgesellschaftliche Initiativen auf, jene oft übersehenen Orte des demokratischen Widerstands in einer sich verändernden Umgebung.
Der Titel des Bandes ist dabei Programm. „Extremwetterlagen“ dient hier als Metapher für eine gesellschaftliche Atmosphäre, die von zunehmenden Stürmen und Kältefronten geprägt ist. Die Texte beschreiben eine Normalisierung rechtsextremer Strukturen, die nicht mehr als Ausnahmeerscheinung, sondern als fester Bestandteil des Alltags wahrgenommen werden. Es geht um das Gefühl, „gegen den Wind zu atmen“, wie es im Buch heißt. Doch die Autorinnen verfallen nicht in Alarmismus. Stattdessen dokumentieren sie nüchtern das Schweigen der Vielen und die Lautstärke der Anderen. Sie beschreiben die Ruinenlandschaften, die nicht nur architektonisch, sondern auch infrastrukturell zu verstehen sind, und die Menschen, die in diesen Räumen leben.
Eine wesentliche Ebene zieht der Leipziger Kultursoziologe Alexander Leistner in den Band ein. Er liefert den historischen Resonanzraum für die aktuellen Beobachtungen. Leistner spürt den mentalen Entwicklungslinien nach, die nicht im Jahr 1989 enden oder begannen, sondern weit in die DDR-Geschichte zurückreichen. Er fragt nach den Kontinuitäten des Denkens und Fühlens, die das heutige Wahlverhalten und das Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen prägen. Diese historische Tiefenschärfe verhindert, dass die aktuellen politischen Verwerfungen als rein singuläre Phänomene der Gegenwart missverstanden werden.
Das Buch stellt implizit die Frage, wann die Bewohner dieser Regionen bemerkt haben, dass sie in einem „neuen Land“ leben – nicht im Sinne der Wiedervereinigung von 1990, sondern im Sinne einer qualitativen Veränderung des gesellschaftlichen Miteinanders in den 2020er Jahren. Es werden Brüche sichtbar, die durch Familien und Dorfgemeinschaften gehen. Die Reportagen zeigen bedrohte Kulturvereine ebenso wie jene Bürger, die versuchen, den demokratischen Raum offen zu halten.
In seiner Gesamtheit ist „Extremwetterlagen“ ein Dokument der Unruhe. Es bietet keine schnellen Lösungen an und vermeidet die oft übliche moralische Überlegenheit des westdeutschen Blicks. Stattdessen liefert es dichte Beschreibungen einer Realität, in der sich viele Ostdeutsche wiedererkennen dürften – sei es in der Resignation oder im Trotz. Es ist ein Buch über das Aushalten von Widersprüchen und den Versuch, in stürmischen Zeiten standhaft zu bleiben. Die Stärke liegt in der Sachlichkeit: Hier wird nicht geurteilt, sondern zugehört, hingeschaut und aufgeschrieben, was ist.