„Verostung des Westens“ – Steffen Mau zur politischen Lage nach der Bundestagswahl

Im Interview mit hart aber fair am 19. März 2025 analysierte der Soziologe Steffen Mau die Ergebnisse der jüngsten Bundestagswahl und ordnete die politischen Entwicklungen in Deutschland ein – insbesondere den Aufstieg der AfD und die anhaltenden Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland.

Bereits eingangs lenkte Moderator Louis Klamroth den Blick auf eine markante Wahlergebniskarte: Im Osten Deutschlands dominiert die AfD nach den Zweitstimmen – mit teils deutlichem Vorsprung vor der CDU. Mau bestätigte diese Entwicklung und sprach davon, dass die AfD im Osten zur dominanten politischen Kraft geworden sei. In einigen Regionen liege sie zehn Prozentpunkte vor der CDU. Vor den anstehenden Landtagswahlen deutete Mau auf die erwartbar schwierige Koalitionsbildung hin – ein Zeichen der politischen Verschiebung.

Doch nicht nur im Osten wächst die AfD. Auch im Westen verzeichnet die Partei deutliche Zugewinne. Dabei bleibe zwar der Abstand zwischen Ost und West stabil, doch das Gesamtniveau der Zustimmung steige bundesweit. Mau sprach in diesem Zusammenhang von einer möglichen „Verostung des Westens“ – eine Umkehrung früherer Entwicklungen, in denen Ostdeutschland als Nachzügler westlicher Trends galt. Er bediente sich dabei der Metapher eines Fahrstuhls, auf dessen unterschiedlichen Stufen Ost und West stehen, der aber insgesamt in dieselbe Richtung fahre – nämlich nach oben, im Sinne wachsender AfD-Zustimmung.

Beim Wählerpotenzial der AfD äußerte sich Mau vorsichtig. Auf Basis empirischer Daten bezifferte er das maximale Potenzial aktuell auf 23 bis 25 Prozent, warnte jedoch vor dessen Ausschöpfung. Ein Grund für die bisherige Begrenzung sei das Fehlen charismatischer Führungspersönlichkeiten innerhalb der Partei. Mau spekulierte, eine Figur vom Typ Jörg Haider könne das ändern. Zugleich beobachte er eine deutliche Wahlbereitschaft bei enttäuschten Wählern der FDP, aber auch bei Unzufriedenen aus CDU, CSU und SPD.

Angesprochen auf die Frage, ob die AfD mittlerweile eine Volkspartei sei, antwortete Mau: „In gewisser Weise ja.“ Insbesondere bei arbeitnehmernahen Schichten, Bürgergeldempfängern und Langzeitarbeitslosen sei die Partei stark – allerdings sei diese sogenannte „neue Arbeiterpartei“ weit weniger homogen als etwa die kulturelle oder akademische Mittelklasse. Trotz hoher Zustimmungswerte – regional teils über 30 Prozent – erinnerte Mau daran, dass rund 70 Prozent der Wählenden weiterhin andere Parteien unterstützen.

Ein besonders prägnanter Begriff in Maus Analyse war die „Ossifikation“ – ursprünglich ein medizinischer Begriff, der den Prozess der Verknöcherung oder Narbenbildung beschreibt. Mau übertrug diesen auf Ostdeutschland als Gesellschaft mit vielen Brüchen – historisch, gesellschaftlich und biografisch. Diese „Verknöcherung“ führe zu geringerer Anpassungsfähigkeit und einer gewissen gesellschaftlichen Starre. Ähnliche Tendenzen beobachte er allerdings auch im Westen, etwa beim zähen Fortschritt beim Gender Pay Gap – der Begriff eigne sich dennoch besonders zur Beschreibung ostdeutscher Verhältnisse.

Mau widersprach dabei der Vorstellung, dass der Ost-West-Gegensatz allein das Wahlverhalten bestimme. Vielmehr gebe es signifikante Unterschiede zwischen Stadt und Land, besonders im Osten. Großstädte wie Leipzig oder Dresden ähnelten inzwischen westdeutschen Metropolen, doch auf dem Land und in Kleinstädten dominierten Abwanderung, demografischer Wandel und soziale Erosion – Entwicklungen, die das AfD-Wählerpotenzial erhöhten.

