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Schabowskis Wende-Protokoll

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Hanns Joachim Friedrichs befragt Günter Schabowski im Jahr 1990, wie er das Ende des Politbüros und der DDR erlebte.

Günter Schabowski war einer der Mächtigen, ein langjähriges Mitglied des SED-Politbüros und das Gesicht der wohl berühmtesten Pressekonferenz der deutschen Geschichte. Schonungslos und beklemmend – so zeichnet Günther Schabowski, einst mächtiges SED-Politbüromitglied und Medienverantwortlicher, in seinen späteren Reflexionen das Bild einer DDR-Führung, die realitätsfern dem eigenen Untergang entgegentaumelte.

Die DDR im Herbst 1989: Ein Land im Umbruch, dessen Führung jedoch lange Zeit die Augen vor der Realität verschloss. Schabowskis Schilderungen zeichnen das Bild eines Politbüros, das in starren Ritualen gefangen war und den Kontakt zur Bevölkerung längst verloren hatte.

Das Politbüro: Ein Elfenbeinturm der Macht
Jeden Dienstag um 10 Uhr trat das Politbüro zusammen, an einem hufeisenförmigen Tisch, an dessen Stirnseite Erich Honecker thronte und die Beratungen kontrollierte. Eine feste Sitzordnung, eine ruhige, beherrschte Atmosphäre – Hitzigkeiten waren verpönt. Doch hinter der Fassade der Ordnung verbarg sich ein System der Vorabgenehmigungen. Alle Vorlagen, so Schabowski, waren bereits mit Honecker besprochen und von ihm abgesegnet. Lebhafte Debatten? Fehlanzeige. Jeder wusste, dass die Entscheidungen im Grunde schon gefallen waren.

Noch bemerkenswerter: Außerhalb dieser Sitzungen gab es kaum Kontakt zwischen den Mitgliedern. Keine familiären Treffen, keine privaten Besuche. Schabowski vermutet dahinter eine Mischung aus Altersunterschieden, unterschiedlichen Eintrittszeitpunkten und festen Zuständigkeiten. Aber auch die über Jahre geschaffenen „Pfründe“ und die Angst vor „Fraktionsbildung“ spielten eine Rolle. Die Ausrichtung galt allein dem „Mann an der Spitze“. Die Wochenenden verbrachten viele Politbüromitglieder abgeschottet auf weitläufigen Anwesen in Wandlitz – eine selbstgewählte Isolation, die sie noch weiter von der Lebenswirklichkeit der normalen Bürger entfernte.

Wahlbetrug und Realitätsverdrängung
Ein Schlüsselmoment, der die Kluft zwischen Führung und Volk offenbarte, waren die Kommunalwahlen im Mai 1989. Die Ergebnisse, offenkundig manipuliert, sorgten für „sehr viel böses Blut“. Im Politbüro hingegen herrschte laut Schabowski „Realitätsverdrängung“. Man feierte das „überwältigende Bekenntnis“ zum Sozialismus. Schabowski selbst bezeichnete die Manipulation später als „schauerliche Sache“ und war entsetzt über die „ganz primitiven“ Zahlenfälschungen. Doch die eigentliche Farce, so seine Analyse, lag im gesamten undemokratischen Wahlverfahren selbst.

Die Krise spitzt sich zu – Hilflosigkeit an der Spitze
Als ab August 1989 immer mehr DDR-Bürger über die Botschaften in Prag, Budapest und Ost-Berlin ihre Ausreise erzwangen, wurde die „Labilität der Verhältnisse“ für jeden sichtbar – außer vielleicht für die Führungsriege selbst. Schabowski beschreibt eine Art „Hilflosigkeit“ im Politbüro. Man wollte das schlechte internationale Ansehen vermeiden, konnte es aber nicht mehr. Die Brisanz der Entwicklung, so Schabowski, habe das Politbüro „gar nicht begriffen“. Die Illusion, es entstehe kein substanzieller Schaden für die DDR, sondern nur für ihr Ansehen, hielt sich hartnäckig. Niemand sei auf die Idee gekommen, dass die DDR „auseinanderbersten könnte“. Das Tempo der Veränderung überraschte sie vollkommen.

Der Anfang vom Ende: Honeckers Sturz
Erst am 5. September 1989 kam es zur ersten offenen Debatte, als Genosse Krolikowski aussprach, was viele dachten: „Kinder, wir können doch nicht mehr… wir müssen uns doch anders Volk wenden“. Schabowski selbst forderte konkrete Schritte: eine Auseinandersetzung mit dem Exodus, neue gesellschaftliche Möglichkeiten für die Bürger, Reisefreiheit und Wirtschaftsreformen. Doch die Debatte wurde vertagt – ein „weiterer gravierender Fehler“.

Der Plan zur Absetzung Honeckers reifte erst nach dem 8. Oktober. Egon Krenz, offenbar zutiefst getroffen von Honeckers menschenverachtenden Äußerungen über die Flüchtlinge, die er als ‚asozial‘ bezeichnet haben soll, entwarf daraufhin eine Erklärung, die einer unmissverständlichen Kampfansage gleichkam. Trotz Honeckers Widerstand wurde diese Erklärung, nach konspirativen Absprachen, durchgesetzt. Am 17. Oktober 1989 war es dann so weit: Willi Stoph stellte den Antrag zur Entbindung Honeckers sowie weiterer führender Köpfe von ihren Funktionen. Honecker nahm es mit „unbewegter Miene“ zur Kenntnis. Selbst engste Vertraute wie Günter Mittag stimmten zu – für Schabowski ein besonders „schämlicher“ Akt.

Der berühmte Zettel und die Grenzöffnung
Nach Honeckers Sturz stand die neue Führung unter Krenz unter massivem Druck. Die CSSR drohte, die Grenze zu schließen, und ein neuer Reisegesetzentwurf stieß auf massive Ablehnung in der Bevölkerung. Man entschied sich für einen „spektakulären Schritt“. Das Politbüro empfahl der Regierung eine Verordnung, die das Recht jedes Bürgers auf Reisen in jedes Land seiner Wahl sichern sollte.

Am Abend des 9. November 1989 erhielt Schabowski, als Pressesprecher des ZK, von Krenz den Beschluss mit den Modalitäten. In der legendären Pressekonferenz verlas er diesen Text. Der Rest ist Geschichte. Der Eindruck der Improvisation, als er kurz auf seine Papiere blicken musste, täuschte nicht ganz. Es war, so Schabowski, ein bewusst in Gang gesetzter Vorgang, wenn auch überhastet. Eine andere Chance sah er nicht mehr.

Nachbeben eines Regimes
Die Aufarbeitung folgte prompt. Im Januar 1990 musste sich Schabowski vor der umbenannten SED-PDS verantworten, empfand es als „Strafarbeit“ im alten Stil. Die meisten alten Politbüro-Mitglieder wurden ausgeschlossen.

Schabowskis Einblicke sind mehr als nur eine historische Aufzeichnung. Sie sind eine eindringliche Mahnung, wie schnell sich eine Führung von der Realität entkoppeln kann und welche Eigendynamik politische Systeme entwickeln können – bis zum bitteren Ende. Welche Lehren ziehen wir heute daraus?

