Herr Generalmajor Dr. Freuding, der Ukraine-Krieg dauert nun drei Jahre an. Wie bewerten Sie den Verlauf des Konflikts seit dem Beginn am 24. Februar 2022?
Dr. Christian Freuding:
„Der Krieg hat sich von einem überraschenden, groß angelegten Angriff in einen langwierigen Abnutzungskrieg gewandelt. Die Ukraine hat sich mit beeindruckender Entschlossenheit verteidigt – von den anfänglichen massiven Angriffen bis hin zu intensiven Gegenoffensiven. Die Widerstandskraft der ukrainischen Streitkräfte und der Bevölkerung ist dabei von zentraler Bedeutung.“
Caroline Grosse (Bundeswehr-Redaktion):
Welche Veränderungen an den Frontlinien und in der militärischen Lage sind Ihnen besonders ins Auge gefallen?
Dr. Christian Freuding:
„Die ukrainischen Truppen verteidigen einen Frontabschnitt von über 1.000 Kilometern. Besonders im Zentraldonbass, rund um Pokrowsk, sieht man eine intensive Offensive der russischen Kräfte, während andere Regionen, etwa um Charkiw, nur geringfügige Veränderungen aufweisen. In Kursk etwa hält die Ukraine trotz enormen Drucks noch rund 30 bis 40 Prozent des Gebiets, während hier bis zu 60.000 russische Soldaten gebunden sind. Auch der Einsatz nordkoreanischer Truppen – die bereits Verluste erlitten haben – zeigt, wie international der Konflikt geworden ist.“
Caroline Grosse (Bundeswehr-Redaktion):
Die internationale Unterstützung, speziell aus dem Westen und durch Deutschland, wird häufig als essenziell hervorgehoben. Welche Bedeutung messen Sie diesem Engagement bei?
Dr. Christian Freuding:
„Die Unterstützung aus dem Westen beläuft sich mittlerweile auf rund 400 Milliarden Euro – davon entfallen über 160 Milliarden Euro auf militärische Hilfen. Deutschland leistet mit etwa 28 Milliarden Euro einen maßgeblichen Beitrag, der weit über finanzielle Mittel hinausgeht: Es werden moderne Luftverteidigungssysteme, Artillerie, gepanzerte Fahrzeuge und umfangreiche Ausbildungsprogramme bereitgestellt. Diese transatlantische Solidarität stärkt nicht nur die ukrainische Verteidigungsfähigkeit, sondern sichert auch die europäische Sicherheitsarchitektur.“
Caroline Grosse (Bundeswehr-Redaktion):
Vor dem Hintergrund hoher Verluste und weitreichender infrastruktureller Zerstörungen – was sehen Sie als die größten Herausforderungen für die Ukraine?
Dr. Christian Freuding:
„Die Verluste auf beiden Seiten sind enorm. Bei der Ukraine sprechen wir von einer sechsstelligen Zahl an Gefallenen, während russische Verluste auf etwa 800.000 Soldaten geschätzt werden. Neben den militärischen Opfern trifft es auch die Zivilbevölkerung schwer: Mit nahezu 20.000 zivilen Opfern und der Zerstörung kritischer Infrastrukturen, die Schäden in Höhe von über 150 Milliarden Euro verursachen, steht die Ukraine vor enormen Herausforderungen. Langfristige Wiederaufbau- und humanitäre Maßnahmen sind hier unabdingbar.“
Caroline Grosse (Bundeswehr-Redaktion):
Wie wirkt sich der Regierungswechsel in den USA auf die strategische Unterstützung der Ukraine aus?
Dr. Christian Freuding:
„Auch wenn sich der Regierungswechsel in den USA in der außenpolitischen Rhetorik und Prioritätensetzung niederschlägt, bleibt die transatlantische Zusammenarbeit intakt. Die koordinierte Unterstützung, etwa im Rahmen der Ukraine Defense Contact Group, ist entscheidend – es geht nicht nur um den Transfer moderner Waffensysteme, sondern auch um die Sicherung einer gemeinsamen, auf Werten basierenden Sicherheitsordnung in Europa.“
Caroline Grosse (Bundeswehr-Redaktion):
Abschließend, welche Prioritäten sollten künftig gesetzt werden – sowohl militärisch als auch international?
