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Die Rote Optik – Wie das DDR-Fernsehen zur Staatspropaganda wurde

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Im Schatten des Kalten Krieges war das Fernsehen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) längst mehr als nur ein Unterhaltungsmedium. Es entwickelte sich zu einem hochgradig zentral gesteuerten Propagandainstrument, das die Bevölkerung nicht nur informieren, sondern auch ideologisch formen sollte. Ein Bericht aus dem Jahr 1964 mit dem Titel „Die Rote Optik: ‚DDR‐Fernsehen als Staatspropaganda’“ beleuchtet eindrucksvoll, wie das ostdeutsche Fernsehprogramm als Sprachrohr der SED diente und in welchem Maße es sich dabei bediente, den Westen zu diskreditieren.

Ein Medieninstrument im Kalten Krieg
Das DDR-Fernsehen war kein freies Medium – es war Teil eines systematischen Machtapparats. Unter der strikten Kontrolle der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) wurden alle Inhalte zentral in Berlin-Adlershof geplant und gesteuert. Ziel war es, ein einheitliches, politisch gefärbtes Narrativ zu etablieren, das die sozialistische Staatsideologie in den Vordergrund rückte und gleichzeitig den westlichen Lebensstil als dekadent und unmoralisch darstellte.

Die offizielle Aufgabe des Fernsehprogramms war es, die Bevölkerung am „Zeitgeschehen“ zu beteiligen, sie politisch zu schulen und gleichzeitig einen kontinuierlichen Wechsel von alten zu neuen, sozialistischen Ideen zu fördern. Doch hinter dieser Fassade verbarg sich eine mediengestützte Manipulation, die weit über reine Information hinausging.

Propagandatechniken: Bild, Ton und gezielte Verzerrung
Ein zentrales Element der DDR-Propaganda war der bewusste Einsatz von Bild, Wort und Musik. Die Fernsehbeiträge waren alles andere als neutral. Stattdessen wurden Inhalte so inszeniert, dass sie Emotionen weckten und die Zuschauer in eine bestimmte ideologische Richtung drängten:

  • Parteilichkeit und ideologische Vorgaben:
    Jeder Beitrag folgte streng der Parteilinie der SED. Journalistische Objektivität wurde geopfert, um ein Bild zu zeichnen, das den sozialistischen Staat als alleiniges Heilmittel gegen die vermeintlichen Übel des Westens präsentiert.
  • Manipulative Bildsprache und musikalische Untermalung:
    Die Auswahl und Kombination von Bildern sowie der gezielte Einsatz von Musik sollten nicht nur unterhalten, sondern vor allem Gefühle hervorrufen. Ein identischer Bildausschnitt konnte – je nach musikalischer Begleitung – ganz unterschiedliche Stimmungen erzeugen. Dies verlieh den Sendungen einen beinahe hypnotischen Effekt, der die Zuschauer in die ideologische Miene des Staates hineinziehen sollte.
  • Verzerrte Darstellung der Realität:
    Durch gezielte Auslassungen und das Herausschneiden von Schlüsselpassagen in Nachrichten und Reportagen wurden Fakten manipuliert. Negativmeldungen über die Bundesrepublik wurden als Beweis für den moralischen Verfall und die Unfähigkeit des Westens inszeniert, während das Bild des Sozialismus als überlegene Alternative propagiert wurde.

„Der Schwarze Kanal“: Propaganda als „Analyse“
Besonders exemplarisch für die propagandistische Methodik war die Sendung „Der Schwarze Kanal“ unter der Moderation von Karl Eduard von Schnitzler. In dieser Sendung wurden westdeutsche Fernsehbeiträge stückweise herausgeschnitten und in einem völlig veränderten Kontext präsentiert. Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich um Sport, Unterhaltung oder Nachrichten handelte – das Ziel war immer dasselbe: die fehlerhafte Darstellung des Westens.

Schnitzler nutzte Stenogramme und selektierte Bildausschnitte, um die vermeintlichen Mängel und Unzulänglichkeiten des westdeutschen Fernsehens herauszustellen. Sein Vorgehen war dabei oft aggressiv und polemisch, was der Sendung einen fast kabarettistischen Charakter verlieh. Kritiker bemängelten, dass der präzise Zuschnitt und die bewusste Verzerrung von Aussagen einen grotesken Eindruck von Realität erzeugten, der der Komplexität der tatsächlichen Geschehnisse kaum gerecht wurde.

Historische Parallelen und die Lehren der Vergangenheit
Der Bericht zieht weitreichende Parallelen zu früheren Formen der Propaganda – von den kommunistischen Propagandastreifen in der Weimarer Republik bis hin zur ausgeklügelten Bild- und Tonmanipulation der Nationalsozialisten. Diese historischen Vergleiche zeigen, dass die grundlegenden Mechanismen der Massenbeeinflussung, wie der gezielte Einsatz von Emotionen und das Schüren von Feindbildern, in autoritären Systemen eine lange Tradition haben.

Während in der Weimarer Zeit die Medien vor allem dazu dienten, die Not der Arbeiterklasse und die Ausbeutung durch kapitalistische Strukturen zu thematisieren, wurde im DDR-Fernsehen das Bild des Westens als Hort der Reaktion und des unmoralischen Verfalls gezeichnet. Diese Rückgriffe auf bewährte Propagandamethoden machten das ostdeutsche Fernsehen zu einem wirkungsvollen, wenn auch letztlich widersprüchlichen Instrument der Staatsmacht.

Reaktionen und Gegenmaßnahmen im Westen
In der Bundesrepublik Deutschland blieb man nicht untätig. Neben kritischen Medienbeiträgen und journalistischen Recherchen wurde auch aktiv versucht, den Einfluss des DDR-Fernsehens einzudämmen. Formate wie das Telestudio West richteten sich gezielt an die Westdeutschen, um das Bild eines militärisch aufgeladenen Ostens der angeblichen Friedenspolitik Bonns gegenüberzustellen.

