Alltag an der Grenze: Einblicke in die Welt der Volkspolizei im alten Berlin

Berlin – Fernab der politischen Schlagzeilen des Kalten Krieges spielte sich in den Straßen des alten Berlins ein ganz eigener Mikrokosmos ab: der Alltag der Volkspolizei (VP) an der Staatsgrenze. Die vorliegenden Einblicke zeichnen ein detailliertes Bild dieses Dienstes, der von der Sicherung der Grenze bis zur Bewältigung innerstädtischer Konflikte reichte.

Der „Dressierbereich“: Ein Brennpunkt im Herzen Berlins
Ein zentraler Bereich der Verantwortung war der sogenannte „Dressierbereich“ mitten im alten Berlin, ein Altbaugebiet mit Hinterhöfen und den dazugehörigen Herausforderungen. Dieser Bereich, im Norden durch die 1,2 Kilometer lange Staatsgrenze begrenzt und angrenzend an andere Sektoren und Stadtteile wie den Prenzlauer Berg, umfasste rund 25.000 Einwohner. Hier waren die Volkspolizisten, wie ein Beamter betonte, gemeinsam für „hohe Ordenssicherheit und Vorbeugen“ tätig.

Die täglichen Aufgaben waren vielfältig: Sie umfassten die Kontrolle von Jugendlichen an bekannten Treffpunkten und die Abwehr von Provokationen, insbesondere vor wichtigen politischen Terminen wie dem 1. Mai. Die Beamten wurden angehalten, eine Gangart zu wählen, die „allseitige Beobachtung“ ermöglichte, in mäßigem Schritt zu gehen, öfter stehen zu bleiben und wichtige Punkte zu beobachten, ohne sich unmittelbar im Strom der Passanten zu bewegen. Eine enge Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Kräften wie Bürgern, Verkaufspersonal und Taxifahrern wurde dabei als unerlässlich erachtet.

Zwischen häuslicher Gewalt und Grenzsicherung: Dramen des Alltags
Die Quellen offenbaren eine Reihe von Vorfällen, die den herausfordernden Alltag der Volkspolizei prägten. Ein Beispiel ist der Fall des Herrn Höhne, der seine Lebensgefährtin Heidi ins Kreuz getreten hatte, während er stark alkoholisiert war. Herr Höhne verweigerte die Aussage, war „nicht gewillt und weh“ und hatte bereits kurz zuvor eine Geldstrafe von 25 Mark wegen einer „Eigentumsverfehlung“ in einer Kaufhalle – dem „Nicht-Entwenden“ einer Flasche Weizenkorn – kassiert. Die Freundin wurde mit einem Rettungswagen zur medizinischen Behandlung gebracht, während die Beamten diskutierten, ob eine Blutprobe und eine Anzeige wegen Körperverletzung erfolgen sollten, was rechtliche Hürden wie das Einschalten der Kriminalpolizei nach sich zog.

Die Grenzsicherung stellte eine besondere Belastung dar. Leutnant Krupp, der seit 14 Jahren bei der LfVP diente, erinnerte an die Zeit der offenen Grenze, als „nichts gesichert war, sondern nur eine Linie“. Er berichtete von einem Vorfall in der Gartenstraße, wo ein „Buntmetallschieber“ versuchte, eine große Kupferplatte nach West-Berlin zu bringen. Trotz eines „Hechtsprungs“ und der Sicherung des Fahrrades und des Personalausweises konnte der Täter nach West-Berlin entkommen. Ein anderes Mal wurde nachts in der Bodenstraße ein Mann festgenommen, der die DDR 1954 illegal verlassen hatte und mit zwei Ausweisen – einem DDR-Personalausweis und einem westdeutschen Penny – zwischen den „zwei Welten“ wechselte. Dieser Täter schlug dem Beamten Wolfgang Zinke während der Festnahme mit einer Coca-Cola-Flasche über den Kopf und führte zudem einen Schlagring bei sich.