Dr. Christian Freuding:
„Für die Ukraine ist es essenziell, ihre Verteidigungsfähigkeiten weiter auszubauen. Modernste Luftverteidigungssysteme, gepanzerte Fahrzeuge und kontinuierliche Unterstützung im Bereich der elektronischen Abwehr müssen vorrangig bereitgestellt werden. Gleichzeitig ist eine intensivere internationale Kooperation, gerade innerhalb der transatlantischen Allianzen, entscheidend, um den Druck auf die russischen Streitkräfte aufrechtzuerhalten und langfristig zu einem gerechten Frieden beizutragen.“
Umfassende Analyse des Ukraine-Krieges: Drei Jahre Konflikt im Überblick
1. Historischer Überblick und Ausgangslage
Am 24. Februar 2022 begann Russland mit groß angelegten Angriffen, um Schlüsselstädte und strategische Gebiete in der Ukraine zu erobern. Das ursprüngliche Ziel war, eine Landbrücke zur Krim zu schaffen und den ukrainischen Staat schnell zu schwächen. Trotz anfänglicher Erfolge gelang es der Ukraine, den russischen Vormarsch zu stoppen. Mit einem Frontverlauf von über 1.000 Kilometern entwickelte sich der Konflikt rasch zu einem langwierigen Abnutzungskrieg, der sowohl militärische als auch zivile Opfer in bisher unbekanntem Ausmaß forderte.
2. Militärische Lage und Frontverläufe
Defensive Strategien und Offensivdruck:
Die ukrainischen Streitkräfte verteidigen einen ausgedehnten Frontabschnitt, während russische Truppen vor allem im Zentraldonbass, insbesondere rund um Pokrowsk, offensiv agieren. Diese Region gilt als logistisches Herzstück, dessen Verlust gravierende Folgen hätte.
Regionale Dynamiken:
Während in südlichen und nördlichen Sektoren wie um Charkiw nur minimale Veränderungen festzustellen sind, zeigt der Kampf in Kursk eine besonders dynamische Situation: Hier hält die Ukraine trotz intensivem Druck noch rund 30 bis 40 Prozent des ehemals eroberten Gebietes, während dort bis zu 60.000 russische Soldaten operieren. Auch der Einsatz ausländischer Truppen, etwa nordkoreanischer Soldaten, trägt zur Komplexität des Konflikts bei.
3. Die drei Phasen des Krieges
Phase 1 – Überraschungsangriffe und schnelle Frontveränderungen (2022):
Russland startete vier groß angelegte Angriffe mit Zielen wie Kiew, Charkiw und dem Zentraldonbass. Trotz dieser offensiven Maßnahmen konnte die Ukraine entscheidende Gegenbewegungen einleiten – der Angriff auf Kiew wurde erfolgreich abgewehrt, und in Cherson kam es zum strategischen Rückzug russischer Truppen.
Phase 2 – Langwierige Gegenoffensiven und Befestigungsmaßnahmen (2023):
Im Jahr 2023 leitete die Ukraine eine umfangreiche Gegenoffensive ein, um besetzte Gebiete zurückzuerobern. Der langwierige Verlauf und die massiven Befestigungsmaßnahmen auf russischer Seite, insbesondere durch das Legen von Minenfeldern, führten dazu, dass der ursprüngliche Plan, die strategische Landbrücke zur Krim zu durchtrennen, nicht umgesetzt werden konnte. Die verlustreiche Schlacht um Bachmut wurde zu einem Symbol des Abnutzungskrieges.
Phase 3 – Fortdauernder Abnutzungskrieg und minimale Geländegewinne (2024):
Im Jahr 2024 setzten sich die erbitterten Kämpfe fort. Russland konnte im Raum Donezk leichte Geländegewinne erzielen – insgesamt erlangte es nur rund 2 Prozent mehr des ukrainischen Staatsgebietes, was von 18 auf 20 Prozent anstieg. Moderne Drohnen und elektronische Abwehrsysteme trugen ab Januar 2025 dazu bei, dass sich die russischen Fortschritte merklich verlangsamten.
4. Verluste und strukturelle Herausforderungen
Militärische Verluste:
Die Verluste sind enorm. Während die Ukraine von einer sechsstelligen Zahl gefallener Soldaten spricht, werden die kombinierten russischen Verluste (Gefallene und Verwundete) auf etwa 800.000 geschätzt – mit einzelnen Tagen, an denen mehr als 1.000 Verluste verzeichnet wurden.
Zivile Opfer und humanitäre Krise:
Die Zivilbevölkerung leidet schwer: Nahezu 20.000 zivile Opfer, darunter hunderte Kinder, sowie zahlreiche Kriegsgefangene verschärfen die humanitäre Lage zusätzlich. Kritische Infrastrukturen, wie die Energieversorgung, Wohngebiete und Verkehrsnetze, wurden massiv beschädigt.
Infrastrukturelle Zerstörungen:
Die Zerstörung von Wohnraum und anderen lebenswichtigen Infrastrukturen hat wirtschaftliche Schäden in Höhe von über 150 Milliarden Euro verursacht. Der Wiederaufbau wird Jahre in Anspruch nehmen und erfordert umfassende internationale Unterstützung.
Personelle Herausforderungen:
Die Ukraine hat Schwierigkeiten, die enormen personellen Verluste zu kompensieren. Neue Rekrutierungsgesetze, die das Rekrutierungsalter auf 25 Jahre senken, sollen helfen, den Mangel an Freiwilligen zu beheben. Russland hingegen ersetzt Verluste über eine Mischung aus Zwangsmaßnahmen und Anreizsystemen relativ rasch.