Auch innerhalb des westdeutschen Rundfunks gab es Stimmen, die vor der manipulativen Kraft des Fernsehens warnten. Medienvertreter wie Hans-Ulrich Barth betonten, dass die mediale Wirkung weit über das hinausging, was gedruckte Worte allein leisten konnten. Der allmähliche „Realitätscheck“ – wenn die Zuschauer am nächsten Morgen mit den tatsächlichen Lebensumständen konfrontiert wurden – sollte letztlich die propagandistischen Versuche entkräften.

Zwischen Illusion und Realität
Die doppelte Funktion des DDR-Fernsehens ist dabei besonders bemerkenswert. Einerseits diente es als gezieltes Instrument der ideologischen Beeinflussung, andererseits bot es – wenn auch unbeabsichtigt – einen Blick hinter den Eisernen Vorhang. Während die propagandistischen Inhalte den ostdeutschen Alltag idealisierten, zeigte sich in der Realität oft ein ganz anderes Bild. Diese Diskrepanz zwischen Inszenierung und Wirklichkeit führte dazu, dass die propagandistische Wirkung langfristig immer wieder durch den harten Kontrast zur Lebenswirklichkeit der Bevölkerung unterlaufen wurde.

Die mediale Propaganda der DDR war somit ein zweischneidiges Schwert: Ihre unmittelbare Wirkung war groß, doch der scharfe Gegensatz zur Realität konnte den ideologischen Einfluss nicht dauerhaft sichern. Der Versuch, das Bild des Westens als Inbegriff von Unmoral und Verfall zu etablieren, stieß letztlich an die Grenzen einer Bevölkerung, die – selbst in einem repressiven System – immer wieder den Blick auf das eigene Leben und dessen Herausforderungen richtete.

Ein Mahnmal für die Medienethik
Der Bericht „Die Rote Optik“ liefert heute, mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Analyse, wertvolle Einsichten in die Funktionsweise mediengestützter Propaganda. Er zeigt eindrücklich, wie Medien als Machtinstrument in autoritären Regimen eingesetzt werden können und welche Gefahren mit der Verzerrung von Informationen einhergehen. Die Lehren aus dieser Zeit sind auch in der heutigen Medienlandschaft aktuell: Transparenz, Vielfalt und kritische Reflexion sind unerlässlich, um Manipulationen vorzubeugen und eine informierte Öffentlichkeit zu gewährleisten.

In einer Ära, in der Informationen in Hülle und Fülle vorhanden sind und mediale Wahrheiten häufig gegeneinander ausgespielt werden, erinnert uns die Geschichte des DDR-Fernsehens daran, wie eng Medien, Politik und gesellschaftliche Wahrnehmung miteinander verknüpft sind. Es bleibt eine zentrale Aufgabe, die Mechanismen der Massenbeeinflussung zu erkennen und ihnen mit einer aufgeklärten, sachlichen Berichterstattung entgegenzuwirken – denn nur so lässt sich der freie, demokratische Diskurs bewahren.

Die Rote Optik ist mehr als nur ein historisches Dokument. Sie ist ein Mahnmal dafür, dass der Missbrauch medialer Macht nicht nur in fernen Diktaturen, sondern auch in subtilen, modernen Formen auftreten kann. Als Gesellschaft sind wir gefordert, stets wachsam zu bleiben und uns der Verantwortung bewusst zu sein, die in der Verbreitung von Informationen liegt.

KultUlk – DDR-Rock-Doku: Auftakt mit Paule Pont

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Mit „KultUlk – Ostrocker Paule Pont plappert“ startet eine neue Doku-Reihe, die sich der Rock- und Musikszene der DDR widmet. Gastgeber ist Wolfgang „Paule“ Fuchs, ein Musiker mit fast 50 Jahren Bühnenerfahrung. In der ersten Folge gibt der ehemalige Frontmann der Band PONT einen unterhaltsamen Einblick in seine Karriere und die besonderen Bedingungen für Musiker in der DDR.

Ein Musikerleben zwischen Ostrock und Bürokratie
Paule Pont, wie er in der Szene genannt wird, gründete 1977 in Berlin-Prenzlauer Berg seine eigene Band PONT. Mit Humor und Anekdoten erzählt er vom Alltag eines Rockmusikers in der DDR – von staatlichen Prüfungen, der Schwierigkeit, an westliche Instrumente zu gelangen, und den Honoraren, die damals gezahlt wurden. Dabei verweist er auf sein Buch „Wolfgang Paule Fuchs, staatlich geprüfter Rockmusiker“, in dem er seine Erlebnisse ausführlicher schildert.

Vielfalt der DDR-Rockszene
Die Musiklandschaft in der DDR war laut Paule Pont weit mehr als nur Puhdys oder Karat. Es gab zahlreiche talentierte Bands, die sich in den verschiedensten Genres bewegten – von Rock über Pop bis hin zu anderen internationalen Stilrichtungen. Auch in seiner aktuellen Band „Die Bombas“, in der er als „Der Bomba“ auftritt, lebt er seine Leidenschaft für Musik weiter aus.

Zwischen Nostalgie und Zeitgeist
Neben der musikalischen Zeitreise sorgt Paule Pont für Unterhaltung mit Sketchen und Anekdoten. Er lässt sich auch über aktuelle gesellschaftliche Themen aus, etwa über die Gender-Debatte, die er mit ironischen Kommentaren aufgreift.

