Der Harz, das höchste Mittelgebirge Norddeutschlands, zieht seit Jahrhunderten Reisende in seinen Bann. Doch während Johann Wolfgang von Goethe einst die unberührte Natur als Forschungsreisender erkundete, erwartet heutige Besucher eine Landschaft im Wandel. Eine Fahrt mit der Harzer Schmalspurbahn zum sagenumwobenen Brocken offenbart nicht nur historische Pfade, sondern auch die dramatischen Spuren des Klimawandels und menschlicher Eingriffe.
Auf Goethes Spuren: Der Brocken als Inspirationsquelle
Johann Wolfgang von Goethe war zweifellos einer der berühmtesten Harzbesucher. Er kam nicht als Urlauber, sondern als Forschungsreisender, der sich den Bereichen Geologie und Bergbau widmete. Der Brocken, auf 1141 Metern Höhe gelegen, faszinierte ihn besonders, und er bestieg den Berg dreimal, erstmals am 10. Dezember 1777. Die Eindrücke und Erlebnisse seiner Harzreisen inspirierten ihn tief und fanden Eingang in sein literarisches Schaffen. So setzte er dem Brocken mit der berühmten Szene der Walpurgisnacht in seinem „Faust“ ein literarisches Denkmal, in der Hexen und der Teufel auf dem Brockenwipfel ein rauschendes Fest feiern.
Die Fahrt zum Gipfel: Eine technische Meisterleistung
Heute erreicht man den Brocken bequem mit der Harzer Schmalspurbahn. Ihre Lokomotive, eine Dampfmaschine, wiegt 60 Tonnen und verfügt über eine Leistung von 700 PS. Sie wird mit Wasser und Koks betrieben und schafft die Steigung zum Brocken als reine Adhäsionsbahn ohne zusätzliche Hilfsmittel wie ein Zahnrad. Die Spurbreite der Bahn beträgt 1000 Millimeter. Oben angekommen, lädt ein Rundwanderweg zum Spazieren ein, bevor es nach etwa zwei Stunden zurück nach Schierke geht. Dabei gilt: Die Bahn auf dem Brocken hat Vorfahrt, Züge müssen gegebenenfalls auf dem Abstellgleis oder einer Ausweichstelle warten.
Waldwandel: Ein „Trauermärchen“ für Goethe?
Doch der Blick aus dem Zugfenster und auf dem Gipfel offenbart ein erschütterndes Bild: kahlstehende Bäume. Dies ist das Ergebnis eines umfangreichen Waldsterbens, dessen Ursachen vielfältig sind. Neben der Monokultur von schnellwachsenden Kiefern und Fichten, die früh Gewinn versprechen, tragen auch zu wenig Niederschläge, der Klimawandel und der Borkenkäfer zu diesem Zustand bei. Um der Erosion vorzubeugen, lässt man die kahlen Bäume stehen.
Angesichts dieser Bilder drängt sich die Frage auf: Was würde Wolfgang von Goethe dazu sagen? Würden ihm noch Gedichte oder Verse einfallen? Vielleicht sogar eine Oper unter dem Titel „Das Trauermärchen“? Die Quellen reflektieren die Trauer über den Verlust von Jahrzehnten der Sauerstoffproduktion, der Freude und Gesundheit, die dieser Wald den Menschen einst spendete, und die ungenutzte Energie, die nun als totes Holz daliegt.
Die Reise zum Brocken ist somit heute nicht nur eine Hommage an Goethes Erbe, sondern auch eine mahnende Konfrontation mit den Herausforderungen unserer Zeit und dem dringenden Bedarf an Waldschutz und nachhaltigen Praktiken.