Ein weiterer Aspekt sei die „Veränderungserschöpfung“. Viele Ostdeutsche seien nach den massiven Umbrüchen der Nachwendezeit heute ermüdet von weiteren Transformationsprozessen, etwa in den Bereichen Migration, Digitalisierung oder Klimapolitik. Dies begünstige eine Festhalttementalität, die sich paradoxerweise in der Wahl disruptiver Parteien äußere. Diese böten das Versprechen eines radikalen Neuanfangs – ein „Befreiungsschlag“, so Mau, der an die Wahlentscheidungen vieler Trump-Wähler erinnere. Nicht selten sei dies ein Schrei nach Hilfe in einer als überfordernd empfundenen Welt, in der einfache Antworten attraktiver erschienen als komplexe politische Prozesse.

Auf die Frage nach Auswegen kritisierte Mau mangelnde politische Kommunikation, eine fehlende gesellschaftliche Debatte über die tiefgreifenden Veränderungen seit der Wiedervereinigung und eine Verlagerung auf symbolische Nebenkriegsschauplätze – etwa medial aufgeblähte Debatten ohne echte Relevanz. Auch die Medien trügen eine Mitverantwortung, indem sie oft eher Symptome als Ursachen diskutierten.

Besondere Aufmerksamkeit widmete Mau den jungen Wählerinnen und Wählern. Die Bundestagswahl 2025 habe eine Polarisierung unter Jugendlichen gezeigt – mit Zugewinnen für Die Linke und an zweiter Stelle für die AfD. Dies deute auf eine Erosion der politischen Mitte hin. Die junge Generation habe sich offenbar enttäuscht von FDP und Grünen abgewendet, insbesondere aufgrund enttäuschender Politik in Bereichen wie Digitalisierung, Bildung und Klimaschutz. Erstaunt zeigte sich Mau darüber, dass die historische Belastung der Linken als SED-Nachfolgepartei bei jungen Wählern offenbar kaum noch eine Rolle spiele – ein Umstand, den er als unzureichend aufgearbeitet kritisierte.

Zum Umgang mit der AfD riet Mau zur kommunikativen Balance. Die Partei könne nicht ignoriert werden, doch Tribunale und pauschale Ausgrenzung wirkten oft kontraproduktiv. Vielmehr brauche es inhaltliche Auseinandersetzung, ohne der AfD die Bühne zu überlassen.

Steffen Maus Analyse beeindruckt durch Differenziertheit und analytische Tiefe, besonders im Blick auf langfristige gesellschaftliche Trends. Seine Stärke liegt in der Verknüpfung struktureller Entwicklungen (Demografie, Sozialstruktur, Transformationserfahrungen) mit politischen Präferenzen. Die Metapher der „Ossifikation“ bietet ein anschauliches Bild für gesellschaftliche Starrheit – sie ist jedoch auch problematisch: Der Begriff trägt ein gewisses Maß an Pathologisierung in sich, was unbeabsichtigt stigmatisierend wirken kann, insbesondere gegenüber ostdeutschen Lebensrealitäten.

Seine These der „Verostung des Westens“ ist provokant – und nicht ganz unumstritten. Kritiker könnten einwenden, dass sie Ostdeutschland primär als Problemzone konstruiert, die nun „abfärbt“. Dabei wird leicht übersehen, dass Rechtspopulismus, soziale Unsicherheit und politische Entfremdung längst auch in westdeutschen Regionen tief verankert sind. Mau selbst weist auf diesen Punkt hin, doch seine Wortwahl bleibt ambivalent.

Bemerkenswert ist Maus Deutung der AfD-Wählerschaft nicht als ideologisch gefestigt, sondern als emotional erschöpft – ein psychologischer Zugang, der Empathie ermöglicht, aber auch als Entpolitisierung kritisiert werden kann. Ist es wirklich nur Überforderung – oder auch bewusste Ablehnung demokratischer Prinzipien?

Seine Kritik an symbolischer Politik und Medienfokus auf Nebenschauplätze trifft einen Nerv. Gleichzeitig bleibt unklar, wie eine bessere politische Kommunikation konkret aussehen müsste – oder wie sich zentrale Themen wie Migration oder Klimapolitik ohne Polarisierung öffentlich diskutieren ließen.