Ausblick auf kommende Folgen
„KultUlk“ soll in weiteren Episoden tiefer in die Geschichte der DDR-Musikszene eintauchen. Geplant sind weitere Erzählungen aus Paule Ponts Musikerleben, ergänzt durch Musikbeiträge und humorvolle Einschübe. Zuschauer dürfen sich auf eine Mischung aus Nostalgie, Hintergrundwissen und Entertainment freuen.

Mit einem augenzwinkernden „Bleibt gesund und bis die Tage!“ verabschiedet sich Paule Pont am Ende der ersten Folge – und macht neugierig auf mehr.

Schloss Sonnenstein in Pirna: Vom Mittelalter zur NS-Tötungsanstalt

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Die Heilanstalt Pirna Sonnenstein, einst ein Symbol für Fortschritt in der Psychiatrie, wird ab 1940 zum Ort unvorstellbarer Gräueltaten. Im Rahmen der geheimen Vernichtungsaktion „T4“ werden hier innerhalb weniger Monate über 14.750 Menschen mit psychischen Erkrankungen und geistigen Behinderungen ermordet. Nach dem Zweiten Weltkrieg liegt der Mantel des Schweigens über der ehemaligen Anstalt.

Acht Jahrzehnte später beginnt Brigitte Wiebelitz, das Familiengeheimnis um das Verschwinden ihrer Tante zu erforschen. Ihre Suche führt sie zu Menschen, die sich dafür einsetzen, dass die Verbrechen auf dem Sonnenstein nicht vergessen werden.

Schloss Sonnenstein, hoch über der Stadt Pirna gelegen, hat eine lange und vielfältige Geschichte, die sowohl prächtige als auch düstere Kapitel umfasst. Ursprünglich im Mittelalter als Festung errichtet, diente der Sonnenstein über Jahrhunderte verschiedenen Zwecken. In späteren Jahren wurde er zum Landratsamt und heute ist das Schloss ein beliebtes Touristenziel mit einem unverkennbaren historischen Wert. Doch hinter den Mauern des Areals verbirgt sich eine der dunkelsten Episoden deutscher Geschichte – die nationalsozialistische „Euthanasie“-Morde.

Der Sonnenstein als Tötungsanstalt
Zwischen 1940 und 1941 wurde die einstige Heil- und Pflegeanstalt Sonnenstein im Rahmen des nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programms in eine regelrechte Tötungsanstalt umfunktioniert. Im Zuge der sogenannten „Aktion T4“, einem organisierten Massenmord an psychisch kranken und geistig behinderten Menschen, wurden hier fast 15.000 Menschen systematisch ermordet. Die Opfer waren größtenteils Personen, die aufgrund ihrer Erkrankungen oder Behinderungen von den Nationalsozialisten als „lebensunwert“ angesehen wurden. Dieses entmenschlichende Konzept war tief in der Ideologie des Nationalsozialismus verwurzelt, die auf einer verzerrten Vorstellung von Rassenhygiene und der sogenannten „Volksgesundheit“ basierte.

Die Tötungen wurden in Pirna Sonnenstein unter einem Deckmantel der Geheimhaltung verübt. Die Patienten, die aus verschiedenen Pflege- und Heilanstalten Deutschlands dorthin gebracht wurden, kamen meist ahnungslos in die Anstalt, die äußerlich den Anschein eines gewöhnlichen Krankenhauses erweckte. In einer als Duschraum getarnten Gaskammer wurden sie dann mit Kohlenmonoxid vergast. Nach der Tötung wurden die Leichen in eigens eingerichteten Krematorien verbrannt. Die Asche der Verbrannten wurde am Elbhang entsorgt, ohne dass die Angehörigen die Wahrheit erfuhren. Stattdessen erhielten sie gefälschte Todesbescheinigungen, die den Tod ihrer Familienmitglieder durch „natürliche“ Ursachen wie Herzversagen oder Lungenentzündung erklärten.

Die „Aktion T4“ und ihre Durchführung in Pirna
Die „Aktion T4“, benannt nach der Berliner Adresse der Zentrale in der Tiergartenstraße 4, war ein umfassendes Programm der Nationalsozialisten zur systematischen Ermordung von Menschen mit Behinderungen. Zwischen Januar 1940 und August 1941 wurden in Deutschland und den besetzten Gebieten rund 70.000 Menschen im Rahmen dieser Aktion ermordet. Im Sonnenstein spielte der Direktor der Anstalt, Hermann Paul Nitsche, eine zentrale Rolle bei der Organisation der Morde. Nitsche war ein fanatischer Verfechter der nationalsozialistischen Ideologie der „Rassenhygiene“ und setzte bereits vor den Morden Zwangssterilisationen an seinen Patienten durch. Unter seiner Leitung wurde die Tötungsmaschinerie in Sonnenstein mit grausamer Effizienz umgesetzt.

Schweigen und Verdrängung nach dem Krieg
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde das Thema der Morde auf dem Sonnenstein lange Zeit totgeschwiegen. Besonders in der DDR war die Auseinandersetzung mit den Verbrechen, die unter dem NS-Regime begangen wurden, oft nicht im öffentlichen Diskurs präsent. Stattdessen entstand auf dem Gelände der ehemaligen Tötungsanstalt ein Großbetrieb. Teile des Areals wurden zu einem Neubaugebiet umfunktioniert, ohne dass die historische Bedeutung des Ortes gebührend berücksichtigt wurde. Viele Jahrzehnte lang schien die Erinnerung an die Opfer der „Euthanasie“-Morde im Schatten zu stehen.

