
Mehr als 6 Millionen Touristen kommen jedes Jahr an die Ostsee. Auch Thomas Böcher ist unterwegs, genauer gesagt in Bennerberg Dranske auf der Insel Rügen. Dort, wo Generationen von DDR-Bürgern Urlaub machten, soll die Zeit quasi stehen geblieben sein. Ein Ort, an dem Urlaub heutzutage angeblich nicht mehr kosten soll als damals und fast noch genauso aussieht wie 1986. Diesen Ort, ein ehemaliges Betriebsferienlager, hat Böcher besucht.
Originaler DDR-Flair mitten im Wald
50 Meter hinterm Strand, mitten im Wald, liegt das ehemalige Betriebsferienlager Gera. Auf dem Gelände stehen noch 13 Original-Bungalows aus DDR-Zeiten. Dazu kommen Wohnwagen vom Intercamp und das Dübener Ei. Wer lieber zeltet, kann einen der Trabis mit Zeltdach mieten. Betrieben wird die Anlage heute von Candy Dasla. Sein Vater hat die Anlage mit aufgebaut, und Candy selbst machte hier seit seinem dritten Lebensjahr Urlaub. 2017 hatte er die Chance, das Gelände zu kaufen. Er fand die Bungalows so vor, wie sie verlassen worden waren, mit originaler Einrichtung, auch wenn der Zahn der Zeit daran nagte.
Bezahlbarer Familienurlaub im Fokus
Candys Idee war es, Urlaub direkt an der Ostsee mit der Familie auch für einen kleinen Geldbeutel wieder möglich zu machen. Als Familienvater hat er die Entwicklung gesehen, wie teuer der Urlaub geworden ist. Er wollte die Art Urlaub erhalten, bei der Kinder aus der Tür rennen und direkt zum Strand oder Spielplatz gehen können, wie er es selbst erlebt hat. Da dies kaum noch bezahlbar sei, musste ein Kompromiss gefunden werden. Ganz umsonst geht es nicht, aber in der Vorsaison ist es sehr günstig, mit Preisen ab 15 € pro Nacht für zwei Personen. In der Hauptsaison liegt der Preis pro Woche unter 500 €. Das sei der angestrebte Maßstab gewesen.
Spartanisch, aber authentisch
Ein Bungalow wurde Thomas Böcher von Candy Dasla gezeigt, um zu sehen, ob es dort wirklich noch wie früher aussieht. Im Inneren findet sich reichlich „DDR Flare“, inklusive eines Jugendweihebuchs und „Remer an Tante“ (ein Kassettenrekorder). Es gibt eine kleine Küche, wobei das Wasser mit einem Kanister geholt werden muss. Jeder Bungalow hat zwei kleine Schlafzimmer mit je zwei Betten. Nach Ansicht des Lagerleiters braucht man eigentlich nicht mehr. Bei schlechtem Wetter hat man zwar einen Raum, aber theoretisch ist man am Strand und der Bungalow ist nur zum Schlafen da. Ein Schrank, ein Bett, eine Matratze – nicht mehr und nicht weniger.
Gäste suchen bewusst das Ost-Thema
Thomas Böcher traf auf verschiedene Urlauber auf der Anlage. Eine Familie aus Rostock und dem Emsland erzählte, dass sie aus der ehemaligen DDR stammen und die Anlage noch von früher kennen. Die Frau wollte mal etwas anderes kennenlernen. Sie waren nicht überrascht von den Gegebenheiten und fanden es genauso vor, wie sie es sich vorgestellt hatten: Ruhe, Abgeschiedenheit, Wald vor der Tür. Dass es spartanisch ist und man sich das Wasser selbst holen muss, stört sie nicht. Sie lernen es dadurch zu schätzen, was sie zu Hause haben. Verpflegen muss man sich selbst, zum Beispiel am Ostsee-Kiosk zwischen den Bungalows, der typische Ostprodukte anbietet.
Eine Gruppe junger Männer, alle unter 30, mietete sich ebenfalls in einem Ost-Bungalow ein. Auf die Frage, warum sie sich für dieses „Ost Thema“ entschieden haben, gab einer zu, dass auch der Preis ausschlaggebend war. Zudem sollte es Rügen sein. Sie hatten bewusst die Entscheidung getroffen und wollten den „vollen DDR Flare“ erleben. Sie kommen aus der Gegend, sind mit Camping groß geworden und stört ein geringerer Anspruch nicht. Sie sind froh, sich einmal im Jahr als Truppe treffen zu können. Ihre Eltern sind in der DDR aufgewachsen und haben diesen „Lifestyle“ ein Stück weit vermittelt. Sie würden nichts vermissen im Vergleich zu teureren Anlagen mit mehr Komfort. Ihre Zwecke reicht genau, die sanitären Anlagen seien top, und Hauptsache, sie hätten Bier. Der „coole Flare“ passe gut zum Thema.
Vom Ostsee-Kiosk zur kleinsten Brauerei
Der Stand, der zum Konzept gehört, wird als „Ost-Deli“ oder „Ostsee-Kiosk“ bezeichnet. Neben typischen Ostprodukten ist er gleichzeitig die „kleinste Brauerei“ auf der Insel Rügen und bietet ein eigenes Bier an. Dieses wird in einer ehemaligen volkseigenen Flasche abgefüllt und als schönes leichtes helles Sommerbier beschrieben.
Fazit nach einer Nacht im Bungalow
Nach einer Nacht im DDR-Bungalow zieht Thomas Böcher Bilanz. Es war spät geworden und frisch an der Ostsee. Er beschreibt die Nacht zwischen Wandheizkörper, Plastikschick und Remer an Tante. Wer hier Urlaub macht, bekomme nicht weniger, aber auch nicht mehr als das, was versprochen wurde: Ostalgie pur, Ostschick vom allerfeinsten. Wer es mag, könne hier eine schöne Zeit verleben. Er fragt sich scherzhaft, ob er wohl von Meister Nadelöhr oder Herrn Professor Flöhrich träumen werde.