Als der Bundestag 1994 den Weg für Christos Kunstprojekt freimachte

Es war ein Moment, in dem Politik und Kunst, Symbolik und Zeitgeschichte aufeinandertreffen sollten: Am 25. Februar 1994 stimmte der Deutsche Bundestag in einer kontroversen Debatte über ein Kunstprojekt ab, das weltweit Aufsehen erregen sollte – die Verhüllung des Reichstagsgebäudes in Berlin durch das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude. Ein Jahr später wurde die Vision Wirklichkeit.

Was heute als kulturelles Großereignis in die Geschichte eingegangen ist, war damals alles andere als unumstritten. Der Bundestag diskutierte leidenschaftlich – nicht nur über Planen, Seile und Stoffe, sondern über die Würde eines Ortes, der wie kaum ein anderer für die wechselvolle Geschichte Deutschlands steht. Zwischen Kaiserreich, Weimar, NS-Diktatur, Wiedervereinigung – und der ungewissen Zukunft eines Landes in der Transformation.

Mit 292 Ja-Stimmen, 223 Nein-Stimmen und 9 Enthaltungen fiel das Votum überraschend deutlich aus. Ein klares politisches Signal – nicht nur für die Kunst, sondern auch für einen neuen Umgang mit Geschichte und nationalen Symbolen.

„Die Verhüllung des Reichstages ist kein Spektakel, sondern ein sichtbares Zeichen der Offenheit“, sagte Rita Süssmuth (CDU), damalige Bundestagspräsidentin, in der Debatte. Auch Stimmen aus SPD, FDP und den Grünen begrüßten das Vorhaben. Sie sahen darin ein Stück gelebter Demokratie – ein Zeichen dafür, dass selbst ein historisch aufgeladenes Gebäude Teil der Gegenwart und des öffentlichen Diskurses bleiben kann.

Doch es gab auch Widerstand. Vor allem aus konservativen Kreisen kamen Bedenken: Der Reichstag, so hieß es, sei ein Ort, der nicht „verpackt“ werden dürfe. Kritiker warnten vor einer „Entweihung“ des nationalen Symbols – ein Argument, das die Kontroverse zusätzlich auflud.

Christo und Jeanne-Claude hatten das Projekt bereits seit den 1970er Jahren verfolgt – immer wieder war es an politischen Widerständen gescheitert. Erst nach der Wiedervereinigung wurde der Weg frei. Als es im Sommer 1995 endlich soweit war, lag über Berlin ein silbrig-glänzender Stoff, der für zwei Wochen Geschichte neu ins Bild setzte.

Über 5 Millionen Besucherinnen und Besucher kamen in diese kurze Zeitspanne an den Platz der Republik. Viele bewegte der Anblick – nicht nur wegen der ästhetischen Wucht, sondern auch wegen der Idee, dass Kunst Veränderung bewirken kann. Ohne Worte, ohne Plakate – allein durch Präsenz.

Das Projekt war ein Triumph. Und ein Beweis dafür, dass Demokratie mehr ist als Gesetze und Institutionen – nämlich die Fähigkeit, sich selbst infrage zu stellen. Und dabei offen zu bleiben für neue Perspektiven.

Autor/Redakteur/IT-Chronist: Arne Petrich
Kontakt per Mail: coolisono@gmail.com

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