Der Gefangene von Grünheide: Wie der Staat einen seiner Besten zerstören wollte

Einst war er das Aushängeschild der DDR-Wissenschaft, gefeierter Antifaschist und Professor. Doch weil Robert Havemann die Wahrheit mehr liebte als die Parteilinie, wurde er zum Staatsfeind Nummer eins. Ein Rückblick auf das Leben eines Mannes, den die Stasi isolierte, aber nicht zum Schweigen brachte.

Grünheide. Wenn man in den späten 70er Jahren durch die Wälder von Grünheide bei Berlin spazierte, konnte man auf eine Szenerie stoßen, die so gar nicht in die Idylle passte. Ein Haus, abgeschirmt, und davor: ein Wartburg, besetzt mit Männern in grauen Mänteln. Tag und Nacht. Sie warteten nicht auf jemanden, sie bewachten jemanden. Der Mann hinter den Mauern war Robert Havemann. Sein Verbrechen? Er hatte Fragen gestellt.

Es ist eine der tragischsten und zugleich eindrucksvollsten Geschichten der DDR-Historie. Havemann war kein klassischer Konterrevolutionär, den man leicht als „Klassenfeind“ abtun konnte. Er war einer von ihnen gewesen. Ein Kommunist, ein Widerstandskämpfer, der im Zuchthaus Brandenburg auf seine Hinrichtung durch die Nazis gewartet und überlebt hatte. Als er nach dem Krieg an die Humboldt-Universität zurückkehrte, war er ein Hoffnungsträger. Ein Mann, der glaubte, dass Sozialismus und Freiheit, Wissenschaft und Vernunft zusammengehörten.

Der gefährliche Erfolg
Doch genau dieser Glaube wurde ihm zum Verhängnis. In den 1960er Jahren passierte etwas Unerhörtes an der Berliner Universität: Die Studenten drängten sich in Havemanns Vorlesungen, saßen auf Fensterbänken und Treppenstufen. Er sprach über Physik und Chemie, aber er meinte die Gesellschaft. Sein Satz „Ein System, das Kritik fürchtet, fürchtet auch die Wahrheit“ verbreitete sich wie ein Lauffeuer.

Für die Parteiführung der SED, die Dogmen über Diskurse stellte, war dieser intellektuelle Rockstar eine Bedrohung. 1964 zogen sie die Reißleine: Parteiausschluss, Lehrstuhlentzug, Berufsverbot. Der gefeierte Professor war nun offiziell eine „Unperson“.

Die Strategie der „Zersetzung“
Was folgte, war ein Lehrbuchbeispiel für das, was die Staatssicherheit zynisch „Zersetzung“ nannte. Es ging nicht primär um Inhaftierung, sondern um die Zerstörung der Persönlichkeit. Das MfS startete einen operativen Vorgang gigantischen Ausmaßes. Die Strategie war perfide: Isolation.

Freunde wurden unter Druck gesetzt, den Kontakt abzubrechen. Wer Havemann grüßte, riskierte die eigene Karriere. Das Telefon wurde überwacht oder gestört, Briefe abgefangen. Man wollte Havemann das nehmen, was ein Intellektueller zum Atmen braucht: den Austausch, die Resonanz. Er sollte sich allein fühlen, zweifeln, vielleicht sogar zerbrechen.

Ein Haus als Festung
Der absolute Tiefpunkt dieser Repression war der Hausarrest auf seinem Grundstück in Grünheide. Havemann lebte in einem goldenen Käfig, bewacht von einem Staat, der Angst vor den Gedanken eines einzelnen, lungenkranken Mannes hatte. Besucher wurden registriert, eingeschüchtert, oft direkt an der Pforte abgewiesen.

Doch die Rechnung der Stasi ging nicht auf. Statt zu verstummen, wurde Havemanns Stimme lauter – nur eben anderswo. Er nutzte Westmedien als Verstärker. Seine Texte, wie „Dialektik ohne Dogma“, wurden aus dem Haus geschmuggelt und im Westen publiziert. Über den Äther des Westfernsehens und Radios kamen seine Gedanken zurück in die Wohnzimmer der DDR-Bürger. Sein Haus in Grünheide wurde, trotz der Belagerung, zu einem Wallfahrtsort für Andersdenkende, zu einem symbolischen Zentrum des geistigen Widerstands.

Das biologische Kalkül
Das Ende von Robert Havemanns Leben liest sich wie eine Anklage gegen die Menschlichkeit des Regimes. Der Professor litt an einer schweren Lungenerkrankung. Die Akten legen nahe, dass die Stasi auf eine „biologische Lösung“ hoffte. Medizinische Hilfe wurde bürokratisch verzögert, Facharzttermine erschwert.