Aufarbeitung und Errichtung der Gedenkstätte
Es dauerte bis in die 1990er Jahre, bis engagierte Bürger und Historiker begannen, die Geschichte des Sonnensteins aufzuarbeiten und öffentlich zu machen. Mit dem Ende der DDR und der Wiedervereinigung Deutschlands trat auch die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit verstärkt in den Vordergrund. 1999 wurden die Fundamente der Gaskammern und der Krematorien freigelegt, die bis dahin unter Schichten von Erde und Beton verborgen geblieben waren. Im Jahr 2000 eröffnete schließlich die Gedenkstätte Sonnenstein, die heute an die Opfer der „Euthanasie“-Morde erinnert. In der Gedenkstätte wird die Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt und ihre Umfunktionierung zur Tötungsanstalt dokumentiert.

Eine besondere Rolle bei der Aufarbeitung spielt die Geschichte einzelner Opfer, die das Leid und die Grausamkeit des Systems veranschaulichen. So wurde beispielsweise die Geschichte von Martha Caspar, einer jungen Frau, die 1941 in Sonnenstein ermordet wurde, von ihrer Nichte Brigitte Beelitz rekonstruiert. Anhand von Tagebucheinträgen, Akten und Berichten von Zeitzeugen gelang es Beelitz, das Leben und das tragische Schicksal ihrer Tante nachzuvollziehen und der anonymen Masse der Opfer ein persönliches Gesicht zu geben.

Der Sonnenstein heute: Ein Ort des Gedenkens und der Mahnung
Heute ist der Sonnenstein nicht nur ein historisches Schloss und ein Touristenmagnet, sondern auch ein bedeutender Erinnerungsort. Die Gedenkstätte Sonnenstein steht im Zentrum der Bemühungen, die Erinnerung an die Opfer des nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programms wachzuhalten und die Verbrechen der Vergangenheit zu mahnen. Jedes Jahr wird im Rahmen der Aktion „Gedenkspur“ an die Opfer erinnert, indem symbolisch Kreuze auf dem historischen Pflaster der Stadt Pirna gesprüht werden. Diese Gedenkveranstaltung soll nicht nur an die Geschehnisse während des Nationalsozialismus erinnern, sondern auch einen Appell gegen Ausgrenzung und Diskriminierung in der heutigen Gesellschaft darstellen.

In unmittelbarer Nähe zur Gedenkstätte befinden sich heute die Pirnaer Werkstätten, eine Einrichtung, die Menschen mit Behinderungen beschäftigt. Diese Werkstätten symbolisieren den heutigen Umgang mit Menschen mit Behinderungen und stehen in starkem Kontrast zu den menschenverachtenden Praktiken des NS-Regimes. Sie sind ein Zeichen dafür, dass die Gesellschaft aus ihrer Geschichte gelernt hat und den Wert jedes menschlichen Lebens anerkennt.

Schlussfolgerung: Die Mahnung der Geschichte
Die Geschichte des Sonnensteins, insbesondere die der „Euthanasie“-Morde, erinnert uns an die Abgründe, zu denen ideologische Verblendung und systematische Entmenschlichung führen können. Sie zeigt, wie gefährlich es ist, Menschen aufgrund ihrer Schwächen oder ihres Andersseins auszugrenzen und zu stigmatisieren. Der Sonnenstein steht heute nicht nur für das Gedenken an die Opfer, sondern auch für die Mahnung, dass die Würde jedes Menschen unantastbar ist und dass die Verbrechen der Vergangenheit niemals vergessen werden dürfen.

„Disney Adventure“ – Ein Schiff schreibt Geschichte in Wismar

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Wismar – Am frühen Morgen tauchte die Spitze eines wahren Kolosses aus der Meyer-Werft-Halle auf und kündigte das größte je in Deutschland gebaute Kreuzfahrtschiff an: die Disney Adventure. Um 9 Uhr setzte sich das 342 Meter lange und 46 Meter breite Schiff unter dem Geleitzug von vier Schleppschiffen in Bewegung und glitt gemächlich in den Holzhafen. Hunderte Schaulustige verfolgten das Spektakel – ein sichtbares Bekenntnis zur Leistungsfähigkeit des deutschen Schiffbaus.

Technische Meisterleistung und Besucherreaktionen
Gerade einmal eine halbe Stunde vor dem Start des Ausdockens wurde die gewaltige Schiffsflosse erstmals in der Halle sichtbar. Mit einer Höhe von 70 Metern musste die Decksstruktur millimetergenau in den Toröffnungen manövriert werden. „Ich komme aus Leipzig und bin über Ostern hier. Dieses Ereignis war ein toller Tipp meiner Kollegin – ein echter Höhepunkt“, berichtete eine Besucherin. Ein Paar aus Stuttgart, das eigens angereist war, freute sich: „Wir haben uns eine Zweitwohnung in Wismar – so etwas lassen wir uns nicht entgehen. Es ist wichtig, dass der Schiffbau hier weitergeht.“

Wirtschaftlicher Wendepunkt durch TKMS-Übernahme
Mit der Fertigstellung der Disney Adventure endet eine Ära der bisherigen Eigentümer, und ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) übernimmt die traditionsreiche Werft. Das Unternehmen hat bereits 200 Millionen Euro für Umbau und Modernisierung zugesagt, um sowohl zivile Kreuzfahrtprojekte als auch militärische Aufträge abzuwickeln. 1.400 Werftmitarbeitende haben am Bau des Ozeangiganten mitgewirkt; künftig sollen bis zu 1.500 Arbeitsplätze entstehen und langfristig gesichert werden. Dieses Engagement unterstreicht die Vielseitigkeit der Anlage und hebt die regionale Wertschöpfung hervor.

Politische Würdigung und Ausblick
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig pries den Abschluss des Projekts als „Brücke in eine neue Zukunft“. Sie betonte, dass die Entscheidung, eine so große Halle zu errichten, „goldrichtig“ gewesen sei. Zudem kündigte sie an, dass in Wismar als nächstes das deutsche Forschungsschiff Polarstern 2 entstehen werde. „Wir setzen hier auf Forschung, Tourismus und – wenn es sein muss – auch auf die Stärkung unserer maritimen Verteidigungsfähigkeit. Jeder Steuer-Euro soll Arbeitsplätze schaffen“, erklärte Schwesig.

