Es war ein warmer Junimorgen, als die Unruhe in den Werkshallen von Carl Zeiss und Schott in offenen Zorn umschlug. Die von Berlin verordnete Erhöhung der Arbeitsnormen um 10 Prozent brachte das Fass zum Überlaufen. Doch in Jena ging es schnell um mehr als nur um Löhne. Arbeiter strömten aus den Toren, vereinigten sich zu Demonstrationszügen und marschierten in das Stadtzentrum. Gegen 9:00 Uhr hatten sich rund 20.000 Menschen auf dem Holzmarkt versammelt – eine Menschenmasse, die in ihrer schieren Größe die lokalen Machthaber in Schockstarre versetzte.
Die Forderungen radikalisierten sich minütlich: Rücktritt der Regierung, freie Wahlen, Abschaffung der Kasernierten Volkspolizei. In dieser aufgeheizten Atmosphäre bewies der junge Autoschlosser Alfred Diener außerordentlichen Mut. Er wurde Teil einer dreiköpfigen Delegation, die in das Gebäude der SED-Kreisleitung vordrang, um den Ersten Sekretär zur Rede zu stellen. Als dieser den Dialog verweigerte, sprach Diener vom Fenster zu der Menge. Es war der Funke, der den Sturm auf die Parteizentrale auslöste. Akten flogen auf die Straße, Symbole der Macht wurden zerstört – für wenige Stunden herrschte das Volk.
Doch die Antwort des Regimes kam auf Ketten. Am frühen Nachmittag rollten sowjetische T-34-Panzer in die Innenstadt. Die Jenaer versuchten verzweifelt, sie mit Sitzblockaden und quergestellten Straßenbahnen aufzuhalten, doch gegen die militärische Übermacht waren sie chancenlos. Mit dem Kriegsrecht begann die Jagd auf die „Rädelsführer“. Alfred Diener wurde verhaftet und in die Kaserne Löbstedt verschleppt. Um ein Exempel zu statuieren, verurteilte ihn ein sowjetisches Militärtribunal in einem Schnellverfahren zum Tode. Am Morgen des 18. Juni 1953, einen Tag vor seiner geplanten Hochzeit, wurde Alfred Diener hingerichtet. Sein Tod blieb über Jahrzehnte ein Trauma der Stadt, ein blutiges Mahnmal dafür, wie weit die Diktatur zu gehen bereit war, um ihre Macht zu sichern.