5. Internationale Unterstützung – Fokus auf den Westen und Deutschlands Engagement
Umfangreiche Unterstützung:
Seit Kriegsbeginn erhält die Ukraine beispiellose Hilfe aus dem Westen – insgesamt etwa 400 Milliarden Euro, wovon über 160 Milliarden Euro auf militärische Unterstützung entfallen. Diese Unterstützung ist entscheidend für die Aufrechterhaltung der ukrainischen Verteidigungsfähigkeit.
Deutschlands Schlüsselrolle:
Mit rund 28 Milliarden Euro zählt Deutschland zu den wichtigsten europäischen Unterstützern. Der Beitrag umfasst:
- Luftverteidigungssysteme: Bereitstellung moderner Systeme wie Patriot, Iris-T und Gepard.
- Artillerie und gepanzerte Fahrzeuge: Lieferung von Haubitzen, Schützenpanzern und Kampfpanzer.
- Munition: Über 80 Millionen Schuss Munition für den Betrieb mehrerer mechanisierter Brigaden.
- Ausbildungsprogramme: Ziel, jährlich rund 10.000 ukrainische Soldaten auszubilden.
Koordination und strategische Allianzen:
Die Ukraine Defense Contact Group – im Rammstein-Format – sorgt für eine koordinierte Unterstützung durch den Westen, geleitet von Deutschland und Großbritannien. Innerhalb dieser Koalition spielt Deutschland in mehreren Fähigkeitskoalitionen eine führende Rolle, was die strategische Abstimmung und kontinuierliche Hilfeleistung sichert.
6. Prioritäten und Ausblick
Dringende Unterstützungsbedarfe:
Die Ukraine benötigt weiterhin moderne Luftverteidigungssysteme und gepanzerte Fahrzeuge. Für das Jahr 2025 sind zusätzliche Lieferungen von Schützenpanzern, Kampfpanzern, Flugabwehrsystemen, Haubitzen und Transportfahrzeugen geplant. Gleichzeitig ist in die Instandhaltung und Modernisierung der bestehenden Systeme zu investieren.
Gesellschaftliche Resilienz:
Trotz enormer Verluste zeigt die ukrainische Bevölkerung eine bemerkenswerte Widerstandskraft. Der Glaube an Freiheit, Selbstbestimmung und einen gerechten Frieden ist tief verankert und trägt wesentlich zum moralischen Rückhalt der Verteidigung bei.
Langfristige strategische Konsequenzen:
Ein Erfolg der russischen Offensive hätte weitreichende sicherheitspolitische Folgen – insbesondere für die europäische Sicherheitsarchitektur. Der Einsatz der internationalen Gemeinschaft, vor allem Deutschlands, wird als notwendiger Beitrag zum Erhalt einer stabilen, auf Werten basierenden internationalen Ordnung gesehen.
7. Einfluss des US-Regierungswechsels und internationale Dynamiken
Der Wechsel in der US-Regierung bringt zwar Veränderungen in der außenpolitischen Ausrichtung mit sich, doch bleibt die transatlantische Solidarität bestehen. Die enge strategische Abstimmung zwischen den USA, Deutschland und anderen europäischen Partnern ist zentral, um den Druck auf Russland aufrechtzuerhalten und die Ukraine langfristig zu unterstützen.
8. Schlussbetrachtung
Der drei Jahre andauernde Ukraine-Krieg verdeutlicht, wie komplex moderne Konflikte sind. Von den anfänglichen Überraschungsangriffen über langwierige Gegenoffensiven bis hin zu einem fortdauernden Abnutzungskrieg – die militärischen, zivilen und infrastrukturellen Opfer sind enorm. Gleichzeitig steht die Ukraine mit beispielloser internationaler Unterstützung, insbesondere durch Deutschland, vor der Herausforderung, ihre Verteidigungsfähigkeit zu erhalten und den Weg zu einem gerechten Frieden zu ebnen.
Wie Generalmajor Dr. Freuding im Interview betonte, ist die transatlantische Zusammenarbeit und der kontinuierliche Austausch von strategischen und taktischen Fähigkeiten entscheidend – nicht nur für die Ukraine, sondern auch für die Sicherung der europäischen und internationalen Sicherheitsarchitektur. Der Einsatz für Freiheit, Selbstbestimmung und die internationale Rechtsordnung bleibt ein globales Anliegen, das weit über die Grenzen des Konfliktgebietes hinausgeht.
Diese umfassende Analyse und das Interview mit Generalmajor Dr. Christian Freuding verdeutlichen die komplexen Dynamiken des Ukraine-Krieges und unterstreichen die Bedeutung einer gut koordinierten, internationalen Unterstützung – ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einem dauerhaften Frieden.