Als die SED die Kontrolle verlor: Interne Einblicke in den Herbst ’89

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Berlin, 9. November 1989. Ein Abend, der in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Tausende Berliner, Ost wie West, lagen sich in den Armen, tanzten auf der Mauer, die ein Symbol der Teilung und Unterdrückung war. Es war das Ende eines Regimes, das 40 Jahre lang unerschütterlich schien. Doch im Herzen dieser Macht, im geheimnisumwitterten Politbüro der SED, erlebte die Führungselite die Monate zuvor nicht als Regisseure, sondern als Getriebene eines unaufhaltsamen Kontrollverlusts. Die Dokumentation „Das Politbüro erlebt die deutsche Revolution – Wer zu spät kommt“ zeichnet auf Basis authentischer Dokumente und Zeitzeugengespräche ein beklemmendes Bild vom Realitätsverlust einer herrschenden Kaste.

Mai 1989: Trügerische Ruhe in der Schaltzentrale der Macht
Noch im Frühsommer 1989, während die Dienstagsrunden des Politbüros meist schweigsam und zügig Tagesordnungspunkte abhakten, ahnte kaum jemand im innersten Zirkel das drohende Unheil. Unter der alternden Führung des gesundheitlich angeschlagenen Erich Honecker, dominierten Kader wie Chefideologe Kurt Hager, das „schwarze Loch“, und Wirtschaftslenker Günther Mittag das Geschehen. Selbst Stasi-Chef Erich Mielke, der vermeintlich „alles wusste“, war Honeckers Autorität untergeordnet. Die junge Garde um Egon Krenz und Günther Schabowski fand kaum Gehör.

Ein erstes, deutliches Alarmsignal war die offensichtliche Fälschung der Kommunalwahlen am 7. Mai. Während Egon Krenz das Ergebnis als „eindrucksvolles Bekenntnis“ zum Sozialismus feierte, wurde die Manipulation zum Fanal für die aufkeimende Oppositionsbewegung. Monatliche Proteste waren die Folge, die von der Stasi mühsam unterdrückt wurden.

Realitätsverweigerung und gefilterte Informationen
Obwohl Berichte über die angespannte Versorgungslage, marode Betriebe und die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung – sei es durch Mielkes Dossiers oder direkte Bürgerbriefe – das Politbüro erreichten, wurden sie systematisch heruntergespielt. Honecker selbst verlas kritische Briefe oft theatralisch, fokussierte sich jedoch auf Oberflächlichkeiten wie kaputte Dächer, während tiefgreifende Analysen, etwa Jugendstudien, die eine wachsende Skepsis am System und den drängenden Wunsch nach Reisefreiheit offenbarten, ignoriert wurden. Kritik an den Medien wurde als Angriff auf die Partei abgetan. Die evangelischen Kirchen hingegen entwickelten sich zu wichtigen Freiräumen des Protests.

Die Fluchtwelle über Drittstaaten und die steigende Zahl der Ausreiseanträge – im Juli 1989 bereits 120.000 – wurden lange als „sommerliche Eskapade“ abgetan. Ausreisende diffamierte man als „große Drecksäcke“ und „asozial“, denen man „keine Träne nachweinen“ solle. Diese Haltung stieß selbst an der Parteibasis auf Unverständnis. Die Führung interpretierte die Flucht als „Kampagne des Gegners“ und die Öffnung der ungarischen Grenze als „Verrat“. Erst der massive Druck durch Botschaftsbesetzungen, vor allem in Prag, zwang das Politbüro im Oktober, die Ausreise der dortigen DDR-Bürger als „humanitären Akt“ zu gestatten – ein verzweifelter Versuch, die Kontrolle zurückzugewinnen.

Die Führungskrise und der Fall Honeckers
Die Sprachlosigkeit und Realitätsferne im Politbüro mündeten unweigerlich in eine tiefe Führungskrise. Die Massenproteste eskalierten, gipfelnd in der Demonstration von 500.000 Menschen am 4. November in Berlin. Die Rufe „Wir bleiben hier!“ und bald darauf „Wir sind das Volk!“ zeugten vom totalen Vertrauensverlust. Das Neue Forum, lange als „Subkultur“ belächelt, wurde zum Sprachrohr der Opposition.

Nach gewalttätigen Auseinandersetzungen in Dresden und der friedlichen Revolution in Leipzig am 9. Oktober, die einen geplanten bewaffneten Einsatz verhinderte, wurde der Druck auf Erich Honecker unerträglich. Selbst sonst schweigsame Politbüro-Mitglieder erkannten den Ernst der „schweren Krise“. Hinter den Kulissen planten Stoph, Krenz und Schabowski seine Ablösung. Man warf ihm persönliche Verantwortung für den Vertrauensverlust, wirtschaftliche Fehlentwicklungen und das Ignorieren der sowjetischen Reformen vor. Angesichts eines drohenden Abwahlantrags erklärte Honecker schließlich aus „gesundheitlichen Gründen“ seinen Rücktritt. Nach 18 Jahren an der Macht verließ er das ZK-Gebäude ohne Widerstand. Sein Nachfolger Egon Krenz wirkte jedoch von Beginn an überfordert und konzeptlos.

Das „grandioseste Missverständnis“ der deutschen Geschichte
Unter dem anhaltenden Druck der Ausreisewilligen musste eine neue Reiseregelung her. Ein vom Ministerrat vorgelegter Entwurf sollte „zeitweilige Übergangsregelungen für Reisen und ständige Ausreisen“ ermöglichen. Brisant: Das Papier, entworfen von vier Beamten des Innenministeriums und der Stasi, die eigentlich nur die ständige Ausreise regeln sollten, enthielt eigenmächtig einen Passus über Privatreisen für alle DDR-Bürger.

Am 9. November nahm das Zentralkomitee diesen Beschluss beiläufig zur Kenntnis, ohne dessen volle Tragweite zu erfassen. Man wähnte die lästige Frage der ständigen Ausreise gelöst. Auch Günther Schabowski, der das Dokument am Abend auf einer internationalen Pressekonferenz verlesen sollte, verstand dessen Inhalt falsch. Er glaubte, eine Lösung für die Botschaftsflüchtlinge zu präsentieren. Als er auf die Nachfrage eines Journalisten, wann die Regelung in Kraft trete, stammelnd antwortete: „Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich“, löste er eine Lawine aus.

Die live im Fernsehen übertragene Ankündigung trieb Tausende zu den Grenzübergängen. Die Grenzsoldaten, ohne klare Befehle und dem Druck der Massen ausgesetzt, öffneten schließlich die Schlagbäume. Der Rest ist Geschichte. Kein Blutbad, sondern grenzenloser Jubel.

Der Fall der Mauer, so das Fazit der Dokumentation und vieler Zeitzeugen, war kein geplanter Akt, sondern ein „grandioses Missverständnis“. Das Ergebnis einer Führung, die den Kontakt zur Realität und zur eigenen Bevölkerung verloren hatte und die Zeichen der Zeit nicht mehr deuten konnte. Als das Politbüro und das Zentralkomitee begriffen, was geschehen war, war es bereits zu spät. Dieses historische Missverständnis besiegelte nicht nur das Ende des Politbüros und der SED, sondern stand am Anfang der Deutschen Einheit.

