Trattendorf – Eine Legende der Lausitzer Energiegeschichte

Die Reportage „LMBV: Das Kraftwerk Trattendorf – Eine Lausitzer Kraftwerkslegende“ zeichnet ein vielschichtiges Bild eines Kraftwerks, das über Jahrzehnte hinweg nicht nur als zuverlässiger Stromlieferant, sondern auch als prägender sozialer und industrieller Standort in der Lausitz wirkte. Die Erzählung spannt einen weiten Bogen von den Anfängen während des Ersten Weltkriegs über die Umbrüche der Nachkriegszeit bis hin zur finalen Abschaltung in den 1990er Jahren und offenbart dabei sowohl technische als auch menschliche Dimensionen einer längst vergangenen Ära.

Bereits 1917 wurde das erste Trattendorfer Kraftwerk errichtet – ein Projekt, das inmitten der Kriegswirren entstand und zunächst vor allem die regionale Bevölkerung mit Strom versorgte. Die regionale Ressource Braunkohle, die in Tagebauen wie in der Grube Brigitta abgebaut wurde, war hierbei von zentraler Bedeutung. Längere Zeit wurde die roh gelagerte Kohle, oft in Hausrohen Flözen direkt aus dem Boden, in das Kraftwerk gebracht und in Tagebauen gewonnen, was den wirtschaftlichen Reichtum der Lausitz begründete. Über drei Vierteljahrhunderte lang spielte das Kraftwerk eine Schlüsselrolle bei der Energieversorgung nicht nur der unmittelbaren Umgebung, sondern auch entfernter Abnehmer wie Frankfurt (Oder) und sogar der S-Bahn in Berlin.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs änderte sich das Bild abrupt: 1945 wurde das Kraftwerk an der Spree stillgelegt, demontiert und als Reparation in die Sowjetunion verbracht. Doch die Energie- und Industriebedürfnisse ließen keine dauerhafte Pause zu. Bereits 1952 wurde in der DDR der Neubau des Trattendorfer Kraftwerks in Angriff genommen – ein gewaltiges Unterfangen, das vor allem von jungen, kriegserfahrenen Fachkräften getragen wurde. Diese Generation, gerade dem Krieg entkommen und voller Tatendrang, übernahm nicht nur den Aufbau eines neuen Kraftwerks, sondern formte auch das Fundament für eine lange Tradition in der Stromerzeugung, die weit über die technischen Aspekte hinausging.

Der technische Betrieb des Kraftwerks trug den Stempel kontinuierlicher Innovation und harter Arbeit. Über Tage und Nächte hinweg wurden enorme Mengen Braunkohle – teils bis zu 80 Tonnen pro Kessel und Stunde – in die Anlage transportiert, um in einem mehrstufigen Prozess zur Erzeugung von Strom verarbeitet zu werden. Zunächst erfolgte das sogenannte „Bunkern“, bei dem die in Tagebauen geförderte Kohle in Bunker entladen wurde. Dabei spielte das Wetter eine entscheidende Rolle: Während trockene Tage einen reibungslosen Ablauf ermöglichten, wurde der Umgang mit nassen, schmierig und klumpiger Kohle zu einer regelrechten Knochenarbeit, vor allem im winterlichen Klima. In den Brechern wurde die Rohbraunkohle vor dem Transport über Förderbänder in kleinere Stücke zerkleinert, bevor sie in den Mühlen weiterverarbeitet wurde. Diese mechanischen Prozesse bildeten das Herzstück des Energieumwandlungsprozesses und ermöglichten es, die natürliche Energie der Braunkohle in elektrischen Strom umzuwandeln.

Besonders eindrücklich sind die persönlichen Schilderungen der langjährigen Mitarbeiter, die ihre Erinnerungen und Erlebnisse in den Dienst des Kraftwerks stellten. Namen wie Sigrid Goschan, Marion Unger, Manfred Kolbe, Kurt Kretschmer und Manfred Hoffmann stehen beispielhaft für die Generation, die mit dem Kraftwerk aufwuchs und über Jahrzehnte hinweg dessen Betrieb sicherstellte. Ihre Berichte zeichnen ein Bild von einer engen Gemeinschaft, in der man sich aufeinander verlassen konnte – ein Betrieb, der weit über den reinen Arbeitsplatz hinausging. Hier wurden nicht nur berufliche Fähigkeiten vermittelt, sondern auch Freundschaften und familiäre Bindungen geknüpft, die ein Leben lang hielten.

Der Arbeitsalltag im Kraftwerk war geprägt von harter körperlicher Arbeit und einem hohen Maß an technischem Verständnis. Vom täglichen Kontrollgang in den Kesselhäusern, in denen der sichere Betrieb der Anlagen überwacht wurde, bis hin zur routinemäßigen Wartung und Instandhaltung der Maschinen – hier zeigte sich immer wieder der unermüdliche Einsatz der Belegschaft. Die Betreiber waren Meister ihres Fachs: Sie kannten die Anlagen bis ins kleinste Detail, beherrschten die Technik und waren stets bestrebt, Reparaturen und Erneuerungen eigenständig durchzuführen. In einer Zeit, in der technologische Neuerungen noch oft mit improvisierten Lösungen verbunden waren, galt das Kraftwerk Trattendorf als eine Art lebendiges Labor, in dem aus Fehlern gelernt und innovative Ansätze entwickelt wurden.

