Bereits kurz nach Gründung der DDR erkannte die SED-Führung die propagandistische Kraft des Sports. Unter der Leitung von Manfred Ewald, der ab 1961 das Staatliche Komitee für Körperkultur und Sport (Stako) und ab 1963 den Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) prägte, wurde Spitzensport zum zentralen Staatsprojekt erklärt. Ewald – inzwischen Präsident des Nationalen Olympischen Komitees der DDR – verstand Medaillen als Beleg für die Überlegenheit des Sozialismus und baute ein eng verzahntes Netz aus Verbänden, Ausbildungsstätten und Forschungslaboren auf, um dieses Ziel zu erreichen.
Auf dem Podium: Medaillen als Triumph des Sozialismus
Von den Olympischen Spielen 1956 bis 1988 kehrten DDR-Athletinnen und -Athleten mit insgesamt 519 Medaillen zurück: 192-mal Gold, 165-mal Silber und 162-mal Bronze. Damit rangierte die DDR hinter den USA und der Sowjetunion konstant unter den drei stärksten Sportnationen der Welt und übertraf ab 1968 regelmäßig die Bundesrepublik Deutschland im Medaillenspiegel. Besonders 1976 in Montreal und 1984 in Los Angeles gelang es der DDR, die USA beziehungsweise sogar die Sowjetunion hinter sich zu lassen – ein Prestigeerfolg, der in der internationalen Öffentlichkeitswirkung der SED immense Bedeutung zukam.
Vom Kindergarten zur Hochleistung: Das System Sport
Schon im Vorschulalter wurden Kinder systematisch untersucht, um Talente für die 900 Trainingszentren und die spezialisierten Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) ausfindig zu machen. Unter Leitung der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig entstanden Trainingsprogramme auf Basis sportwissenschaftlicher Forschung. Trainer wurden akademisch ausgebildet, Ernährung, Erholung und medizinische Betreuung streng überwacht. Dieses duale System aus Früherkennung und Eliteförderung galt lange als Erfolgsrezept und machte die DDR zu einem Modellstaat des Hochleistungssports.
Der Schatten des Erfolgs: Staatsplan 14.25 und systematisches Doping
Trotz rigoroser Trainingsmethoden reichte der natürliche Vorsprung vieler Athletinnen und Athleten nicht aus, um die ambitionierten Medaillenziele zu erreichen. Ende der 1960er Jahre setzte daher ein flächendeckender Einsatz leistungssteigernder Substanzen ein. 1974 institutionalisierten Staatssicherheit, Sportmedizin und SED diesen Prozess durch den sogenannten Staatsplan 14.25, ein „hochgradig zentralisiertes, geheimes Programm“ zur systematischen Verabreichung von Anabolika und anderen Mitteln, gesammelt unter der Bezeichnung „uM“ (unterstützende Mittel). Die Verteilung und Geheimhaltung lag in der Hand der Staatssicherheit, während Sportärzte und Funktionäre wie Dr. Manfred Höppner die medizinische Seite verantworteten.
Opfer zwischen Triumph und Unwissenheit
Viele erwachsene Sportlerinnen und Sportler stimmten freiwillig dem Doping zu, motiviert vom Gewinnstreben und dem Druck, im Klassenkampf siegreich zu sein. Noch gravierender jedoch war die Einbindung minderjähriger Athletinnen und Athleten: Diese wurden systematisch getäuscht und glaubten, harmlose Vitamine („uM“) zu sich zu nehmen. Erst nach ihrem Rückzug aus dem aktiven Sport und insbesondere nach 1989 berichteten Betroffene von schweren gesundheitlichen Langzeitfolgen – hormonelle Störungen, Organerkrankungen und psychische Belastungen, die das vermeintliche Sportwunder in ein Trümmerfeld persönlicher Schicksale verwandelten.
Von der Hochglanz-Propaganda zur kritischen Aufarbeitung
Mit dem Fall der Berliner Mauer endete das staatlich gelenkte DDR-Sportsystem abrupt. Ehemalige Spitzensportlerinnen und -sportler sahen sich plötzlich mit der Realität ihres Handelns konfrontiert: Medaillen und Rekorde standen in einem anderen Licht, Trainer und Funktionäre wurden angeklagt, Dokumente geöffnet. Einige Athleten mussten öffentlich Rechenschaft ablegen, andere sprachen erstmals offen über erlittene Gewalt und den Zwang, den sie unter den rigiden Vorgaben litten.
Lehren für die Gegenwart: Fairness statt Medaillenjagd
Die Geschichte des DDR-Spitzensports lehrt, dass nachhaltige sportliche Leistung auf Prinzipien wie Fairness, Transparenz und Respekt basieren muss – nicht allein auf Medaillen und Rekorden. Moderne Anti-Doping-Agenturen stützen sich auf Lehren aus dem DDR-Fiasko: unabhängige Kontrollen, Whistleblower-Schutz und Aufklärung der Athleten über Risiken. Nur so bleibt der Sport ein Spiegel menschlicher Leistungsfähigkeit, frei von politischen Manövern und dem Druck, die Ideologie eines Staates zu inszenieren.