Motivation und Karrierewege: Vom Traum zum Dienst
Die Volkspolizei war für viele nicht nur ein Job, sondern eine Berufung. Wolfgang Zinke, 1939 geboren und aus einer Arbeiterfamilie stammend, wurde von der AWV angeworben, nachdem er zunächst abgelehnt hatte. Nach anfänglichem Zögern erklärte er sich bereit, drei Jahre Dienst zu leisten und fand in dieser Zeit auch den Weg in die „Partei der Arbeiterklasse“. Er durchlief eine Karriere vom Gruppenführer bis zum Leiter des Reviers 14.

Jürgen Rodert, Urmeister der Volkspolizei seit 1973 und in Berlin seit 1974, hatte ursprünglich Kriminalist werden wollen, geprägt durch Filme und die sportlichen Aspekte des Polizeidienstes. Obwohl er in Marzahn lebte und verheiratet war, vermisste er das Grüne und die Stille des Dorfes, aus dem er kam. Hauptwachtmeister Kaiser, aus dem Bezirk Cottbus stammend, wurde durch seinen AWV geworben, da er die Notwendigkeit angesichts der „immer schlimmer“ werdenden Situation zwischen BRD und DDR sah. Er absolvierte ein Praktikum an der SVP-Schule in Zwickau und verpflichtete sich 1984 für den Dienst in Berlin, wo er später eine Wohnung erhielt und dauerhaft bleiben wollte. Auch Sven-Olaf Kulay begann seinen Dienst 1985 in Berlin mit „großer Freude“ und verpflichtete sich, seinen Dienst bis zum Rentenalter zu verlängern, als „Ehre des 40. Jahrestags der Befreiung vom Hitlerfaschismus“.

Junge Aspiranten und interne Kameradschaft
Selbst unter jungen Menschen weckte der Polizeidienst Interesse. Carsten Kennert (geb. 1970) und Danielo Netebus (geb. 1971), beide Schüler der 8. Klasse, äußerten den Wunsch, bei der Deutschen Volkspolizei in der Militärkriminalistik oder Spurensicherung tätig zu werden. Sie waren Mitglieder der FDJ und engagierten sich in ihren Schulorganisationen, bestrebt, ihre Leistungen für ihren Berufswunsch zu verbessern.

Innerhalb der Kollektive entwickelte sich ein enger Zusammenhalt, oft untermauert durch Spitznamen. Namen wie „Zappel“ (wegen aufgeweckter, zappeliger Art), „Schlenker“ (abgeleitet von der Gangart) oder „Upi“ (von Upitz) waren üblich. Der Spitzname „Karo“ für Jürgen Rodert entstand, weil er, obwohl er nahe wohnte, oft zu spät kam und dann Kaffee zahlen musste. „Jensi“ wurde vom Weltmeister Jens Weißflog abgeleitet, wegen seiner nach vorne gebeugten Haltung. Diese Spitznamen zeugten von einer genauen Beobachtung untereinander und einem „harmonischen und kumpelhaften“ Umgang, bei dem sich die Beamten gegenseitig unterstützten.

Die philosophische Debatte um die Grenze
Die Quellen enthalten auch eine bemerkenswerte Auseinandersetzung über die Funktion der Grenze. Ein Bürger argumentierte gegenüber einem Polizisten, dass die Grenze dazu da sei, „dass keiner rüber darf von uns aus nach da drüben“, und betonte, dass die Säulen und Drähte „zu uns“ stünden, nicht dazu, die Westler fernzuhalten. Dieser tiefgehende Dissens über die eigentliche Bedeutung der Grenze – Schutz vor dem Westen oder Einschränkung der eigenen Bevölkerung – offenbarte die Komplexität der Wahrnehmung im geteilten Berlin.

Der Dienst der Volkspolizei im alten Berlin war somit eine Mischung aus alltäglichem Kampf um Ordnung und Sicherheit, persönlichen Geschichten von Engagement und Aufopferung, und einer ständigen Auseinandersetzung mit den ideologischen Realitäten der Zeit.