Im Schatten des Monolithen: Die Akteure hinter dem Berliner Fernsehturm (1966–1969)

Am frühen Morgen des 3. Oktober 1969, beim ersten Sendebetrieb des fertiggestellten Berliner Fernsehturms, standen sie im Staub und im Dunst des Betons: jene Ingenieure, Architekten, Bauarbeiter und Fachleute, die vier Jahre lang unermüdlich an diesem Projekt gearbeitet hatten. Für sie war der strahlende Schaft im Herzen Ost-Berlins weit mehr als ein Prestigeobjekt der DDR – er war das Ergebnis von Akribie, Durchhaltevermögen und dem festen Glauben an den Fortschritt.

Zwischen Politik und Pragmatismus Als im Frühjahr 1965 die staatliche Lenkungsgruppe unter der Leitung von Architekt Hermann Henselmann und Oberingenieur Günter Franke die Baupläne präsentierte, galt es nicht nur, bautechnische Herausforderungen zu meistern, sondern auch politisches Taktgefühl zu beweisen. Jeder Zementmischer, jeder Stahlträger wurde politisch überwacht; gleichzeitig aber mussten die Kollegen pragmatisch Entscheidungen treffen, wenn im Winter 1967 der Frost den Betonkerndruck bedrohte.

Harte Arbeit, kühler Kopf Am Betonkern, der bis zu 150 Metern emporwuchs, arbeiteten Tag und Nacht in Schichten teils 200 Menschen. Die Bauarbeiter, häufig ehemalige Zwangsrekrutierte für Großprojekte, erzählten später von Feldküchen unter Plane und langen Nächten im Schweinwerferlicht. „Wir haben mehr Schnee als Zement gesehen“, scherzte der Betonmeister Heinz Bauer, als er sich an die winterlichen Gussarbeiten erinnerte. Doch die Kombination aus Erfahrung und moderner Technik – erstmals arbeitete man mit einem selbstfahrenden Schalwagen – machte das Unmögliche möglich.

Technik und Präzision im Fokus Parallel zur Rohbauphase planten die Funktechniker um Dipl.-Ingenieurin Karin Lehmann die Sendestationen. Ihre Aufgabe: Ein lückenloses digitales Übertragungsnetz, das den Turm zur leistungsstärksten Antennenschüssel der DDR machte. Dabei stieß das Team auf Logistikprobleme, als Pumpaggregate aus Polen zu spät eintrafen. Kurzerhand organisierte die junge Ingenieurin einen Lufttransport per Mil-Luftbrücke.

Das Drehrestaurant: Zeichen der Modernität Nicht nur die Sendeleistung zählte, sondern auch die symbolische Wirkung. Mit der Ringetage, dem später berühmt gewordenen Drehrestaurant, wollten die Verantwortlichen ein Zeichen setzen: Sozialistische Gastfreundschaft in luftiger Höhe. Architekt Wolfgang Peters erinnert sich, wie seine Kollegen in der Metallwerkstatt die ersten Prototypen der Restaurantsegmente schweißten und millimetergenau auf dem 207 Meter hohen Turmkopf montierten.

Alltag und Teamgeist Trotz der straffen Planvorgaben entwickelte sich auf der Baustelle ein erstaunlicher Zusammenhalt. Am 1. Mai 1968 lud die Bauleitung alle zwei Wochen zu einem improvisierten Arbeiterfest ein: Tanzmusik, Bier, Plattenbau-Würstchen und die eine oder andere politische Rede – ein Ventil für angestaute Spannungen. Die Blicke auf die wachsende Turmkonstruktion motivierten: Jeder Handgriff zählte.

Meilensteine und Anekdoten Der spektakuläre Moment kam im Sommer 1969, als die letzte Stahlkugel des Sendekopfes eingehoben wurde: Ein technisches Meisterstück der Schwerlastkrane, das selbst erfahrene Spezialisten in Staunen versetzte. Kurz darauf begannen die Testläufe der Aufzugsanlagen. Am 16. September stiegen schließlich die ersten Techniker bis zur Aussichtsplattform – ein Gänsehautgefühl, das alle Anstrengungen rechtfertigte.

Ein Symbol und sein Vermächtnis Als der Fernsehturm am 3. Oktober feierlich eingeweiht wurde, klopften sich die Kollegen anerkennend auf die Schultern. In den Medien wurde er zum Symbol für den Fortschritt der DDR verklärt; für viele der Beteiligten blieb er vor allem ein Monument gemeinsamen Stolzes. Noch heute, wenn die Glocken der Turmuhr in der Abenddämmerung schlagen, erinnern sich die Baumeister jener Tage an ihren Beitrag zu einem der markantesten Wahrzeichen Berlins.

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