Die Sitzung der Greifswalder Bürgerschaft am 16. Dezember 2024 stand ganz im Zeichen von Rechtsverstößen und der Frage, wie diese künftig behandelt werden sollten. Dabei sorgte insbesondere ein Dringlichkeitsantrag der fraktionslosen Abgeordneten Grit Wuschek für Aufsehen. Sie forderte, alle Beschlussvorlagen und Anträge abzusetzen, die nicht ordnungsgemäß gemäß der Geschäftsordnung eingereicht worden waren. Der Hintergrund ihrer Forderung war, dass mehrere Anträge per E-Mail eingegangen seien, was ihrer Ansicht nach einen Verstoß gegen die Regelungen darstellte, da diese laut § 5 der Geschäftsordnung in schriftlicher Form unter Einhaltung einer Frist eingereicht werden müssen.
Grit Wuschek erklärte, dass sie mit ihrem Antrag nichts anderes beabsichtige, als die Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften zu sichern und so einen ordnungsgemäßen Ablauf in der Bürgerschaft zu gewährleisten. Sie betonte, dass dies auch im Interesse der Bürger sei, die von den Abgeordneten eine sorgfältige und rechtmäßige Arbeit erwarteten. Der Antrag kam jedoch nicht bei allen Mitgliedern der Bürgerschaft gut an. Einige reagierten mit Unverständnis, weil sie die eingereichten Anträge und Beschlussvorlagen bereits als ausreichend und korrekt erachteten. Einer der Abgeordneten erklärte: „Ich weiß überhaupt nicht, um welche Anträge oder Beschlussvorlagen es gehen würde“, und bezeichnete die Forderung nach einer strengeren Handhabung der Geschäftsordnung als unnötige Hürde, die die Arbeit der Bürgerschaft lähmen würde. Der Antrag wurde letztlich mit einer Mehrheit abgelehnt, doch die Diskussion führte zu einer wichtigen Folge: Es wurde vereinbart, die Geschäftsordnung zu überarbeiten, um künftige Unklarheiten zu vermeiden.
Der Antrag von Wuschek setzte sich jedoch auch mit einem weiteren Thema auseinander, das in der Sitzung eine zentrale Rolle spielte: dem Mitwirkungsverbot von Bürgerschaftsmitgliedern. Wuschek hatte in ihrem Antrag den Fall des Abgeordneten Ibrahim Al Nadjar von der SPD thematisiert. Dieser hatte 2019 in einer Sitzung der Ortsteilvertretung Schönwalde 1 Südstadt über die Vergabe von 750 Euro aus dem Ortsteilbudget für eine Weihnachtsfeier des Fußballvereins FC Alkarama Greifswald abgestimmt, obwohl er als erster Vorsitzender des Vereins von dieser Entscheidung unmittelbar profitieren würde. Nach der Geschäftsordnung hätte er in diesem Fall nicht an der Abstimmung teilnehmen dürfen, da dies einen klaren Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot darstellt.
Wuschek bezeichnete den Vorfall als gravierenden Fehler und forderte, den Beschluss der Ortsteilvertretung, der die Gelder an den Verein bewilligte, für ungültig zu erklären und die ausgezahlten Gelder zurückzufordern. Sie argumentierte, dass der Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot eine solche Konsequenz nach sich ziehen müsse. Ihr Antrag stieß auf Widerstand von Teilen der Bürgerschaft, insbesondere von Mitgliedern der SPD, die den Vorwurf als überzogen empfanden. Manches Bürgerschaftsmitglied verwies darauf, dass die Abstimmung zu diesem Zeitpunkt keinerlei Einfluss auf das Gesamtgeschehen hatte und die Gelder ohnehin ordnungsgemäß ausgegeben worden seien. Ein SPD-Abgeordneter erklärte, dass der Antrag von Wuschek „mit zweierlei Maß“ messe, weil er die Verfehlungen der eigenen Partei weniger streng bewerte als ähnliche Vorfälle in der Vergangenheit.
Der Vorwurf des „Messen mit zweierlei Maß“ bezog sich auf einen Vorfall im August, bei dem die CDU-Abgeordnete Carola Rex ebenfalls gegen das Mitwirkungsverbot verstoßen hatte, als sie bei der Abstimmung über den Masterplan für die Steinbecker Vorstadt mitwirkte, obwohl ihre persönliche Betroffenheit in diesem Fall ebenfalls nicht zu leugnen war. In diesem Fall hatte die SPD der CDU eine harte Haltung gegenüber ihrer Abgeordneten aufgebürdet und sogar deren Rücktritt gefordert. Wuschek kritisierte, dass im Fall von Ibrahim Al Nadjar die SPD eine viel nachsichtigere Haltung zeige und keine weitreichenden Konsequenzen fordere. Ihre Bemerkungen dazu wurden von einigen als Kritik an der Doppelmoral innerhalb der Bürgerschaft verstanden.
