Die vergessenen Schalenbauten des DDR-Architekten Ulrich Müther

An einem sonnigen Morgen in Binz sticht ein ungewöhnlicher Bau aus der Küstenlandschaft hervor: Ein Strandwachtturm, der – fast wie ein außerirdisches Objekt – am Sandstrand thront. Dieses architektonische Wunder ist das Werk von Ulrich Müther, einem visionären Bauingenieur der DDR, der mit seinen innovativen Schalenbauten eine eigene, faszinierende Ära der Architektur einläutete.

Ulrich Müther, der 1934 auf Rügen geboren wurde und seiner Heimat bis zu seinem Tod im Jahr 2007 treu blieb, entwickelte eine besondere Bauweise, die in der DDR ihresgleichen suchte. Mit der sogenannten Hipparschale schuf er filigrane, jedoch außerordentlich tragfähige Konstruktionen: Zunächst entsteht ein leerer Gerüstbau, in dem dann sorgfältig verlegte Ammierungseisen Platz finden. Im Anschluss wird Beton gegossen, sodass eine dünnwandige, stützfreie Bauform entsteht, die selbst den Belastungen des Alltags mühelos standhält. Die Konstruktionen wurden sogar mehrfach „getestet“ – nicht zuletzt, weil Passanten ihre Stabilität unter Beweis stellen wollten.

Die Bandbreite von Müthers Schalenbauten ist beeindruckend. Auf Rügen allein realisierte er 16 Werke, die von kleinen Testbauten wie der Buswartehalle in Buschwitz über pavillonartige Konstruktionen in Sassnitz bis hin zu multifunktionalen Gebäuden wie Restaurants reichen. Dabei diente die Insel Rügen nicht nur als Standort, sondern als echtes architektonisches Experimentierlabor. Hier wurde immer wieder das Neue gewagt, und so entstanden Bauten, die heute als Kulturgüter wiederentdeckt werden.

Nach der Wende gerieten viele dieser visionären Projekte zunächst in Vergessenheit – bis vor einigen Monaten ein neues Buch des Schweizer Niedli Verlags, verfasst von Rahel Lemler und Michael Wagner, das Interesse erneut entfachte. Unter dem Titel „Müthers Schalenbauten in Mecklenburg-Vorpommern“ wird erstmals ein vollständiges Inventar dieser einzigartigen Bauten präsentiert. Das Werk zeigt nicht nur die architektonische Vielfalt, sondern auch, wie Müther es schaffte, traditionelle Materialien in neuartige, fast futuristische Formen zu überführen.

Doch Ulrich Müthers Einfluss blieb nicht auf Rügen und die DDR beschränkt. Dank eines weitreichenden internationalen Netzwerks wurden seine Ideen weltweit rezipiert. So entstand etwa in Kooperation mit dem westdeutschen Ingenieur Stefan Polony ein Trichterschalenbau, der heute als charmanter Buchkiosk in Baabe fungiert. Auch Projekte wie das Planetarium in Wolfsburg zeugen von seiner internationalen Arbeit – ein Tauschgeschäft, bei dem Volkswagen im Gegenzug 10.000 VW Golf an die DDR lieferte, rundet das Bild eines kreativen und vernetzten Ingenieurs ab.

Nicht alle Schalenbauten sind leicht zu entdecken. So liegt etwa der Speisesaal des ehemaligen Pionierlagers Ernst Thälmann bei Borchtitz, verborgen im Wald am Jasmunder Bodden, fast wie ein Geheimtipp für passionierte Architekturliebhaber. Forscher und Interessierte verbrachten unzählige Stunden auf Google Earth, um diese und weitere Bauten aufzuspüren – ein Beleg dafür, dass Müthers Werk weit mehr ist als bloße Bausubstanz: Es ist ein architektonisches Erbe, das immer wieder neu entdeckt werden muss.

In einer Zeit, in der konventionelle Bauweisen dominieren, bietet die Wiederentdeckung von Ulrich Müthers Schalenbauten einen erfrischenden Blick in eine Ära, in der Architektur noch experimentell, mutig und zukunftsweisend war. Die restaurierten Werke, ob als Inselparadies mit einem sternenhimmelartigen Lampenarrangement oder als innovativ umgestaltete Schwimmbadüberdachung, laden dazu ein, die Grenzen zwischen Vergangenheit und Zukunft neu zu überdenken.

Ulrich Müthers Schalenbauten sind mehr als nur Zeugnisse einer vergangenen Zeit – sie sind lebendige Beispiele für kreatives Bauen, das auch heute noch zum Staunen anregt und Inspiration für die Zukunft bietet.

Autor/Redakteur/KI-Journalist: Arne Petrich
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