Rostock/Suhl. Ein unscheinbares Haushaltsgerät rückte in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren gleich zweimal ins Rampenlicht des DDR-Fernsehens: das Handrühr- und Mixgerät RG 28 aus dem VEB Elektrogerätewerk Suhl. In der Ratgebersendung „HAPS – Haushalts-Allerlei praktisch serviert“ (1983) sowie im wirtschaftsjournalistischen Magazin „Umschau“ (1977) avancierte der kleine Küchenhelfer zum Synonym für Zuverlässigkeit, Vielseitigkeit und genossenschaftliche Produktionsgeschichte.
Von der Haarschneidemaschine zum Multifunktionsgerät
Die Ursprünge des RG 28 reichen tatsächlich in einen ganz anderen technischen Bereich zurück: Angetrieben wurde es ursprünglich von einer elektrischen Haarschneidemaschine. Schritt für Schritt entwickelten die Ingenieurinnen und Ingenieure in Suhl daraus ein universelles Küchengerät. Von den ersten Modellen RG 3 und RG 5 führte der Weg über das bewährte RG 25 bis hin zur im Fernsehen präsentierten RG-28-Familie.
Im Gespräch mit Generaldirektor Sigmar Müller im Studio Rostock wurde deutlich, worauf das DDR-Kombinat stolz war: Über 40 Betriebe im ganzen Land arbeiteten unter der Marke „AKA Elektrik“ („Auf Kundenwünsche ausgerichtet“) zusammen. Den an das RG 28 gestellten Anforderungen – Mixdrinks, Backarbeiten, Rohkostzubereitung, Scheren- und Messerschärfen, sogar Dosenöffnen – begegnete man mit einer Vielzahl von An- und Aufsätzen, die das RG 28 zum Allrounder machen sollten.
Hubsflip und Hightech aus der DDR-Küche
In der „HAPS“-Sendung von 1983 luden die Moderatoren Elke Bendin und Dr. Bernd Freitag zu einer ungewöhnlichen Geschmacksexpedition ein: dem „Hubsflip“. Für dieses Spezialgetränk verrieten sie öffentlich das Rezept:
¼ Liter Milch
½ Flasche Rotwein
1 Flasche helles Bier
4 Esslöffel Zucker
1 Prise Pfeffer
1 ganzes Ei
Alles durfte der RG 28 auf Knopfdruck pürieren und aufschäumen. Die Live-Demonstration endete im Studio mit dem herzlichen „Zum Wohl!“ zwischen Moderatorin und Kombinatsdirektor – eine Mischung aus Haushaltsratgeber und werblicher Präsentation.
Doch hinter der Show stand mehr als süffige Unterhaltung. Die DDR-Ingenieure hatten bereits 1977 in der RG 28E-Variante eine stufenlose Elektroniksteuerung integriert. Damit ließ sich jede gewünschte Drehzahl exakt einstellen – ein klarer Fortschritt gegenüber dem dreistufigen Standard-Modell RG 28S.
Staatsbetrieb, Wettbewerb und Qualitätskontrolle
Die Produktion im VEB Elektrogerätewerk Suhl, Betriebsteil Zella-Mehlis, war 1977 exemplarisch für die sozialistische Planwirtschaft. Die „Umschau“ dokumentierte, wie einst 60 Frauen an einem großen Fließband arbeiteten – später löste man dieses Monotasking zugunsten von kleineren Kolonnen auf, um Produktivität zu steigern und die Arbeit attraktiver zu gestalten.
Ergebnisse, so berichtete Werkleiter Genosse Gleichmann, seien beeindruckend:
- 20 % höhere Produktivität
- Rückweisquote von montierten Geräten: unter 1 %
- 450.000 Exemplare des RG 28 jährlich mit dem Gütezeichen Q gefertigt
Die Qualitätssicherung erfolgte in drei Schritten:
- TKO-Prüfplätze in der Endmontage für jeden Produktionsstrahl
- Auspacktests im Handel (z. B. im Zentrum Warenhaus Karl-Marx-Stadt)
- Garantiereparatur-Statistiken, um die Praxistauglichkeit zu ermitteln
Durch tägliche Wettbewerbe zwischen Brigaden und Monteurinnen wurde die Motivation zusätzlich angefacht.
Zwischen Nostalgie und Design-Erbe
Heute gilt das RG 28 vielen Sammlerinnen und Sammlern als Inbegriff DDR-Designs: einfache Linien, robuste Technik und ein klug durchdachtes Zubehör-System. Im Zeitalter von Multifunktionsküchenmaschinen wirkt das einstige Top-Produkt der Suhler Kombinate wie ein Vorläufer moderner Universalmixer.
Und auch wenn die DDR-Fernsehshows heute als starker Rückspiegel politischer Inszenierung erscheinen, so bewahrte sich der RG 28 doch seinen Ruf als verlässlicher Alltagshelfer. Er fungierte nicht nur als öffentlichkeitswirksames Werbemittel, sondern tatsächlich als verbindendes Element zwischen Haushaltspraxis und industrieller Planerfüllung.
Das Handrühr- und Mixgerät RG 28 steht heute symbolisch für eine Ära, in der technische Innovation, gesellschaftlicher Wettbewerb und mediale Präsentation im Dienste des aufgeklärten Konsumenten standen – auch wenn dieser Konsument längst wusste, dass hinter jeder Sendung und jedem Mixgetränk auch ein staatliches Interesse lauerte. So bleibt das RG 28 ein faszinierendes Zeitzeugnis der DDR-Alltagskultur.