Was Mau ebenfalls nicht vertieft, ist die internationale Dimension: Der Rechtsruck ist kein deutsches Phänomen allein, sondern Teil einer europäischen Welle. Warum gelingt es auch in anderen Ländern nicht, stabile politische Mehrheiten für zukunftsorientierte Politik zu sichern? Hier hätte eine internationale Vergleichsperspektive seine Analyse sinnvoll ergänzen können.

Unterm Strich bietet Mau eine wichtige Stimme in der gegenwärtigen Debatte, weil er Komplexität weder verharmlost noch technokratisch abstrahiert – sondern verständlich macht, warum Menschen sich von der Politik entfremden. Ob seine Analyse allerdings in praktische politische Strategie übersetzbar ist, bleibt offen.

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Katarina Witts Weg vom Eistalent zum Aushängeschild der DDR

1. Überschrift Katarina Witts Weg vom Eistalent zum Aushängeschild der DDR 2. Hook / Hug In der Eishalle von Karl-Marx-Stadt gab es nur einen trockenen Fleck inmitten der nassen Fläche, auf dem ein Mädchen erste Schritte wagte. Jahre später saß sie auf einer Bank an der Bande und hörte, dass ihre Kindheit nun vorbei sei, weil die strenge Jutta Müller sie ausgewählt hatte. 3. Journalistischer Text - kurz Katarina Witt war das glamouröse Aushängeschild des DDR-Sports, gefördert und gefordert von einem Staat, der nichts dem Zufall überließ. Doch hinter den goldenen Medaillen verbarg sich ein System aus härtester Disziplin und lückenloser Überwachung, das bereits im Kindesalter begann. Ihre Geschichte zeigt die Ambivalenz einer privilegierten Karriere im Sozialismus, die zwischen persönlichem Ehrgeiz, staatlicher Förderung und totaler Kontrolle stattfand.

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Teaser: Wer heute durch seine Timeline scrollt, blickt oft in einen Abgrund aus unversöhnlichem Hass. Auf der einen Seite fliegt die „Nazi-Keule“, auf der anderen wird alles als „links-grün versifft“ beschimpft. Doch diese Verrohung ist kein Zufall. Eine soziologische Tiefenbohrung zeigt, wie psychologische Ekel-Reflexe und algorithmische Belohnungssysteme unsere Debattenkultur gezielt zerstören.

Die zweite Schlacht um die Geschichte: Egon Krenz in der Offensive

MASTER-PROMPT HOOK - Profil 1. Egon Krenz auf dem Nationalen Denkfest 2. Hook / Hug Auf der Bühne des IV. Nationalen Denkfestes steht der ehemalige Staatsratsvorsitzende der DDR vor einem Publikum, das ihn als Friedenspräsidenten ankündigt und seinen Ausführungen zur Geschichte mit Applaus folgt. MASTER-PROMPT Teaser JP (Ich-Perspektive, reflektierend) 1. Ein Nachmittag im Zeichen der Erinnerung 2. Hook / Hug Der Blick auf den Mann am Rednerpult, der vor einem vollen Saal die soziale Wärme der Vergangenheit beschwört, lässt erahnen, wie tief bei manchen die Sehnsucht nach einer alternativen Geschichtsschreibung sitzt. 3. Teasertext Ich beobachte, wie Egon Krenz bei diesem Auftritt auf dem Nationalen Denkfest die DDR gegen den Begriff des Unrechtsstaates verteidigt und dabei eine Zuhörerschaft erreicht, die sich in ihrer Biografie vom heutigen Staat nicht mehr repräsentiert fühlt. MASTER-PROMPT Teaser Coolis 1. Krenz deutet DDR-Geschichte und Ukraine-Krieg um 2. Hook / Hug Beim IV. Nationalen Denkfest trat der ehemalige DDR-Staatsratsvorsitzende Egon Krenz vor einem Publikum aus Sympathisanten und Kritikern der Bundesregierung auf und sprach über die Deutung der Geschichte. 3. Teasertext In seiner Rede wies Krenz den Begriff des Unrechtsstaates zurück und gab der NATO-Osterweiterung die Schuld am Ukraine-Krieg, während er den friedlichen Verlauf von 1989 primär als Verdienst der SED-Führung darstellte.

