Der Bau der Berliner Nordsüd-S-Bahn in den 30er Jahren

Berlin, Mitte der 1930er Jahre – Die Reichshauptstadt mit ihren mehr als 4 Millionen Einwohnern ist ein ständiger Puls von Verkehr. Während die Stadt- und Ringbahn das Zentrum bereits umfassen und in Ost-West-Richtung durchqueren, fehlte bislang eine entscheidende Verbindung im Schnellbahnnetz der Reichsbahn: eine Nordsüdverbindung. Um diese Lücke zwischen den nördlichen und südlichen Vorortstrecken zu schließen, realisierte die Reichsbahn Anfang der 30er Jahre ein Riesenprojekt: den Bau einer Nordsüd-S-Bahn.

Diese neue Strecke sollte nicht nur Vororte verbinden, sondern auch vier Fernbahnhöfe unmittelbar miteinander verknüpfen. Beginnend im Norden nahe des Stetiner Bahnhofs, führt die Trasse über den Bahnhof Friedrichstraße mitten durch das Herz Berlins. Sie legt sich unter die Straße Unter den Linden, berührt den Potsdamer Platz und den Anhalter Bahnhof, bevor sie sich jenseits des Landwehrkanals beim Bahnhof Yorckstraße in die südlichen Vorortstrecken verzweigt.

Eine der größten Herausforderungen dieses Bauvorhabens war seine Lage: Auf einer Gesamtlänge von rund 6 Kilometern musste die Strecke unter die Erdoberfläche verlegt werden, um den oberflächennahen Verkehr nicht zu beeinträchtigen. Dennoch waren sichtbare Eingriffe unumgänglich. Ganze Häuserblocks fielen der Spitzhacke zum Opfer, während benachbarte Gebäude durch Vertiefung ihrer Fundamente gesichert wurden. Vor den eigentlichen Bauarbeiten mussten bestehende Leitungen in den Straßen verlegt werden.

Der unterirdische Bau erforderte immense Anstrengungen. Zuerst wurden Träger zur Begrenzung der Baugrube in den Boden gerammt, das Pflaster wich einer vorläufigen Fahrbahndecke. Tiefbrunnen saugten Tag und Nacht das Grundwasser ab, das etwa 3 Meter unter der Straßendecke stand, um die Tunnelbaurensohle trocken zu halten. Anschließend wurde der Boden ausgeschachtet, die Baugrube ausgesteift und ausgewohlt. Eine Sohlenschutzschicht aus Beton wurde eingebracht und mit einer vierfachen Dichtungslage als Grundwasserschutz versehen. Darauf folgten die Betonierungsarbeiten der Sohle (armiert mit Rundeisen) und der abgedichteten Seitenwände. Die Decke entstand durch das Verlegen von Deckenträgern, dazwischen gespannten Betonkappen und einer abschließenden Abdichtung. Erst nach dem Verfüllen der Baugrube über der Decke und dem Wiederansteigen des Grundwassers zur alten Höhe war der Tunnelrohbau fertig.

Die Umsetzung auf den Baustellen war weitaus komplexer als im Bau-Trickfilm. Allein der Erdaushub war eine Mammutaufgabe. 1,8 Millionen Kubikmeter Boden mussten unter sehr beengten örtlichen Verhältnissen ausgeschachtet werden. Vom Pferdevorwerk über Feldbahnen bis hin zu Aufzügen und Lastkraftwagen kamen alle verfügbaren Transportmittel zum Einsatz, um die Erdmassen abzufahren. Förderbänder schafften den Aushub in mehreren Staffeln zu Eisenbahnwagen. Für die Aussteifung und Ausbohlung der 6 km Baugrube wurden 75.000 Kubikmeter Bauholz benötigt – gleichsam wurden ganze Wälder in die Tunnelschächte eingebaut.

Besonders schwierig gestalteten sich die Unterfahrung bestehender Infrastrukturen. Unter den Gleisen des Stetiner Bahnhofs, wo der lebhafte Fernverkehr in die Ostseebäder aufrechterhalten werden musste, wurden vorwiegend in nächtlichen Betriebspausen etwa 1200 Meter eiserne Hilfsbrücken zur Abfangung der Gleise eingebaut. Der Erdaushub war hier besonders mühsam und erfolgte mit großen Greifern. Auch die Unterfahrung der Wasserläufe, der Spree und des Landwehrkanals, stellte die Planer vor Herausforderungen, da Schifffahrt und Vorflut nicht gestört werden durften. Die Unterfahrung der Spree (etwa 60 Meter breit an dieser Stelle) wurde auf zwei Bauabschnitte verteilt; eine Notbrücke sicherte Versorgungsleitungen und den Fußgängerverkehr. Sprengungen von Brückenmauerwerk und Pfeilern, teils Unterwassersprengungen, waren hierfür notwendig.

Im Abschnitt um den Bahnhof Friedrichstraße, der besonders verkehrsbelastet war, stieß die Bauleitung auf einen Kolk aus Faulschlamm und Moor auf der Tunnelsohle. Dies zwang dazu, sogenannte Pressbetonpfähle von 8 bis 17 Metern Länge auf einer Fläche von 650 Quadratmetern in den tragfähigen Untergrund zu bohren. Auf dem Weg zur Straße Unter den Linden mussten im Zuge der Neustädtischen Kirchstraße zahlreiche Häuser weichen, die später durch einen eindrucksvollen Neubau ersetzt werden sollten. Auch die Unterfahrung der Linden selbst bis zum Brandenburger Tor war Teil des Projekts.

Nach Fertigstellung des Tunnelrohbaus begann auf allen Bauabschnitten der Innenausbau der Bahnhofs- und Betriebsanlagen. Schotter wurde eingebracht, auf dem die Gleise verlegt wurden. Für die Betriebssicherheit sorgen halb selbsttätige Stellwerke mit beleuchteten Gleistafeln. Der Wärter konnte Signale und Weichen von einem 40teiligen Schalterwerk aus bedienen. Tunnellichtsignale, vom Zug automatisch gestellt, geben Streckenabschnitte frei, während mechanische Fahrsperren jeden Zug bremsen, der ein Haltesignal überfahren sollte. Die Stromversorgung erfolgt über Hochspannungskabel (30.000 Volt Drehstrom) zu Unterwerken, die den Strom in den Fahrstrom von 800 Volt Gleichstrom umwandeln. Diese Unterwerke waren ferngesteuert und benötigten keine Dauerbedienung. Die einzelnen Bahnhöfe sind durch hellbunte Kacheln in verschiedenen Farben voneinander unterscheidbar. Bequeme Treppen und Fahrtreppen verbinden die Bahnhöfe mit der Straßenoberfläche.

Das Projekt, geplant mit vier Jahren Bauzeit, war zeitweise das größte Bauvorhaben der Reichshauptstadt. Es gab etwa 11.000 „Volksgenossen“ Arbeit und Brot. Es wurde als eine Leistung dargestellt, die den Willen zu deutscher Werkgemeinschaft und deutschem Wiederaufbau demonstrierte.

Nach Beendigung der Rohbauarbeiten und des Innenausbaus konnten schließlich die Probefahrten beginnen. Wer heute einen der hellen, geräumigen Bahnhöfe der Nordsüd-Bahn betritt und unter dem Herzen der Millionenstadt schnell und sicher seinem Ziel zustrebt, dem ist kaum bewusst, welch gewaltige Arbeitsleistung notwendig war, um dieses neue, große Werk der Reichsbahn zu erschließen.

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