Schwesig sieht Deutschlands altes Wirtschaftsmodell am Ende

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Berlin. Die jüngsten Wahlergebnisse in Berlin, die SPD und Grüne empfindlich trafen, haben die Debatten um die Leistungsfähigkeit der Ampelkoalition neu entfacht. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig spricht in diesem Zusammenhang von einer „harten Abstrafung“ – und fordert konsequente Antworten auf die drängendsten Herausforderungen Deutschlands.

„Endloser Streit“ kostet Vertrauen
Für Schwesig liegt ein zentrales Problem in der mangelnden inneren Geschlossenheit der Koalitionspartner. „Die Bürgerinnen und Bürger haben diesen endlosen Streit abgewählt“, bilanziert sie mit Blick auf kontroverse Debatten um Sozialreformen, Gaspreisdeckel und Unternehmenssteuern. Besonders Wirtschaft und Mittelstand hätten „fehlende Planungssicherheit“ beklagt, wenn wichtige Entscheidungen ins Stocken gerieten.

Wirtschaftsmodell am Scheideweg
Die Abhängigkeit von preiswerter Energie aus Russland und Sicherheit aus Amerika gehöre der Vergangenheit an, so Schwesig. Durch den Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Verteidigungsausgaben habe sich der finanzielle Spielraum zugunsten der Wirtschaft und Infrastruktur deutlich verengt. Es sei „definitiv mehr investiert“ werden müssen. Deshalb befürwortet sie die Nutzung neuer Kredite – etwa für Schulen, Krankenhäuser oder Breitbandausbau.

Sondervermögen als Planbarkeitsgarantie
Ein Lichtblick sei das 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur, das der Bund 2023 aufgelegt hat. Schwesig lobt die bundesweite Planungssicherheit für die nächsten zehn bis zwölf Jahre und kündigt für ihr Bundesland einen eigenen Zehn-Jahres-Plan an. Die Mittel müssten „vor Ort ankommen“, betont sie, und seien ausdrücklich nicht für Konsumausgaben vorgesehen. So seien beispielsweise Lehrergehälter weiterhin Landessache.

Aktienrente als „Gamechanger“
Mit Blick auf die demografische Entwicklung plädiert Schwesig für eine teilkapitalgedeckte Alterssicherung („Aktienrente“). Dieses Modell, so die Ministerpräsidentin, hätte nicht nur die Jüngeren entlastet, sondern langfristig stabilere Renten ermöglicht. Im Ampelbündnis sei der Vorschlag jedoch „verhakt“ geblieben – ein Versäumnis, das nun schmerzlich zutage trete.

Fairere Kostenverteilung beim Netzausbau
Ein weiterer Streitpunkt betrifft die Finanzierung des Stromnetzes für erneuerbare Energien. Schwesig vergleicht den Netzausbau mit dem Bau von Autobahnen, deren Kosten nicht allein den Autofahrern aufgebürdet werden. Analog dazu solle ein Teil des Sondervermögens in den Netzausbau fließen, um steigende Strompreise abzubremsen und die Akzeptanz für grüne Technologien zu sichern.

Vertrauen zurückgewinnen – und das AfD-Problem lösen
Abschließend mahnt Schwesig, die Demokratie stehe aufgrund des Vormarschs der AfD auf dem Spiel. Ein Verbotsverfahren sei „eine rechtliche Entscheidung“, bei Vorliegen aller Voraussetzungen müsse gehandelt werden. Entscheidend aber sei, „Vertrauen wieder zurückzugewinnen“ – durch konkrete Taten, nicht nur politische Versprechungen. Die SPD erwäge inzwischen neue Koalitionsoptionen, bis hin zu einer Zusammenarbeit mit der Union. Denn nach Schwesigs Ansicht hat die Ampel ihre Chance verstreichen lassen – und wird nun in Berlin wie bundesweit neu antreten müssen.

Im Zeichen des Euro: Lagarde über Geldpolitik und digitale Revolution

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Im Studio der „maischberger“-Talksendung gab Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), am Mittwochabend einen weiten Überblick über die Aufgaben der EZB, die wirtschaftlichen Herausforderungen in Deutschland und Europa sowie das Verhältnis zur globalen Großwetterlage. Dabei zeigte sie sich kämpferisch – für Preisstabilität, Digitalisierung und eine starke, handlungsfähige EU.

„Hüterin des Euro“ mit klarem Mandat
Lagarde begann mit dem Kernauftrag der EZB: der Sicherung der Preisstabilität. „Wer meine Unterschrift auf dem Geldschein sieht, versteht sofort: Ich bin Hüterin des Euro“, so die Französin. Geld sei mehr als Zahlungsmittel, es sei ein Symbol für Vertrauen und Zusammenhalt. Die EZB stehe in der Pflicht, Inflationserwartungen fest im Zaum zu halten – ein Handlungsauftrag, den sie „jeden Tag, jede Stunde“ ernst nehme.

Der digitale Euro als europäisches Gegengewicht
Ein zentrales Zukunftsprojekt der EZB ist der digitale Euro. Lagarde betonte, man arbeite „sehr hart“ daran, ein sicheres, effizientes Pendant zu schon existierenden Kryptowährungen zu schaffen. Eine Pilotphase sei „für dieses Jahr“ geplant, gefolgt von einem zweijährigen Test in einzelnen Mitgliedstaaten. Zugleich warnte sie vor übereilter Einführung: „Technische Lücken oder rechtliche Hindernisse dürfen unseren Erfolg nicht gefährden.“ Die Zustimmung des EU-Parlaments sei dafür ebenso unverzichtbar wie eine robuste Infrastruktur.

Deutschland: Stagnation im Herzen der Eurozone
Zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland, dem „Hauptakteur in der Mitte Europas“, diagnostizierte Lagarde ein „recht flaches Wachstum“. Das bislang bewährte Modell aus billiger Energie, Exportstärke und China-Partnerschaft sei durch Pandemie und geopolitische Umwälzungen ins Wanken geraten. Zwar sei ein Kollaps ausgeblieben, doch die Wachstumserwartungen hätten sich verändert. Deutschland müsse nun in Infrastruktur und Innovation investieren, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Investitionen ja – aber strukturiert und zukunftsgerichtet
Im Blick auf die jüngste Debatte im Bundestag über höhere Investitionsschulden äußerte Lagarde Zustimmung – unter einer Bedingung: „Die Mittel müssen über einen längeren Zeitraum gestreckt und klar auf Infrastruktur, Ausrüstung, Projekte und Innovation ausgerichtet sein.“ Nur so entstünden tragfähige Impulse, die Unabhängigkeit von Drittstaaten stützten und langfristiges Wachstum förderten. Auch Verteidigungsausgaben nannte sie als notwendige „andere Seite der Medaille“, um Europas Werte und Sicherheit zu verteidigen.

