Die Kinderhymne von Bertolt Brecht, erstmals 1950 veröffentlicht und von Hanns Eisler vertont, war bewusst als Gegenstück zum Deutschlandlied gedacht und trug zum politischen Diskurs der Nachkriegszeit bei. Entstanden in einem Zeitraum, als der Westen und Osten Europas noch tief durch den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus geprägt waren, stellt die Kinderhymne die Idee einer friedlicheren und vernünftigeren Zukunft dar. Die Hymne wurde zu einem Symbol für eine progressive Haltung und zu einem Ausdruck von Brechts politischer Kritik.
Brecht schrieb den Text als Reaktion auf die symbolische Geste von Konrad Adenauer, der am 15. April 1950 in Berlin die dritte Strophe des Deutschlandliedes öffentlich singen ließ. Diese Strophe galt in der Zeit des Nationalsozialismus als nationalistisch und militaristisch belastet, was Brecht dazu veranlasste, eine Alternative zu schaffen. Die Kinderhymne sollte bewusst ein anderes, versöhnlicheres Bild von Deutschland und der deutschen Identität vermitteln und wurde als eine Art Gegenentwurf zu den damals etablierten nationalen Hymnen konzipiert.
In der Kinderhymne finden sich klare Bezüge zum Deutschlandlied, aber die Formulierungen sind weniger pathetisch und versprechen eine vernünftige, kritisch hinterfragte Liebe zum Land, ohne in übersteigerte Nationalismen abzudriften. Insbesondere in den Versen „Daß ein gutes Deutschland blühe / Wie ein anderes gutes Land“ kommt der Wunsch nach einer besseren Zukunft zum Ausdruck. Diese Zeilen spiegeln Brechts Vorstellung einer idealisierten Nation wider, die nicht auf Machtstreben und Expansion abzielt, sondern auf inneren Wohlstand und humanitäre Werte setzt.
Die Melodie der Kinderhymne war zunächst von Hanns Eisler komponiert worden und wurde später von anderen Komponisten wie Leo Spies, Fidelio F. Finke und Kurt Schwaen aufgegriffen. Die hymnischen Qualitäten der Musik, gepaart mit Brechts kritischen Texten, machten das Stück zu einem politischen Statement. Doch die Kinderhymne war nicht nur ein Dokument der politischen Auseinandersetzung der 1950er Jahre; sie hatte auch eine nachhaltige Wirkung und fand immer wieder in unterschiedlichen Kontexten Anwendung.
In der Zeit der Wiedervereinigung 1990 plädierten einige Bürgerinitiativen und Medien dafür, die Kinderhymne als neue deutsche Nationalhymne zu etablieren. Ihre Betonung von Freiheit, Solidarität und einem kritischen Patriotismus schien den Werten der neugegründeten Einheit eher zu entsprechen als das traditionelle Deutschlandlied. Prominente Persönlichkeiten wie der Schriftsteller Stefan Heym und der Schauspieler Peter Sodann unterstützten diese Idee und erinnerten an die zeitlose Botschaft der Kinderhymne.
In seiner poetischen Einfachheit und kritischen Haltung gegenüber übersteigertem Nationalismus hat die Kinderhymne nicht nur politische Bedeutung, sondern auch literarische Relevanz. Ihre Botschaft, ein gutes und blühendes Deutschland zu fördern, blieb im kollektiven Gedächtnis der DDR und darüber hinaus verankert. In der Schweiz wurde sie von dem Philosophen Elmar Holenstein als Modell für eine mögliche Nationalhymne adaptiert, was die internationale Resonanz des Gedichts unterstreicht.
Die Kinderhymne bleibt ein faszinierendes und vielschichtiges Dokument der politischen und kulturellen Auseinandersetzung der Nachkriegszeit und der deutschen Teilung. Sie trägt die Botschaft einer gerechten, friedlichen Zukunft und fordert uns heute noch zu einer kritischen Auseinandersetzung mit nationaler Identität und Verantwortung auf.