Zucht- und Armenhaus in Zeiten sozialer Not – Die Leuchtenburg

Zucht- und Armenhaus in Zeiten sozialer Not im 18. und 19. Jahrhundert / DIE LEUCHTENBURG Teil 2

Die Leuchtenburg, majestätisch auf einem Bergsporn über der Saale gelegen, hat eine wechselvolle Geschichte. Während sie heute vor allem als kulturelles Denkmal und Touristenattraktion bekannt ist, diente sie über Jahrhunderte hinweg auch als Zucht-, Armen- und Irrenhaus. Dieser Abschnitt der Geschichte, der die Jahre von 1724 bis 1871 umspannt, spiegelt die soziale Not und die harten Lebensbedingungen in jener Zeit wider.

Die Nutzung der Leuchtenburg als Zucht- und Armenhaus
Im Jahr 1724 wandelte man die Leuchtenburg in ein landesherrliches Zucht-, Armen- und Irrenhaus um. Diese Funktion prägte die Burg fast 150 Jahre lang. Insgesamt fanden in dieser Zeit 5195 Menschen Aufnahme – dies entspricht einer durchschnittlichen Belegung von 100 bis 150 Personen pro Jahr. Die meisten Insassen waren wegen sozialer Delikte inhaftiert, darunter Diebstahl, Betteln oder „Arbeitsloses Umherziehen“. Besonders Frauen wurden oft wegen verheimlichter Schwangerschaften oder Kindstötung eingesperrt. Psychisch Kranke, die als Bettler oder Obdachlose auf den Straßen lebten, bildeten etwa drei Viertel der Insassen des Armenhauses.

Der Alltag im Zucht- und Armenhaus
Das Leben im Zuchthaus war von harter Arbeit und strenger Disziplin geprägt. Die Häftlinge mussten im Sommer zwölfeinhalb Stunden, im Winter zehneinhalb Stunden täglich arbeiten. Der Tagesablauf war minutiös geregelt: Aufstehen um fünf Uhr im Sommer (sieben Uhr im Winter), gefolgt von Morgenandacht und Arbeitsbeginn. Nach einer kurzen Mittagspause wurde bis 19.30 Uhr gearbeitet, der Tag endete mit einer Abendandacht. Sonntags und an Feiertagen wurde den Insassen eine Stunde mehr Ruhezeit gewährt.

Die Arbeit diente nicht nur der Disziplinierung, sondern hatte auch einen wirtschaftlichen Nutzen. Viele Insassen fertigten Spielzeug, darunter Puppenteile aus Porzellan und Spielzeugpferde aus Pappmaché. Diese Arbeiten erfolgten oft im Auftrag lokaler Unternehmer wie der Spielzeugfabrikantin Mathilde Knauth aus Orlamünde, die zwischen 1865 und 1869 Spielzeug von den Häftlingen herstellen ließ.

Strenge Bestrafungen und karge Verpflegung
Die Strafen im Zuchthaus waren hart, auch wenn die Todesstrafe und Verstümmelungen durch Reformen der Aufklärung abgeschafft worden waren. Verstöße gegen die Hausordnung, wie das Sprechen mit anderen Häftlingen, wurden mit Dunkelarrest, Entzug der warmen Mahlzeit oder Prügel geahndet. Selbst im Gottesdienst oder auf der Krankenstube mussten die Insassen Ketten und Fesseln tragen.

Die Verpflegung war äußerst bescheiden: Ein typischer Tagesplan im Jahr 1855 sah für einen männlichen Häftling ein Frühstück aus einem Liter Suppe mit Fett und 300 Gramm Brot vor. Zum Mittag gab es Kohlrübensuppe mit etwas Mehl und Talg sowie 300 Gramm Brot. Das Abendessen bestand aus Reissuppe und Brot. Nur an besonderen Feiertagen erhielten die Insassen Fleisch und Bier.

Die Rolle der Wehrtürme und ihre Nutzung
Die Wehranlagen der Leuchtenburg, errichtet im 15. Jahrhundert, blieben auch während der Nutzung als Zuchthaus von Bedeutung. Vier Türme – der Marterturm, Schleierturm, Münzturm und Kleiderturm – spielten unterschiedliche Rollen. Der Marterturm, einst ein Gefängnis, bietet heute eine Ausstellung zur mittelalterlichen Gerichtsbarkeit. Der Münzturm diente zur Prägung eines anstaltseigenen Zahlungsmittels, das Häftlinge für Einkäufe verwenden konnten. Die Händler tauschten dieses „Spielgeld“ später bei der Anstaltsleitung ein.

Der Schleierturm erhielt seinen Namen durch die Inhaftierung von Hans Schleier, der 1536 wegen Wiedertäuferei verdächtigt wurde. Der Kleiderturm diente vermutlich der Aufbewahrung von Kleidungsstücken und markierte das Ende der Hauptburg. Diese Türme, zusammen mit den Schützenständen und der mittelalterlichen Abortanlage, zeugen von der strategischen und funktionalen Architektur der Leuchtenburg.

Auflösung und Nachnutzung
Im Jahr 1871 wurde die Nutzung der Leuchtenburg als Zucht- und Armenhaus beendet. Die verbliebenen Insassen wurden entweder begnadigt oder in das Zuchthaus nach Zeitz verlegt. In den folgenden Jahrzehnten wandelte sich die Nutzung der Burg, und sie begann, ihre heutige Rolle als kulturelles und touristisches Zentrum zu entwickeln.

Die Leuchtenburg heute
Heute präsentiert sich die Leuchtenburg als ein Ort, der Geschichte lebendig werden lässt. Neben Ausstellungen zu ihrer Nutzung als Zuchthaus und ihrer mittelalterlichen Vergangenheit bietet sie Veranstaltungen wie den Weihnachtsmarkt der Wünsche an. Besucher können sich an mittelalterlicher Musik, Kunsthandwerk und weihnachtlichen Leckereien erfreuen.

Die Leuchtenburg ist ein Ort der Kontraste: Sie erzählt von menschlichem Leid und sozialer Not, aber auch von kultureller Blüte und Hoffnung. Ihre Geschichte mahnt uns, die sozialen Probleme der Vergangenheit zu verstehen und daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen.

Redakteur/Autor/Chronist: Arne Petrich

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Weitere aktuelle Beiträge