Geopolitische Spannungen: Osten und Westen im Visier
Lagarde warnte vor Bedrohungen aus zwei Richtungen: einem potenziell „militärischen Risiko aus dem Osten“ und protektionistischen Tendenzen in den USA. Sie kritisierte Donald Trumps frühere Drohkulisse gegen die EU-Zölle als „komplett widersinnig“ und erinnerte daran, dass die USA in den Anfängen der europäischen Einigung als Förderer aufgetreten seien. Hinter Trumps Zollpolitik wittert sie nicht nur Stimmungsmache, sondern auch das Bestreben, die eigene Industrie zu stärken oder politische Ablenkung zu inszenieren.

Persönliche Einblicke: Vom Synchronschwimmen ins Zinsgespräch
Abseits des Redepults erzählte Lagarde von ihren Erfahrungen mit mächtigen Staatschefs: Im Gespräch mit Wladimir Putin habe sie dessen minutiöse Vorbereitung und Detailversessenheit erlebt – ganz anders als bei Donald Trump, wo „Zähne zusammenbeißen und lächeln“ gefragt sei. Ihre Synchronschwimmer-Disziplin habe sie gelehrt, Ausdauer zu zeigen und sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.

Unabhängigkeit und Diversität als Fundament
Unmissverständlich verteidigte Lagarde die institutionelle Unabhängigkeit der EZB gegen politische Eingriffe. Die US-Justiz habe der Regierung unter Trump kürzlich klare Grenzen gesetzt, so Lagarde: „Zentralbanken müssen frei agieren können.“ Gleiches gelte für Diversität und Frauenförderung: Rückschritte bei Quotenprogrammen wie zuletzt bei SAP betrachte sie mit Sorge. Nur vielfältige Teams lieferten die besten Lösungen.

Europa als „fantastische Wirtschaftszone“
Abschließend bekräftigte Lagarde ihre Überzeugung, dass die Eurozone mit 150 Millionen Einwohnern, hoher Beschäftigung und beträchtlichen Ersparnissen „alles hat, um eine fantastische Wirtschaftszone zu sein“. Entscheidend seien Mut zu Investitionen, technische Innovation und ein geeintes Handeln in einem zunehmend unruhigen geopolitischen Umfeld. Dann könne Europa seine Stärken ausspielen – als Hort von Stabilität, Wohlstand und Freiheit.

Wie Desinformation und Hass die Meinungsfreiheit bedrohen

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Berlin. Die Meinungsfreiheit – ein Grundpfeiler der Demokratie und doch ein Begriff, der zunehmend zum Zankapfel wird. Auf der diesjährigen re:publica, dem Schmelztiegel der digitalen Gesellschaft, entbrannte auf der ARD/ZDF Media Stage eine hitzige und aufschlussreiche Diskussion über die Grenzen, Gefahren und die Zukunft dieses fundamentalen Rechts. Unter der Moderation von Philip Wortmann trafen ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten, Jurist Ulf Burmeier und Satiriker Nico Semsrott aufeinander, um die komplexen Herausforderungen von Desinformation, der Macht globaler Plattformen und dem Vormarsch rechtsextremer Narrative zu beleuchten.

Einigkeit herrschte darüber, dass der Begriff „Meinungsfreiheit“ keineswegs universell verstanden wird. Insbesondere der Vergleich zwischen den USA und Europa offenbare tiefe Gräben, so die Experten. Während in den Vereinigten Staaten oft das Bild eines freien „Marktplatzes der Ideen“ vorherrsche, auf dem sich die überzeugendste Meinung wie von selbst durchsetze, zog Ulf Burmeier diese Prämisse in Zweifel. Algorithmen, wie sie etwa auf X (vormals Twitter) unter Elon Musk zum Einsatz kämen, würden die Chancengleichheit von Meinungen massiv beeinflussen. Zudem, so Burmeier, seien nicht alle Meinungen per se legitim.

Deutschlands Ansatz, so wurde deutlich, ist tief in seiner Geschichte verwurzelt. Die schmerzhaften Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik und dem Schrecken des Nationalsozialismus hätten dazu geführt, dass die Menschenwürde über eine unbeschränkte Meinungsäußerung gestellt wurde. Der Grundsatz „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ sei hierzulande leitend, um zu verhindern, dass demokratiefeindliche Bestrebungen politische Wirksamkeit entfalten.

Juristisch, erklärte Burmeier, seien die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland „sehr sehr weitgehend“. Eine klare rote Linie existiere bei beweisbar falschen Faktenbehauptungen, wie der Leugnung des Holocausts. Auch Volksverhetzung und persönliche Beleidigungen seien nicht geschützt. Dennoch, so die Einschätzung, mache die Politik von diesen Einschränkungsmöglichkeiten nur „extrem zurückhaltend Gebrauch“.

Ein zentrales Schlachtfeld im Kampf um die Deutungshoheit sind die globalen Internetplattformen. Persönlichkeiten wie Elon Musk und Mark Zuckerberg inszenierten sich zwar als Vorkämpfer grenzenloser Freiheit, verfolgten laut Bettina Schausten aber vor allem handfeste ökonomische Interessen und das Ziel der Deregulierung. Ulf Burmeier unterstrich die immense Bedeutung von Plattformen wie Facebook, Instagram oder X als zentrale Arenen des öffentlichen und politischen Diskurses. Es sei daher „sehr wichtig, dass diese Plattformen so strukturiert sind, dass Lügen möglichst wenig Chancen haben.“ Der Digital Services Act (DSA) der EU sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, ihm fehle es jedoch an „Zähnen“, um die Konzerne wirksam in die Pflicht zu nehmen. Die Gefahr, den demokratischen Diskurs profitorientierten Unternehmen zu überlassen, sei immens.

Besonders kritisch sahen die Diskutanten das Phänomen der „False Balance“, bei dem wissenschaftlich fundierte Aussagen, etwa zum Klimawandel, mit unbelegten Gegenmeinungen auf eine Stufe gestellt werden. Dies erwecke den trügerischen Anschein zweier gleichwertiger Positionen und vergifte die Debattenkultur. Schausten betonte: „Eine vielfältige Diskussion kann nur auf einer gemeinsamen Basis von Fakten funktionieren.“

Intensiv widmete sich die Runde den Strategien der neuen Rechten und der AfD. Diese, so der Tenor, instrumentalisierten den Begriff der Meinungsfreiheit, um sich als Opfer einer vermeintlichen „Meinungsdiktatur“ zu stilisieren und staatliche Institutionen zu delegitimieren. Nico Semsrott griff zu einem drastischen Vergleich: Die Diskussion mit Rechtsextremen sei wie Schachspielen gegen eine Taube – diese „kacke aufs Brett, werfe alle Figuren um und behaupte dann, sie habe gewonnen.“ Ziel sei es, die Debatte an sich zu zerstören. Ulf Burmeier erklärte die Anziehungskraft rechtsextremen Gedankenguts mit dessen Fähigkeit, Emotionen wie Hass und Neid zu schüren, die oft schwerer durch komplexe, rationale Argumente für Demokratie und Menschenrechte zu entkräften seien.

Der Umgang der Medien, insbesondere der öffentlich-rechtlichen, mit der AfD wurde ebenfalls kritisch beleuchtet. Bettina Schausten stellte klar, dass ein pauschaler Ausschluss der Partei angesichts ihrer parlamentarischen Stärke nicht zielführend sei. Vielmehr erfordere der Umgang „mehr Sorgfalt und mehr Vorbereitung“, um Falschaussagen konsequent entgegenzutreten und Inszenierungen als Opfer zu durchschauen.

