Riesa vor 1990: Als Dreck und Wärme Hand in Hand gingen

Bevor 1990 die politischen und wirtschaftlichen Landschaften grundlegend verändert wurden, war Riesa eine Stadt, in der die Präsenz der Industrie ein fester, oft erdrückender Bestandteil des täglichen Lebens war. Anwohner erinnern sich an eine Zeit, die manchmal unerträglich war, insbesondere wenn der Wind aus Osten kam. Schon von Weitem war ein „Industrieballon“ am Horizont erkennbar, der von der gewaltigen Industrie der Stadt zeugte.

Ein Leben im Schatten der Emissionen
Das Jahr 1961 markierte einen Wendepunkt für Riesa, als ein neues Wohngebiet für über 10.000 Menschen entstand. Die zentrale Wärmeversorgung für diese Bewohner wurde durch zwei mit Rohbraunkohle gefeuerte Heizhäuser sichergestellt. Was als komfortable Lösung gedacht war, hatte jedoch massive ökologische Konsequenzen.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Über 30.000 Tonnen Rohbraunkohle lagerten unter freiem Himmel, nur einen Katzensprung vom Wohngebiet entfernt. Jährlich wurden über 50.000 Tonnen dieser Rohbraunkohle verfeuert. Die Auswirkungen waren fatal: Stündlich entstanden bis zu 150.000 Kubikmeter Rauchgase und 8.000 Tonnen schwefelhaltige Asche. Das besonders bemerkenswerte und erschreckende Detail: Fast 30 Jahre lang gelangten diese Rauchgase ungefiltert aus den Schornsteinen. Begründungen für das Ausbleiben von Investitionen gab es viele, oft hieß es, es handele sich bei den Heizhäusern lediglich um „Provisoren“.

Die alltäglichen Folgen für die Bewohner waren drastisch: Überall lag Dreck, die Hausfrauen mussten manchmal dreimal am Tag die Wäsche waschen, weil alles schwarz war. Die Frage des Umweltschutzes spielte dabei offensichtlich keine Rolle; „hat sich ja keiner drum geschert“, so die Erinnerung eines Anwohners.

Der „Segen und Fluch“ der Fernwärme
Trotz dieser extremen Umweltbelastung gab es eine Annehmlichkeit, die viele nicht missen wollten: die Fernwärme. Sie wurde als „Segen und Fluch zugleich“ empfunden. Auf der einen Seite bedeutete sie für die Bewohner, keine Kohlen mehr schleppen zu müssen und stattdessen eine warme Wohnung und warmes Wasser zu haben. Dies stellte eine deutliche Komfortverbesserung dar.

Doch dieser Komfort hatte seinen Preis in Form von Schmutz und Dreck, den man in Kauf nehmen musste. Die Logistik der Kohleversorgung war allgegenwärtig: Straßen und Wege, insbesondere die B330, waren ständig von LKWs frequentiert, die Kohle vom Hafen oder von Kohlehändlern zu den Heizhäusern brachten. Dort wurden die Waggons entladen und die Kohle auf LKWs umgeladen, die dann Tag und Nacht fuhren. Riesige Behälter im Heizhaus wurden über Förderbänder mit Kohle befüllt, die zu riesigen Bergen aufgeschüttet wurde – ein ständiges Schauspiel aus Staub und Bewegung.

Die Heizleistung war enorm. Es war immer warm, manchmal sogar zu warm. Der Versuch, die Verschmutzung durch Reduzierung der Heizleistung zu mindern, scheiterte an der Priorität der Wärmeversorgung. Auf die Frage, ob man nicht weniger verbrennen könne, kam die Antwort, dass „früheren will hier keiner“, und die Kessel „die Leistung immer gebracht“ und „alles raus geblasen“ hätten.

Diese Erinnerungen und Fakten zeichnen das Bild eines Riesa vor 1990, das von einer komplexen Mischung aus industrieller Macht, gravierender Umweltbelastung und gleichzeitig hohem Wohnkomfort geprägt war, bei dem die Wärme des Hauses oft den Preis von Schmutz, Staub und ungefilterten Emissionen forderte.