Für viele Bürger der Deutschen Demokratischen Republik war der Telefonanschluss zu Hause ein unerfüllter Traum, ein Symbol für Knappheit und verpasste Anschlussmöglichkeiten. Während man auf einen Trabant schon lange wartete, konnte die Wartezeit auf einen Telefonanschluss noch wesentlich länger sein – bis zu 25 Jahre waren keine Seltenheit. Die Geschichte des Telefonierens in der DDR war denn auch „mehr ein Trauerspiel als eine Komödie“.
Ein Netz im Rückstand
Selbst 1990 besaßen in den Dörfern gerade einmal 4% der Haushalte ein Telefon, und 3600 Gemeinden hatten nicht einmal einen öffentlichen Fernsprecher. Die DDR, die sich gerne zu den zehn führenden Industrienationen zählte, rutschte mit ihrem Telefonnetz auf den 30. Platz unter 34 europäischen Staaten ab. Dieser Rückstand hatte tiefe Wurzeln. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Infrastruktur vielerorts zerstört oder wurde als Reparationsleistung demontiert – so ging etwa eine moderne Vermittlungsstelle von 1940 als Reparation nach Kiew. Einige beherzte Postler retteten, was zu retten war, wie die Ruf- und Signalmaschine (RSM) aus Klotzsche. Doch der Wiederaufbau gestaltete sich mühsam. Alte Systeme aus dem Jahr 1922, wie in Dresden-Neustadt und Dresden-Süd, blieben bestehen, da sie selbst den Russen zu alt zur Demontage waren.
Von Klingelfeen und Warteschleifen
In den 1950er Jahren war das Telefonieren vor allem personalintensiv. Die sogenannten „Klingelfeen“ oder „Fräulein vom Amt“ verbanden die Gespräche manuell. Diese oft jungen, unverheirateten Frauen waren nicht nur für Verbindungen zuständig, sondern boten auch Dienste wie den Weckdienst oder Auskunft an. Es gab sogar Ansagedienste für Wetterberichte, Veranstaltungsinformationen und Lotterieergebnisse, die von Kundendienstmädchen auf Tonband gesprochen wurden.
Mitte der 50er Jahre begann die Ära des Selbstwählverkehrs im Ortsnetz, was die Klingelfeen teilweise überflüssig machte. Doch überörtliche und internationale Anrufe mussten weiterhin über das Fernamt angemeldet werden, was zu langen Wartezeiten führte. Das Netz blieb löchrig, es fehlte an allem: Kabeln, Vermittlungsstellen und vor allem Kupfer, das seit 1950 auf der Embargoliste stand und als militärisch wichtig eingestuft wurde. Der politische Wille, das Telefonnetz flächendeckend auszubauen, fehlte ebenfalls. „Wir brauchen Wohnung und kein Telefon“ – so oder ähnlich lautete die Devise, die Telekommunikation sollte in Grenzen gehalten werden.
Abenteuer im Telefonnetz: Freileitungen und Sonderanschlüsse
Telefonieren war in der DDR ein Abenteuer. Freileitungen, die blank durch die Luft verliefen, waren den Widrigkeiten der vier Jahreszeiten schutzlos ausgeliefert. Raureif oder Schnee führten zu Leitungsrissen, die unter widrigsten Bedingungen, oft bei Minusgraden und ohne Handschuhe, repariert werden mussten. Kupfer wurde durch Stahl ersetzt, was die Leitungsqualität zusätzlich verschlechterte. Die Folge waren schlechte Verbindungen, die zu Späßen wie „die reinste Reichsbahnverbindung“ Anlass gaben.
Auch das System der Ortskennzahlen war historisch gewachsen und verwirrend, da es keine einheitliche Struktur gab. Ein besonderes „Highlight“ waren die Mehrfachanschlüsse: „Zweitanlagen“ bedeuteten, dass sich zwei Teilnehmer eine Leitung teilten. Noch schlimmer waren die „Viereranschlüsse“, bei denen vier Haushalte eine Leitung nutzten und nicht erkennen konnten, ob ihr Telefon gestört war oder ein anderer sprach. Der sogenannte „Mondscheinanschluss“ erlaubte es, eine Firmenleitung nach Feierabend privat zu nutzen.
