Verrechnet oder verraten – Dänemark und die DDR-Flüchtlinge von 1988

Am 9. September 1988 suchten 18 DDR-Bürger – Männer, Frauen und Kinder aus Ilmenau – Schutz in der dänischen Botschaft in Ost-Berlin. Sie wollten auf diplomatischem Weg ihre Ausreise erzwingen. Doch was als Flucht in die Freiheit begann, endete als beispielloser diplomatischer Skandal.

Die Dänen, damals Symbol westlicher Menschenrechtspolitik, verweigerten Hilfe. Stattdessen wurden die Flüchtlinge in einem Vorraum eingesperrt, bekamen weder Essen noch Trinken – und mussten erleben, wie die Botschaftsleitung in der Nacht DDR-Volkspolizei und Stasi in ihre eigenen Räume ließ. Die Schutzsuchenden wurden verhaftet, die Kinder in Heime gebracht. Ein Vorgang, der selbst erfahrene Diplomaten entsetzte. „Nach politisch-moralischen Maßstäben absolut unakzeptabel“, urteilte Hans-Otto Breutigam, Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin.

Die Begründung: Botschaften seien kein exterritoriales Gebiet – juristisch korrekt, moralisch fatal. Denn die Unverletzlichkeit diplomatischer Räume war ein stilles Versprechen, Schutz zu gewähren, wenn Diktaturen ihre Grenzen verschlossen hielten. Dänemark brach dieses Versprechen. Erst als westdeutsche Medien berichteten, wuchs in Kopenhagen die Empörung. Frauen und Kinder wurden freigelassen, die Männer erst Wochen später.

Später kamen Hinweise ans Licht, dass der damalige dänische Ministerpräsident Poul Schlüter die Räumung selbst angeordnet haben könnte. Er bestritt das bis zu seinem Tod 2021. Eine endgültige Aufklärung fehlt bis heute.

Für die Betroffenen blieb die Erfahrung traumatisch. „Wir dachten, wir wären in Sicherheit“, erinnert sich Arco Randy Hoffmann, einer der Flüchtlinge. „Aber die, die uns helfen sollten, gaben uns preis.“

Die Episode zeigt, wie dünn das Eis der Menschlichkeit werden kann, wenn Staatsräson über Moral siegt. Drei Jahrzehnte später wirkt der Fall wie ein Menetekel – und stellt die unbequeme Frage, wie sicher Schutz heute wirklich ist.