Waldsiedlung Wandlitz: Die geheime Enklave der Macht

Mitten im Wald, etwa 30 Kilometer nördlich von Berlin, nahe Wandlitz, liegt ein Ort, der für viele in der DDR zum Sinnbild für die Abgehobenheit und die Privilegien der politischen Elite wurde. Umzingelt von Mauern, Stacheldraht und sogar stromführenden Drähten, lebten hier die mächtigsten Männer der Deutschen Demokratischen Republik – Mitglieder des Politbüros, darunter Größen wie Walter Ulbricht, Erich Honecker und der berüchtigte Stasi-Chef Erich Mielke. Bekannt als „Waldsiedlung“ oder auch abschätzig als „Wandlitz“, war diese Wohnsiedlung ein streng bewachtes Sperrgebiet, eine „geheimnisumwitterte Enklave der Macht“.

Die Idee für die Siedlung entstand nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953. Die bisherige Wohnanlage der Parteielite am Majakowskiring in Pankow wurde als zu eng und unsicher empfunden. Man suchte einen Ort, der unter Sicherheitsaspekten besser zu schützen war. Ulbricht persönlich gab grünes Licht für das Vorhaben in einem der schönsten Waldgebiete nördlich von Berlin. Die Bauarbeiten begannen hochgeheim im Mai 1958 in einem 1,5 Quadratkilometer großen Waldgebiet bei Wandlitz und Bernau, unter Beaufsichtigung der Stasi. Gerüchte kursierten, zunächst über eine sowjetische Militär-Administration, doch bald wurde klar, dass die DDR-Regierung baute. Informationen über die luxuriöse Siedlung für die SED-Prominenz sickerten dennoch in den Westen durch, befeuert durch Handwerker aus der Umgebung und sogar durch ein heimlich aufgenommenes Foto der Baustelle von 1959.

Von Anfang an war die Waldsiedlung ein Stasi-Objekt. Geleitet wurden die Planungen von Heinz Gläske, Deckname Hegl, einem Mann der Stasi und Chef des Sonderbaustabes 10. Gläske, dessen Vergangenheit eine tödliche Entführungsmission für die Staatssicherheit umfasste, war loyal und konnte sich definitiv nicht in den Westen absetzen. Unter strengster Kontrolle der Staatssicherheit entstand in nur zwei Jahren ein kleines Städtchen im Wald, umschlossen von einer Mauer, die den sogenannten Innenring vom Außenring und der Außenwelt trennte. Innerhalb der Siedlung gab es keine Wege- oder Straßennamen; die Funktionäre kannten ihre Hausnummern von 1 bis 23. Nur wer einen speziellen Ausweis oder eine Besuchserlaubnis besaß, durfte hinein.

Obwohl die Häuser von außen teilweise als relativ bescheiden empfunden wurden, handelte es sich um anspruchsvolle Bauten, angepasst an die Bedürfnisse der Bewohner. Die eigentlichen Privilegien lagen in der Versorgungssituation: Die Miete, zwischen 400 und 800 DDR-Mark, beinhaltete alles: Bauarbeiten am Haus, Möbelnutzung, und die Kosten für das Dienstpersonal. Dieses Personal – von der Putzfrau über Koch, Kellner, Schneider bis Friseur – umfasste 650 Mitarbeiter, die 23 Familien umsorgten. Jeder Mitarbeiter war Mitglied des Personenschutzes der Staatssicherheit, hatte militärischen Rang und ein Schweige-Gelübde. Ein ehemaliger Kellner, Lothar Herzog, erinnert sich, dass „Nein“ sagen nicht möglich war; „Jeder Wunsch [war] hier Befehl“. Selbst das Servieren von Mineralwasser für Minister Mielke um 6 Uhr morgens musste sichergestellt sein.

Ein besonderes Symbol der Abgehobenheit war das sogenannte „Ladenkombinat“. Hier gab es alles, was im Alltag der DDR nicht zu kaufen war – West-Waren im Wert von jährlich bis zu 8 Millionen D-Mark. Anfangs stammten diese teilweise aus beschlagnahmten West-Paketen. Später beschaffte eine eigene Stasi-Handelsfirma, die LETEX, über Stasi-Mann Alexander Schalck-Golodkowski die Produkte exklusiv für die Waldsiedlung. Spezielle Wünsche, wie Umstandskleidung oder Babyausstattung aus West-Berlin für Margot Honeckers Tochter Sonja, wurden über Sigrid Schalck-Golodkowski und ihre Gruppe beschafft. Das Ladenkombinat machte trotz hoher Preise Miese, da der inoffizielle Umtauschkurs von 1:10 für DDR-Bürger für die Elite nicht galt; sie zahlten nur 1,5 Ostmark für eine Westmark.

