Shell plant große Biomethananlage in der Prignitz: Bürgerbefragung zum umstrittenen Projekt steht an
Seit fast zwei Jahren wird in Brandenburg, einer Gemeinde in der Prignitz, heftig über den Bau einer Biomethananlage durch den Ölkonzern Shell diskutiert. Auf einem riesigen Feld nahe der Autobahn A14 könnten schon bald 16 große Gärbehälter entstehen, in denen jährlich bis zu 500.000 Tonnen Gülle, Mist und andere landwirtschaftliche Abfallstoffe zu Biomethan verarbeitet werden sollen. Das gewonnene Biomethan soll überwiegend in das Gasnetz eingespeist und im Ruhrgebiet zu Bio-LNG für den Lastverkehr weiterverarbeitet werden.
Am Sonntag steht eine Bürgerbefragung an, die parallel zur Landtagswahl in Brandenburg durchgeführt wird. Die Einwohner Karstädts sollen darüber abstimmen, ob sie das Großprojekt unterstützen oder ablehnen. Diese Befragung soll ein Stimmungsbild liefern, auch wenn sie rechtlich nicht bindend ist.
Shells Pläne und die Hoffnungen der Gemeinde
Für die Gemeinde Karstädt wäre der Bau der Biomethananlage ein enormes Investitionsprojekt. Bürgermeister Udo Staeck (CDU) sieht vor allem wirtschaftliche Chancen für die Region: „Die Anlage ist hochmodern, schafft Arbeitsplätze, Gewerbesteuereinnahmen und liefert einen bestimmten Prozentsatz Methan, der uns zur Verfügung steht.“ Zudem hofft die Gemeinde auf die Ansiedlung eines weiteren Wasserstoffprojekts, das in Kombination mit der Biomethananlage zur Methanolproduktion genutzt werden könnte.
Protest der Bürgerinitiative „Stoppt Shell Karstädt“
Doch nicht alle in Karstädt sind von dem Projekt überzeugt. Die geplante Anlage spaltet die Gemeinde. Viele Anwohner befürchten negative Folgen wie mehr Verkehr, Lärm und Umweltbelastungen. Benedikta Meinberg, Sprecherin der Bürgerinitiative „Stoppt Shell Karstädt“, äußert ihre Bedenken: „Es wird eine Mega-Chemieanlage in unmittelbarer Nähe zu Wohngebieten entstehen, ohne dass wir wissen, wie die Verhandlungen mit dem Konzern verlaufen sollen.“
Die Bürgerinitiative wirft Shell mangelnde Transparenz vor, obwohl es einen Arbeitskreis gibt, in dem Vertreter der Verwaltung, des Konzerns und der Gemeinde Kriterien für den Bau der Anlage festlegen. Auch die Bürgerinitiative ist mit zwei Beobachtern in diesem Arbeitskreis vertreten, kritisiert jedoch, dass ihre Bedenken nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Genug Rohstoffe in der Region?
Ein weiterer Kritikpunkt der Initiative ist die Frage, ob in der Region ausreichend Rohstoffe für die geplante Biomethanproduktion vorhanden sind. Meinberg zweifelt daran, dass es genug Gülle gibt: „Wir haben hier wenige Milchkühe, meistens Mutterkuhherden, die draußen stehen und nicht diese Mengen an Gülle produzieren.“ Sie befürchtet, dass die Rohstoffe über weite Strecken nach Karstädt transportiert werden müssten, was die Umweltbelastung erhöhen könnte.
Der Kreisbauernverband Prignitz sieht das anders. In einer Stellungnahme spricht sich der Verband für die Anlage aus und betont, dass sie sowohl ökonomisch als auch ökologisch sinnvoll sei. Sie biete den Landwirten eine zusätzliche Einnahmequelle, und es gebe kurze Transportwege zur Anlage. „Entsprechende Anfragen von Mitgliedsbetrieben liegen vor“, heißt es in der Stellungnahme.
Geruchsbelästigung und Sicherheitsbedenken
Zusätzlich zur Rohstofffrage befürchten viele Einwohner eine erhebliche Geruchsbelästigung durch die Anlage. Erfahrungen aus dem dänischen Kvaers, wo eine ähnliche Biomethananlage steht, hätten gezeigt, dass es dort immer wieder zu Anwohnerbeschwerden wegen Gestanks komme. Zudem gibt es Bedenken hinsichtlich der Sicherheit. Im Falle eines Störfalls könnten giftige Gase freigesetzt werden, und die örtlichen Freiwilligen Feuerwehren seien nicht für den Umgang mit Industrieanlagen ausgebildet, so die Sorge der Bürgerinitiative.
Ärzte warnen vor Attraktivitätsverlust
Kurz vor der Bürgerbefragung haben sich auch zwölf lokale Ärzte, Apotheker und Therapeuten gegen das Projekt ausgesprochen. Sie befürchten, dass die Anlage die Attraktivität von Karstädt als Wohn- und Arbeitsort erheblich mindern könnte. Zahnarzt Fred Abraham, der seit über 30 Jahren in Karstädt praktiziert, äußert seine Sorgen: „Es ist jetzt schon schwierig, junge Kollegen für unsere Praxen zu gewinnen. Wenn hier eine riesige Gasanlage steht, wird es noch schwerer, Nachfolger zu finden.“ Dies sei besonders problematisch, da viele Ärzte in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen und dringend Nachfolger benötigt werden.
Bürgerbefragung soll Klarheit schaffen
Bereits vor einem Jahr sammelte die Bürgerinitiative mehr als 2.000 Unterschriften gegen das Shell-Projekt. Trotzdem entschied die Gemeindevertretung, die Planungen fortzusetzen. Auf Antrag mehrerer Gemeindevertreter wird nun die Bürgerbefragung durchgeführt. Christian Gadow vom Bauamt Karstädt betont, dass es darum gehe, ein Stimmungsbild der Gesamtgemeinde zu erhalten. „Mit dem Ergebnis muss man dann sehen, ob man weiterplant oder nicht.“
Die Bürgerinitiative hofft, dass die Gemeindevertretung das Ergebnis diesmal respektiert, auch wenn die Befragung keine rechtlichen Konsequenzen hat. Shell selbst teilte auf Anfrage des rbb mit, dass man in engem Austausch mit dem Gemeinderat stehe und die demokratischen Entscheidungen akzeptiere.
Die geplante Biomethananlage in Karstädt sorgt für kontroverse Diskussionen. Während die Gemeindevertreter in dem Projekt eine Chance für die wirtschaftliche Entwicklung sehen, befürchten viele Bürger negative Folgen für die Umwelt und die Lebensqualität. Die Bürgerbefragung am Sonntag könnte nun zeigen, wie die Mehrheit der Einwohner zu den Plänen steht – auch wenn das Ergebnis nicht bindend ist. Das Projekt bleibt ein Symbol für den schwierigen Balanceakt zwischen wirtschaftlichem Fortschritt und den Bedürfnissen der Bevölkerung in ländlichen Regionen.
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