Als Roland Kaiser im Oktober 1987 im Friedrichstadtpalast in Ost-Berlin auftrat, war das weit mehr als ein gewöhnliches Konzert eines beliebten Schlagersängers. Es war ein kulturpolitisches Ereignis, das die komplizierte Beziehung zwischen der DDR-Führung und der westdeutschen Popkultur widerspiegelte. Tausende Fans wollten den „Kaiser“ live erleben, doch nur wenige ergatterten ein Ticket. Dass es überhaupt zu den Konzerten kam, lag nicht zuletzt an einem ungewöhnlichen Eingriff von Erich Honecker persönlich.
Der Schlagerstar und seine Ost-Fans
Roland Kaiser hatte bereits in den frühen 1980er-Jahren eine große Fangemeinde in der DDR. Seine Lieder liefen im Rundfunk, wurden von ostdeutschen Musikern gecovert, und Plattenaufnahmen gelangten auf teils verschlungenen Wegen über die innerdeutsche Grenze. 1984 hatte der damals 32-jährige Kaiser seinen ersten Auftritt im DDR-Fernsehen, im Rahmen der Unterhaltungsshow „Kessel Buntes“. Für viele Fans war dies eine Sensation – ein West-Star im DDR-Fernsehen, das war nicht alltäglich.
Sigune Dähmke, eine begeisterte Kaiserin (wie sich viele weibliche Fans nannten), bewahrte ein Autogramm des Künstlers bis heute auf. Als sie 1984 erfuhr, dass Kaiser im DDR-Fernsehen auftreten sollte, machte sie sich voller Hoffnung auf den Weg zum Palast der Republik – in der Hoffnung, einen Blick auf ihr Idol zu erhaschen. Doch Karten gab es nicht, und auch der Versuch, Kaiser vor oder nach der Show zu begegnen, blieb erfolglos. Dennoch war der Auftritt ein Triumph für den Sänger und ein Beweis dafür, dass westdeutsche Musik auch im Osten eine starke emotionale Bindung erzeugte.
Politische Hürden: Der Fall Franz Bartsch
Drei Jahre später sollte Roland Kaiser im Rahmen der 750-Jahr-Feier Berlins erneut in der DDR auftreten. Diesmal nicht nur für ein TV-Event, sondern für drei aufeinanderfolgende Konzerte im Friedrichstadtpalast. Die Verhandlungen liefen über den staatlichen Künstlerdienst der DDR, und alles schien in trockenen Tüchern – bis Kaiser die Liste seiner Bandmitglieder einreichte.
Ganz oben auf der Liste stand der Name Franz Bartsch. Der in Schmölln (Thüringen) geborene Musiker war eine feste Größe im DDR-Musikgeschäft, bevor er sich 1980 nach einem Auftritt in West-Berlin entschied, nicht in die DDR zurückzukehren. Für die DDR-Führung galt er als Republikflüchtling – ein Label, das jede offizielle Rückkehr nahezu unmöglich machte.
Die DDR-Offiziellen machten Kaiser schnell klar: „Das geht nicht.“ Doch der Sänger war nicht bereit, auf seinen musikalischen Leiter zu verzichten. „Dann komme ich nicht“, erklärte er entschieden. Für die Kulturverantwortlichen der DDR war dies ein Dilemma: Sie wollten den Star nicht verlieren, aber gleichzeitig nicht nachgeben.
Erich Honeckers überraschender Eingriff
Roland Kaiser entschied sich für eine ungewöhnliche Maßnahme: Er schrieb einen Brief an Erich Honecker persönlich. Darin fragte er, ob es wirklich eine Bedrohung für den sozialistischen Staat sei, wenn ein Musiker wie Franz Bartsch mit ihm auftreten dürfe. Eine Antwort erwartete er kaum – doch wenige Tage später fuhr eine dunkelblaue Volvo-Limousine vor Kaisers Büro in der Wittelsbacher Straße in West-Berlin vor. Zwei Offizielle des DDR-Künstlerdienstes stiegen aus und erklärten: „Sie haben uns vielleicht in Ärger eingebrockt. Der Alte hat das gelesen.“
Honecker hatte den Brief tatsächlich zur Kenntnis genommen und entschieden: „Lassen Sie den Mann hier rein, lassen Sie ihn Musik machen und sehen Sie zu, dass er irgendeinen Namen annimmt.“ Franz Bartsch durfte als „Daniel Mathie“ auftreten – ein Kompromiss, der es Roland Kaiser ermöglichte, mit seiner kompletten Band auf der Bühne zu stehen.
Der Triumph im Friedrichstadtpalast
Am 16. Oktober 1987 war es dann soweit. Drei Tage lang trat Roland Kaiser im Friedrichstadtpalast auf, und das Publikum war begeistert. Die Nachfrage nach Karten überstieg das Angebot um ein Vielfaches: 200.000 Ticketanfragen standen nur 5.400 verfügbaren Plätzen gegenüber. Wer eine Karte hatte, erlebte einen der größten westdeutschen Schlagerstars hautnah – ein Moment, der für viele Fans unvergesslich blieb.
Sigune Dähmke, die Jahre zuvor noch leer ausgegangen war, hatte diesmal Glück. Über eine Bekannte ihres Onkels, die als Platzanweiserin arbeitete, bekam sie in letzter Minute ein Ticket. „Ich habe vor Freude geschrien“, erinnert sie sich. Während des Konzerts war die Stimmung zunächst verhalten – das Publikum war es gewohnt, sich zurückhaltend zu verhalten. Doch spätestens zum Finale hielt es kaum noch jemanden auf den Sitzen.
Kaiser nutzte die Gelegenheit, um eine subtile Botschaft an die Menschen in der DDR zu senden: „Schön, dass wir uns hier sehen. Ich bin ja heute gar nicht mehr weg – nur zehn Minuten gefahren.“ Das Publikum verstand den Hinweis auf die Nähe zwischen Ost- und West-Berlin. Die Stasi-Offiziellen im Saal mochten es nicht gern hören, aber sie konnten es nicht verhindern.
Ein kulturelles Erbe, das bleibt
Roland Kaiser sollte nicht der letzte westdeutsche Star bleiben, der in der DDR auftrat. Doch sein Besuch 1987 war in vielerlei Hinsicht ein symbolträchtiges Ereignis. Es zeigte, wie sehr Musik Grenzen überwinden konnte – und wie politisch selbst ein scheinbar unpolitischer Schlagerstar werden konnte, wenn die Umstände es erforderten.
Nach der Wende kamen viele der Stasi-Akten ans Licht, darunter auch Dokumente über Kaisers Auftritt. Darin fand sich eine Kopie seines Briefes an Honecker, mit einer handschriftlichen Notiz des Staatsratsvorsitzenden: „Einverstanden. Erich Honecker.“
Für viele Fans, die 1987 dabei waren, bleibt dieses Konzert unvergessen. Roland Kaiser selbst sieht seinen Besuch in der DDR rückblickend als ein besonderes Erlebnis: „Die Menschen waren unglaublich warmherzig. Ich hatte das Gefühl, dass Musik für sie mehr bedeutete als nur Unterhaltung – sie war ein Stück Freiheit.“
Bis heute verbindet ihn eine besondere Beziehung zu seinem Publikum in Ostdeutschland. Und die Geschichte von 1987 ist ein Beispiel dafür, dass Musik oft mehr bewirken kann als politische Reden – selbst in einem geteilten Deutschland.