Die Waldsiedlung war nicht nur ein Ort des privilegierten Wohnens, sondern auch der politischen Intrigen und der Isolation. Die Atmosphäre war menschenleer; die Funktionäre verbrachten die Tage in Berlin und verschwanden an den Wochenenden. Man ging sich aus dem Weg, es herrschte Misstrauen. Der Kultur-Chef Kurt Hager nannte die Siedlung etwas bitter das „x-te Internierungslager“. Die Stasi war allgegenwärtig, da das gesamte Personal aus ihren Reihen stammte. Erich Honecker, der im kleinsten Haus lebte, zog sich wie viele andere immer mehr zurück. Der Weg nach Berlin wurde zum Sinnbild für die Kluft zwischen Volk und Herrschaft; die Führung nahm die DDR-Gesellschaft nur noch aus den Fenstern der Limousinen wahr.

In der Siedlung ereigneten sich auch dramatische Dinge, wie der Tod des Leiters der Staatlichen Plankommission, Erich Apel, im Dezember 1965. Nach einer lauten politischen Auseinandersetzung im Klubhaus mit Günter Mittag, der Apels Reformpläne boykottierte und sich bei Breschnew über ihn beschwert hatte, wurde Apel am nächsten Morgen tot in seinem Büro in Berlin gefunden. Offiziell hieß es tragischer Unglücksfall oder Suizid, doch Monika Kaiser fand bei ihren Untersuchungen Widersprüche; die Frage nach Suizid oder politischem Mord bleibt bis heute ungeklärt. Günter Mittag, Apels „bester Freund“, machte nach dessen Tod Karriere und übernahm Apels Jagdhütte.

Die Jagd, insbesondere in der nahegelegenen Schorfheide („Wildfang“), wurde zu einem Statussymbol der Macht. Dort fanden diplomatische Kontakte statt, und Politik wurde gemacht. Honecker nutzte die Jagd auch, um im engsten Zirkel, insbesondere mit Günter Mittag und Leonid Breschnew, Strippen gegen Walter Ulbricht zu ziehen und dessen Entmachtung vorzubereiten. 1971 löste Honecker Ulbricht schließlich als Erster Sekretär ab.

Die Existenz der Waldsiedlung und die damit verbundenen Privilegien waren ein offenes Geheimnis und eine Projektionsfläche für die Widersprüche der DDR-Gesellschaft. Als das Magazin „Elf 99“ und andere Journalisten darüber berichteten, ging ein Sturm durchs Land. Tausende Beschwerdebriefe gingen an die Volkskammer, ein Untersuchungsausschuss begann, und Ermittlungsverfahren wurden eröffnet.

Im Januar 1990 wohnte niemand mehr in der Waldsiedlung. Die Bewohner hatten die Häuser oft fluchtartig verlassen. Zurückgelassenes Erbe wurde wochenlang auf einem Brandplatz verbrannt. Ein ehemaliger Bereitschaftspolizist, Paul Bergner, der ab 1990 als Gärtner dort arbeitete, rettete Gemälde, Skulpturen, Platten und Bücher vor der Zerstörung. Er nannte es einen „barbarischen Umgang mit der Geschichte“. Bergner setzte sich jahrelang dafür ein, dass die Anlage als Zeitzeugnis unter Denkmalschutz gestellt würde. Doch in den 1990ern wollte niemand einen „Wallfahrtsort für eine Diktatur“. Erst sehr langsam setzte sich das Bewusstsein durch, dass solche Orte für die historisch-politische Aufarbeitung wichtig sind.

Heute steht die Mauer noch. Die Waldsiedlung wurde von einer der größten Reha-Kliniken Brandenburgs überformt. Nur Stelen erinnern noch an die einstigen Bewohner und die Landschaft der Macht. Viele der wertvollen Skulpturen, die einst die Parks und Häuser zierten, sind heute im Kunstraum Bernau zu sehen, aufwendig restauriert.

Die Waldsiedlung Wandlitz bleibt ein Ort, der deutlich macht, wie Macht dazu verleiten kann, sich Privilegien zu sichern und sich von den Bedürfnissen des Volkes zu entfernen. Sie ist zu einem Symbol für den Missbrauch von Macht und die Angst der Mächtigen geworden, vom Volk entlarvt zu werden.

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