Die vieldiskutierte „gefühlte Meinungsfreiheit“ – laut einer Umfrage fühlen sich 44% der Deutschen in ihren Äußerungen eingeschränkt – wurde differenziert betrachtet. Während Semsrott eine Ursache in der ständigen Feedback-Kultur der sozialen Medien sah, sprach Burmeier von einem „Wahrnehmungsproblem“. Meinungsfreiheit bedeute nicht Freiheit von Widerspruch. Faktoren wie Polarisierung und eine Verschiebung des „Overton Windows“ nach rechts, wodurch ehemals abseitige Meinungen salonfähig würden, spielten ebenfalls eine Rolle.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, so Schausten, sei historisch mit dem Auftrag angetreten, unabhängig von politischen und ökonomischen Interessen Wahrheit von Lüge zu trennen. Man müsse sich jedoch der Kritik stellen, eine verengte Meinungsvielfalt abzubilden, und stärker auf Dialog und Faktenchecks setzen. Die Zukunft des Journalismus liege in der Einordnung und Erklärung von Kontexten, da reine Nachrichtenüberblicke zunehmend von KI übernommen werden könnten.

Als bedrohlich wurde der steigende Druck auf engagierte Bürger, Kommunalpolitiker und Journalisten durch politische Gewalt und Einschüchterung empfunden. Solidarität und Unterstützungsangebote seien hier unerlässlich. Ulf Burmeier stellte die von ihm mitgegründete Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) vor, die sich als „Rechtsschutzversicherung für das Grundgesetz“ verstehe und Grundrechte strategisch einklage.

Zum Abschluss appellierten die Experten an das Publikum: „Irgendetwas machen“, riet Nico Semsrott, denn Handeln sei ansteckend. Ulf Burmeier betonte die untrennbare Verbindung von Meinungs- und Pressefreiheit und rief zur finanziellen Unterstützung von Qualitätsjournalismus auf. Bettina Schausten formulierte das Ideal eines demokratischen Diskurses, der auf Fakten basiert und Lüge klar von Wahrheit trennt.

Die Debatte auf der re:publica machte eindrücklich klar: Meinungsfreiheit ist kein Selbstläufer. Sie bedarf des ständigen Engagements, klarer Grenzen gegenüber ihren Feinden und eines robusten, faktenbasierten Diskurses – eine Aufgabe für Medien und Zivilgesellschaft gleichermaßen.

Bohlens Brandrede: Pop-Titan in Sorge um Deutschland

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Der Pop-Titan Dieter Bohlen, bekannt für seine direkte Art und jahrzehntelange Erfolge im Musikgeschäft, hat in einem aktuellen Interview ungewohnt private Einblicke in seine Gedanken zur wirtschaftlichen und politischen Lage in Deutschland und Europa gegeben. Dabei sparte er nicht mit Kritik und offenbarte seine persönlichen Ängste sowie Strategien zur Krisenbewältigung.

In dem Gespräch mit BENU Solutions, das am 27. Mai 2025 ausgestrahlt wurde, äußerte Bohlen deutliche Bedenken hinsichtlich der finanziellen Zukunft und der Stabilität des Landes. „Die Angst, die habe ich jeden Tag“, gestand der Musikproduzent und bezog dies auf die Sorge, dass das über 45 Jahre erarbeitete Vermögen durch politische Entscheidungen gefährdet werden könnte. Er kritisierte insbesondere die Zinspolitik und die Besteuerung in Deutschland. Die Empfehlung von Politikern wie Olaf Scholz, Geld auf dem Sparbuch anzulegen, sei angesichts fallender Zinsen und fehlender Renditen realitätsfern. „Dieser Staat hat natürlich so aufgepasst, dass es nichts und gar nichts mehr gibt irgendwie, wo du keine Steuern drauf zahlst“, so Bohlen.

Steuerlast und Abwanderungsgedanken
Ein zentrales Thema für Bohlen ist die hohe Steuerlast und die Diskussion um mögliche weitere Steuererhöhungen oder die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer. Er berichtete von einer wachsenden Zahl vermögender Personen und Unternehmer, die Deutschland den Rücken kehren und beispielsweise nach Dubai oder in die Schweiz auswandern, um einer als erdrückend empfundenen Abgabenlast zu entgehen. „Jeder fährt quasi, guckt sich da schon ein Dubai an“, schilderte Bohlen seine Beobachtungen. Er selbst zahle bereits fast 50 Prozent Steuern und frage sich, warum er sich weitere Belastungen gefallen lassen solle. Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags sei ein Beispiel für enttäuschte Hoffnungen, da solche Abgaben seiner Meinung nach nie wirklich abgeschafft würden.

Deutschlands Ansehen in der Welt und politische Fehlentscheidungen
Bohlen zeichnete ein düsteres Bild vom internationalen Ansehen Deutschlands. Das einstige Renommee von „Made in Germany“ sei verblasst. „Wenn die Leute wüssten in Deutschland, wie sich das verändert hat, das Bild von Deutschland im Ausland […] die lachen sich alle tot“, meinte er. Er kritisierte die deutsche Außenpolitik der letzten Jahre scharf und verwies auf verschlechterte Beziehungen zu wichtigen Partnern wie Russland, China und den USA. „Mit wem wollen wir denn überhaupt noch Geschäfte machen? Mit Helgoland und Legoland und Kaufland oder was?“, fragte er provokant.

Umgang mit Erfolg und Krisen: Bohlens Ratschläge
Aus seiner langen Karriere im Showgeschäft, in der er viele Aufstiege und Abstürze miterlebt hat, leitete Bohlen auch Ratschläge für den Umgang mit Erfolg und potenziellen Krisen ab. Überschätzung und Hochmut seien die Hauptgründe für das Scheitern vieler Menschen. „Erfolg ist eine Ausnahme und nicht die Regel“, betonte er und riet dazu, finanzielle Mittel in guten Zeiten zusammenzuhalten und nicht davon auszugehen, dass der Erfolg ewig anhalte. Er selbst lebe „in permanenten Worst-Case-Szenarien“ und sei darauf vorbereitet, Deutschland notfalls innerhalb von sechs Stunden verlassen zu können. Sein Fokus habe sich daher auch von der Musikproduktion stärker auf Immobilien, Aktien und andere Investments verlagert, da sich das Musikgeschäft für ihn nicht mehr im gleichen Maße lohne.

Persönliche Strategien: Sport und positives Denken
Als persönliche Strategie, um auch in Krisenzeiten ein positives Mindset zu bewahren, nannte Bohlen vor allem Sport. Eine feste Morgenroutine inklusive Sport helfe ihm, sich gut zu fühlen und den Tag positiv zu beginnen. Zudem riet er dazu, sich von toxischen Einflüssen und Menschen zu befreien.

Das Interview offenbarte einen Dieter Bohlen, der sich abseits der Showbühne intensiv mit wirtschaftlichen und politischen Fragen auseinandersetzt und dabei kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es um seine Sorgen und seine Kritik an den aktuellen Zuständen in Deutschland geht.

