Der Rostocker „Porno-Brunnen“ wird 45

Rostock. Wer sich in Rostock verabredet, sagt selten „Neuer Markt“, noch seltener „Universitätsplatz“. Stattdessen heißt es ganz selbstverständlich: „Wir treffen uns am Brunnen der Lebensfreude.“ Seit 45 Sommern plätschert er mitten im Herzen der Hansestadt – skulptural, verspielt, sinnlich. Und ja: ein bisschen freizügig. Ein Ort, an dem sich Kunst, Alltag und ein Hauch Ostgeschichte berühren.

Eingeweiht wurde der Brunnen am 27. Juni 1980 – doch es war keine stille Geburt. Die 17 lebensgroßen, teilweise nackten Bronze-Figuren, gestaltet vom Bildhauer-Duo Jo Jastram und Reinhard Dietrich, sorgten für kontroverse Diskussionen in einer Zeit, die mit Freikörperkultur zwar vertraut, mit erotischer Kunst im öffentlichen Raum aber keineswegs souverän umging.

„Damals hieß es mehr Contra als Pro“, erinnert sich Bildhauer-Kollege Wolfgang Friedrich. „Aber das hat sich schnell aufgelöst. Die Künstler haben die Menschen mit ihrem Werk in den Bann gezogen.“ Was zunächst verstörte, wurde zur Identifikationsfigur einer Stadt.

Vom Klo zur Kunst
Dabei war der Standort alles andere als attraktiv. An jener Stelle, wo heute Kinder durch Wasserläufe tollen und Paare sich bei lauen Sommerabenden verabreden, roch es einst streng: Eine öffentliche Toilette dominierte den Platz – samt der Gerüche, die je nach Windrichtung über den Universitätsplatz zogen. Der Brunnen ersetzte sie nicht nur baulich, sondern verwandelte den Ort symbolisch: von der Notdurft zur Lebensfreude.

Wolfgang Friedrich erinnert sich lebhaft an die letzten Schliffe am Kunstwerk: „Ich stand damals in der Wohnung des Architekten Peter Baumach und konnte von oben zusehen, wie Jo und Reinhard unten an den Figuren arbeiteten.“

Was sie schufen, ist mehr als ein Brunnen – es ist eine Bühne des Menschlichen: Menschen in Bewegung, in Berührung, in Freude. Kinder klettern, Verliebte posieren für Fotos, Touristen staunen, und für viele Rostocker ist es schlicht der „Porno-Brunnen“ – liebevoll-ironisch, keineswegs abwertend.

Vom Skandal zur Seele der Stadt
Was als kulturelle Provokation begann, ist heute gelebte Stadtkultur. Der Universitätsplatz hat sich seit den 1980ern vom geschichtlich aufgeladenen Ort – Marktplatz des 13. Jahrhunderts, Kreuzung mittelalterlicher Handelswege – zum Treffpunkt Nummer eins entwickelt. Wer heute „Zentrum von Rostock“ sagt, meint nicht mehr den Neuen Markt, sondern den Brunnen der Lebensfreude.

Damit er auch weiterhin sprudelt, übernimmt die städtische Wohnungsgesellschaft WIRO die Patenschaft. Pünktlich zum Osterfest wird das Wasser traditionell feierlich mit der Oberbürgermeisterin angedreht – ein symbolischer Start in die Brunnensaison, die bis Oktober täglich von 10 bis 20 Uhr dauert.

Ein Denkmal der Alltagspoesie
Der Brunnen der Lebensfreude ist 45 Jahre alt – und dabei kein bisschen leise geworden. Er spricht durch Wasser, durch Bewegung, durch Körper. Er erzählt vom Mut, Kunst Raum zu geben, auch wenn sie aneckt. Von Transformation – aus stinkendem Platz wird sozialer Raum. Und vom langen Atem der Kunst im öffentlichen Raum, der manchmal Jahrzehnte braucht, um verstanden und geliebt zu werden.

Vielleicht liegt gerade darin seine Kraft: Er ist nicht nur ein Kunstwerk. Er ist ein Stück Rostock.

Tips, Hinweise oder Anregungen an Arne Petrich

Beitrag finden? Einfach die Suche nutzen!