Öffentliche Telefone und Vandalismus
Für die Mehrheit der Bevölkerung, die kein eigenes Telefon hatte, waren öffentliche Münzfernsprecher oft die einzige Möglichkeit zu telefonieren. Doch auch diese waren ein Ärgernis. Ein Viertel der wenigen Telefonzellen war ständig außer Betrieb, sei es durch technische Störungen oder Vandalismus. Reparaturen waren aufwendig, und die Post durfte nicht einmal den Grund der Störung – Vandalismus – benennen, sondern musste Schilder anbringen: „Fernsprecher ist gestört, an der Instandsetzung wird gearbeitet“. Erfindungsreiche Bürger nutzten sogar Fäden, um Münzen mehrmals zu verwenden, was die Post mit Schneidevorrichtungen zu unterbinden versuchte.
Die „Sondernetze“ und das WG-Telefon
Während die Normalbevölkerung unter Versorgungsengpässen litt, existierten parallel dazu zahlreiche Sondernetze. Armee, Polizei, Staatssicherheit und Partei hatten eigene, vom öffentlichen Netz unabhängige Kommunikationswege. Hinzu kamen Netze für Wirtschaftszweige wie die Bauwirtschaft, Chemie oder die Kaliindustrie, die auch die Wohnungen ihrer Mitarbeiter versorgten. All diese Sondernetze beanspruchten Technik, die dem öffentlichen Netz entzogen wurde.
An der Spitze dieser Netze stand das geheimnisvolle „WG-Netz“ – eine „innere geheime außerordentliche Einrichtung“. Dieses Netz war für die oberste Nomenklatura, die Politbüro-Mitglieder und den Generalsekretär, reserviert. Erich Honecker besaß einen solchen „WG-Apparat“, der neben den anderen Telefonen stand und einen besonderen Klang hatte. Es war quasi ein auf 26 Personen verbreitertes „Rotes Telefon“, das direkte und schnelle Verbindungen, auch nach Moskau, ermöglichte.
Die Ohren der Stasi
Das Misstrauen der Führung ihrem Volk gegenüber war immens, und die Staatssicherheit (Stasi), auch „Horch und Guck“ genannt, hörte mit unvorstellbarem Aufwand Telefongespräche ab. Dies geschah systematisch über die Abteilung 26 des MfS, oft mit Hilfe inoffizieller Mitarbeiter in den Fernmeldeämtern, die Telefonanschlüsse heimlich anzapften und Gespräche auf Tonband aufzeichneten. Zusammenfassende Mitschnitte oder Wortprotokolle wurden angefertigt.
Es gab sogar spezielle Fernsprechapparate vom Typ TW70, die bereits konstruktionsbedingt eine integrierte Schnittstelle zur Überwachung besaßen. Ein einziger Draht genügte, um selbst bei aufgelegtem Hörer alles im Raum mithören und aufzeichnen zu können. Da Tonbandkassetten Mangelware waren – der einzige Hersteller ORWO konnte den Bedarf kaum decken – griff die Stasi auf eine perfide Methode zurück: Sie konfiszierte Tonbandkassetten aus Westpaketen, die gemäß Zollgesetz nicht versandt werden durften. So wurden „aus Liebesgaben in Westpaketen Waffen im Kampf gegen den inneren Feind“. Selbst Erich Honecker wurde nach der Wende mit Tonbändern seiner abgehörten Gespräche konfrontiert, als Reiner Eppelmann ihm diese als „Opfer des Systems“ überreichte.
Der Aufbruch und die neue Zeit
In den 1980er Jahren führten Entspannungspolitik und Devisenbedarf zu einer leichten Verbesserung der deutsch-deutschen Telefonverbindungen. Über 102 zusätzliche Leitungen ermöglichten nun direkte Wahlen in bestimmte Bezirke. Doch es blieb ein Geduldsspiel, da viel zu viele Menschen über viel zu wenige Leitungen miteinander sprechen wollten.
Nach dem Fall der Mauer waren die Erwartungen an die Post riesig. Doch die Bestandsaufnahme durch Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling war ernüchternd: Die vorgefundene Infrastruktur war „schlimmer als wenn ein ausgebautes Gebiet durch ein Erdbeben total zerstört wurde“. Veraltete Technik aus dem Jahr 1922 war noch immer im Einsatz, und es gab lediglich 205 direkte Leitungen für Direktwählgespräche von Ost nach West. Wartezeiten von fünf Stunden für ein handvermitteltes Gespräch in die Bundesrepublik waren Normalität.
Doch diese desolate Ausgangslage bot auch eine riesige Chance. Über 30 Milliarden D-Mark wurden in den ersten Jahren investiert, um das modernste Telefonnetz Europas aufzubauen. Aus dem oft zitierten „Fasse dich kurz“ wurde schließlich ein befreites „Ruf doch mal an“. Das Telefon, einst ein knappes Gut, wurde zum Symbol der neuen Freiheit und unbegrenzter Kommunikation.