Zwischen Vergessen und Hoffnung – Die Realität in den ostdeutschen Regionen

Arm, billig, ostdeutsch – Leben in der abgehängten Provinz | Doku | exactly

Der Landkreis Mansfeld-Südharz, insbesondere die Stadt Eisleben, steht symbolisch für die Entwicklung vieler Städte in Ostdeutschland nach der Wende. Es ist ein Ort, an dem sich der Übergang von einer Industriegesellschaft hin zu einer von Arbeitslosigkeit und Abwanderung geprägten Region besonders deutlich zeigt. In der Dokumentation „Arm, billig, ostdeutsch – Leben in der abgehängten Provinz“ werden die düsteren Realitäten dieser Region und ihrer Bewohner auf eindrucksvolle Weise eingefangen. Diese Region ist das absolute Schlusslicht im sogenannten Zukunftsatlas Deutschland. Der 400. Platz, der im Bericht des Wirtschaftsberatungsunternehmens Prognos dokumentiert wird, spiegelt nicht nur die wirtschaftliche Lage wider, sondern auch die sozialen und demografischen Herausforderungen, mit denen die Bewohner tagtäglich konfrontiert sind.

Eisleben, die Lutherstadt, bekannt als Geburtsort von Martin Luther, hat trotz seiner kulturellen Bedeutung durch den Tourismus eine dramatische Abnahme der Bevölkerung und einen spürbaren Rückgang in der wirtschaftlichen Dynamik erlebt. Viele der einstigen Industrieunternehmen und Arbeitsplätze in der Region sind verschwunden. Der Bergbau, der über 800 Jahre die Wirtschaftsstruktur prägte, ging mit der Schließung der Kupfermine 1990 zu Ende. Das Erbe dieser industriellen Vergangenheit ist in den verlassenen Fabriken, leerstehenden Häusern und Ruinen, die den Stadtteil prägen, noch immer sichtbar. Der Bergbau ist nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein kultureller Verlust. Die Region konnte sich trotz aller Bemühungen nicht auf eine nachhaltige wirtschaftliche Neuausrichtung einstellen. Der gesamte Landkreis hat seit den 60er Jahren fast die Hälfte seiner Bevölkerung verloren, und die Prognosen für die Zukunft sehen weiterhin düster aus. Der hohe Altersdurchschnitt und die hohe Arbeitslosigkeit sind alarmierende Indikatoren für die demografische Krise.

Doch trotz der Perspektivlosigkeit gibt es eine Reihe von Menschen, die versuchen, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Sandra und Sven, die in einem abgelegenen Teil von Eisleben leben, haben mit der Realität von Armut und Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Die beiden, die weder Arbeit noch ein stabiles Einkommen haben, müssen mit den Grundsicherungsmitteln auskommen. Diese finanzielle Not zwingt sie dazu, an grundlegenden Bedürfnissen wie Nahrungsmitteln zu sparen. Auch wenn sie auf den ersten Blick einen lebensfrohen Eindruck machen, verbirgt sich hinter dieser Fassade eine tiefe Verzweiflung. Der Alltag von Sandra und Sven ist durch ständige Sorgen um Geld und die Auseinandersetzungen mit den Behörden geprägt. Die Mieten sind zwar niedrig, doch ihre Lebensrealität ist von Drogenproblemen und der Belastung durch die ständige Bedrohung von Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit überschattet.

Michael, ein weiterer Bewohner von Eisleben, hat es ebenfalls schwer. Mit 52 Jahren und über 20 Jahren Arbeitslosigkeit scheint für ihn jede Möglichkeit zur Verbesserung seines Lebensstandards weit entfernt. Körperliche Beeinträchtigungen, wie kaputte Knie und Rückenprobleme, machen die Jobsuche noch schwieriger. Dennoch hat er gelernt, mit den geringen Mitteln, die er hat, zurechtzukommen. Die Lehre, die er in den späten 80er Jahren begann, führt ihn immer wieder an den Ort zurück, der einst sein Arbeitsplatz war: der alte Kupferbergwerkschacht in Sangerhausen. Doch wie für viele andere hat sich auch seine Welt auf kleine, überschaubare Räume reduziert. Der Lebensstandard und die sozialen Kontakte der meisten Menschen in Eisleben werden von der chronischen Arbeitslosigkeit und der Stagnation der lokalen Wirtschaft stark beeinträchtigt.