Blechkameraden der Republik – Eine Reise durch den DDR-Fuhrpark

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Von Zwickau bis Eisenach, von Moskau bis Mladá Boleslav – die Straßen der DDR waren ein Spiegelbild der politischen und wirtschaftlichen Realitäten, aber auch der Träume und des Erfindungsreichtums einer ganzen Generation. Eine Spurensuche im automobilen Erbe des Ostens.

Wer heute an den Straßenverkehr der DDR denkt, dem kommt unweigerlich ein Bild in den Sinn: das des knatternden Trabant 601, jenes Kleinwagens aus Zwickau, der mit seinen 26 PS zum Symbol einer ganzen Ära wurde. Doch der automobile Alltag hinter dem Eisernen Vorhang war weitaus vielfältiger, als es das Klischee des Einheits-Pkw vermuten lässt. Es war eine Welt voller Kompromisse, Improvisationstalent und einer erstaunlichen Bandbreite an Fahrzeugen, die von robusten Volksmobilen über elegante Limousinen bis hin zu überraschenden West-Importen reichte.

Der Trabi: Mehr als nur ein Auto
Kein anderes Fahrzeug prägte das Bild der DDR so nachhaltig wie der Trabant. Vor dem legendären 601 gab es bereits Entwicklungsstufen wie den P70 oder den rundlichen P50, der später zum P60, dem „Kugelporsche“, weiterentwickelt wurde. Ab 1964 rollte dann der Trabant 601 vom Band – kantiger, moderner und doch technisch überschaubar. Seine Robustheit und Sparsamkeit machten ihn zum unverzichtbaren Begleiter im Alltag, sei es für den Familienausflug oder den Transport von Werkzeug im geräumigen „Universal“-Modell. Eine technische Besonderheit war der „Hycomat“, eine elektrohydraulische Kupplung, die vor allem Menschen mit Behinderung das Fahren erleichterte. Auch wenn die Produktion 1991 mit dem Trabant 1.1 und seinem Viertaktmotor endete, lebt die Legende dank unzähliger Liebhaber und Clubs bis heute weiter – sogar im einst „kapitalistischen Ausland“, wo der Trabi für seine Andersartigkeit geschätzt wurde.

Wartburg: Der Hauch von Luxus aus Eisenach
Wer es etwas geräumiger und leistungsstärker mochte, für den war der Wartburg aus Eisenach die erste Wahl. Bereits 1956 lief der erste Wartburg 311 vom Band und versprach mit seinem Dreizylinder-Zweitaktmotor und über 100 km/h Höchstgeschwindigkeit einen Hauch von automobilem Luxus. Modelle wie der „Camping“ mit seinen charakteristischen Heckfenstern wurden zu Ikonen. Später folgte der Wartburg 1000 und schließlich der kantige Wartburg 353, der technische Neuerungen wie ein vollsynchronisiertes Getriebe und Scheibenbremsen mitbrachte. Auch der Wartburg fand seine Anhänger jenseits der DDR-Grenzen, insbesondere in England.

Die sozialistischen Brüder: Skoda, Lada und Co.
Doch nicht nur heimische Produktionen prägten das Straßenbild. Importe aus den sozialistischen Bruderländern spielten eine wichtige Rolle. Aus der Tschechoslowakei kamen zuverlässige Skoda-Modelle wie der heckgetriebene 1000 MB oder später der S100 und S105/S120, die für ihre durchdachten Details und ihre Robustheit geschätzt wurden.

Aus der Sowjetunion rollten die unverwüstlichen Lada-Modelle, Lizenzbauten des Fiat 124, die für ihre Wintertauglichkeit bekannt waren und in der Krimiserie „Polizeiruf 110“ gar zu heimlichen Fernsehstars avancierten. Ähnlich konstruiert war der Polski Fiat 125P aus Polen. Ein Geheimtipp in Sachen Verarbeitungsqualität war der jugoslawische Zastava, ein Lizenzbau des Fiat 128, der jedoch aufgrund geringer Importzahlen eine Seltenheit blieb.

Weniger beliebt, aber dennoch präsent, waren der rumänische Dacia, ein Renault-Lizenzbau, der als reparaturanfällig galt, und der Moskvich aus Moskau, der zwar mit einem kräftigen Motor lockte, aber unter erheblichen Rostproblemen litt. Der kleine, laute Saporoshez aus der Ukraine komplettierte das Bild der Importfahrzeuge – spartanisch, aber unermüdlich.

Nutzfahrzeuge und Luxuskarossen: Barkas, Tatra und Volga
Für den Transport von Waren und Personen stand der vielseitige Kleintransporter Barkas B1000 bereit, angetrieben vom bewährten Wartburg-Motor. Am oberen Ende der Skala rangierten die Fahrzeuge der Elite: Der tschechoslowakische Tatra, mit seinen leistungsstarken, luftgekühlten Achtzylinder-Heckmotoren ein „Ferrari des Ostens“, war meist Funktionären vorbehalten. Ebenso der durstige, aber repräsentative russische Volga, der oft als Taxi oder Behördenfahrzeug diente, und der noch exklusivere Chaik, die chromblitzende Staatskarosse für höchste Politbüro-Mitglieder.

Überraschende West-Kontakte
Trotz aller Planwirtschaft und Rohstoffknappheit fanden auch Fahrzeuge aus dem Westen ihren Weg in die DDR. So wurden beispielsweise Volvo-Limousinen für Regierungszwecke importiert, da sie günstiger zu beschaffen waren als die begehrten Tatra-Modelle. In den 80er Jahren tauchten vermehrt auch Citroën, VW Busse oder Mazda auf den Straßen auf, oft im Rahmen von Joint Ventures oder speziellen Importabkommen.

Ein Erbe, das weiterlebt
Der DDR-Fuhrpark war ein faszinierendes Mosaik aus heimischer Ingenieurskunst, sozialistischer Kooperation und pragmatischen Lösungen. Viele dieser „Blechkameraden“ sind dank engagierter Sammler und Vereine auch heute noch auf unseren Straßen unterwegs. Sie sind nicht nur rollende Zeitzeugen, sondern auch ein Beweis dafür, dass die automobile Leidenschaft keine Grenzen kennt und die Geschichten dieser Fahrzeuge noch lange nicht auserzählt sind. Von den Rennstrecken des Ostblocks bis zu den heutigen Oldtimertreffen – das Erbe des DDR-Automobilbaus ist lebendiger denn je.

Schwerins umstrittener Lenin – Debatte um DDR-Erbe kocht hoch

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Opferverbände fordern Entfernung der Statue und planen Verhüllung – Stadt ringt seit Jahrzehnten um Umgang mit dem Monument

Schwerin. Die Debatte um das Lenin-Denkmal im Schweriner Stadtteil Großer Dreesch erreicht einen neuen Siedepunkt. Für den 14. Juni 2025 haben Opferverbände wie die UOKG e.V. und die Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion e.V. eine Mahnwache und Kundgebung an der Kreuzung Hamburger Allee/Plater Straße angekündigt. Ihre Forderung ist unmissverständlich: „Weg mit der Leninstatue – keine öffentlichen Ehrungen für Verbrecher!“ Als symbolischer Akt des Protests ist eine Verhüllung des umstrittenen Bronzestandbildes geplant.