Als Robert Havemann im April 1982 starb, atmete der Sicherheitsapparat auf. Keine öffentliche Trauerfeier, keine Würdigung, nur schnelles Vergessen war der Plan. Doch auch hier irrte die Macht. Havemann hatte bewiesen, dass man auch in der Unfreiheit innerlich frei bleiben kann. Sein Erbe sickerte in die Köpfe einer neuen Generation, die nur sieben Jahre nach seinem Tod auf die Straße ging und das System, das ihn eingemauert hatte, zum Einsturz brachte.

Der Wartburg vor dem Haus in Grünheide ist längst verschwunden. Die Gedanken des Mannes, den er bewachte, sind geblieben.

Die Roten Preußen: Aufstieg und stilles Ende der Nationalen Volksarmee

Teaser 1. Persönlich Stell dir vor, du trägst eine Uniform, deren Schnitt an die dunkelsten Kapitel der Geschichte erinnert, während du einen Eid auf den Sozialismus schwörst. Für tausende junge Männer in der DDR war das keine Wahl, sondern Pflicht. Mein Blick auf die NVA ist zwiegespalten: Ich sehe die helfenden Hände im Schneewinter 1978, aber auch die Drohkulisse an der Mauer. Wie fühlte es sich an, Teil einer Armee zu sein, die am Ende einfach verschwand? Eine Reise in eine verblasste, graue Welt. 2. Sachlich-Redaktionell Im Januar 1956 offiziell gegründet, war die Nationale Volksarmee (NVA) weit mehr als nur das militärische Rückgrat der DDR. Von der verdeckten Aufrüstung als „Kasernierte Volkspolizei“ bis zur Integration in die Bundeswehr 1990 zeichnet dieser Beitrag die Historie der ostdeutschen Streitkräfte nach. Wir analysieren die Rolle ehemaliger Wehrmachtsoffiziere, die Einbindung in den Warschauer Pakt und die dramatischen Tage des Herbstes 1989, als die Panzer in den Kasernen blieben. 3. Analytisch & Atmosphärisch Sie wurden die „Roten Preußen“ genannt: Mit steingrauen Uniformen und Stechschritt konservierte die NVA militärische Traditionen, während sie ideologisch fest an Moskau gebunden war. Der Beitrag beleuchtet das Spannungsfeld zwischen preußischer Disziplin und sozialistischer Doktrin. Er fängt die Atmosphäre des Kalten Krieges ein – von der frostigen Stille an der Grenze bis zur bleiernen Zeit der Aufrüstung – und zeigt, wie eine hochgerüstete Armee im Moment der Wahrheit implodierte.

Die Roten Preußen: Aufstieg und stilles Ende der Nationalen Volksarmee

Teaser 1. Persönlich Stell dir vor, du trägst eine Uniform, deren Schnitt an die dunkelsten Kapitel der Geschichte erinnert, während du einen Eid auf den Sozialismus schwörst. Für tausende junge Männer in der DDR war das keine Wahl, sondern Pflicht. Mein Blick auf die NVA ist zwiegespalten: Ich sehe die helfenden Hände im Schneewinter 1978, aber auch die Drohkulisse an der Mauer. Wie fühlte es sich an, Teil einer Armee zu sein, die am Ende einfach verschwand? Eine Reise in eine verblasste, graue Welt. 2. Sachlich-Redaktionell Im Januar 1956 offiziell gegründet, war die Nationale Volksarmee (NVA) weit mehr als nur das militärische Rückgrat der DDR. Von der verdeckten Aufrüstung als „Kasernierte Volkspolizei“ bis zur Integration in die Bundeswehr 1990 zeichnet dieser Beitrag die Historie der ostdeutschen Streitkräfte nach. Wir analysieren die Rolle ehemaliger Wehrmachtsoffiziere, die Einbindung in den Warschauer Pakt und die dramatischen Tage des Herbstes 1989, als die Panzer in den Kasernen blieben. 3. Analytisch & Atmosphärisch Sie wurden die „Roten Preußen“ genannt: Mit steingrauen Uniformen und Stechschritt konservierte die NVA militärische Traditionen, während sie ideologisch fest an Moskau gebunden war. Der Beitrag beleuchtet das Spannungsfeld zwischen preußischer Disziplin und sozialistischer Doktrin. Er fängt die Atmosphäre des Kalten Krieges ein – von der frostigen Stille an der Grenze bis zur bleiernen Zeit der Aufrüstung – und zeigt, wie eine hochgerüstete Armee im Moment der Wahrheit implodierte.