In dieser Stadt ist es nicht nur der Mangel an Arbeitsplätzen, der das Leben der Menschen erschwert, sondern auch die ausbleibende Unterstützung vonseiten der Stadtverwaltung. Der besagte „Zukunftsatlas“ zeigt, dass der Landkreis Mansfeld-Südharz von allen deutschen Landkreisen der am wenigsten zukunftsfähige ist. Die wenigsten Investoren scheinen in diese Region investieren zu wollen, und die Abwanderung der jüngeren Generation verschärft die Lage weiter. Wer hier bleibt, hat kaum eine Perspektive auf einen wirtschaftlichen Aufstieg. Das spiegelt sich in der Tatsache wider, dass junge Menschen, wie Max, Paul und Lukas, in der Region bleiben, obwohl sie täglich zur Arbeit in andere Städte pendeln müssen. Ihre Freizeit verbringen sie in einer ehemaligen Lagerhalle, in der sie an ihren Fahrzeugen schrauben und das tun, was sie noch immer mit Freude erfüllt.

Für viele junge Menschen, die in Eisleben bleiben wollen, sind die wenigen existierenden Freizeitangebote und die mangelnde Unterstützung durch die Stadt ein großes Hindernis. „Es wäre schön, wenn man es den jungen Leuten erleichtern könnte, hier zu bleiben und etwas zu unternehmen“, sagt Max, der selbst als Techniker arbeitet. Doch die Unterstützung von der Stadt kommt nur in geringem Maße. Max und seine Freunde schaffen es, ihre Freizeitaktivitäten selbst zu organisieren, aber ohne die nötige Förderung durch öffentliche Stellen bleibt dies eine Ausnahme. Es ist nicht die Art von Initiativen, die eine ganze Generation von jungen Menschen in der Stadt halten könnte.

In der gesamten Region gibt es zwar noch Unternehmen, die Arbeitsplätze bieten – wie das Backwarenunternehmen Arista, das 1.200 Menschen beschäftigt –, doch auch hier bleibt der wirtschaftliche Erfolg fraglich. Die Gentrifizierung und das Wachstum der Immobilienpreise in den westlichen Teilen Deutschlands haben den ländlichen Osten im wahrsten Sinne des Wortes abgehängt. Die Region ist in wirtschaftlicher Hinsicht nahezu von der Außenwelt abgeschnitten, was die weitere Abwanderung und den Rückgang der Wirtschaftsleistung begünstigt. Gleichzeitig bleibt der Tourismus in Eisleben weit hinter den Erwartungen zurück. Die Lutherstadt könnte von ihrem historischen Erbe profitieren, doch die touristische Infrastruktur bleibt unzureichend, und die Zahl der Tagesbesucher reicht nicht aus, um den Niedergang der Stadt wirtschaftlich zu stoppen.

Eisleben steht also als Symbol für die tiefe Kluft zwischen Ost und West in Deutschland und für die entmutigende Realität vieler kleiner Städte, die mit dem Strukturwandel nach der Wende nicht Schritt halten konnten. Die Dokumentation von „Arm, billig, ostdeutsch“ stellt dabei nicht nur das tägliche Leben der Menschen in dieser Region dar, sondern thematisiert auch die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren, die zum Verfall vieler Städte in Ostdeutschland beigetragen haben. Es ist ein eindrucksvolles Porträt einer Region, die von der Vergangenheit geprägt ist und gleichzeitig mit der Frage kämpft, wie ihre Zukunft aussehen könnte.

Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage in Eisleben und der gesamten Region zeigt, dass die Wende für viele Menschen nicht den erhofften Aufschwung gebracht hat. Die sogenannten „abgehängten Provinzen“ Ostdeutschlands kämpfen mit strukturellen Problemen, die in vielen Fällen auch durch politische Fehlentscheidungen und unzureichende Unterstützung vonseiten der Regierung verstärkt wurden. Doch die Menschen vor Ort versuchen, ihren Weg zu finden, trotz der vielen Hindernisse, die ihnen begegnen. Ihre Geschichten sind die Geschichten einer Region im Wandel, die nach wie vor mit den Erbe der Vergangenheit und den Herausforderungen der Zukunft kämpft.

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