Umerziehung hinter Mauern: Spezialkinderheime der DDR

Journalistischer Text - Teaser Seite Disziplinierung im Kollektiv Hinter den Mauern der 38 Spezialkinderheime blieb der Alltag für Außenstehende oft unsichtbar, während drinnen der Unterricht und das Leben strengen Regeln folgten. Wer als Kind in dieses geschlossene System der Jugendhilfe geriet, verließ das Gelände oft monatelang nicht. Ich blicke auf Berichte zurück, die zeigen, wie schnell man als Jugendlicher durch westliche Kleidung oder falsche Musik ins Visier der Behörden geriet. Es war eine Zeit, in der individuelle Anpassungsschwierigkeiten oft als politische Gegnerschaft gedeutet wurden. Journalistischer Text - Seite Der Weg in die staatliche Erziehung Der Übergang vom Elternhaus in ein Spezialkinderheim erfolgte oft abrupt und basierte auf einer weiten Auslegung von Disziplinschwierigkeiten. Bereits Auffälligkeiten wie häufiger Widerspruch in der Schule oder das Tragen westlicher Kleidung konnten Anfang der 1980er Jahre dazu führen, dass die Jugendhilfe eingriff. Die Kriterien für eine Einweisung waren dabei nicht nur pädagogischer, sondern oft auch politischer Natur. Erreichte ein Jugendlicher das 14. Lebensjahr und galt das behördliche Erziehungsziel als nicht erfüllt, drohte die Überstellung in einen Jugendwerkhof. Diese Maßnahme konnte der Heimleiter ohne externe Rücksprache anordnen. Statistiken aus dem Jahr 1986 belegen, dass zu diesem Zeitpunkt über 3.400 Plätze in solchen Einrichtungen bereitstanden, um junge Menschen wieder auf den vorgegebenen gesellschaftlichen Kurs zu bringen.

Egon Krenz und die Legende vom verratenen Staat

MASTER-PROMPT HOOK - Profil Egon Krenz und die Deutung der Geschichte Ein älterer Herr im dunklen Anzug tritt ans Mikrofon, die Hände fest am Pult, der Blick fest in den Saal gerichtet, wo Menschen sitzen, die auf ein bestätigendes Wort warten. Er spricht von 1989, von Entscheidungen im Zentralkomitee und von einer Ordnung, die seiner Meinung nach nicht von innen zerbrach, sondern von außen zerstört wurde. MASTER-PROMPT Teaser JP (Reflective) Erinnerung an den Herbst 1989 Wenn ich die Stimme von Egon Krenz heute höre, vermischen sich die Bilder des aktuellen Auftritts mit den verblassten Fernsehaufnahmen jenes Abends im November vor vielen Jahren. Damals herrschte eine Ungewissheit, die sich in den Gesichtern meiner Eltern spiegelte, während auf dem Bildschirm Weltgeschichte geschrieben wurde. Egon Krenz spricht auf dem "Nationalen Denkfest" über seine Sicht auf die Wende, verteidigt die Rolle der Sicherheitsorgane und zieht Parallelen zur heutigen Russlandpolitik, die mich irritieren. Für mich klingt das nicht nach der Befreiung, die ich damals als Kind in der Euphorie der Erwachsenen zu spüren glaubte. MASTER-PROMPT Teaser Coolis (Neutral) Egon Krenz äußert sich zur DDR-Geschichte Der ehemalige SED-Generalsekretär Egon Krenz hat auf dem "Nationalen Denkfest" eine Rede zur Geschichte der DDR und den Ereignissen von 1989 gehalten. Vor dem Publikum verteidigte er die politischen Entscheidungen der damaligen Führung und wies die Verantwortung für den Zusammenbruch des Staates externen Faktoren zu. Krenz thematisierte in seinem Vortrag auch den aktuellen Konflikt in der Ukraine und kritisierte die Rolle der NATO, wobei er für eine Annäherung an Russland plädierte. Er betonte die seiner Ansicht nach friedenssichernde Funktion der DDR-Sicherheitskräfte während der friedlichen Revolution im November 1989.