Ausbauphase und Jungfernfahrt
Noch in den kommenden Monaten verbleibt die Disney Adventure am Ausrüstungskai, um Schornsteine und selbst eine Achterbahn zu montieren – für Arbeiten, die in der Werfthalle nicht möglich waren. Voraussichtlich im Dezember 2025 wird der Ozeanriese von Singapur aus zur Jungfernfahrt aufbrechen. Dann werden bis zu 6.000 Passagiere und 2.300 Besatzungsmitglieder an Bord sein.

Symbolkraft für die maritime Zukunft
Die Disney Adventure steht als Symbol für eine neue Ära im deutschen Schiffbau: Tradition trifft auf Innovation, und regionale Expertise bekommt international sichtbare Bedeutung. Wismar, einst eine Stätte großer Werftgeschichte, schreibt mit diesem Ausdock-Vorgang ein neues Kapitel – in dem robuste Industrieleistungen und Zukunftsvisionen Hand in Hand gehen.

ARD blickt auf den Alltag in der DDR im Jahr 1978

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Am 1. Mai 1978, dem offiziellen „Tag der Werktätigen“, zieht ARD-Reporter Lutz Lehmann mit seinem Mikrofon über den Marktplatz von Jena, um Passantinnen und Passanten nach den „Errungenschaften des Sozialismus“ zu befragen. Was in westdeutschen Fernsehstudios immer nur als plakatives Schlagwort lief, soll hier in O-Tönen Gestalt annehmen: ein direkter Dialog mit den Menschen, die tagtäglich unter dem System leben.

Schon die ersten Antworten zeichnen das gewohnte Bild: Frieden und Sicherheit zählen zu den Spitzenleistungen der DDR, heißt es fast synchron im Chor. „Wir tragen dazu bei, den Frieden zu sichern“, erklärt ein Mann, während eine andere Stimme lobt: „Niedrige Mieten, Urlaubsanspruch, Krankenhausversorgung – das soziale Netz funktioniert.“ Es klingt routiniert, eingeübt, als wolle man die kenntlichen Parolen des SED-Apparats im Wortlaut abarbeiten, ohne dabei etwas preiszugeben, was nicht in offizielle Narrative passt.

Doch kaum richtet Lehmann seine Frage auf mögliche Verbesserungen, bröckelt die Fassade: „Wohnungen“, lautet fast unisono die Antwort. Die allgegenwärtige Wohnungsnot, die in offiziellen Statistiken bestenfalls als temporäres Problem verharmlost wird, manifestiert sich hier im persönlichen Wunsch nach vier Wänden, die nicht nur existieren, sondern auch mit etwas Komfort und Privatsphäre punkten. Nur wenig später schält sich ein weiterer Mangel heraus: „Klamotten und Kultur“, nennt eine Frau, erinnert damit an die stete Knappheit an Mode und Konsumgütern, die das Alltagsbild in den 1970er-Jahren prägte.

Dann aber stößt ein junger Doktorand ins selbe Horn und verleiht dem öffentlichen Lob eine private Bedeutung: Er, Sohn einfacher Arbeiter, dürfe dank des empathisch propagierten „sozialistischen Versprechens“ studieren und stehe kurz vor dem Abschluss seiner Dissertation – ein Privileg, das seinem Großvater versagt blieb. In diesem Moment wird greifbar, dass Bildungschancen tatsächlich soziale Schranken überwinden können und eben jene Slogans Leben verändern.

Zwischen den Zeilen aber klingt ein anderer Wunsch mit: Mehr Eigenverantwortung. Bürger sollten sich nicht nur beglückwünschen lassen, sondern jene Mängel, die sie erkennen, aktiv anpacken. Ein Gedanke, so harmlos er wirken mag, ist in einem Überwachungsstaat dennoch unbequem, weil er zur Mitgestaltung einlädt statt zur reinen Konsumation staatlicher Wohltaten.

Das kurze, nur zweieinhalbminütige Filmmaterial der ARD-Reportage wirkt heute wie ein Mikrokosmos der DDR: ein Wechselspiel aus Pflichtfloskeln, anerzogenen Lobpreisungen und leisen, teils vorsichtigen Appellen. Es dokumentiert nicht nur, welche Ideale das Regime auf den Straßen verkaufen wollte, sondern auch, welche Wünsche und Sorgen dahinter schlummerten. Fast zehn Jahre vor dem Mauerfall zeigen diese Straßengespräche, wie sehr die Menschen hin- und hergerissen waren zwischen Stolz auf das Erreichte und der Sehnsucht nach echten Veränderungen.

Schwerin ringt um Lenin-Statue – Letztes Denkmal im früheren Ostblock

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Im Schweriner Stadtteil Großer Dresch an der Hamburger Allee steht seit 1985 eine 3,50 Meter hohe Bronzestatue Wladimir Iljitsch Lenins. Fast vier Jahrzehnte nach ihrer Enthüllung bestimmt sie erneut die Debatte über Erinnerungskultur und Umgang mit DDR-Vergangenheit.

Seit 1989 unaufhörlicher Widerstand
Der CDU-Stadtvertreter Georg‑Christian Riedel hat sich bereits kurz nach dem Fall der Mauer dem Kampf gegen das Denkmal verschrieben. Bei einem Termin vor Ort am 26. März 2025 erklärte Riedel: „Na, der hat hier nichts zu suchen. Lenin war Diktator, verantwortlich für Millionen Tote.“ Riedel beruft sich nicht nur auf Lenins Rolle als Wegbereiter stalinistischer Gewalt und theoretische Vorlage für späteren Staatsterrorismus – er verweist auch auf ganz persönliche Erfahrungen seiner Familie mit Repression und Enteignung in der Sowjetzone.

