Von Euphorie zur Ernüchterung – Missverständnisse, Mythen und der steinige Weg zur Einheit

Der anfänglichen Euphorie der Wiedervereinigung scheint einer spürbaren Ernüchterung gewichen zu sein. Eine Zeit, in der sich Wildfremde in den Armen lagen und spontan nach Berlin reisten, ist einem Gefühl gewichen, das viele als angespannt empfinden. Doch wie konnte die Stimmung so schnell kippen, und welche Missverständnisse prägen die deutsch-deutsche Beziehung bis heute?

Der Historiker Ilko Kovalczuk zieht eine prägnante Parallele zum deutsch-deutschen Komödienklassiker „Go Trabi Go“, um die anfängliche Haltung des Westens zu illustrieren. In einer Szene machen sächsische Trabbi-Fahrer Rast bei ihren Verwandten in Westdeutschland. Der westdeutsche Verwandte Ottfried Fischer reagiert auf die Ankunft der „Ossis“ mit der Aufforderung: „Erst mal alles weg.“ Schränke werden ausgeräumt, Torte versteckt, damit die Gäste nichts sehen. Später, als die ostdeutschen Besucher krümeln, holt er sofort einen Handstaubsauger heraus, um seine Ordnung wiederherzustellen. Diese Szene dient als Metapher: „Ihr seid willkommen, aber lasst uns in Ruhe. Und bei uns ändert sich gar nichts“.

Doch im Leben und in der Geschichte ändert sich ständig etwas. Diese Veränderungen, auch im Westen bekannt (man denke an „Raider wurde plötzlich Twix“), wurden durch die Einheit noch verstärkt. Kovalczuk kritisiert, dass die Anpassungsleistung des Westens dabei oft zu wenig gewürdigt werde, was er als „kurios“ bezeichnet. Er gesteht Verständnis dafür ein, dass Westdeutsche sich mehr für London, Paris oder New York interessierten als für den „grauen Ost-Beton“. Gleichzeitig bemängelt er das Narrativ, der Westen hätte die Einheit allein gestemmt, indem er Milliarden in den Osten pumpte und den Solidaritätsbeitrag zahlte. Die Wahrheit sei, dass jeder im Osten, der einen Job hatte, ebenfalls Soli-Beitrag zahlte – eine Tatsache, die im Westen kaum jemandem bekannt sei.

Die Wiedervereinigung folgte dem Muster: „Ihr Ossis werdet mal so, wie wir glauben, dass wir sind“. Viele im Westen verstehen die daraus resultierenden Enttäuschungen und Schmerzpunkte im Osten nicht. Eine natürliche Reaktion auf vermeintliche Ungerechtigkeit, wie das Gefühl, „übers Ohr gezogen“ worden zu sein, wäre für Kovalczuk nicht die Wahl einer rechtspopulistischen Partei, sondern eher die Aggression gegen den Verursacher.

Doch warum dann diese politischen Extreme im Osten? Ilko Kovalczuk sieht einen Zusammenhang mit unterschiedlichen Freiheits- und Staatsvorstellungen. Im Osten habe ein Staat regiert, der die Gesellschaft an die Hand nahm, führte und Dinge für sie regelte, solange man sich anpasste und schwieg. Viele Ostdeutsche hätten Schwierigkeiten damit, dass der Staat in einer liberalen Demokratie nicht jene Verantwortung trägt, die sie ihm zuschreiben. Dies erkläre auch den Erfolg von Parteien wie der „faschistischen AfD“ und dem „neokommunistischen BSW“ in Ostdeutschland, da diese einem autoritären Staatsverständnis anhingen, das bei vielen Ostdeutschen offene Türen einrenne.

Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Die Lösung liege darin, vom bisherigen Weg abzugehen, der besagte: „Ihr müsst so werden wie wir“. Dieser Weg, bei dem viele Ostdeutsche glaubten, sie müssten nachahmen, so leben und aussehen wie Westdeutsche, habe sich nach drei Jahrzehnten als Irrweg herausgestellt. Der Ausweg sei die Bereitschaft anzuerkennen, „dass der Sachse ist wie der Sachse“. Es brauche ein Verständnis dafür, dass nicht alle Ostdeutschen gleich sind – selbst zwischen Mecklenburgern und Sachsen gibt es große Unterschiede. Dennoch werde in der „Erfindung der Geschichte“ alles zu „Ostdeutschen“ verrührt.

Es geht darum, mehr zusammenzufinden und eine gemeinsame Zukunft zu gestalten, die auf gegenseitigem Verständnis und der Anerkennung von Unterschieden basiert, anstatt auf der Erwartung vollständiger Anpassung.