Der Rechtsbeistand der Bürgerschaft bestätigte in der Sitzung, dass tatsächlich ein Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot vorlag. Doch was folgte, war eine Differenzierung der rechtlichen Konsequenzen. Laut Rechtsamt war der Beschluss der Ortsteilvertretung Schönwalde 1 Südstadt aufgrund des Verstoßes gegen das Mitwirkungsverbot in der Tat unwirksam. Allerdings wurde auch klargestellt, dass nicht zwangsläufig eine Rückforderung der Gelder erforderlich sei. Die Entscheidung, die ausgezahlten 750 Euro zurückzufordern, hing davon ab, wie die Gelder verwendet worden waren und ob diese ordnungsgemäß nachgewiesen wurden.
Die Frage, ob der Beschluss der Ortsteilvertretung ohne weitere rechtliche Schritte als ungültig zu betrachten sei, wurde ebenfalls im Rahmen der Sitzung geklärt. Der Rechtsbeistand wies darauf hin, dass durch die Feststellung des Verstoßes der Beschluss als unwirksam betrachtet werden könne, ohne dass eine neue Abstimmung notwendig sei. Insofern stellte sich die Frage nach der Rückforderung der Gelder nicht unbedingt, da diese rechtlich nicht zwingend gefordert werden konnte. Die Klarstellung durch das Rechtsamt ermöglichte es der Bürgerschaft, den Antrag von Wuschek als erledigt zu betrachten, ohne ihn zur Abstimmung zu stellen.
Die Sitzung verlief daraufhin weiter, und Grit Wuschek zeigte sich trotz der Ablehnung ihres ursprünglichen Antrags zufrieden. Ihre Bemühungen, die Geschäftsordnung zu überarbeiten und den Vorfall rund um Ibrahim Al Nadjar aufzuklären, seien in ihren Augen erfolgreich gewesen. Die überarbeitete Geschäftsordnung sollte in der nächsten Sitzung vorgestellt werden. Wuschek wies darauf hin, dass der Fall Al Nadjar und die Feststellung der Unwirksamkeit des Beschlusses einen wichtigen Schritt für mehr Transparenz und Rechtmäßigkeit in der Greifswalder Bürgerschaft darstellten. Sie begrüßte es auch, dass die SPD nach den klaren Rechtsverstößen endlich die Konsequenzen gezogen hatte, auch wenn dies nicht zur Rückforderung der Gelder führte.
Für Ibrahim Al Nadjar blieb der Vorfall nicht ohne Konsequenzen. Er zog sich während der Debatte zurück, betonte jedoch, dass er sich bei der Abstimmung seiner Erinnerung nach enthalten habe. Trotz dieser Verteidigung gab er an, dass er den Vorfall als Fehler ansah und sich möglicherweise hätte anders verhalten sollen, indem er sich vollständig von der Sitzung zurückgezogen hätte. Al Nadjar kritisierte jedoch die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Fall und wünschte sich einen sachlicheren Umgang. Die Tatsache, dass es hier lediglich um eine geringe Summe von 750 Euro ging und das Geld für eine Weihnachtsfeier verwendet wurde, sollte seiner Ansicht nach nicht zu einem Skandal aufgebauscht werden. Er warf seinen Kritikern vor, den Vorfall unnötig zu dramatisieren, vor allem angesichts der höheren Summen, die in anderen Fällen zur Debatte stünden.
In der letzten Phase der Sitzung brachte die SPD einen Geschäftsordnungsantrag ein, um die Debatte ohne Schlussabstimmung zu beenden. Dieser Antrag wurde jedoch von Wuschek und anderen Mitgliedern abgelehnt, was die Sitzung weiterhin in eine unentschlossene Richtung lenkte. Die endgültige Klärung des Falles sollte nun in der nächsten Sitzung der Ortsteilvertretung erfolgen, bei der erneut über die Vergabe der Gelder an den FC Alkarama abgestimmt werden sollte. Dabei war Ibrahim Al Nadjar aufgrund seiner Rolle im Verein nicht mehr stimmberechtigt. Es bleibt abzuwarten, wie sich dieser Vorfall auf seine politische Zukunft auswirken wird und ob ähnliche Fälle in Zukunft strenger behandelt werden.
Insgesamt zeigte sich die Bürgerschaft uneinig über die Konsequenzen des Mitwirkungsverstoßes und die Bedeutung der Geschäftsordnung. Dennoch wurden wichtige Impulse für eine Überarbeitung der Geschäftsordnung gegeben, um künftige Rechtsverstöße zu verhindern und mehr Klarheit in der Anwendung der Regeln zu schaffen.