Seine Großeltern besaßen in der Nähe von Grimmen einst 15 Hektar Ackerland, „und wurden dann ruckzuck enteignet – ohne jede Entschädigung“, berichtet Riedel. Auch seine Eltern seien nach 1945 politischem Druck ausgesetzt gewesen. „Andersdenkende wurden verfolgt, zum Teil mit dem Leben bedroht“, erinnert er an die Atmosphäre jener Jahre.

Schmale Mehrheit bremst Abriss-Bestrebungen
Trotz wiederholter Abstimmungen im Schweriner Stadtparlament blieb die Statue bislang unangetastet. Gleich nach der Wiedervereinigung gab es erste Vorstöße, die dann aber an den Mehrheitsverhältnissen scheiterten. Eine Einigung führte 1990 zur Anbringung einer Informationstafel, die jedoch nach kurzer Zeit wieder verschwand – bis Riedel 2018 durchsetzte, dass sie erneut angebracht wurde. Für ihn ist der aktuelle Text „nicht deutlich genug“, um auf Lenins Verantwortung für Enteignung und politisches Unrecht hinzuweisen.

Befürworter des Denkmals sehen genau hierin den Wert: Als „Zeitzeugnis der DDR-Geschichte“ regt die Statue ihrer Ansicht nach zur Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit an. Eine klare Mehrheit im Stadtrat für den Abriss konnte Riedel bislang jedoch nicht gewinnen.

Protestaktion 2014 und öffentliche Resonanz
Ein besonders sichtbares Signal setzten Kritiker 2014, als der Kopf der Statue symbolisch verhüllt wurde. Der Initiator, Alexander Bauersfeld – einst politischer Gefangener in der DDR – wollte damit an die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft erinnern. Die Aktion löste breite Debatten in lokalen Medien aus, hatte aber keinen dauerhaften Effekt auf die politische Mehrheit.

Letztes Lenin-Denkmal im früheren Ostblock
Das Schweriner Lenin-Denkmal ist heute das einzige seiner Art in einer ehemals sowjetisch beeinflussten Region Deutschlands. Während in Polen, Tschechien oder Ungarn in den frühen 1990er Jahren zahlreiche Lenin-Statuen weichen mussten, entschied sich Schwerin für den Erhalt. Die Kontroverse zeigt, wie unterschiedlich die Regionen mit ihrer sozialistischen Vergangenheit umgehen.

Museum statt Sockel?
Georg‑Christian Riedel spricht sich dafür aus, die Statue vom Sockel zu nehmen und wenn überhaupt in ein Museum zu überführen: „Die massive Bronze gehört ins Museum – mit Erläuterungen, die deutlich machen, was hier gefeiert wird und was nicht.“ Ein aktueller Antrag im Stadtrat zur Prüfung einer solchen Lösung soll in den kommenden Monaten diskutiert werden. Ob er diesmal eine Mehrheit findet, bleibt offen – die Debatte in Schwerin ist jedenfalls noch lange nicht beendet.

Hauswirtschaftspflege in der DDR – Abgeordnete werben für Personal

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Im Jahr 1985 engagierten sich in der Deutschen Demokratischen Republik rund 78.000 ehrenamtliche Hauswirtschaftspflegende, um älteren Bürgerinnen und Bürgern den Verbleib in ihren vertrauten vier Wänden zu ermöglichen. Auf Initiative des Zentralausschusses der Volkssolidarität sollte diese Zahl bereits ein Jahr später auf 80.280 steigen. Ein exemplarischer Blick nach Halle‑Süd zeigt, wie Betriebe und Volksvertreterinnen gemeinsam um Unterstützung werben – und welche Schicksale hinter den nüchternen Statistiken stehen.

Betriebliches Engagement: Zwischen Schichtende und Nachbarschaft
Im VEB Technische Gebäudeausrüstung Halle gehört das Werben um Freiwillige längst zum Alltag. Frauenkommissionen und der Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) obliegt es, geeignete Kolleginnen anzusprechen. Einer von ihnen ist die 24‑jährige Forst Sklarek. Zweimal wöchentlich – nach Feierabend – fährt sie zu ihrer 86‑jährigen Rentnerin, um dort Fenster zu putzen, zu wischen und Einkäufe zu erledigen. „Ich mache das mit Liebe“, erzählt die Seniorin Frau Eschke, „nicht bloß die Arbeit, sondern mit einer großen Liebe.“

Auch Auszubildende übernehmen Verantwortung: Die knapp 18‑jährige Anke betreut seit zwei Jahren die durch einen Schlaganfall pflegebedürftige Frau Ferber. „Ich sehe in der Disco nicht meine Lebenserfüllung“, sagt Anke. „Ich finde, was Sinn hat, muss ich tun.“ Zwei- bis dreimal in der Woche hilft sie beim Abwasch, Staubwischen oder Maniküren – und gewinnt dadurch mehr als nur Erfahrungen für den Lebenslauf.

Durch diese betriebliche Rekrutierungsmethode konnten in Halle‑Süd bereits 39 Hauswirtschaftspflegende gewonnen werden, die vornehmlich die eigenen Rentner betreuen. Die enge Zusammenarbeit zwischen Frauenkommission, BGL und den einzelnen Brigaden schafft einen direkten Draht zu jenen älteren Bürgern, die auf Hilfe warten.