Das 1985 vom Künstler Soak geschaffene Denkmal ist in Schwerin seit langem ein Zankapfel. Schon seine Aufstellung gestaltete sich bizarr: Da ein Fixierungspunkt für ein Halteseil fehlte, musste eine Schlinge um Lenins Hals gelegt werden, um ihn auf den Sockel zu hieven – eine Szene, deren fotografische Dokumentation auf politische Anweisung hin unter Verschluss blieb, um unerwünschte Interpretationen zu vermeiden. Künstlerisch weicht der Schweriner Lenin von vielen heroischen Darstellungen ab; seine impressionistische Formgestaltung zeugt von den künstlerischen Spielräumen in der späten DDR.

Nach der deutschen Wiedervereinigung, als das Denkmal erst fünf Jahre alt war, entbrannte die Diskussion um seine Zukunft. Trotz langer Debatten empfahl 1993 eine außerparlamentarische Kommission der Stadtvertretung den Erhalt der Plastik – eine Entscheidung, die bis heute Bestand hat. Im Jahr 2007 versuchte man, dem Monument eine Kontextualisierung beizufügen: Eine Texttafel wurde in den Sockel integriert, die über den Dargestellten und sein politisches Wirken informieren soll.

Doch auch diese Geste brachte keinen Frieden. Der Historiker Jörg Ganzenmüller attestierte dem Text gravierende Fehler. Helmut Holter von der Partei Die Linke räumte ein, der Text sei ein „politischer Kompromiss“ gewesen. Er argumentiert, dass Denkmäler Anstöße zur Auseinandersetzung mit Geschichte geben könnten – als „Provokation: Denk mal!“. Diese Haltung steht im scharfen Kontrast zur CDU, die sich zuletzt 2024 für einen Abriss aussprach, und insbesondere zu den Opferverbänden, die in der Statue eine Verhöhnung der Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft sehen.

Der Schweriner Streit reiht sich ein in eine deutschlandweite und über die Grenzen hinausgehende Auseinandersetzung mit dem Erbe von Diktaturen im öffentlichen Raum. Während manche DDR-Zeugnisse, wie Wandmosaike, heute eher als Baudenkmäler einer vergangenen Epoche betrachtet werden, bleiben politische Monumente wie Lenin- oder Marx-Engels-Statuen hochgradig umstritten. Historiker wie David Johst merken an, dass es nach 1989 nur wenige spontane Denkmalstürze gab; die meisten Verschwindenlassen seien Ergebnis politischer Beschlüsse gewesen.

Neben Abriss und unverändertem Erhalt gibt es vielfältige Ansätze der Neu-Interpretation. Einfache Plaketten gelten dabei oft als unzureichende Notlösungen. Stärkere Eingriffe wie künstlerische Veränderungen, Ergänzungen oder die Schaffung von Gegendenkmälern werden als wirkungsvollere Methoden der kritischen Auseinandersetzung angesehen – Ideen wie die Zerlegung des Dresdner Lenin-Denkmals („Lenins Lager“) oder Zusätze am „Fäuste-Denkmal“ in Halle illustrieren solche Ansätze.

Eine Quelle bezeichnete das Schweriner Exemplar gar als „Letztes Denkmal im früheren Ostblock“ und beschreibt die Stadt als „ringend“. Dass die Symbolkraft und Kontroverse um Lenin auch außerhalb der ehemaligen DDR virulent ist, zeigte 2020 die Aufstellung eines neuen Lenin-Denkmals in Gelsenkirchen, die ebenfalls massive Gegenproteste auslöste.

Während die Opferverbände am 14. Juni 2025 ein unübersehbares Zeichen für die Entfernung des Schweriner Lenins setzen wollen, ist eine endgültige politische Entscheidung in der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns weiterhin nicht in Sicht. Die anstehende Protestaktion dürfte die Diskussion um den angemessenen Umgang mit einem schwierigen Erbe erneut befeuern und die Frage aufwerfen, wie eine Gesellschaft Erinnerung gestaltet, ohne dabei die Gefühle der Opfer zu verletzen.

Initiative „Quote-Ost“ fordert 20 Prozent Ostdeutsche in der Filmbranche

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Berlin. Eine neue Initiative sorgt für Debatten in der deutschen Film- und Fernsehlandschaft: „Quote-Ost“, mitbegründet vom Schriftsteller und Drehbuchautor Professor Torsten Schulz, verlangt eine verbindliche 20-prozentige Teilhabe Ostdeutscher in den Entscheidungspositionen der Branche. Dies entspreche ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung und sei eine Reaktion auf jahrelange Ignoranz und Benachteiligung, so die Initiatoren.

Der offene Brief, unterzeichnet von prominenten Schauspielern wie Milan Peschel und Fritzi Haberlandt sowie Autoren wie Jakob Hein und eben Torsten Schulz, formuliert klare Forderungen. Doch warum dieser Schritt, der unweigerlich eine neue Debatte um Identitätspolitik entfacht? „Der Osten wurde und wird von vielen schlicht ignoriert“, erklärt Schulz. Für andere sei das Thema seit den Neunzigerjahren „durchdiskutiert und auserzählt“. Ein Trugschluss, meint Schulz, denn gerade die 30- bis 45-Jährigen mit ausgeprägter Ostidentität würden systematisch benachteiligt und erhielten ihnen zustehende Jobs nicht, weil diese an Westdeutsche gingen. Diese Ungerechtigkeiten seien „zu massiv und verfestigt“, um seine grundsätzliche Skepsis gegenüber Quoten aufrechtzuerhalten. Aktuell liege der Anteil Ostdeutscher in Führungspositionen bei lediglich sieben bis acht Prozent.

Vier Kernforderungen für mehr Sichtbarkeit

Die Initiative „Quote-Ost“ stellt vier spezifische Forderungen:

  • Eine Quote für Ostdeutsche entsprechend dem Bevölkerungsanteil in Entscheidungspositionen (Redaktionen, Gremien, Intendanzen, kreative Schlüsselpositionen).
  • Die Einsetzung von Findungskommissionen bei der Besetzung solcher Positionen.
  • Mehr fiktionale Produktionen, die wirklich im Osten Deutschlands realisiert werden.
  • Die Etablierung von Ansprechpartnern in Sendern, Förderinstitutionen, bei Streamern und in Ministerien für die Belange Ostdeutscher.
    Zwischen Identitätspolitik und Notwendigkeit

Torsten Schulz räumt ein, dass eine Ostquote ebenfalls identitätspolitisch sei. Er vergleicht die Forderung mit der Frauenquote, der er ambivalent gegenübersteht. Zwar habe sie Frauen genutzt, doch sei sie an Universitäten bisweilen als „Interesseninstrument“ missbraucht worden, das nicht immer den Leistungsorientiertesten zugutegekommen sei. Dennoch sieht er die Notwendigkeit angesichts der tief sitzenden Benachteiligung. Die Definition, wer als „ostdeutsch“ gilt, orientiert sich an der Migrationsdefinition: eine Person selbst oder mindestens ein Elternteil wurde nicht mit bundesdeutscher Staatsangehörigkeit geboren. Schulz fügt die Begriffe „Bio-, Geo- und vor allem Sozioostdeutsch“ hinzu.