Die räumliche und organisatorische Aufteilung des Standorts in zwei Werke – getrennt durch die Spree, eines in Sachsen, das andere in Brandenburg – spiegelt die komplexe Geschichte der Region wider. Während Kraftwerk 3 bereits während des Ausbaus Strom produzierte, zeichnete sich Kraftwerk 1 als das erste Hochdruckkraftwerk der DDR aus, das mit modernerer Technik und größerem Verbrauch an Kohle ausgestattet war. Beide Anlagen trugen ihren Teil dazu bei, die Region über Jahrzehnte hinweg mit Energie zu versorgen, und bezeugten den technischen Fortschritt sowie den kompromisslosen Einsatz ihrer Mitarbeiter.

Nicht zu verkennen ist auch die soziale Komponente, die den Betrieb des Kraftwerks prägte. Die enge Gemeinschaft unter den Mitarbeitern äußerte sich im Alltag – in gemeinsam verbrachten Pausenzeiten, nach Feierabend in der Kneipe oder bei Freizeitaktivitäten wie Radtouren und Schwimmbadbesuchen. Der Betrieb war mehr als nur ein Arbeitsplatz: Er fungierte als Ausbildungsstätte, als Lebensschule und als Treffpunkt für Familien, die über Generationen hinweg in der Region verwurzelt waren. Die frühen Jahre waren von einfachen Verhältnissen geprägt: In ungeheizten Baracken lebten die Arbeiter, in bescheidenen Wohnlagern entstand ein familiäres Miteinander, das den Zusammenhalt in der schwierigen Nachkriegszeit zusätzlich stärkte.

Die technische Entwicklung im Kraftwerk war stets begleitet von einem Streben nach Verbesserung und Modernisierung. Über die Jahrzehnte hinweg wurden nicht nur die Anlagen gewartet und instandgehalten, sondern auch kontinuierlich erneuert – oft mit eigenhändiger Arbeitskraft der Belegschaft. So waren beispielsweise die Maschinen aus den 1950er Jahren, gefertigt bei Bergmann-Borsig, immer wieder auf Vordermann gebracht worden, um den gestiegenen Anforderungen und den sich verändernden Umweltauflagen gerecht zu werden. Die beeindruckenden Zahlen – rund 96.750 Gigawattstunden an erzeugter Elektroenergie und 15.000 Terajoule abgegebene Wärme – zeugen von der enormen Leistung und Bedeutung des Kraftwerks über die langen Jahre seines Bestehens.

Mit dem Bau des neuen Großkraftwerks Schwarze Pumpe kündigte sich schließlich das Ende einer Ära an. Die Tage des traditionellen, auf Braunkohle basierenden Stromerzeugers in Trattendorf neigten sich dem Ende zu, und bis März 1996 wurde der Betrieb schrittweise heruntergefahren. Trotz der Abschaltung blieben rund 500 Mitarbeiter bis zum Schluss im Einsatz – ein lebendiger Beweis für ihre Verbundenheit mit dem Standort und den über Jahrzehnte hinweg geschaffenen Traditionen. Die Umstrukturierungen und der Rückbau angrenzender Anlagen wie des Gaswerks und der Kokerei sollten den Weg für einen Neuanfang ebnen, während gleichzeitig das industrielle Erbe und die Erinnerungen an vergangene Zeiten lebendig blieben.

Die Reportage schließt mit einem wehmütigen Blick auf die Zukunft: Ein Platz, der einst von Industrie und Arbeitsamkeit geprägt war, soll irgendwann weichen – einer grünen Wiese, die das Ende eines gewaltigen Kapitels symbolisiert. Dennoch bleibt die Erinnerung an das Kraftwerk Trattendorf unvergessen. Die Geschichten der Arbeiter, die Leidenschaft und der Pioniergeist, mit dem sie ihre Arbeit verrichteten, bilden ein unverrückbares Fundament der regionalen Identität. Auch wenn die technische Anlage irgendwann nicht mehr existieren wird, lebt das Erbe in den Erinnerungen und Erfahrungen einer ganzen Generation weiter.

Zusammenfassend zeichnet der Beitrag ein eindrucksvolles Portrait eines Kraftwerks, das weit mehr war als nur ein Industrieobjekt. Es war ein Ort des Lernens, des Zusammenhalts und des unermüdlichen Engagements – ein Symbol für die industriellen und menschlichen Leistungen der Lausitz. Die Geschichte von Trattendorf ist zugleich eine Chronik des technischen Fortschritts und eine Erzählung von Gemeinschaft und Heimatverbundenheit, die in den Erinnerungen derjenigen weiterlebt, die dort ihr Leben und ihre Zukunft mitgestaltet haben.

Tips, Hinweise oder Anregungen an Arne Petrich

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