Parlamentarischer Weg: Die Abgeordneten als Türöffner
Parallel wirkte in Halle‑Süd eine zweite Mobilisierungsstrategie: Abgeordnete der Volksvertretung besuchten Bürgerinnen in ihrem Wahlkreis und warben um Unterstützung. Im Klub der Volkssolidarität auf der Silberhöhe erläuterte Abgeordnete Bia Krause: „Wir sprechen direkt die Frauen an, die wir hier in der Nachbarschaft kennen.“ Von 73 eingegangenen Anträgen aus Halle‑Süd konnten auf diesem Wege bislang 14 vollständig betreut werden. Krause räumt ein, dass dies erst der Anfang sei: „Die familiären Bindungen – Enkel, Ehepartner – müssen mitbedacht werden. Aber langfristig hilft jede einzelne Betreuerin, die älteren Menschen in Würde leben zu lassen.“

Einzelschicksal Erich Flehmig
Ein besonders eindrückliches Beispiel ist der 86‑jährige Erich Flehmig (Jahrgang 1899). Bis zum Alter von 77 arbeitete er in seinem Beruf, heute bezieht er kleine Rentenleistungen. Er erledigt noch den Einkauf und das Abstauben selbst, doch Fensterputzen und Kohlenholen werden zur körperlichen Überlastung. „Kohlen raufholen ist nicht so einfach“, sagt er. Entschieden hat sich sein Antrag auf Hauswirtschaftspflege bisher nicht – er gehört zu den 73 Rentnern in Halle‑Süd, die noch auf Hilfe warten.

Zwischen Solidarität und Herausforderung
Die Beispiele aus Halle‑Süd illustrieren den doppelten Anspruch der DDR-Sozialpolitik: Zum einen die Betonung gegenseitiger Verantwortung, zum anderen die Grenzen ehrenamtlicher Hilfe. Betriebe mobilisieren ihre Belegschaft, Abgeordnete wirken als soziale Lotsinnen, während die Volkssolidarität koordiniert und Anträge bearbeitet. Doch ohne ausreichende Fangnetze aus professioneller Pflege stößt das System an seine Grenzen: Nicht jede Rentnerin oder jeder Rentner findet sofort eine passende Helferin.

Der Beschluss, 1986 knapp 2.300 zusätzliche Hauswirtschaftspflegende zu gewinnen, signalisiert, dass die DDR-Führung den Wert der freiwilligen Altenbetreuung hoch einschätzt. Doch die tatsächliche Umsetzung hängt weiter von der Bereitschaft Einzelner ab – von engagierten Frauen wie Forst Sklarek und Anke bis zu den Abgeordneten, die im Wahlkreis werben. Wie nachhaltig dieser Ansatz ist, wird sich in den kommenden Jahren zeigen, wenn der demografische Wandel älterer Menschen in der Gesellschaft weiter voranschreitet.

Dass gerade junge Freiwillige und gewerkschaftlich organisierte Frauenkommissionen als Rückgrat dienen, spricht jedoch für ein starkes gesellschaftliches Engagement – ganz im Sinne der sozialistischen Solidarität.

Ende eines DDR-Monuments – Als Lenin in Berlin geköpft wurde

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Am frühen Morgen des 8. November 1991 rückten Bagger und Arbeitstrupps an, um das 19 Meter hohe Lenindenkmal auf dem einstigen Leninplatz in Ost‑Berlin zu demontieren. 20 Jahre lang hatte die überlebensgroße Porträtbüste Wladimir Iljitsch Lenin – geschaffen vom sowjetischen Bildhauer Nikolai Tomski – als zentrales Symbol des sozialistischen Städtebaus über dem neu angelegten Platz im Bezirk Friedrichshain thront. Mehr als 200 Granitblöcke aus der Ukraine formten den massiven Koloss, der 1970 anlässlich von Lenins 100. Geburtstag feierlich enthüllt worden war.

Bereits in den Wochen nach dem Mauerfall 1989 wuchs die Debatte um den Verbleib des Denkmals. Anwohner und Kunstschützer klagten, es rechtfertige eindeutig-politische Propaganda; andere empfanden es als historisch wertvollen Zeitzeuge der DDR-Ära. Trotz Petition und Mahnwachen fiel der Beschluss des Berliner Senats, das Relikt sowjetischer Monumentalarchitektur abzuräumen – ein symbolischer Schritt zur Umbenennung des Platzes in „Platz der Vereinten Nationen“.

Der Abbau erwies sich als technische Herausforderung: Die tonnenschweren Granitblöcke waren in ein massiv bewehrtes Betonfundament eingelassen. Mehr als zwei Wochen dauerte es, bis die Figur in Transport-Container verladen und fortgebracht war. Die großen Fragmente landeten im Köpenicker Forst, wo sie zunächst verscharrt wurden – ein Akt, den manche als „Vergraben der eigenen Vergangenheit“ deuteten.

Erst 2015 förderte ein Kunstprojekt einzelne Brocken wieder zutage: Heute sind einige Fragmente im Berliner Spreepark ausgestellt und erinnern an die Ambivalenz der Wiedervereinigung – zwischen Aufbruch und Vergessen, zwischen Respekt vor der Geschichte und dem Willen, sich von ideologischen Lasten zu lösen.

Mehr als drei Jahrzehnte nach ihrem Entfernen wirft die Geschichte des Lenindenkmals bis heute Fragen auf: Wie soll eine Gesellschaft mit monumentalen Symbolen umgehen? Wann sind sie Mahnmal, wann Makel? Die Fragmente des einstigen Kolosses stehen heute stellvertretend für das fortwährende Ringen um Erinnerung und Identität in einer Stadt, die sich permanent neu erfindet.

Mit Volldampf unter Fahrdraht: Elektrifizierung erreicht Rügen

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Mukran, 1989. Nachdem die Deutsche Reichsbahn in den vergangenen Jahrzehnten mit Diesel- und Dampflokomotiven die Ostseeinsel Rügen erschlossen hatte, rollt seit heute erstmals eine Elektro-Lok unter dem neuen Fahrdraht in den Hafen Mukran ein. Mit der Inbetriebnahme der 67 Kilometer langen Strecke von Stralsund über Saßnitz und Binz bis nach Mukran ist nun die gesamte Hauptverbindung von Bad Schandau in Sachsen bis in den äußersten Nordosten der DDR elektrifiziert.