Ein zentrales Anliegen ist auch die Darstellung des Ostens. Es fehle oft an „Entdeckungslust, am Blick für Überraschendes, an Neugierde“. Stattdessen dominierten Klischees von Neonazis und alten Stasi-Seilschaften, oft weil westdeutsche Autoren recherchierten oder Ostautoren sich aus Anpassungsdruck diesen Stereotypen fügten. Die Forderung, ostdeutsche Rollen nur mit Ostdeutschen zu besetzen, hält Schulz hingegen für „identitätspolitische Unart“ und „totalen Quatsch“. Wünschenswert sei jedoch häufiger ein „Erzählen von innen heraus“.

Netzwerke, Ignoranz und die Hoffnung auf Aufmerksamkeit
Die geringe Anzahl Ostdeutscher in Gremien erklärt Schulz mit dem „Grundsog der Gesellschaft“, bei dem Menschen in Machtpositionen dazu neigen, ähnliche Leute heranzuziehen. Ostdeutsche seien hier oft „die anderen“. Es gehe um den „eigenen Stallgeruch, die Sicherheit, die herrschenden Netzwerke“.

Die Initiative sei auch ein Versuch, „auf den Putz zu hauen und zu nerven“. Schulz kritisiert, dass das Thema Diversity zwar begrüßenswert sei, aber oft eine „bigotte Angelegenheit“ darstelle, da es „für Ostdeutsche jedenfalls nicht gilt“. Das Timing der Initiative, auch vor dem Hintergrund aktueller Wahlergebnisse, die einen Keil zwischen Ost und West offenbaren, sei möglicherweise günstig. Schulz ist überzeugt, dass das mediale Bild des Ostdeutschen als Problemfall erheblich zu diesem Keil beitrage.

Die Reaktionen auf den offenen Brief sind bisher verhalten. Das ZDF signalisierte Gesprächsbereitschaft, andere verwiesen auf Datenschutz oder antworteten gar nicht. Trotz der Unterstützung, auch von Westdeutschen, glaubt Schulz nicht an einen Erfolg wie bei der Frauenquote. Dennoch sei die Identitätsverortung im Osten, auch bei Jüngeren, sehr ausgeprägt. Es gehe darum, dass ostdeutsche Geschichten endlich erzählt und ihre Erfahrungen wahr- und ernstgenommen werden – ein Bedürfnis, das lange unterschätzt wurde und sich über Generationen vererbt habe. Die oft unbedachte Ignoranz und Arroganz des Westens, fasst er in dem oft gehörten Satz zusammen: „Du bist aus dem Osten? Merkt man gar nicht!“ – ein Satz, der das Problem auf den Punkt bringe.

„Demokratie versus Diktatur“: Kowalczuks Weckruf an die schweigende Mehrheit

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Halberstadt. Mit einer eindringlichen Warnung vor einer existenziellen Bedrohung der Demokratie hat der Historiker und DDR-Experte Ilko-Sascha Kowalczuk in Halberstadt aufhorchen lassen. Im Zentrum seiner Analyse, basierend auf seinem Buch „Freiheitsschock“, stehen die traumatischen Transformationserfahrungen Ostdeutschlands seit 1989/90, deren Nachwirkungen er als Nährboden für aktuelle antidemokratische Tendenzen sieht. Weltweit, so Kowalczuk, stehe man vor der Wahl: „Freiheit versus Unfreiheit, Demokratie versus Diktatur.“

Kowalczuk prägte den Begriff des „Freiheitsschocks“, um die tiefgreifenden Verwerfungen zu beschreiben, die die schnelle Wiedervereinigung und die Währungsunion am 1. Juli 1990 für die ostdeutsche Gesellschaft bedeuteten. Der oft abrupte Verlust von Arbeitsplätzen – 80 Prozent der Ostdeutschen arbeiteten innerhalb von zwei Jahren nicht mehr in derselben Institution wie 1990 – und der Zusammenbruch vertrauter sozialer sowie kultureller Strukturen hätten einen „Phantomschmerz nach dem Kollektiv“ hinterlassen, der bis heute spürbar sei. Dies habe eine bis dahin unbekannte mentale Situation geschaffen.

Entgegen der verbreiteten Annahme sei die Revolution von 1989 keine Bewegung der Mehrheit gewesen, sondern von Minderheiten getragen worden, während die breite Masse abwartete. Die eigentlichen Zäsuren für die ostdeutsche Bevölkerung seien die erste freie Wahl am 18. März 1990, bei der 75% für den schnellsten Weg zur Einheit stimmten, und die Einführung der D-Mark gewesen – Entscheidungen für einen rasanten Einigungsprozess, den viele damalige Befürworter heute kritisch sähen oder verdrängten.

Als tiefere Ursachen für die heutige demokratische Fragilität, besonders im Osten, nannte Kowalczuk eine mangelhafte gesellschaftspolitische Aufarbeitung des Nationalsozialismus und der SED-Diktatur seit 1990. Diese sei oft „von oben herab“ erfolgt und habe die in Familien tradierten Narrative – die stärkste politische Sozialisationsinstanz – kaum erreicht. Besonders die „Baseballschlägerjahre“ der 1990er, in denen faschistische Jugendkulturen teils auf Akzeptanz stießen und von Teilen der Gesellschaft applaudiert wurden, hätten eine „faschistische Dominanzkultur“ hinterlassen. Die damaligen Jugendlichen seien nun Eltern, die diese Prägungen potenziell weitergeben. Eine schwache Zivilgesellschaft im Osten verstärke diese Problematik.

Scharfe Kritik übte der Historiker an Parteien wie der AfD, die er als faschistisch bezeichnete und für deren Verbot er plädierte, sowie am BSW. Beide agierten gegen das Grundgesetz und strebten eine „Diktatur der Mehrheit“ an, in der Minderheitenrechte keine Rolle spielten. Die Tatsache, dass über 10 Millionen Menschen in Deutschland solchen Kräften die Führung des Landes zutrauten, sei die eigentliche Herausforderung. Weltweite Entwicklungen wie Verunsicherung durch Globalisierung, Digitalisierung und eine polarisierende politische Rhetorik, die aus Gegnern Feinde mache, kämen als verstärkende Faktoren hinzu.

Kowalczuks Appell richtete sich eindringlich an die „anderen 75 Prozent“ der Bevölkerung. Diese demokratische Mehrheit müsse aufwachen, aktiv werden und für ihre Werte einstehen. „Demokratie funktioniert nur durch aktive Partizipation, Mitmachen und Teilhabe“, betonte er und kritisierte die mangelnde Sichtbarkeit von Universitäten als Verteidiger der Demokratie.

Die Botschaft des Historikers aus Halberstadt ist ein unmissverständlicher Weckruf: Ein passives Aussitzen der Probleme werde die Demokratie weiter erodieren lassen. Nur durch aktives Gegensteuern, das Stärken der demokratischen Mehrheit und das Eintreten für die Aufklärung lasse sich die Gefahr abwenden – auch auf die Gefahr hin, zu verlieren, denn sonst verliere man ohnehin, inklusive der Selbstachtung.