Unter den deutschen Atomkraftbetreibern herrschten offenbar unterschiedliche Auffassungen über die Möglichkeiten des Weiterbetriebs der letzten drei deutschen Atomkraftwerke, die aufgrund der Gesetzeslage Ende 2022 abgeschaltet werden sollten, wegen der durch den Ukraine-Krieg erwarteten Energieprobleme aber dann doch bis zum 15. April 2023 in Betrieb blieben. Während PreussenElektra bereit war, sein Kraftwerk Isar 2 auch über den mehrmonatigen Streckbetrieb hinaus weiter zu betreiben, war der RWE-Konzern weniger geneigt, sein Kraftwerk Emsland noch länger zu betreiben. Dies wurde bei den Vernehmungen im 2. Untersuchungsausschuss am vergangenen Donnerstag deutlich.
Markus Krebber (Vorstandsvorsitzender von RWE) schilderte, dass sein Unternehmen erstmals am 24. Februar 2022 bei einem Termin mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gefragt worden sei, ob ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke angesichts der durch den Beginn des Ukraine-Krieges entstandenen neuen Lage helfen könnte. Grundsätzlich gelte: Technisch sei fast alles machbar. Aber RWE sei bereits auf ein Ende des Betriebs seines Kernkraftwerks Emsland Ende 2022 eingerichtet gewesen.
Eine große Rolle bei der Vernehmung spielte daher eine von RWE abgegebene Einschätzung über einen Weiterbetrieb, die man an die Regierung geschickt hatte. Darin war von einer langwierigen Beschaffung neuer Brennelemente ebenso die Rede gewesen wie von der Notwendigkeit einer neuen Periodischen Sicherheitsüberprüfung (PSÜ). Außerdem hätten hohe Investitionskosten bei einer Verlängerung des Betriebs angestanden. Auf die Frage, ob es richtig sei, dass RWE kein Interesse an einer Verlängerung gehabt habe, sagte Krebber, das wirtschaftliche Risiko für einen längeren Weiterbetrieb über wenige Monate hinaus habe man angesichts der wechselhaften Geschichte der Kernenergie und der Erfahrungen seines Unternehmens nicht übernehmen wollen. Für einen Streckbetrieb über einen kürzeren Zeitraum gelte das aber nicht. Man habe in einem gemeinsamen Gespräch von Energiekonzernen mit der Regierung am 5. März 2022 erklärt, dass man einer politischen Entscheidung nicht im Wege stehen werde. Die Hürden für einen Weiterbetrieb seien hoch, aber nicht unüberwindbar gewesen.
Wesentlich optimistischer über einen längeren Weiterbetrieb äußerte sich Preussen-Elektra. „RWE hat die Hürden eines Weiterbetriebs wesentlich höher eingeschätzt als wir das tun“, sagte Guido Knott (Vorsitzender der Geschäftsführung der PreussenElektra). Sein Unternehmen sei bereit gewesen, aus Versorgungssicherheitsgründen für Deutschland seine Anlage Isar 2 weiter zu betreiben, aber nicht um Geld zu verdienen. Man hätte sich einen weiteren Betrieb vorstellen können – sowohl Streckbetrieb als auch weiteren Betrieb, solange die Krise anhalte. Das Kraftwerk sei zum Zeitpunkt der Abschaltung in einem Top-Zustand gewesen. Selbst im Streckbetrieb habe man noch eine Meisterleistung hingelegt. Isar 2 sei eine der besten Anlagen der Welt gewesen. „Es stand nie außer Frage, dass die Anlage hätte weiterbetrieben werden können“, sagte Knott. Aus seiner Sicht wäre eine betriebsbegleitende Sicherheitsüberprüfung leistbar gewesen.
Die im Vermerk von Wirtschafts- und Umweltministerium vom 7. März 2022 dargestellten sicherheitstechnischen Bedenken habe man unmittelbar zurückgewiesen. Eine Kaltreserve, die Habeck vorgeschwebt habe, wäre keine gute Idee gewesen, sagte Knott. Technisch sei die Kaltreserve nicht realisierbar gewesen. Ein Kernkraftwerk sei kein Notstromaggregat. Sein Unternehmen stehe für solche Experimente nicht zur Verfügung, habe er erklärt. Man habe nicht gewusst, ob das funktionieren würde.
Mehrfach angesprochen auf das Protokoll einer Telefonkonferenz mit Vertretern der Bundesregierung, in dem der Vertreter des PreussenElektra-Mutterkonzerns E.On den Streckbetrieb abgelehnt habe, sagte Knott, das sei „Spekulation“. Man sei gemeinsam für einen Weiterbetrieb eingetreten.
Frank Mastiaux, bis Ende 2022 Vorstandsvorsitzender der ENBW Baden-Württemberg, sagte, die Anlagen seien sicherheitstechnisch voll in Ordnung gewesen. Technisch und theoretisch sei der Weiterbetrieb möglich gewesen, wenn man bestimmte Dinge beachten würde wie die Lieferzeiten für Brennstäbe. Die Entscheidung für einen Weiterbetrieb habe politisch getroffen werden müssen.
Zuvor hatte ein Mitarbeiter des TÜV SÜD ebenfalls zu dem Vermerk von Umwelt- und Wirtschaftsministerium Stellung genommen und sich besonders kritisch mit den in dem Vermerk gemachten Äußerungen zur fehlenden Sicherheitsüberprüfung auseinandergesetzt. Bei der PSÜ handele sich um eine betriebsbegleitende Ergänzung des Aufsichtsverfahrens. Wenn es in einer Anlage Änderungsbedarf gebe, würde das über andere Kanäle ermittelt. Bei einer PSÜ sei nie herausgekommen, dass eine Anlage nicht sicher sei, sondern es gebe nur Erkenntnisse, wie die Sicherheit weiter erhöht werden könne. Ihm sei nicht bekannt, dass eine Anlage wegen einer PSÜ heruntergefahren werden musste. Eine derartige Überprüfung sei nicht geeignet, um aktuelle Probleme in einer Anlage zu erkennen. Dazu gebe es die ständige Aufsicht. Angesprochen auf eine Äußerung von Minister Habeck, der gesagt hätte, die Anlagen seien nicht geprüft, äußerte der Zeuge, das sei nicht richtig. Die Anlagen seien „auf Herz und Nieren“ und ganz engmaschig geprüft worden. Der Zeuge sagte, er persönlich habe auch nicht den Eindruck gehabt, dass Habeck an der „ergebnisoffenen Prüfung“, die der Minister angekündigt hatte, interessiert gewesen sei.