Festakt am Bahnsteig
Am Vormittag begrüßten der erste Sekretär der SED-Bezirksleitung, Ernst Thimm, und weitere Repräsentanten der Staatspartei den Lokführer und die Mannschaft der E-Lok mit Fahnen und einem herzlichen Applaus. In seiner Rede lobte Herbert Keddi, stellvertretender Minister für Verkehrswesen und stellvertretender Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn, vor allem die termingerechte Realisierung: „Bislang hat noch kein Inbetriebnahmetermin des Staatsplanes Investitionen in der Streckenelektrifizierung das vorgegebene Datum verfehlt.“

Wirtschaftlicher Nutzen für Häfen und Tourismus
Die Stärke des Projekts liegt nicht nur in der pünktlichen Fertigstellung, sondern vor allem in seinem volkswirtschaftlichen Effekt: Die Häfen Mukran und Saßnitz, die gemeinsam über eine jährliche Umschlagsmenge von rund 8,5 Millionen Tonnen verfügen, profitieren von schnelleren und umweltfreundlicheren Transportkapazitäten. Gleichzeitig verbessert sich die Anbindung der beliebten Ostsee-Badeorte Binz und Göhren, was gerade in der bevorstehenden Sommersaison einen merklichen Zuwachs touristischer Verkehrsströme erwarten lässt.

Jugend und Ideologie als Antrieb
Ein zentrales Element des Ausbaus ist das „Zentrale Jugendobjekt“ der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Mehr als 60 Prozent der Arbeiten – von der Herstellung der Fahrleitungsmasten im Lokomotivbau bis hin zum täglichen Montagebetrieb – wurden durch FDJ-Mitglieder erbracht. Keddi hob hervor, dass diese „fleißigen Mitkämpfer“ nicht nur technische, sondern auch ideologische Voraussetzungen für die Fortschritte geschaffen hätten.

Blick voraus: 2 000 Kilometer „unter Draht“
Schon heute richten die Verantwortlichen den Blick auf das nächste Etappenziel: Bis Ende September, pünktlich zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR, soll der 2 000. Kilometer Schienenstrecke elektrifiziert sein. Besonders Cottbus, als weiterer starker Knotenpunkt, wird dann angeschlossen und die ostdeutsche Hauptstadtregion noch effizienter in das sozialistische Verkehrssystem integriert.

Mit diesem großen Schritt unterstreicht die DDR ihre Anstrengungen, modernste Verkehrstechnik mit staatsplanerischer Präzision zu verbinden – ein Projekt, das wirtschaftliche, technische und ideologische Dimensionen miteinander verknüpft und die mobilitäts­politische Bedeutung der Eisenbahn als Rückgrat des Überseehandels und des massenhaften Personentransports einmal mehr bestätigt.

Zehnfacher Preissprung: Mietexplosion auf der Karl‑Marx‑Allee

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Am 1. Oktober 1991 vollzog sich auf der Karl‑Marx‑Allee in Ost‑Berlin ein radikaler Bruch: Wo Gewerbemieten bislang bei moderaten fünf D‑Mark pro Quadratmeter lagen, wurden ab sofort rund 50 D‑Mark fällig. Die Verkehrsachse, die sich über 2,5 Kilometer von der Frankfurter Allee bis zur Stalinallee (heute: Karl‑Marx‑Allee) erstreckt und sowohl den Bezirk Mitte als auch Friedrichshain durchquert, erwies sich schlagartig als teuerstes Pflaster der Hauptstadt.

Bereits kurz nach der Ankündigung mussten zahlreiche Einzelhändler und Gastronomen ihre Pforten schließen oder in Randlagen ausweichen. Von ehemals 110 Gewerbeeinheiten entlang des denkmalgeschützten Baudenkmals sind mehr als ein Viertel verwaist. Traditionsbetriebe wie die Karl‑Marx‑Buchhandlung prüfen nun, ob sich die rund 1 000 Quadratmeter Ladenfläche wirtschaftlich halten lassen. „Wir untersuchen, ob wir Teile unseres Verkaufsraums abtrennen und anderweitig nutzen können, um die Fixkosten zu senken“, berichtet ein Sprecher des Hauses.

Das Bezirksamt Friedrichshain verspricht Abhilfe: In Kooperation mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft sollen künftig differenzierte Tarife zwischen Verkaufs‑ und Nebenräumen gelten. Reine Ladenlokale werden weiterhin mit bis zu 50 D‑Mark berechnet, während Nebenflächen in die Gesamtmiete eingerechnet und so der durchschnittliche Quadratmeterpreis auf rund 30 D‑Mark gesenkt werden soll. Dennoch bleibt die Frage, ob klassische Nahversorger wie Tante‑Emma‑Läden oder Gemüsehändler langfristig auf der Allee bestehen können. Viele verlagern ihr Angebot bereits auf den Friedrichshainer Wochenmarkt, wo Standflächen für 95 Pfennig pro Quadratmeter und Tag zu haben sind.

Trotz der angespannten Lage herrscht entlang der Prachtstraße indes Gründerzeitstimmung: In den kommenden Wochen bietet das Bezirksamt Beratungen für Neuansiedlungen an und lädt zur Tauschbörse, in der Ladenlokale und leerstehende Wohnungen vermittelt werden. Ob dieser Kraftakt gelingt, hängt vom Mut und Einfallsreichtum der Betreiber ab – und davon, ob die Karl‑Marx‑Allee ihre Stellung als lebendige Geschäftsmeile zurückerobern kann.